RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE
SCHRIFTEN UND VORTRAGE
ZUR GESCHICHTE DER ANTHROPOSOPHISCHEN BEWEGUNG
UND DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT
Rudolf Steiner
Marie Steiner- von Sivers
Briefwechsel und Dokumente
1901 - 1925
Neu herausgegeben
zur hundertjahrigen Wiederkehr
der Begriindung der
anthroposophischen Bewegung
1902 - 2002
2002
RUDOLF STEINER VERLAG
DORNACH/SCHWEIZ
Herausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlafiverwaltung
Die Herausgabe besorgten Hella Wiesberger und Julius Zoll
1. Auflage Gesamtausgabe Dornach 1967
2., neu durchgesehene und erweiterte Auflage
Gesamtausgabe Dornach 2002
Bibliographie-Nr. 262
Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlafiverwaltung, Dornach/Schweiz
© 2002 by Rudolf Steiner-Nachlafiverwaltung, Dornach/Schweiz
Satz: Verlag / Bindung: Spinner, Ottersweier
Printed in Germany by Greiserdruck, Rastatt
ISBN 3-7274-2620-9
INHALT
Vorbemerkungen der Herausgeber zur Neuausgabe 2002 ... 11
Zur Einfiihrung: Aufzeichnungen Rudolf Steiners, geschrieben
fur Edouard Schure in Barr im Elsass, September 1907 ... 15
Anhang zu [I.J der Aufzeichnungen Rudolf Steiners: Aus
der Einleitung von Edouard Schure zu seiner franzosischen
Ubersetzung von Rudolf Steiners Werk «Das Christentum
als mystische Tatsache» (1908) 29
Briefe und Dokumente 1901-1925 33
1900-1902: S. 35 \ 1903: S. 48 | 1904: S. 63 | 1905: S. 84 |
1906: S. 133 \ 1907: S. 169 | 1908: S. 198 \ 1909: S. 204 |
1910: S. 217 | 1911: S. 226 \ 1912: S. 252 j 1913: S. 268 j
1914: S. 280
Zwischenbetrachtung der Herausgeber: Zusammenarbeit
auf dem Gebiete der Kunst, insbesondere der Sprache . . 287
Briefe und Dokumente (Fortsetzung) 293
1914: S. 293 | 1915-1921: S. 302 | 1922: S. 321 | 1923: S. 336 \
1924: S. 388 | 1925: S. 447
Anhang
Zu dieser Ausgabe 471
Personenregister 473
Reiseverzeichnis 489
Verzeichnis der Briefe und Dokumente 497
Ubersicht iiber die Reihe: Das lebendige Wesen der Anthropo-
sophie und seine Pflege 509
Ubersicht iiber die Reihe: Veroffentlichungen zur Geschichte
und aus den Inhalten der Esoterischen Lehrtatigkeit . . . . 510
Ubersicht iiber die Rudolf Steiner Gesamtausgabe 511
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen:
Seite
Rudolf und Marie Steiner 1915 8/9
Marie von Sivers 1903 57
Rudolf Steiner 1904 66
Rudolf Steiner und Marie von Sivers in Schirmensee 1904 71
Rudolf Steiner und Marie von Sivers in Landin 1906 151
Marie von Sivers 1906 153
Rudolf Steiner und Marie von Sivers in Stuttgart 1908 203
Rudolf Steiner und Marie von Sivers in Oslo 1908 209
Rudolf und Marie Steiner vor dem Ersten Goetheanum ca. 1920/21 320
Rudolf Steiner 1923 343
Marie Steiner 1924 391
Rudolf Steiner auf dem Totenbett 1925 (Zeichnung) 467
© Verlag am Goetheanum (Photo O. Rietmann): Abbildung S. 343
© Rudolf Steiner Nachlassverwaltung: Alle iibrigen Abbildungen
RUDOLF STEINER
27. Februar 1861 in Kraljevec/Osterreich-Ungarn
t 30. Marz 1925 in Dornach/Schweiz
MARIE STEINER-VON SIVERS
* 14. Marz 1867 in Wlotzlawek/Ruftland
I 27. Dezember 1948 in Beatenberg/Schweiz
Begriinder und zentrale Trager
der anthroposophischen Bewegung
Die Aufnahmen auf den folgenden Seiten entstanden 1915.
VORBEMERKUNGEN DER HERAUSGEBER
ZUR NEUAUSGABE 2002
In Marie v. Sivers, spater Marie Steiner, war Rudolf Steiner vom Schicksal
gerade zum richtigen Zeitpunkt eine Personlichkeit zugefiihrt worden, mit
der zusammen er es wagen konnte, in «treuer fester Waffenbruderschaft»
eine moderne, anthroposophisch orientierte geisteswissenschaftliche Be-
wegung ins Leben zu rufen. Von selbstandiger Geistigkeit, hochgebildet,
bewandert in der Weltliteratur, fliefiend fiinf Sprachen sprechend, dazu
beseelt von einer aufiergewohnlichen Hingabefahigkeit fiir die Sache,
konnte sie die Kraft aufbringen, mit seiner iiberwaltigenden Arbeitslei-
stung Schritt zu halten. Zudem war sie eine ausgezeichnete Organisatorin:
«Ich hatte die Dinge zu schreiben, die Vortrage zu halten, Frau Doktor
organisierte die ganze Anthroposophische Gesellschaft.* 1
Sie organisierte seine Vortragsreisen und die Vortragsveranstaltungen
und fiihrte auch die damit zusammenhangende immer umfangreicher wer-
dende Korrespondenz, in der damaligen Zek noch von Hand, zudem
weitgehend auf Reisen. Denn wenn auch anfanglich Rudolf Steiner noch
allein reiste, so wurde sie doch schon bald zu seiner unentbehrlichen
Reisebegleiterin und Dolmetscherin bei Gesprachen mit Fremdsprachigen,
gelegentlich auch bei Vortragen. Wo immer es moglich war, suchte sie ihn
zu entlasten. So griindete sie, um ihn fiir seine schriftstellerischen Arbeiten
vom Zeitdruck durch Verleger-Termine zu befreien, einen eigenen Verlag.
Und als es notwendig wurde, das Nachschreiben, die Drucklegung und
den Vertrieb der Nachschriften seiner immer frei gehaltenen Vortrage in
eigene Regie zu nehmen, ubertrug er ihr auch diesen Bereich, einschliefi-
lich der Verantwortung fiir die Texte, da er sie infolge seiner stetig sich
steigernden Vortragstatigkeit nicht selber iiberpriifen konnte. Ein fiir beide
tief befriedigendes Arbeitsgebiet entwickelte sich aus dem Bestreben,
kiinstlerisches Leben in der anthroposophischen Bewegung zu pflegen, das
in der Auffuhrung von Mysteriendramen und dem dafiir errichteten eige-
nen Bau sowie in der standigen Weiterentwicklung der neuen Bewegungs-
kunst Eurythmie gipfelte (siehe Seite 287).
1 Vortrag Dornach, 15.6. 1923 in «Die Geschichte und die Bedingungen der an-
throposophischen Bewegung im Verhaltnis zur Anthroposophischen Gesell-
schaft», GA 258.
Von dieser 23 Jahre wahrenden Zusammenarbeit fur eine anthroposo-
phische Bewegung und Gesellschaft zeugen nun in einer ganz besonderen
Art die zwischen ihnen gewechselten Briefe, sowie ihre testamentarischen
Verfiigungen. Sie bilden eine wesentliche Erganzung sowohl zur Ge-
schichte der anthroposophischen Bewegung und Gesellschaft wie auch zur
Biographie der beiden Griinder-Personhchkeiten. 2
Obwohl der Briefwechsel sich iiber zwei Jahrzehnte erstreckte, ist er
doch nicht kontinuierlich, da ja nur miteinander korrespondiert wurde,
wenn man nicht am gleichen Ort miteinander tatig war oder nicht gemein-
sam reiste. Auch ist, wenn gleichwohl viele Briefe vorliegen, die Ein-
schrankung zu machen: <soweit sie sich erhalten haben>. Denn Rudolf
Steiner erwahnt des ofteren - insbesondere in den Jahren bis 1914 - Briefe
von Marie v. Sivers an ihn, die nicht vorliegen. Es ist anzunehmen, dass sie
sich in dem groJSen verschlossenen Kuvert befanden, das von Marie Steiner
hinterlassen worden war mit der Bestimmung, es nach ihrem Tode unge-
offnet zu verbrennen. Dies wurde von dem Testamentsvollstrecker, dem
Rechtsanwalt Dr. Paul Jenny aus Zurich unter Anwesenheit von Marie
Steiners Sekretarin, Berta Reebstein-Lehmann, als Zeugin, vollzogen. Au-
fierdem diirfte sich in diesem Kuvert auch mindestens ein Brief Rudolf
Steiners befunden haben, dessen Existenz durch die Berliner Mitarbeiterin
Anna Samweber iiberliefert worden ist. Sie berichtete, dass ihr Marie
Steiner in der Zeit nach Rudolf Steiners Tod, als einige Personlichkeiten
aus der Anthroposophischen Gesellschaft ihre Rechte am literarischen
Nachlass Rudolf Steiners in Frage stellten, einen Brief zu lesen gab, in dem
gestanden habe, «wie fur sie beide in der geistigen Welt bestimmt worden
sei, dass er nur mit ihr zusammen seine irdische Aufgabe erfiillen konne.» 3
Was Marie Steiner dazu bewegt haben mag, solche Dokumente der
Nachwelt nicht auszuliefern, diirfte vor allem in der ihr eigenen tiefen
Zuriickhaltung ihrer Personlichkeit gegeniiber Rudolf Steiner gelegen ha-
ben, die so klar und deutlich aus der ganzen Art ihrer vorliegenden Briefe
spricht. Dass diese iiberhaupt erhalten geblieben sind, konnte sogar auf
einem Versehen beruhen. Denn sie fanden sich erst lange nach ihrem Tod
2 Siehe Rudolf Steiners Autobiographic «Mein Lebensgang», GA 28, und innerhalb
der Reihe «Rudolf Steiner-Studien. Veroffentlichungen aus dem Archiv der
Rudolf Steiner-Nachlassverwaltung» die biographische Dokumentation «Marie
Steiner-von Sivers - Ein Leben fur die Anthroposophie», dargestellt von Hella
Wiesberger, Dornach 1988 und 1989.
3 Anna Samweber, «Aus meinem Leben», Pforte-Verlag Basel 1981.
wie verlegt unter ganz anderen Papieren. Der gesamte Bestand des Rudolf
Steiner-Archivs war ja wahrend des Zweiten Weltkrieges aus Sicherheits-
grunden nach Beatenberg im Berner Oberland verlagert und erst nach
Marie Steiners Tod von dort nach Dornach zuriickgefiihrt worden.
Besonders ansprechend, weil vollig unsentimental, kommt die tiefe
Zuriickhaltung ihrer eigenen Personlichkeit in der von ihr gebrauchten
Anrede zum Ausdruck. Da sie von Rudolf Steiner oft <Maus> genannt
wurde - eine in Osterreich und Bayern gern und viel gebrauchte Anrede-
form setzte sie den <Elefanten> dagegen, aber immer nur in der Abkiir-
zung <E.> Mit der von ihm ebenso gern und oft gebrauchten Anrede <Mein
Liebling> wollte er sie offenbar darin bestarken, dass sie zu «treuer, fester
Waffenbriiderschaft» zusammengehoren, dass er sich mit ihr «immer si-
cher fiihlen» wird, denn «du verstehst mich, das gibt mir Kraft, das macht
mir die Fliigel frei» (Brief e Nr. 7, 10, 15). Erinnert das nicht daran, dass in
der Mysteriensprache derjenige Schiller, der die Intentionen des Lehrers
am tiefsten versteht, als Lieblingsschiiler bezeichnet wird? Und bestatigen
das nicht auch die Worte aus seiner testamentarischen Niederschrift vom
19. Februar 1907, mit denen er ihr das Recht zuspricht, nach seinem Tode
in seinem Namen verfugen zu konnen: «Was sie so tut, soil in meinem
Namen getan sein.» (Nr. 55).
