Ein Café oder eine Bar, zwei Freunde oder Kollegen in ein Gespräch vertieft und eine blonde, aufreizende Frau in einem roten Kleid, lässig eine Zigarette rauchend – so weit, so gut. Tatsächlich zeigt die Darstellung von Lohse-Wächtler (1899–1940) das Innere eines Bordells, zwei Freier und Lissy, die in Hamburg auf St. Pauli als Prostituierte arbeitete.
Subjekt statt Objekt
In „Lissy“ (1931) wird Lohse-Wächtlers Interesse an der Persönlichkeit der Figur sehr deutlich. Insgesamt malte sie acht Prostituiertendarstellungen, ein beliebtes Motiv unter den damaligen Künstlern. So lassen sich bei vielen männlichen Kollegen, wie etwa Otto Dix (1891–1969), Milieustudien finden, die das Geschäft der käuflichen Liebe thematisieren. Lohse-Wächtlers „Lissy“ konfrontiert den Betrachter mit unausweichlichem, standhaftem Blick. Das hautenge, knallrote Kleid betont die weiblichen Rundungen ihres Körpers, die krallenartigen Hände, die abgewandte Pose und die rümpfende Nase sorgen jedoch für Irritation. Die beiden statistenhaften Freier im Hintergrund und das Mobiliar dienen der Verortung der Szene in einem Bordell. Lohse-Wächtler zeigt die Dirne nicht aus voyeuristischer Perspektive – mit nackter Haut oder werbenden Gebärden. Vielmehr weicht die käufliche Erotik der Prostituierten dem Porträt einer selbstbewussten Frau.
Kunst als Konstante
Das Motiv der Prostituierten ist keineswegs ungewöhnlich für Elfriede Lohse-Wächtler, die bewusst antibürgerliche Figuren für ihre Werke wählte und auch für sich selbst eine unkonventionelle Lebensart bevorzugte. Die 1899 in Dresden geborene Künstlerin rebellierte bereits als Jugendliche gegen das gutbürgerliche Elternhaus und die ihr auferlegten gesellschaftlichen Konventionen. So bestand sie etwa auf ein Studium an der Dresdner Königlichen Kunstgewerbeschule in der Fachklasse für angewandte Grafik und zog gegen den Willen ihrer Eltern zum Studienbeginn aus. Die langen Haare schnitt sie sich ab und ersetzte ihr mädchenhaftes Aussehen durch einen burschikosen Look. Mit dem Pseudonym Nikolaus Wächtler signierte die junge Künstlerin fortan ihre Werke. Mühsam verdiente sich Lohse-Wächtler mit kunsthandwerklichen Objekten, Batikarbeiten und expressionistischen Zeichnungen den Lebensunterhalt. Schnell fand sie Anschluss zur ansässigen Bohème und zur Dresdner Sezession Gruppe 1919, zu deren Mitgliedern Otto Dix und Conrad Felixmüller (1897–1977) zählten. In diesem Umfeld lernte sie auch ihren zukünftigen Ehemann, den Maler und Opernsänger Kurt Lohse (1892–1958) kennen, der ein enger Freund von Otto Dix war.
http://blog.staedelmuseum.de/ein-neues-gesicht-in-der-sammlung-kunst-der-moderne-lissy-von-elfriede-lohse-wachtler/