War es fur die erste Herausgabe des Briefwechsels, die 1967 zum 100.
Geburtstag Marie Steiners erfolgte, aus Riicksicht auf noch lebende Perso-
nen geboten, die meisten Namen und bestimmte Aussagen wegzulassen, so
sind die Briefe nunmehr in ihrem vollen Wortlaut, einschliefilich der
Anreden und Schliisse, wiedergegeben. Es sollte jedoch bei dem einen oder
anderen harten Wort Rudolf Steiners iiber diese oder jene Personlichkeit
bedacht werden, dass er seine Worte immer als situationsbedingt und nicht
als absolut geltend verstanden wissen wollte. Die Briefe setzen ja einfach
die durch Reisen des einen oder anderen unterbrochenen vertraulichen
Gesprache zweier Menschen fort, die es im Zusammenhang ihrer gemein-
sam ubernommenen Aufgabe mit alien menschlichen Schwachen und
Widerstanden zu tun hatten, die ihnen aus der interessierten Mitwelt
heraus entgegengebracht wurden.
Ferner ist der Briefwechsel selber erweitert worden um einen neu
aufgefundenen Brief Marie Steiners an Rudolf Steiner, sowie um mehrere
fur die jeweilige Situation bezeichnende Briefe von Rudolf und Marie
Steiner an dritte Personen.
Um die Hinweise nicht unnotig zu belasten, ist darauf verzichtet
worden, Angaben zu Rudolf Steiners Biographie und zu seinen Vortragen
immer im einzelnen nachzuweisen, da man sich dariiber eingehend orien-
tieren kann in Rudolf Steiners Autobiographic «Mein Lebensgang»
(GA 28), in «Rudolf Steiner - Eine Chronik» von Christoph Lindenberg,
und in «Das Vortragswerk Rudolf Steiners» von Hans Schmidt.
Bemerkungen zur Redaktion und zu den Erweiterungen findet man am
Schluss des Bandes unter «Zu dieser Ausgabe».
Als Einfuhrung sind, wie schon in der ersten Ausgabe, wieder die
autobiographischen Aufzeichnungen Rudolf Steiners vorangestellt, die fur
den franzosischen Schriftsteller Edouard Schure niedergeschrieben wur-
den. Er hatte, als er im September 1907 von Marie v. Sivers und Rudolf
Steiner in Barr im Elsass - seinem Sommersitz - besucht wurde, um einige
biographische Angaben gebeten, weil er Rudolf Steiners Schrift «Das
Christentum als mystische Tatsache» iibersetzte und in einer Einleitung
den Autor dem franzosischen Lesepublikum vorstellen wollte. So entstan-
den die in drei Teile gegliederten <documents de Barn. Dariiber hinaus hat
Rudolf Steiner Schure aber auch noch manches in Gesprachen berichtet.
Davon ist in die Einleitung etwas eingeflossen, was als wesentliche Ergan-
zung gelten kann zu der im ersten Teil der Aufzeichnungen nur angedeu-
teten Begegnung mit dem Meister. Die betreffende Passage ist darum in
der vorliegenden Ausgabe den Aufzeichnungen als Anhang hinzugefiigt
worden.
2UR EINFUHRUNG
AUFZEICHNUNGEN RUDOLF STEINERS
geschrieben fur Edouard Schure in Barr im Elsass,
September 1907
[i.]
Sehr friih wurde ich auf Kant hingelenkt. Im funfzehnten und sech-
zehnten Jahre studierte ich Kant ganz intensiv, und vor dem Uber-
gang zur Wiener Hochschule beschaftigte ich mich intensiv mit den
orthodoxen Nachfolgern Kants, vom Anfange des 19. Jahrhunderts,
welche von der offiziellen Wissenschaftsgeschichte in Deutschland
ganz vergessen sind und kaum mehr genannt werden. Dann trat
hinzu ein eingehendes Vertiefen in Fichte und Schelling. In diese
Zeit fiel - und dies gehort schon zu den aufieren okkulten Einflus-
sen - die vollige Klarheit iiber die Vorstellung der Zeit. Diese
Erkenntnis stand mit den Studien in keinem Zusammenhang und
wurde ganz aus dem okkulten Leben her dirigiert. Es war die
Erkenntnis, dass es eine mit der vorwartsgehenden interferierende
riickwartsgehende Evolution gibt - die okkult-astrale. Diese
Erkenntnis ist die Bedingung fur das geistige Schauen. 1
Dann kam die Bekanntschaft mit dem Agenten d. M. [des
Meisters].
Dann ein intensives Hegelstudium,
1 Vgl. die Ausfiihrungen Schures auf S. 28; Rudolf Steiners autobiographischen
Vortrag Berlin, 4. Februar 1913 in «Beitrage zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe»
Nr. 83/84; Vortrag Dornach 14. Juni 1923 in «Die Geschichte und die Bedingun-
gen der anthroposophischen Bewegung im Verhaltnis zur Anthroposophischen
Gesellschaft» in GA 258; ferner Hella Wiesberger «Der biographische Entste-
hungsmoment der Zeiterkenntnis» und «Die Zeiterkenntnis als <Grund-Nerv> des
anthroposophischen Forschungsanfanges» in «Beitrage zur Rudolf Steiner Ge-
samtausgabe» Nr. 49/50, S. 15-28.
Dann das Studium der neueren Philosophic, wie sie sich seit den
funfziger Jahren in Deutschland entwickelte, namentlich der so-
genannten Erkenntnistheorie in alien ihren Verzweigungen.
Mein Knabenleben verfloss, ohne dass aufierlich dies von je-
mand beabsichtigt wurde, so, dass mir nie ein Mensch mit einem
Aberglauben entgegentrat; und wenn in meiner Umgebung jemand
von Dingen des Aberglaubens sprach, so war es nie anders, als mit
einer stark betonten Ablehnung. Den kirchlichen Kultus lernte ich
zwar kennen, indem ich zu Kultushandlungen als sogenannter
Ministrant zugezogen wurde, doch war nirgends, auch bei den Prie-
stern nicht, die ich kennen lernte, eigentliche Frommigkeit und
Religiositat vorhanden. Dagegen traten mir fort und fort gewisse
Schattenseiten des katholischen Klerus vor Augen.
* * ;:-
Nicht sogleich begegnete ich dem M. [Meister] 2 , sondern zuerst
einem von ihm Gesandten 3 , der in die Geheimnisse der Wirksam-
keit aller Pflanzen und ihres Zusammenhanges mit dem Kosmos
und mit der menschlichen Natur vollkommen eingeweiht war. Ihm
war der Umgang mit den Geistern der Natur etwas Selbstverstand-
liches, das ohne Enthusiasmus vorgebracht wurde, doch um so
mehr Enthusiasmus erweckte.
Die offiziellen Studien waren gerichtet auf Mathematik, Chemie,
Physik, Zoologie, Botanik, Mineralogie und Geologic Diese Studi-
en boten der Grundlegung einer geistigen Weltanschauung viel
grofiere Sicherheit als etwa Geschichte oder Literatur, die ohne
bestimmte Methode, und auch ohne bedeutsame Ausblicke im da-
maligen deutschen Wissenschaftsbetrieb dastanden.
In die ersten Hochschuljahre in Wien fallt die Bekanntschaft mit
2 Naheres nicht bekannt.
3 Felix Koguzki (Wien 1833-1909 Trumau). Vgl. den autobiographischen Vortrag
Berlin, 4. Februar 1913 in «Beitrage zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Nr. 83,
sowie «Mein Lebensgang», GA 28. Ferner Emil Bock «Rudolf Steiner. Studien zu
seinem Lebensgang und Lebenswerk», Stuttgart 1961.
Karl Julius Schroer. Zunachst horte ich seine Vorlesungen iiber Ge-
schichte der deutschen Dichtung seit Goethes erstem Auftreten, iiber
Goethe und Schiller, iiber Geschichte der deutschen Dichtung im
19. Jahrhundert, iiber Goethes «Faust». Da nahm ich auch teil an
seinen «Ubungen im miindlichen Vortrag und schriftlicher Darstel-
lung». Das war ein eigentumliches Hochschulkolleg nach dem Mu-
ster von Uhlands Einrichtung an der Tiibinger Hochschule 4 . Schroer
kam von der deutschen Sprachforschung, hatte bedeutsame Studien
gemacht iiber deutsche Dialekte in Osterreich, er war ein Forscher
im Stile der Briider Grimm und in der Literaturforschung ein Vereh-
rer von Gervinus. Er war vorher Direktor der Wiener evangelischen
Schulen. Er ist der Sohn des Dichters und aulSerordentlich verdienst-
vollen Padagogen Chr. Oeser. Zur Zeit meiner Bekanntschaft mit
ihm wandte er sich ganz Goethe zu. Er hat einen vielgelesenen Kom-
mentar von Goethes «Faust» und auch von Goethes andern Dramen
geschrieben. Er hat noch vor dem Niedergang des deutschen Idealis-
mus seine Studien an den deutschen Universitaten Leipzig, Halle und
Berlin gemacht. Er war eine lebendige Verkorperung der vornehmen
deutschen Bildung. An ihm zog der Mensch an. Ich wurde bald mit
ihm befreundet und war dann viel in seinem Hause. Es war bei ihm
wie in einer idealistischen Oase innerhalb der trockenen materialisti-
schen deutschen Bildungswiiste. Im aufteren Leben war diese Zeit
erfiillt von den Nationalitatskampfen in Osterreich. Schroer selbst
stand der Naturwissenschaft fern.
Ich arbeitete aber damals vom Anfange 1880 an an Goethes
naturwissenschaftlichen Studien.
Dann begriindete Joseph Kurschner das umfassende Werk
«Deutsche Nationalliteratur», fur das Schroer die Goetheschen
Dramen mit Einleitungen und Kommentar edierte. Mir iibertrug
Kurschner auf Schroers Empfehlung die Edition von Goethes
naturwissenschaftlichen Schriften.
Schroer schrieb dazu erne Vorrede, durch welche er mich in die
literarische Offentlichkeit einfiihrte.
4 Vgl. Rudolf Steiners Biographie von Ludwig Uhland (1787-1862, Tubingen).
(Abschnitt «Politik und Forschung. Universitatsprofessor») in GA 33.
Ich verfasste innerhalb dieses Sammelwerkes Einfiihrungen in
Goethes Botanik, Zoologie, Geologie und Farbenlehre.
Wer diese Einfiihrungen liest, wird darin schon die theosophi-
schen Ideen in dem Gewande eines philosophischen Idealismus
finden konnen.
Auch eine Auseinandersetzung mit Haeckel ist darin.
Wie eine philosophische Erganzung dazu ist meine 1886 ge-
arbeitete: Erkenntnistheorie.
Dann wurde ich durch meine Bekanntschaft mit der osterreichi-
schen Dichterin M. E. delle Grazie, welche in dem Professor
Laurenz Milliner einen vaterlichen Freund hatte, in die Kreise der
Wiener theologischen Professoren eingefuhrt. Marie Eugenie delle
Grazie hat ein grofies Epos «Robespierre» und ein Drama
«Schatten» geschrieben.
Ende der achtziger Jahre wurde ich fur kurze Zeit Redakteur der
«Deutschen Wochenschrift» in Wien. Das gab Gelegenheit zu einer
intensiven Beschaftigung mit den Volksseelen der verschiedenen
osterreichischen Nationalitaten. Es musste fur eine geistige Kultur-
politik der leitende Faden gefunden werden.
Bei alledem konnte von einer offentlichen Hervorkehrung der
okkulten Ideen keine Rede sein. Und die hinter mir stehenden
okkulten Machte gaben mir nur den einen Rat: «Alles in dem
Kleide der idealistischen Philosophies
Gleichlaufend mit all dem ging meine mehr als fimfzehnjahrige
Tatigkeit als Erzieher und Privatlehrer.
Die erste Beriihrung Ende der achtziger Jahre mit Wiener
theosophischen Kreisen musste ohne aufiere Nachwirkung
bleiben.
Ich verfasste in meinen letzten Wiener Monaten meine kleine
Schrift «Goethe als Vater einer neuen Asthetik».
Dann wurde ich an das damals begriindete Goethe- und Schil-
ler-Archiv in Weimar berufen zur Edition von Goethes natur-
wissenschaftlichen Schriften. Eine offizielle Stellung hatte ich an
diesem Archiv nicht; ich war lediglich Mitarbeiter an der grofien
«Sophien-Ausgabe» Goethescher Werke.
Mein nachstes Ziel war, rein philosophisch die Grundlegung mei-
ner Weltauffassung zu liefern. Das geschah in den beiden Schriften:
«Wahrheit und Wissenschaft» und «Philosophie der Freiheit».
Das Goethe- und Schiller- Archiv wurde von einer groften Reihe
gelehrter und literarischer, auch sonstiger Personlichkeiten Deutsch-
lands, aber auch des Auslandes besucht. Ich lernte manche dieser Per-
sonlichkeiten genauer kennen, weil ich bald befreundet wurde mit
dem Direktor des Goethe- und Schiller- Archivs Prof. Bernhard Su-
phan und viel in dessen Hause verkehrte. Suphan zog mich zu vielen
Privatbesuchen, die er von den Besuchern des Archivs hatte. Bei einer
solchen Gelegenheit fand auch die Begegnung mit Treitschke statt.
Innigere Freundschaft schloss ich damals mit dem bald darauf
verstorbenen deutschen Mythenforscher Ludwig Laistner, dem
Verfasser des «Ratsel der Sphynx».
Wiederholte Gesprache hatte ich mit Herman Grimm, der mir
viel sprach von seinem nicht ausgefiihrten Werke, einer «Geschich-
te der deutschen Phantasie».
Dann kam die Episode Nietzsche. Ich hatte kurz vorher sogar im
gegnerischen Sinne iiber Nietzsche geschrieben.
Meine okkulten Krafte wiesen mich darauf hin, in die Zeitstro-
mungen unvermerkt die Richtung nach dem Wahrhaft-Geistigen
fliefien zu lassen. Man gelangt nicht zur Erkenntnis, wenn man
den eigenen Standpunkt absolut durchsetzen will, sondern durch
Untertauchen in fremde Geistesstromungen.
So schrieb ich mein Buch iiber Nietzsche, indem ich mich ganz
auf Nietzsches Standpunkt stellte. Es ist vielleicht gerade aus die-
sem Grunde das objektivste Buch innerhalb Deutschlands iiber
Nietzsche. Auch Nietzsche als Anti-Wagnerianer und Antichrist
kommt da ganz zu seinem Rechte.
Ich gait nun eine Zeit lang als unbedingtester «Nietzscheaner». -
Damals wurde die «Gesellschaft fur ethische Kultur» in Deutsch-
land gegriindet. Diese Gesellschaft wollte eine Moral mit volliger
Indifferenz gegen alle Weltanschauung. Ein volliges Luftgebaude
und eine Bildungsgefahr. Ich schrieb gegen diese Griindung einen
scharfen Artikel in der Wochenschrift «Die Zukunft».
Die Folge waren scharfe Entgegnungen. Und meine vorangegan-
gene Beschaftigung mit Nietzsche fiihrte herbei, dass eine Broschii-
re gegen mich erschien:
«Nietzsche-Narren» .
Der okkulte Standpunkt verlangt: «Keine unnotige Polemik»
und «Vermeide, wo du es kannst, dich zu verteidigen».
Ich schrieb in Ruhe mein Buch: «Goethes Weltanschauung*, das
den Abschluss meiner Weimarischen Zeit bildete.
Sogleich nach meinem «Zukunft»-Artikel trat Haeckel an mich
heran. Er schrieb zwei Wochen spater einen Artikel in der «Zu-
kunft», in dem er sich offentlich zu meinem Gesichtspunkt be-
kannte, dass eine Ethik nur auf dem Boden einer Weltanschauung
erwachsen konne.
Nicht lange danach war Haeckels 60. Geburtstag, der als grofie
Festlichkeit in Jena gefeiert wurde. Haeckels Freunde zogen mich
zu. Damals sah ich Haeckel zum ersten Mai. Seine Personlichkeit ist
bezaubernd. Er ist personlich der vollkommenste Gegensatz von dem
Ton seiner Schriften. Hatte Haeckel jemals Philosophic auch nur ein
wenig studiert, in der er nicht bloft Dilettant, sondern ein Kind ist: er
hatte ganz sicher aus seinen epochemachenden phylogenetischen
Studien die hochsten spiritualistischen Schliisse gezogen.
Nun ist trotz aller deutschen Philosophic, trotz aller iibrigen
deutschen Bildung Haeckels phylogenetischer Gedanke die bedeu-
tendste Tat des deutschen Geisteslebens in der zweiten Halfte des
neunzehnten Jahrhunderts. Und es gibt keine bessere wissenschaft-
liche Grundlegung des Okkultismus als Haeckels Lehre. Haeckels
Lehre ist grofi, und Haeckel der schlechteste Kommentator dieser
Lehre. Nicht indem man den Zeitgenossen die Schwachen Haek-
kels zeigt, niitzt man der Kultur, sondern indem man ihnen die
Grofte von Haeckels phylogenetischen Gedanken darlegt. Das tat
ich nun in den zwei Banden meiner:
«Welt- und Lebensanschauungen im 19. Jahrhundert», die auch
Haeckel gewidmet sind, und in meiner kleinen Schrift: «Haeckel
und seine Gegner».
In der Haeckelschen Phylogenie lebt tatsachlich allein die Zeit des
deutschen Geisteswesens; die Philosophic ist in einem Zustande
trostlosester Unfruchtbarkeit, die Theologie ist ein heuchlerisches
Gewebe, das sich dieser seiner Unwahrhaftigkeit nicht im entfernte-
sten bewusst ist, und die Wissenschaften sind trotz des grofien empi-
rischen Aufschwunges in odeste philosophische Ignoranz verfallen.
1890-1897 war ich in Weimar.
1897 ging ich als Herausgeber des «Magazins fiir Literatur» nach
Berlin. Die Schriften «Welt- und Lebensanschauungen im 19. Jahr-
hundert» und «Haeckel und seine Gegner» gehoren schon der
Berliner Zeit an.
Meine nachste Aufgabe sollte sein: in der Literatur eine geistige
Stromung zur Geltung zu bringen. Das «Magazin» stellte ich in
den Dienst dieser Aufgabe. Es war ein altangesehenes Organ, das
seit 1832 bestand und die verschiedensten Phasen durchgemacht
hatte.
Ich leitete sachte und langsam in esoterische Bahnen himiber.
Vorsichtig aber deutlich: indem ich zu dem hundertfunfzigsten
Geburtstage Goethes einen Aufsatz schrieb:
«Goethes geheime Offenbarung»,
der nur wiedergab, was ich bereits in einem offentlichen Vortra-
ge in Wien iiber Goethes Marchen von der «griinen Schlange und
der schonen Lilie» angedeutet hatte.
Es lag in der Natur der Sache, dass sich fiir die von mir im
«Magazin» inaugurierte Richtung langsam ein Leserkreis sammelte.
Er fand sich zwar, aber nicht so schnell, dass der Verleger die Sache
finanziell aussichtsvoll fand. Ich wollte der jungliterarischen Rich-
tung einen geistigen Untergrund geben, stand auch tatsachlich in
dem lebendigsten Verkehre mit den aussichtvollsten Vertretern
dieser Richtung. Ich wurde aber einerseits im Stich gelassen; and-
rerseits versank diese Richtung bald entweder in Nichtigkeit oder
in Naturalismus.
Mittlerweile war schon die Verbindung mit der Arbeiterschaft
angebahnt. Ich war Lehrer an der Berliner Arbeiterbildungsschule
geworden. Ich lehrte Geschichte und auch Naturwissenschaften.
Meine durchaus idealistische Geschichtsmethode und meine Lehr-
weise wurde bald den Arbeitern sympathisch und auch verstand-
lich. Mein Zuhorerkreis wuchs. Ich wurde fast jeden Abend zu
einem Vortrage gerufen.
Da kam die Zeit, wo ich im Einklange mit den okkulten Kraften,
die hinter mir standen, mir sagen durfte:
du hast philosophisch die Grundlegung der Weltanschauung
gegeben,
du hast fur die Zeitstromungen ein Verstandnis erwiesen,
indem du so diese behandelt hast, wie nur ein volliger Be-
kenner sie behandeln konnte;
niemand wird sagen konnen: dieser Okkultist spricht von der
geistigen Welt, weil er die philosophischen und naturwissen-
schaftlichen Errungenschaften der Zeit nicht kennt.
Ich hatte nun auch das vierzigste Jahr erreicht, vor dessen Ein-
tritt im Sinne der Meister 5 niemand offentlich als Lehrer des Ok-
kultismus auftreten darf. (Uberall, wo jemand friiher lehrt, liegt ein
Irrtum vor.)
Nun konnte ich mich der Theosophie offentlich widmen. Die
nachste Folge war, dass auf das Drangen gewisser Fiihrer des deut-
schen Sozialismus eine Generalversammlung der Arbeiterbildungs-
schule einberufen wurde, welche zwischen dem Marxismus und
mir entscheiden sollte. Aber der Ostrazismus entschied nicht gegen
mich. In der Generalversammlung wurde mit alien gegen nur vier
Stimmen beschlossen, mich weiter als Lehrer zu halten.
Aber der Terrorismus der Fiihrenden brachte es dahin, dass ich
nach drei Monaten zuriicktreten musste. Man hiillte, um sich nicht
zu kompromittieren, die Sache in den Vorwand: ich sei durch die
theosophische Bewegung zu sehr in Anspruch genommen, um Zeit
fur die Arbeiterschule in hinreichendem Mafie zu haben.
Vom Anfange fast der theosophischen Tatigkeit stand Frl,
v. Sivers an meiner Seite. Sie hat auch personlich die letzten Phasen
meines Verhaltnisses zur Berliner Arbeiterschaft mit angesehen.
5 Naheres in «Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der
Esoterischen Schule 1904-1 914», GA 264.
[II.]
Christian Rosenkreutz ging in der ersten Halfte des fiinfzehnten
Jahrhunderts nach dem Orient, um den Ausgleich zu finden zwi-
schen der Initiation des Ostens und jener des Westens 6 . Eine Folge
davon war die definitive Begriindung der Rosenkreuzerrichtung im
Westen nach seiner Rtickkehr. In dieser Form sollte das Rosen-
kreuzertum die streng geheimgehaltene Schule sein zur Vorberei-
tung dessen, was der Esoterik dffentlich als Aufgabe zufallen miisse
um die Wende des 19. und 20. Jahrhunderts, wenn die auftere
Naturwissenschaft zur vorlaufigen Losung gewisser Probleme ge-
kommen sein werde.
Als diese Probleme bezeichnete Christian Rosenkreutz:
1) Die Entdeckung der Spektralanalyse, wodurch die materielle
Konstitution des Kosmos an den Tag kam.
2) Die Einfiihrung der materiellen Evolution in die Wissenschaft
vom Organischen.
3) Die Erkenntnis der Tats ache eines anderen als des gewohn-
lichen Bewusstseinszustandes durch die Anerkennung des
Hypnotismus und der Suggestion.
Erst wenn diese materiellen Erkenntnisse innerhalb der Wissen-
schaft ausgereift waren, sollten gewisse rosenkreuzerische Prin-
zipien aus dem Geheimwissenschaftlichen in die offentliche Mit-
teilung eintreten.
Fur die Zeit bis dahin wurde die christlich-mystische Initiation
in der Form dem Abendlande gegeben, in der sie durch den Initia-
tor, dem «Unbekannten aus dem Oberland» 7 erfloss in St. Victor,
Meister Eckhart, Tauler usw.
6 Vgl. Rudolf Steiner, «Die chymische Hochzeit des Christian Rosencreutz» in
GA35 «Philosophie und Anthroposophie 1904— 1918»; auch in «Die chymische
Hochzeit des Christian Rosenkreutz anno 1459», ins Neuhochdeutsche iibertra-
gen von Walter Weber, Stuttgart 1957 und Basel 1978. Vgl. auch «Das esoterische
Christentum und die geistige Fuhrung der Menschheit», GA 130.
7 Vgl. Rudolf Steiner, «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens
und ihr Verhaltnis zur modernen Weltanschauung* (1901), GA 7; Basel 23.
November 1907 in «Aus den Inhalten der esoterischen Stunden» GA 266/1; «Zur
Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der Esoterischen Schule
1904-1914*, GA 264, S. 230.
Als ein «hoherer Grad» wird innerhalb dieser ganzen Stromung
die Initiation des Manes angesehen 8 , der 1459 auch Christian Ro-
senkreutz initiierte: sie besteht in der wahren Erkenntnis von der
Funktion des Bosen. Diese Initiation muss mit ihren Hintergriin-
den noch fur lange vor der Menge ganz verborgen bleiben. Denn
wo von ihr auch nur ein ganz kleiner Lichtstrahl in die Literatur
eingeflossen ist, da hat er Unheil angerichtet, wie durch den edlen
Guyau, dessen Schuler Friedrich Nietzsche geworden ist.
on.]'
Als Information; in dieser Form unmittelbar kann es
noch nicht gesagt werden.
Die Theosophische Gesellschaft ist 1875 in New York gegriindet
worden durch H. P. Blavatsky und H. S. Olcott. Diese erste Griin-
dung trug einen ausgesprochen westlichen Charakter. Und auch
die Schrift «Isis Unveiled», in welcher Blavatsky eine grofie Summe
von okkulten Wahrheiten veroffentlichte, tragt einen solchen west-
lichen Charakter. Von dieser Schrift muss jedoch gesagt werden,
dass sie die grofien Wahrheiten, die in ihr mitgeteilt werden, in
einer vielfach verzerrten, ja oft karikierten Art wiedergibt. Es ist
so, wie wenn ein harmonisches Antlitz in einem Konvexspiegel
ganz verzerrt erscheint. Die Dinge, die in der «Isis» gesagt werden,
sind wahr; aber die Art, wie sie gesagt werden, ist unregelmafiige
8 Vgl. Vortrag Berlin, 11. November 1904 in «Die Tempellegende und die Goldene
Legende» GA 93.
9 Zu dem ganzen Abschnitt III vgl. «Die okkulte Bewegung im neunzehnten
Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur», GA 254; Vortrag Helsingfors
11. April 1912 in «Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen
Welt. Kalewala - Olaf Asteson - Das russische Volkstum», GA 158; ferner «Die
Geschichte und die Bedingungen der anthroposophischen Bewegung im Verhalt-
nis zur Anthroposophischen Gesellschaft» GA 258.
Spiegelung der Wahrheit. Es riihrt dies davon her, dass die Wahr-
heiten selbst inspiriert sind von den grofien Initiierten des Westens,
die auch die Initiatoren der Rosenkreuzerweisheit sind. Die Ver-
zerrung riihrt her von der unentsprechenden Art, wie diese Wahr-
heiten von der Seele H. P. Blavatskys aufgenommen worden sind.
Fur die gebildete Welt hatte gerade diese Tatsache ein Beweis sein
miissen fiir die hohere Inspirationsquelle dieser Wahrheiten. Denn
niemals hatte jemand durch sich selbst diese Wahrheiten haben
konnen, der sie in einer so verzerrten Art wiedergab. Weil nun die
Initiatoren des Westens sahen, wie wenig sie die Moglichkeit
haben, auf diese Art den Strom spiritueller Weisheit in die Mensch-
heit einfliefien zu lassen, beschlossen sie, die Sache iiberhaupt vor-
laufig in dieser Form fallen zu lassen. Doch war aber nun einmal
das Tor geoffnet: Blavatskys Seele war so prapariert, dass in sie
spirituelle Weisheiten einfliefien konnten. Es konnten sich ihrer
ostliche Initiatoren bemachtigen. Diese ostlichen Initiatoren hatten
zunachst das allerbeste Ziel. Sie sahen, wie durch den Anglo-Ame-
rikanismus die Menschheit der furchtbaren Gefahr einer vollstan-
digen Vermaterialisierung der Vorstellungsart entgegensteuerte. Sie
- diese ostlichen Initiatoren - wollten der westlichen Welt ihre
Form von alters her bewahrter spiritueller Erkenntnis einimpfen.
Unter dem Einfluss dieser Stromung nahm die Theosophische
Gesellschaft den ostlichen Charakter an, und unter dem gleichen
Einfluss wurden Sinnetts «Esoterischer Buddhismus» und Blavat-
skys «Geheimlehre» inspiriert. Beides aber wurden wieder Ver-
zerrungen der Wahrheit. Sinnetts Werk verzerrt die hohen Kund-
gebungen der Initiatoren durch einen hineingetragenen ungeniigen-
den philosophischen Intellektualismus und Blavatskys «Geheim-
lehre» durch deren eigene chaotische Seele.
Die Folge davon war, dass die Initiatoren, auch die ostlichen,
ihren Einfluss immer mehr von der offiziellen Theosophischen
Gesellschaft zuriickzogen, und dass diese ein Tummelplatz fiir
allerlei die hohe Sache entstellende okkulte Machte wurde. Es trat
eine kleine Episode ein, in welcher Annie Besant durch ihre reine,
hochsinnige Denkungsweise und Lebensfiihrung in die Stromung
der Initiatoren kam. Doch hatte diese kleine Episode ein Ende, als
Annie Besant den Einfliissen gewisser Indier sich hingab, die unter
dem Einfluss namentlich deutscher Philosopheme, die sie falsch
interpretierten, einen grotesken Intellektualismus entwickelten. So
war die Lage, als ich selbst mich vor die Notwendigkeit versetzt
fand, der Theosophischen Gesellschaft beizutreten. An deren
Wiege waren echte Initiatoren gestanden, und dadurch ist sie, wenn
auch die nachfolgenden Ereignisse eine gewisse Unvollkommenheit
gegeben haben, vorldufig ein Instrument fur das spirituelle Leben
der Gegenwart. Ihre gedeihliche Fortentwickelung in den west-
lichen Landern hangt ganz davon ab, inwiefern sie sich fahig er-
weist, das Prinzip der westlichen Initiation unter ihre Einflusse
aufzunehmen. Denn die ostlichen Initiationen miissen notwendig
das Christusprinzip als zentralen kosmischen Faktor der Evolution
unberiihrt lassen. Ohne dieses Prinzip musste aber die theosophi-
sche Bewegung ohne bestimmende Wirkung auf die westlichen
Kulturen bleiben, die an ihrem Ausgangspunkte das Christusleben
haben. Die Offenbarungen der orientalischen Initiation mussten
fur sich selbst im Westen sich wie eine Sektiererei neben die leben-
dige Kultur hinstellen. Eine Hoffnung auf Erfolg in der Evolution
konnten sie nur haben, wenn sie das Christusprinzip aus der west-
lichen Kultur vertilgten. Dies ware aber identisch mit dem Aus-
loschen des eigentlichen Sinnes der Erde, der in der Erkenntnis und
Realisierung der Intentionen des lebendigen Christus liegt. [Diese]
Zu enthiillen in voller Weisheits-, Schonheit- und Tatform ist aber
das tiefste Ziel des Rosenkreuzertums. Uber den Wert der ost-
lichen Weisheit als Studium kann nur die Meinung bestehen, dass
dieses Studium von allerhochstem Werte ist, weil die westlichen
Volker den Sinn fur Esoterik verloren, die ostlichen sich ihn aber
bewahrt haben. Uber die Einfuhrung der richtigen Esoterik im
Westen sollte aber auch nur die Meinung bestehen, dass dies nur
die rosenkreuzerisch-christliche sein kann, weil diese auch das
westliche Leben geboren hat, und weil durch ihren Verlust die
Menschheit der Erde ihren Sinn und ihre Bestimmung verleugnen
wiirde. Allein in dieser Esoterik kann die Harmonie von Wissen-
schaft und Religion erbluhen, wahrend eine jede Verschmelzung
westlichen Wissens mit ostlicher Esoterik nur solche unfruchtbare
Bastarde erzeugen kann, wie Sinnetts «Esoterischer Buddhismus»
einer ist. Man kann schematisch darstellen das Richtige:
das Unrichtige, wovon Sinnett's «Esoterischer Buddhismus» und
Blavatsky's «Geheimlehre» Beispiele sind:
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:262 Seite:27
Anhang zu [I.] der Aufzeichnungen Rudolf Steiners
Aus der Einleitung von Edouard Schure
zu seiner franzdsischen Ubersetzung von Rudolf Steiners Werk
«Das Christentum als mystische Tatsacbe» (1908) 1
Im Alter von fiinfzehn [achtzehn] Jahren machte Rudolf Steiner die
Bekanntschaft eines wissenden Pflanzenkenners, der sich voriibergehend
in seiner Gegend aufhielt. Das Besondere an diesem Menschen war, dass
er nicht nur die Arten, die Familien und das Leben der Pflanzen bis in die
kleinsten Einzelheiten kannte, sondern auch ihre geheimen Eigenschaften.
Es war, wie wenn er sein ganzes Leben im Gesprach mit der bewusstlosen
und fliichtigen Seele der Pflanzen und Blumen verbracht hatte. Er besafi
die Gabe, das lebendige Prinzip der Pflanzen, den Atherleib, und das, was
im Okkultismus die Elementarwesen des Pflanzenreiches genannt wird, zu
sehen. Er sprach davon wie von einer ganz gewohnhchen und selbst-
verstandlichen Sadie. Der gelassene und michtern wissenschaftliche Ton
seiner Unterhaltung vermehrte nur die Wissbegierde und die Bewunde-
rung des Jiinglings. Spater erfuhr er, dass dieser sonderbare Mann ein
Abgesandter des Meisters war, den er noch nicht kannte, der aber sein
eigentlicher Initiator werden sollte und welcher ihn schon aus der Feme
uberwachte.
Was der wunderliche Botaniker mit dem zweiten Gesicht ihm alles
gesagt hatte, fand der junge Steiner mit der Logik der Dinge durchaus in
Ubereinstimmung. Es bestatigte nur ein inneres Gefuhl, welches er seit
langem hatte und das sich mehr und mehr seinem Verstand als das
Grundgesetz und die Basis des groften Alls aufdrangte: namlich das Gesetz
der doppelten Stromung, welche die Bewegung der Welt selbst ausmacht
und die man die Ebbe und Flut des Lebens des Universums nennen
konnte.
Wir alle kennen und sind uns bewusst des aufteren Stromes der Evolu-
tion, welcher alle Wesen des Himmels und der Erde mit sich zieht, Sterne,
Pflanzen, Tiere, Menschen, und der sie in eine unendliche Zukunft hinein
sich voranbewegen lasst, ohne dass wir die urspriingliche Kraft gewahr
werden, die sie rastlos vorwarts treibt. Es gibt jedoch im Universum nun
noch einen gegenlaufigen Strom, der sich in entgegengesetzter Richtung
1 Die vollstandige Einleitung Schures findet sich in «Beitrage zur Rudolf Steiner
Gesamtausgabe», Heft Nr. 42.
bewegt und standig in den ersten Strom eingreift. Dies ist derjenige der
Involution, durch welchen die Prinzipien, die Krafte, die Wesenheiten und
die Seelen, die aus der unsichtbaren Welt und der Region des Ewigen
kommen, unaufhorlich in die sichtbare Realitat eindringen. Keine Evolu-
tion des Materiellen ware verstandlich ohne diese standige Involution des
Geistes, ohne diesen okkulten astralen Strom, der mit seiner Hierarchie
von machtvollen Wesenheiten der grofie Anreger alles Lebens ist. Es
involviert sich so der Geist, welcher die Zukunft im Keime enthalt, in die
Materie; die Materie, welche den Geist empfangt, evolviert nach der
Zukunft hin. Wahrend wir also blind einer unbekannten Zukunft ent-
gegengehen, kommt diese Zukunft uns bewusst entgegen, indem sie sich
in den Lauf der Welt und des Menschen hineinsenkt. Dergestalt ist die
doppelte Bewegung der Zeit, die Ausatmung und Einatmung der Welt-
seele, die von der Ewigkeit kommt und zur Ewigkeit zuriickkehrt.
Von diesem Doppelstrom hatte der junge Steiner seit seinem achtzehn-
ten Jahre ein unmittelbares Gefuhl, welches die Bedingung fur jede geistige
Erkenntnis ist. Das Prinzip der zwei Stromungen hatte sich ihm durch eine
unwillkiirliche und unmittelbare Schau der Dinge ergeben. Er hatte von
nun an eine unwiderlegliche Wahrnehmung geheimer Machte, die hinter
ihm und durch ihn hindurch wirkten, um ihn zu leiten. Er horte hin auf
das, was diese Machte sagten und folgte ihren Winken, denn er fiihlte sich
mit ihnen in tiefem Einklange.
Diese Art Wahrnehmungen bildeten jedoch in seinem geistigen Leben
eine Welt fur sich. Es waren das fur ihn Wahrheiten, die ihm als etwas so
Tiefes, Geheimnisvolles und Heiliges erschienen, dass er sich nicht vorstel-
len konnte, sie jemals in Worten auszudriicken. Er nahrte seine Seele daran
wie aus einer gottlichen Quelle, aber einen Tropfen davon nach aufien
fliefien zu lassen, ware ihm wie eine Entweihung vorgekommen.
Neben diesem innerlichen, kontemplativen Leben entwickelte sich sein
denkerischer und philosophischer Verstand auf das lebhaf teste. Vom 15.
bis zum 16. Jahre hatte sich Rudolf Steiner . eingehend mit dem Studium
von Kant, Fichte und Schelling befasst. Als er einige Jahre spater nach
Wien kam, begeisterte er sich fur Hegel, dessen transzendentaler Idealis-
mus bis an die Grenzen des Okkultismus heranfuhrt. Jedoch die spekula-
tive Philosophic konnte ihm nicht geniigen. Sein aufs Positive gerichteter
Geist verlangte nach der soliden Basis, welche die beobachtenden Wissen-
schaften zu geben vermogen. Er studierte daher griindlich Mathematik,
Chemie, Mineralogie, Botanik und Zoologie. «Diese Studien», sagt er,
«geben fur eine geistige Weltauffassung eine viel sicherere Basis als Ge-
schichte und Literatur. Die letzteren, denen es an prazisen Methoden
mangelte, waren damals nicht im Stande, ein bedeutendes Licht in das
grofie Gebiet der deutschen Wissenschaft zu werfen». Voller Interesse fur
alles, was ihm begegnete, begeistert fiir Kunst und Poesie, vernachlassigte
Steiner dennoch nicht das Studium der Literaturgeschichte. Auf diesem
Gebiete wurde ihm der Literaturhistoriker Julius Schroer ein ausgezeich-
neter Fiihrer. Dieser war ein hervorragender Wissenschaftler aus der
Schule der Briider Grimm, der sich vor allem bemiihte, bei seinen Schiilern
die Kunst der freien Rede und des schriftlichen Ausdrucks zu pflegen.
Diesem bedeutenden Menschen verdankte der junge Student seine
umfassende literarische Bildung. «In der Wiiste des zeitgenossischen
Materialismus», sagt Steiner, «war sein Haus fiir mich eine Oase des
Idealismus».
Dennoch war dies noch nicht der Meister, den er suchte. Inmitten der
verschiedenartigsten Studien und intensiver Meditationen vermochte er
von dem eigentlichen Bau des Universums nur Bruchstiicke zu erkennen;
aber seine angeborene Intuition hinderte ihn, den gottlichen Urgrund der
Dinge und ein geistiges Jenseits zu bezweifeln. Es ist ein charakteristisches
Zeichen dieses aufierordentlichen Menschen, dass er niemals die Krisen des
Zweifels und der Verzweiflung durchzumachen hatte, welche im Leben
von Mystikern und Denkern an der Schwelle zu einer endgiiltigen Uber-
zeugung zu stehen pflegen. Er fiihlte jedoch, dass das eigentliche Licht,
welches das Ganze erleuchtet und durchdringt, ihm noch nicht gekommen
war. Die Jugend bestiirmte ihn mit ihren drangenden Problemen. Wie
sollte er sein Leben einrichten? Die Schicksalssphinx lagerte sich vor ihm
hin. Wie wiirde er die Frage losen, die sie ihm stellte?
Mit neunzehn Jahren begegnete der junge Neophyte seinem Fiihrer -
dem Meister -; eine Begegnung, die er seit langem vorausgeahnt hatte.
Es ist eine durch die okkulte Tradition und die Erfahrung bestatigte
Tatsache, dass diejenigen, die von einer uneigenniitzigen Sehnsucht nach
der hoheren Wahrheit beseelt sind, einen Meister finden, der sie im
geeigneten Moment, das heifit wenn sie reif dafiir sind, einweiht. «Klopfet
an und es wird euch aufgetan», sagt Jesus. Dies ist fiir alle Dinge richtig,
besonders aber fiir die Wahrheit. Der Wunsch muss jedoch heift sein wie
eine Flamme, in einer Seele rein wie ein Kristall.
Rudolf Steiners Meister war einer von diesen machtigen Menschen, die
der Welt unbekannt unter der Maske irgendeines biirgerlichen Berufes
leben, um eine Mission zu erfiillen, die nur die Gleichgestellten in der
Briiderschaft der «Meister des Verzichts» kennen. Sie iiben keine sichtbare
Wirkung aus auf die menschlichen Ereignisse. Das Inkognito ist die
Bedingung ihrer Wirksamkeit, die dadurch eine umso grofiere Kraft ge-
winnt. Denn sie erwecken, bereiten vor und leiten solche, die vor aller
Augen handeln. Bei Rudolf Steiner war es fur den Meister nicht schwer,
die erste, spontane Einweihung seines Schulers zu vervollstandigen. Er
brauchte ihm eigentlich nur zu zeigen, wie er sich seiner eigenen Natur zu
bedienen habe, um ihm alles Erforderliche an die Hand zu geben. In
lichtvoller Weise zeigte er ihm die Verbindung zwischen den aufieren und
den geheimen Wissenschaften, den Religionen und den geistigen Kraften,
welche sich gegenwartig die Fiihrung der Menschheit streitig machen,
sowie das Alter der okkulten Tradition, welche die Faden der Geschichte
in der Hand halt, sie verkniipft, auftrennt und im Laufe der Jahrhunderte
wieder zusammenknupft. Rasch liefi er ihn durch die verschiedenen Etap-
pen der inneren Disziplin hindurchgehen, um das bewusste und vernunft-
getragene Hellsehens zu erreichen. In wenigen Monaten war der Schiiler
durch miindlichen Unterricht mit der unvergleichlichen Tiefe und Schon-
heit der esoterischen Zusammenschau bekannt geworden. Rudolf Steiner
hatte sich schon seine geistige Mission vorgezeichnet: «Die Wissenschaft
mit der Religion zu verbinden, Gott in die Wissenschaft und die Natur in
die Religion hineinzubringen und dadurch von neuem Kunst und Leben
zu befruchten.» Wie aber diese ungeheure und kiihne Aufgabe angreifen?
Wie sollte er den grofien Feind, die einem ungeheuren gepanzerten und
iiber einen grofien Schatz gelagerten Drachen vergleichbare moderne ma-
terialistische Wissenschaft, besiegen oder vielmehr zahmen und bekehren?
Wie kann es gelingen, den Drachen der modernen Wissenschaft zu bandi-
gen um ihn vor den Wagen der geistigen Wahrheit zu spannen? Vor allem,
wie ist der Stier der offentlichen Meinung zu besiegen?
Der Meister Rudolf Steiners glich diesem kaum. Er hatte nichts von
dieser tiefen, fast weiblichen Feinfuhligkeit, die zwar die Energie nicht
ausschlieftt, aber aus jeder Beruhrung ein Gefiihlserlebnis macht und die
das Leiden des anderen sogleich in einen personlichen Schmerz verwan-
delt. Er war ein mannlicher Geist, eine Herrschernatur, welche nur auf die
Gattung schaute und fur welche die Individuen kaum eine Bedeutung
hatte. Er schonte sich selbst nicht, so wenig wie die anderen. Sein Wille
war einer Kanonenkugel vergleichbar, welche, nachdem sie einmal den
Lauf verlassen hat, direkt ihrem Ziel zuschielk und alles auf ihrem Wege
mit sich reifit. Auf die besorgten Fragen seines Schiilers antwortete er
ungefahr in diesem Sinne:
«Wenn du den Feind bekampfen willst, musst du ihn zuerst verstehen.
Den Drachen kannst du nur besiegen, wenn du seine Haut anziehst. Den
Stier muss man bei den Hornern nehmen. Im grofken Missgeschick wirst
du deine Waffen und deine Kampfgenossen finden. Ich habe dir gezeigt,
wer du bist; jetzt gehe - und bleibe du selbst!» 2
Rudolf Steiner kannte die Sprache der Meister geniigend, um den
schweren Weg vorauszufiihlen, welchen dieser Befehl ihm auferlegte; er
begriff jedoch auch, dass es das einzige Mittel war, um zum Ziele zu
gelangen. Er gehorchte und machte sich auf den Weg.
2 Diese Aussage bestatigt Marie Steiner im Vorwort zu den von ihr 1947 unter dem
Titel «Der Christusimpuls im historischen Werdegang» herausgegebenen zwei
Vortragen Lugano, 17. September 1911 und Locarno 19. September 1911, heme in
GA 130. Ihr Vorwort findet sich heute in Marie Steiner, Gesammelte Schriften
Band I «Die Anthroposophie Rudolf Steiners», Dornach 1967. Darin heifk es,
dass sich Rudolf Steiner ganz bewusst die Aufgabe stellte, «sich selbst alle
Einwendungen zu machen, die der kritische Materialist den Offenbarungen des
Geistes entgegenbringt, und nichts sich zu ersparen, was auch nur im Geringsten
ein Abweichen von dieser Linie ware. Das nannte er in die Haut des Drachen
hineinkriechen.»
Briefe und Dokumente
1901 - 1925
Zur Verdeutlichung der werkbiographischen Zusammenhange, in
denen die Briefe und Dokumente entstanden sind, wurden durch die
Herausgeber den einzelnen Jahren oder Gruppen von Jahren Uber-
sichten iiber die jeweiligen Ereignisse in der Deutschen Sektion und
spater in der Anthroposophischen Gesellschaft vorangestellt.
1
1900 - 1902
Rudolf Steiner wurde Ende September 1900 gebeten, in der Theosophi-
schen Bibliothek in Berlin einen Vortrag zum Gedenken an den kiirzlich
verstorbenen Friedrich Nietzsche zu halten. Diese Bibliothek gehorte zur
«Deutschen Theosophischen Gesellschaft», D.T.G., die 1894 als ein Zweig
der Europaischen Sektion der Theosophical Society gegriindet worden war
und deren Geschafte seither durch den Grafen Brockdorff (1844-1921)
gefiihrt wurden. Fast die einzige Aktivitat dieses kleinen Zweiges bestand
damals darin, dass offentlich zu Vortragen in der Bibliothek eingeladen
wurde, die regelmafiig am Donnerstag von den verschiedensten Vertretern
des allgemeinen Geisteslebens gehalten wurden. - Der Vortrag Rudolf
Steiners fiel in eine Zeit, in der er begonnen hatte Wege zu suchen, um die
in ihm lebenden Erkenntnisse im Geistesleben wirksam werden zu lassen.
Ein erster Versuch war 1899 sein Aufsatz zu Goethes 150. Geburtstag in
dem von ihm herausgegebenen «Magazin fur Litteratur». Unter dem Titel
«Goethes geheime Offenbarung» brachte er eine erste schriftliche Darstel-
lung seiner Interpretation von Goethes «Marchen von der grtinen Schlange
und der schonen Lilie», dessen esoterischer Inhalt schon seit iiber einem
Jahrzehnt in seiner Seele lebte. Als er nun nach seinem ersten Vortrag bei
Brockdorffs um einen weiteren gebeten wurde, schlug er als Thema auch
«Goethes geheime Offenbarung» vor. Dieser Vortrag wurde zum Keim-
punkt der anthroposophischen Bewegung, denn - wie er in seiner Auto-
biographic berichtet - hier war es zum ersten Mai in seiner weit ausge-
dehnten Vortragstatigkeit, dass er zu einem an konkreten Geist-Erkennt-
nissen tief interessierten Kreis von Menschen unmittelbar aus der Geist-
welt heraus sprechen konnte. Bisher waren seine Ausfuhrungen immer nur
als «literarisch» interessant aufgenommen worden. - Auf diesen zweiten
Vortrag hin wurde er von der Grafin Brockdorff (1848-1906) gebeten,
durch den Winter hindurch jeden Dienstag zu den Mitgliedern der D.T.G.
zu sprechen. Den Inhalt dieser Vortrage, die am 16. Oktober 1900 began-
nen, fasste er im Jahre darauf zu dem Buche «Die Mystik im Aufgange des
neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhaltnis zur modernen Welt-
anschauung» zusammen.
Marie v. Sivers war in den Wintermonaten der letzten Jahre ihren
Studien zunachst in Paris, dann in Berlin nachgegangen, der konventionel-
len Enge der vornehmen Kreise in ihrer Heimat St. Petersburg entfliehend.
Den Sommer des Jahres 1900 verbrachte sie an der kurlandischen Ostsee-
kiiste. Dort las sie in der Einsamkeit der Sanddiinen Edouard Schures
kiirzlich erschienenes «Theatre de PAme» mit den zwei Dramen «Les
enfants de Lucifer» und «La Soeur Gardienne», womit Schure erste Schrit-
te unternahm, sein Ideal eines Theaters der Zukunft zu verwirklichen, das
ein Tempel werden sollte, in dem sich die iibersinnliche Welt mit der
sinnlichen verbindet. Marie v. Sivers war tief bewegt einem verwandten
Geist zu begegnen, der es unternahm, ihre eigenen Ideale zu realisieren. Sie
selber hatte im Jahr vorher eine vielversprechende, gegen die eigene
Familie durchgesetzte Theaterlaufbahn nach langer Vorbereitung sofort
abgebrochen, als sie sich mit den mit ihrem Wesen unvereinbaren Usancen
des gewohnlichen Theaters konfrontiert sah. Wahrscheinlich schon Ende
September nach Berlin zuriickgekehrt, wandte sie sich Anfang Oktober an
Schure mit der Bitte ihr zu erlauben, das erste Drama ins Deutsche zu
iibersetzen. Schure sagte mit Freuden zu, und es entwickelte sich eine
intensive Korrespondenz, in der er sie auf die Theosophische Gesellschaft
hinwies. In einer Zeitung fand sie eine Annonce der Berliner Gesellschaft
und dadurch den Weg zu Rudolf Steiners bereits begonnenem Vortrags-
zyklus in der Theosophischen Bibliothek. Schon im November 1900
wurde sie Mitglied der Gesellschaft.
Nach der Sommerpause begann Rudolf Steiner am 19. Oktober 1901
einen zweiten Zyklus, dessen Inhalt er im folgenden Jahre ebenfalls zu
einem Buch umarbeitete: «Das Christentum als mystische Tatsache». Auch
Marie v. Sivers war wieder in Berlin, nachdem sie den Sommer in Livland
verbracht hatte. Am 17. November fand zwischen ihnen bei einem gesel-
ligen Zusammensein zur Feier des Jahrestages der Begriindung der Theo-
sophischen Gesellschaft ein folgenreiches Gesprach statt. Rudolf Steiner
war ja nicht Mitglied der T.G., seine Vortrage in der Bibliothek waren nur
ein sehr kleiner Teil seiner weitgefacherten Tatigkeiten, und sie hatten mit
den bisherigen Lehren der Theosophie nichts gemeinsam, wie man sich
anhand der beiden Biicher leicht uberzeugen kann. Bei diesem Gesprach
nun, das Rudolf Steiner mehrmals in seinen spateren Vortragen riickblik-
kend erwahnt, fragte sie ihn, warum er der Gesellschaft nicht beitrete. Er
antwortete, dass er einen grofien Unterschied machen miisse zwischen
orientalischer und abendlandischer Mystik. Das, was er zu vertreten habe,
wiirde er einer falschen Beurteilung aussetzen, wenn er Mitglied einer
Gesellschaft werden wiirde, die zu ihrem Schibboleth unverstandene
orientalische Mystik hat. Fur unsere Gegenwart gebe es bedeutsamere
okkulte Impulse. Auf ihre weitere Frage, ob es denn dann nicht notwendig
sei, eine geistige Bewegung in Europa ins Leben zu rufen, erwiderte en
Gewiss, notwendig ist es schon; aber er werde sich nur finden lassen fur
eine solche Bewegung, die an den abendlandischen Okkultismus ankniipft
und diesen fortentwickelt. Johanna Miicke berichtet, dass er ihr dies sehr
viel spater erzahlt und hinzugefugt habe: «Die Frage war mir gestellt, und
ich konnte, nach den geistigen Gesetzen, beginnen auf eine solche Frage
die Antwort zu geben.»
Kurz danach ging Marie v. Sivers fur einige Monate nach Bologna. Sie
war gebeten worden dort bei der Griindung einer neuen theosophischen
Loge zu helfen. Die bestehenden italienischen Logen, die zur Euro-
paischen Sektion gehorten, hatten beschlossen eine eigene Sektion zu
begriinden. Dazu waren nach den Statuten sieben Logen erforderlich, und
um diese Zahl zu erreichen wurde Bologna benotigt. Die konstituierende
Versammlung dieser Sektion fand am 1. und 2. Februar 1902 in Rom statt.
Im Dezember trat die Frage nach der Mitgliedschaft erneut an Rudolf
Steiner heran. Brockdorffs planten im Laufe des kommenden Jahres alters-
halber Berlin zu verlassen und fragten ihn, ob er die Leitung der theoso-
phischen Arbeit in Berlin iibernehmen wurde. Der Entschluss dazu wurde
ihm nicht leicht. (In seinem Brief vom 9. Januar 1905 an Marie v. Sivers
aufiert er sich dazu.) Aber er war inzwischen zu der Uberzeugung gekom-
men, dass er mit seiner Arbeit dennoch an die von H. P. Blavatsky
begonnene anschlieEen musse.
Seine Zusage kniipfte er jedoch an die Bedingung, dass Marie v. Sivers
ihm bei dieser Aufgabe zur Seite stehe. Daraufhin schrieb ihr Grafin
Brockdorff nach Bologna. Der Briefwechsel in dieser Sache ist verloren,
und es lasst sich nicht feststellen, wann genau Marie v. Sivers sich ent-
schloss diese Aufgabe zu iibernehmen. Es scheint, dass sie noch bis in den
Februar zogerte und dass Graf Brockdorff vielleicht etwas vorzeitig beim
europaischen Generalsekretar Bertram Keightley die Aufnahme Rudolf
Steiners in die Gesellschaft beantragte. Jedenfalls schickte der Graf mit
Brief vom 15. Januar 1902 das aus London erhaltene Mitghedsdiplom an
Rudolf Steiner, der damit den in Hannover wohnenden Wilhelm Hiibbe-
Schleiden als Vorsitzenden des Berliner Zweiges abloste. Graf Brockdorff
fuhrte vorlaufig weiterhin die Geschafte, bis er sie im September an Marie
v. Sivers iibergab. - Fur die Theosophische Gesellschaft war es bedeu-
tungsvoll, dass sich Rudolf Steiner entschloss seine starke Kraft in ihren
Dienst zu stellen und damit eine von niemandem geahnte Vertiefung des
ursprunglichen spirituellen Impulses ins Werk zu setzen. Dass sich die
T.G. aufterhalb Deutschlands spater in Bahnen entwickeln wiirde, die in
die Wesenlosigkeit fuhrten, war damals nicht vorauszusehen.
Nun gab es schon seit einiger Zeit das Bestreben auch in Deutschland
eine eigene Sektion zu griinden. Nach einigen Wirren um die Frage, wer
Generalsekretar werden solle, trat man Ende April an Rudolf Steiner heran
mit der Bitte auch dieses Amt zu iibernehmen. Er sagte zu, und Anfang
Juli ging das von den zehn deutschen Zweigen unterzeichnete Gesuch um
Erteilung einer Grundungscharta an den Prasidenten H. S. Olcott in
Adyar bei Madras, der sie am 22. Juli ausstellte. Fur den Berliner Zweig
unterzeichneten Rudolf Steiner als Vorsitzender und Graf Brockdorff als
Schriftfuhrer.
Neben diesen zehn an Adyar angeschlossenen Zweigen gab es damals
in Deutschland, Osterreich und der Schweiz noch iiber 50 meist autonome
theosophische Gruppen, die in einem losen Zusammenhang standen mit
der von Dr. Franz Hartmann im Zuge der Judge- Wirren von 1895 begrun-
deten und von Edwin Bohme als Generalsekretar gefuhrten, von Adyar
unabhangigen «Theosophische Gesellschaft in Deutschland» mit Zentrum
in Leipzig. Die Auseinandersetzungen mit dieser als Sezession bezeichne-
ten Leipziger Gesellschaft spielten fur einige alte Theosophen eine grofie
Rolle. Rudolf Steiner kummerte sich darum weiter nicht, und viele dieser
Gruppen (z. B. in Basel, St. Gallen, Bremen, Elberfeld, Niirnberg,
Miinchen, Heidelberg, Wien) fanden im Laufe der Zeit ihren Weg in die
deutsche Sektion, da sie unter anderen Rednern auch Rudolf Steiner zu
Vortragen einluden.
Anfang Mai kam Marie v. Sivers aus Bologna nach Berlin zuriick. Es
war verabredet, zusammen an der Jahresversammlung der Europaischen
Sektion in London teilzunehmen. Sie fuhr schon Mitte Juni, Rudolf Steiner
folgte erst am 1. Juli, da er seine Schrift «Das Christentum als mystische
Tatsache» vor der Abreise zum Drucken geben wollte. Als designierter
Generalsekretar lernte er nun einige der damaligen fuhrenden Personlich-
keiten kennen, aufier Keightley auch den Gelehrten George R.S. Mead und
die beriihmte Rednerin Annie Besant. So konnte er sich ein Bild iiber den
Zustand der T.G. und seiner Situation darin machen. Seine Ruckreise
nahm er iiber Paris, u. a. um Schure kennenzulernen, der sich jedoch
bereits fiir den Sommer ins Elsass begeben hatte. Marie v. Sivers fuhr von
London direkt nach Petersburg zu ihrer Familie. Am 17. September kam
sie zuriick nach Berlin, um die Geschaftsfiihrung des Berliner Zweiges zu
iibernehmen. Am 26. September 1902 schrieb Rudolf Steiner an Wilhelm
Hiibbe-Schleiden: «Fraulein von Sivers waltet bereits ihres Amtes. Sie ist
wirklich eine glanzende grofie Erscheinung innerhalb der jetzigen Misere.
Ich bin froh, dass sie da ist. In jeder Beziehung kann ich auf sie bauen.»
Nachdem Rudolf Steiner sich so entschlossen hatte sein Wirken in den
Rahmen der Theosophischen Gesellschaft zu stellen, begann er fur sie auch
offentlich einzutreten. In seinem Vortrag vom 8. Oktober 1902 im Giorda-
no Bruno-Bund vor etwa 300 Menschen im Biirgersaal des Berliner Rat-
hauses tiber Monismus und Theosophie gab er einen Entwurf seines
zukiinftigen Wirkens, der recht gut, aber eben doch nur «literarisch»
aufgenommen wurde.
Die Griindungsversammlung der deutschen Sektion fand am 19. und
20. Oktober 1902 statt, nachdem am Tag vorher bei einer Besprechung die
noch bestehenden Differenzen bereinigt wurden. Am ersten Tag wurden
die Statuten beschlossen und der Vorstand, in dem alle Zweige vertreten
waren, gewahlt: Rudolf Steiner als Generalsekretar, Henriette v. Holten als
Schatzmeister, Marie v. Sivers (Berlin), Julius Engel und Gustav Riidiger
(Charlottenburg), Wilhelm Hiibbe-Schleiden (Hannover), Ludwig Dein-
hard (Munchen), Gunther Wagner (Lugano), Bernhard Hubo und Adolf
Kolbe (Hamburg), Bruno Berg (Dusseldorf), Ludwig Noll (Kassel), Adolf
M. Oppel (Stuttgart), Richard Bresch (Leipzig). Am Abend traf Annie
Besant aus London ein, sie wurde von der versammelten Gesellschaft am
Bahnhof Friedrichstrafte abgeholt, und am nachsten Tag iiberreichte sie
Rudolf Steiner die Griindungscharta.
Fur die Kunst-begeisterte Marie v. Sivers begann ein ungewohntes
Leben, denn sie ftihrte bald nicht nur die Geschafte des Berliner Zweiges
und der Bibliothek, sondern auch die der Sektion, die kraftig wuchs: von
anfanglich 120 Mitgliedern auf 2500 im Jahre 1912, aus den 10 Zweigen
wurden 54. War allein schon diese Verwaltungsaufgabe betrachtlich, so
kam dazu noch viel mehr: die Organisation und Betreuung der Vortrags-
reisen Rudolf Steiners, die Herausgabe seiner Vortragsnachschriften, der
Aufbau eines eigenen Verlages. Da mussten fur eine Weile ihre Bemiihun-
gen um die Kunst der Sprache etwas zurticktreten. Wie dennoch die Ideale
ihrer Jugend in diesem turbulenten Leben durch ihre Verbindung mit
Rudolf Steiner die schonste Erfiillung fanden, die zum Herz fiir das Leben
zunachst in der deutschen Sektion, dann in der Anthroposophischen
Gesellschaft wurde, darauf soil in einer eigenen Darstellung zum Jahre
1914 eingegangen werden.
1 An Marie von Sivers, wahrscheinlich in Berlin
Samstag, 13. April 1901
Friedenau-Berlin, 13. April 1901
Hochgeehrtes gnadiges Fraulein!
Vielen Dank fur die «Theosophical Review». Ich sende sie gleich-
zeitig unter Kreuzband an Sie. Der Artikel iiber Bacon ist sehr
interessant. Er gibt mir nach den verschiedensten Richtungen
hin zu denken. Ich habe aber das entschiedenste Gefiihl, dass der
Autor die Sache etwas leicht nimmt. Ich kann namlich die Uber-
zeugung nicht teilen, dass die Bacon'schen philosophischen Schrif-
ten einen esoterischen Sinn bergen. Und dies ist doch wohl
notwendig, wenn man ihn als Rosenkreuzer behandeln will. Bitte
vielmals wegen der Verzogerung urn Entschuldigung.
Mit den besten Empfehlungen Ihr ganz ergebener
Dr. Rudolf Steiner
Friedenau-Berlin, Kaiserallee 95
«Theosophical Review» ... Artikel iiber Bacon: «Reasons for Believing Francis
Bacon a Rosicrucian» by A. A. L. in «The Theosophical Review», Vol. XXVII,
Nr. 161 vom 15. Januar 1901.
2 An Rudolf Steiner in Berlin
Mittwoch, 18. Juni 1902, aus London
20 Clifton Gardens, Maida Vale, W
den 1 8ten Juni
Sehr geehrter Herr Doktor,
es ware wohl sehr schon, wenn Sie schon Sonntag friih, den 22.,
hier sein konnten, weil Sie dann einen genaueren Eindruck von
Mrs. Besant gewinnen. Sie ist eine aufiergewohnliche und einzige
Erscheinung, und man muss sie als Rednerin auf sich wirken lassen,
um ihr nur irgendwie gerecht zu werden. Leider treffen Sie es in-
sofern schlecht, als die Kronungstage dazwischen kommen, wo alles
feiert und keine Vortrage gehalten werden. Sonntag, den 22., um 7
halt Mrs. Besant den vorletzten ihrer popular en Vortrage «The
Divine Kings». Sie ist so sehr Priesterin in diesem Vortragszyklus,
dass ich Ihnen nur raten kann - Ihnen, dem nicht viele was geben
konnen -, sich diesen Eindruck zu verschaffen. Dienstag, den 24.,
ist der letzte eines anderen Vortragszyklus vor einem kleineren
Publikum «Will, Emotion and Desire», in welchem ihre Logik,
Gedankenscharfe und Tragweite voll sich entwickeln konnte. Sie
miissten diesen einen letzten wenigstens horen. Der abstrakteste
und schwerste Zyklus fur Mitglieder allein «Consciousness and its
Mechanism» am Donnerstag Abend, ist leider morgen zu Ende.
Davon horen Sie also nichts mehr. Aufierdem soil Leadbeater den
23. in der Blavatsky-Loge sprechen, was vielleicht auch sich nicht
wiederholen wird. Wenn Sie also diese drei Tage, den 22., 23. und
24. nicht hier sind, haben Sie nur einen Sonntagsvortrag noch und
die Conventiontage, - wenigstens wissen wir fur's erste von nichts
anderm. Herr Keightley, der sich freut Sie kennen zu lernen und
mich nur bittet, ihn wegen seiner «Uberbeschaftigung» in dieser
Zeit zu entschuldigen, lebt «30 Linden Gardens, Bayswater, W.».
Schreiben Sie sich's genau an, falls Sie allein einen «Cab» nehmen
miissten. Wenn Sie's verlieren oder vergessen, kommen Sie natiir-
lich in unsere Pension. Jedenfalls warte ich auf Nachricht und will
zur Station, um Sie da zu begriifien, falls nichts Besonderes mich
verhindert.
Viele Griifie an Sie und Ihre Frau Gemahlin
M. v. Sivers
wenn Sie schon Sonntag frtih hier sein konnten: Rudolf Steiner, der am 30. Juni
1902 in Hannover noch mit Hiibbe-Schleiden und Deinhard iiber die Sektions-
gnindung verhandelte, traf erst am 1. Juli 1902 in London ein.
Mrs. Besant: Annie Besant, geb. Wood (1847-1933), Englanderin, eine der mafi-
gebenden Personlichkeiten der Theosophischen Gesellschaft und ab 1907 deren
Prasidentin.
Krdnungstage: Eduard VII. von England, der 1901 auf den Thron kam, wurde im
Juni 1902 gekront.
Leadbeater: Charles Webster Leadbeater (1847-1934), Englander, theosophischer
Schriftsteller, ab etwa 1908 engster Mitarbeiter von Annie Besant, seine zwielich-
tige Person loste 1906 eine fortdauernde schwere Krise in der theosophischen
Gesellschaft aus.
Blavatsky: Helena Petrowna Blavatsky (1831-1891), Russin, Begriinderin und
eigentliche Tragerin des spirituellen Auftrages der Theosophischen Gesellschaft,
die sich am 17. November 1875 in New York konstituierte.
Conventiontage: Jahresversammlung der Europaischen Sektion der Theosophi-
schen Gesellschaft in London. Rudolf Steiner sprach dort iiber die Aufgaben der
Landessektionen, insbesondere der deutschen Sektion.
Keightley: Bertram Keightley (1860-1949), Englander, Mitarbeiter Blavatskys.
1901-05 Generalsekretar der europaischen Sektion (ab Juli 1902: britische Sekti-
on) der T.G., Sitz London. Rudolf Steiner war eingeladen wahrend dieser Zeit bei
ihm zu wohnen. Keightley sprach sehr gut Deutsch und hatte im Januar 1902 in
der «Theosophical Review» ein Referat mit auszugsweiser Ubersetzung von
Rudolf Steiners «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens ...»
gebracht, was fur Rudolf Steiner mit die Moglichkeit eroffnete der T.G. beizutre-
ten. Er sagte hieruber in Berlin, 14. Dezember 1911: «Dieses Faktum definiere ich
so und habe es auch damals so definiert: es war damit gegeben die Tatsache, dass
die Theosophische Gesellschaft nichts von mir verlangt hat, nicht verlangt hat,
dass ich etwas gemeinschaftlich haben sollte mit irgendwelchen Grundsatzen,
Prinzipien, Dogmen, die vertreten werden sollten, sondern sie hat etwas ange-
nommen von mir, von aufierhalb, was von mir gegeben wurde. Es war also
dasjenige freundlichst eingeladen, was man zu geben hatte.» (in GA 264).
Frau Gemahlin: Anna Steiner, verw. Eunike, geb. Schultz (1853-1911), seit 1899
mit Rudolf Steiner verheiratet. Seine Briefe an sie sind abgedruckt in GA 39.
3 An Marie von Sivers, in Russland (wahrscheinlich Petersburg)
Mittwoch, 20. August 1902
Friedenau-Berlin, 20. August 1902
Sehr verehrtes gnadiges Fraulein!
Vielen Dank fur Ihren Brief, iiber den ich mich sehr gefreut habe.
Die «Secret Doctrine» ist richtig befordert worden, und liegt auf
meinem Schreibtisch, auf dem sie mir gerade jetzt grofie Dienste
tut, da ich sie bei meinen einschlagigen Studien fortwahrend nach-
schlagen muss. Die Reise nach Elsass musste ich aus verschiedenen
Griinden unterlassen. In Paris war wahrend meiner Anwesenheit
M. Schure nicht mehr. Ich hatte so gerne mit ihm gesprochen. Es
gibt, wie mir scheint, Dinge, iiber die mir sein Urteil ganz beson-
ders wichtig ist. Ein Besuch im September wird naturlich, neben
alien andern Griinden, schon deshalb unmoglich sein, weil wir dann
alle Hande voll zu tun haben werden.
Unsere deutsche Sektionsgriindung geht, wie es scheint, schwe-
rer vonstatten, als ich in England gedacht habe. Zu den schlimmen
Erfahrungen, die ich seit meiner Riickreise gemacht habe, kommt
nun im Augenblicke noch, dass ich eben einen Brief von Miss
Hooper erhalte, worinnen sie mir schreibt, dass Olcott sich nun
doch nicht auskennt beziiglich der zwei applications, die er er-
halten hat. Es ist also wahrscheinlich, dass wir auf den Charter nun
weitere 8 Wochen warten miissen, denn so lange wird es dauern,
bis Olcott meinen Brief hat, und dann der Charter da ist. Doch
mochte ich Sie bitten, Ihre Freundin in Kurland moge bis zur
Griindung unserer Sektion warten. Gerade jetzt, in der Zeit un-
mittelbar vor der Sektionsgriindung, scheint es mir besser, wenn
wir mit allem warten, bis wir die Sektion haben.
Wenn Sie kommen, wird meine Schrift «Das Christentum als
mystische Tatsache» vorliegen; und eine Schrift von Hiibbe-Schlei-
den (aber ich bitte Sie die Anonymitat, in welche sich H. S. hiillen
will, nicht zu enthullen) «Diene dem Ewigen». Ich hoffe, dass uns
gerade diese zwei Schriften in Deutschland vorwarts helfen wer-
den. Ich hatte mit beiden sehr viel zu tun. Doch gehort es jetzt zu
meinen schonsten Stunden, die Schrift Hubbe-Schleidens mit-
entstehen zu sehen. Es ist fiir mich die allergrofke Befriedigung,
mit Hiibbe-Schleiden in Einklang arbeiten zu konnen. Ich finde bei
ihm hinsichtlich der wichtigsten Punkte der inneren Gestaltung der
deutschen Bewegung vollkommenes Einverstandnis. Und es stimmt
mich unsaglich traurig, dass er bei den bisherigen «Fuhrern» der
deutschen theosophischen Bewegung (Bresch und Hubo und deren
Anhang) so wenig Verstandnis findet. In Hiibbe-Schleiden lebt eine
wirkliche geistesentwicklungsgeschichtliche Potenz; in den Herren
Hubo und Bresch gar nicht. Denen fehlen gewisse unerlassliche
Vorbedingungen zu einer Fiihrerschaft. Und es ist schlimm, dass es
bei der nun einmal vorhandenen deutschen Geistesart, schwer
moglich sein wird, diese Personlichkeiten in ihren Grenzen zu
halten. Es wird Dinge geben, in denen sie bei der Sektionsbildung
wahrscheinlich einer Verstandigung mit sich unubersteigliche Hin-
dernisse entgegensetzen werden. Es ist ja das verhangnisvollste,
wenn bei denen, die tonangebend sein wollen, die starre Dogmatik
alles ist, und die grundlegende Gesinnung fast ganz fehlt. Alles, was
in der letzten Zeit an mich herangetreten ist, weist darauf hin, dass
die Art, wie Bresch und Hubo auftreten, die Leute in Deutschland
zuriickstoften, in denen latente theosophische Gesinnung vorhan-
den ist, und die wir notwendig heranziehen miissen. Wenn Sie nach
Berlin kommen, werden wir iiber diese Dinge viel zu sprechen
haben. Hoffentlich diirfen wir Sie am 15. September in Berlin er-
warten.
Meine Frau sendet beste Griifie, ebenso Ihr
Dr. Rudolf Steiner
Friedenau-Berlin, Kaiserallee 95
«Secret Doctrine»: von H. P. Blavatsky, zusammen mit ihrer «Isis unveiled»
grundlegende Werke der Theosophie. Offensichtlich als Vorbereitung fur sein
Wirken in der T.G. informierte sich Rudolf Steiner im einzelnen iiber die damals
gangigen Lehren.
Reise nach Elsass: Barr im Elsass, wo Edouard Schure, der sonst in Paris lebte,
seinen Sommersitz hatte.
Paris: Rudolf Steiner hielt sich auf der Riickreise von London vom 13. bis 19. Juli
in Paris auf.
M. Schure: Edouard (1841-1929), franzosischer Schriftsteller, Mitglied der T.G. in
Frankreich. Mit Marie v. Sivers seit 1899 in Briefwechsel, wurde er durch Uber-
setzungen von ihr in den deutschen Sprachraum eingefiihrt. Bei den Munchner
Festspielen in den Jahren 1907, 1909-1912 wurden sein «Heiliges Drama von
Eleusis» und sein Schauspiel «Die Kinder des Luzifer» aufgefuhrt. 1913 schloss er
sich der Anthroposophischen Gesellschaft an. Uber ihn als Schriftsteller sprach
Rudolf Steiner im Vortrag vom 1. Marz 1906 (in GA 54), iiber seine personliche
Verbindung zu Marie und Rudolf Steiner siehe: H. Wiesberger, «Marie Steiner,
ein Leben fur die Anthroposophie».
Olcott: Henry Steel Olcott (1832-1907), Amerikaner, Mitbegriinder und erster
President der T.G. bis zu seinem Tode.
zwei applications . . . Charter: Richard Bresch in Leipzig hatte die Unterschriften
der Vorsitzenden der zehn Zweige der europaischen Sektion in Deutschland unter
den Antrag (application) um eine Stiftungsurkunde (charter) fur die zu griindende
deutsche Sektion mit Rudolf Steiner als Generalsekretar im Mai 1902 einzusam-
meln versucht. Dabei liefi Bresch den Antrag in zwei Exemplaren unterschreiben.
Als Wilhelm Hiibbe-Schleiden Schwierigkeiten machte, schickte Bresch im Juni
kurzer Hand das eine Exemplar ohne die Unterschriften von Hiibbe-Schleiden
(Hannover), dessen Vetter Giinther Wagner (Lugano), und seinem Freund Lud-
wig Deinhard (Miinchen) an den Generalsekretar der europaischen Sektion Bert-
ram Keightley in London. Keightley leitete diesen Antrag an den Prasidenten
H. S. Olcott in Adyar (Indien) weiter, mit einem Brief, in dem er ankiindigte, dass
Hiibbe-Schleiden an Olcott schreiben wiirde. Olcott gefiel das Fehlen der Unter-
schriften von Hannover, Lugano und Miinchen nicht. Am 9. Juli schrieb er an
Hiibbe-Schleiden, dass der versprochene Brief nicht gekommen sei, er wiirde
noch das Postboot der nachsten Woche abwarten und dann eine Blanko-Urkunde
an Keightley schicken mit der Vollmacht, diese an die Personen zu geben, von
denen Keightley der Meinung ist, dass sie sie haben sollen. Dies muss er getan
haben, und dieser Brief an Keightley vom ca. 16. Juli ist gegen den 3. August in
London angekommen.
In Deutschland klarte sich die Lage bald, nachdem das Vorgehen Breschs
bekannt wurde, und am 30. Juni unterschrieben als letzte auch Hiibbe-Schleiden
und Deinhard in Hannover das zweite Exemplar, das Rudolf Steiner nach London
brachte und das von dort am 4. Juli nach Adyar geschickt wurde. Am 22. Juli
stellte Olcott sofort die definitive Grundungsurkunde aus und schickte mit
gleichen Datum einen Brief an Hiibbe-Schleiden, sowie einen Brief an Rudolf
Steiner mit der Aufforderung die Sektion zu konstituieren. Der Brief an Hiibbe-
Schleiden kam am 10. August in Hannover an. Den Brief an Rudolf Steiner und
die Urkunde schickte er an Keightley nach London, von wo er erst am 28.
August, also mit 18 Tagen Verspatung, in Berlin eintraf.
Keightley war nach der Jahresversammlung von London nach Indien abgereist
und hatte die Geschaftsfiihrung der Sektion an Mrs. Ivy Hooper iibergeben, die
aber in der Erledigung der Geschafte sehr indolent gewesen zu sein scheint: Mit
Datum vom 15. August, als der Brief von Olcott an Rudolf Steiner vom 22. Juli
bereits in ihrem Korrespondenz-Stapel gelegen haben muss, schrieb sie: «Dear Dr.
Steiner, Colonel Olcott hat wegen der Charter fur die deutsche Sektion an Mr.
Keightley geschrieben. [...] Anscheinend ist eine formale Schwierigkeit entstan-
den fur die Ausfertigung der Charter dadurch, dass Col. Olcott zwei verschiedene
Antrage dafiir erhielt. Er hat Mr. Keightley gebeten, sich mit seinen Kollegen in
Deutschland zu beraten und als Col. Olcotts Bevollmachtigter zu handeln. ... Ich
trug die Angelegenheit Mrs. Besant vor und sie war der Meinung, dass es das
Beste sei, die Sache an Sie weiterzugeben [...] Wiirden Sie daher bitte so gut sein
zu klaren, welche der beiden Gruppen von Antragstellern die Charter bekommen
soli, und dann Ihre Entscheidung dem Prasidenten mitzuteilen.» Sie hat also da
erst den Brief von Olcott an Keightley vom 16. Juli bearbeitet, die fast drei
Wochen Postweg nicht bedacht, nicht gemerkt, dass er langst iiberholt war, und
aufierdem Griinde fiir den Brief konstruiert, von denen Olcott bei der Abfassung
des Briefes nichts gewusst haben konnte.
Freundin in Kurland: Vermutlich Maria v. Strauch-Spettini (1847-1904), die im
Januar 1903 Mitglied wurde. Sie war eine von Marie v. Sivers' Lehrerinnen in
Schauspiel und Sprechkunst, siehe: Hella Wiesberger, «Marie Steiner-v. Sivers.
Ein Leben fur die Anthroposophie», Dornach 1989.
HUbbe-Schleiden: Wilhelm Hiibbe-Schleiden (1846-1916), 1885 Mitbegriinder der
ersten theosophischen Vereinigung in Deutschland, Herausgeber der okkultisti-
schen Monatsschrift «Sphmx», 1897-1901 Vorsitzender der 1894 gegriindeten
«Deutschen Theosophischen Gesellschaft» in Berlin. 1911 wurde er zum Instru-
ment Annie Besants, als sie sich der deutschen Sektion entledigen wollte.
Schrift von Hiibbe-Schleiden: Die Briefe Rudolf Steiners an Hiibbe-Schleiden, aus
denen seine Mitarbeit an dieser Schrift hervorgeht, sind abgedruckt in Rudolf
Steiner «Briefe 1. Ausgabe Dornach 1953; vorgesehen fur GA250.
Bresch: Richard Bresch, Mitglied seit 1898, von 1899 bis 1906 Herausgeber des
«Vahan», Zeitschrift fur Theosophie, Leiter eines zur deutschen Sektion gehori-
gen Zweiges in Leipzig, bis er 1905 aus der Gesellschaft austrat. Rudolf Steiner
erwahnt ihn im Vortrag Berlin, 14. Dezember 1911 (in GA 264) als «eine Person-
lichkeit, die mittlerweile ausgetreten ist aus der Gesellschaft, die auch Vermittler
des Karma war - in welcher Weise, dariiber konnte viel erzahlt werden in
okkultem Zusammenhang - es ergab sich, dass Herr Richard Bresch, der damalige
Vorsitzende des Leipziger Zweiges, nachdem er sich besprochen hatte mit ver-
schiedenen Personlichkeiten, eines Tages zum Grafen Brockdorff kam und sagte:
Wenn Dr. Steiner nun schon Vorsitzender der Berliner Loge ist, kann er auch
Generalsekretar der deutschen Sektion sein. — Es ergaben sich nun alle moglichen
Notwendigkeiten, diesen Antrag Vorsitzender der deutschen Sektion zu werden
anzunehmen.»
Hubo: Bernhard Hubo (1851-1934), Kaufmann, 1898 Begriinder und Vorsitzen-
der des Pythagoras Zweiges Hamburg. Ein komplizierter Charakter, machte er
anfanglich einige Schwierigkeiten, wurde dann aber ein dezidierter Verfechter der
Sache der Anthroposophie.
am 1$. September in Berlin erwarten: Marie v. Sivers traf am 17. September 1902
in Berlin ein und ubernahm ab 20. September offiziell die Geschafte des Berliner
Zweiges und der Theosophischen Bibliothek.
4 Widmung fur Marie von Sivers in: Einleitung zu «Uhlands Werke».
Rudolf Steiner gab 1902 Uhlands Werke heraus, mit einer biographi-
schen Einleitung, die auch als Separatdruck erschien. - Vgl. den Sam-
melband «Biographien und biographische Skizzen 1894-1905», GA 33.
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111 Iftitltl,
1903
Gleich nach der Griindungsversammlung im Oktober 1902 beginnt Rudolf
Steiner - neben all seinen anderen Verpflichtungen, vor allem in der
Arbeiterbildungsschule, aber auch in der «Freien Hochschule», bei den
«Kommenden», u. a. - die Lehre soviel als nur moglich zu verbreiten,
zunachst durch mehrere parallel laufende Kurse fiir die Mitglieder. Als
Hauptaufgabe aber betrachtet er das Wirken in der Offenlichkeit. Dafiir
wird die Monatsschrift «Luzifer» begriindet, in der er grundlegende gei-
steswissenschaftliche Erkenntnisse darstellt. Die erste Nummer erscheint
am 1. Juni und der erste Jahrgang bringt u. a. folgende Aufsatze: «Einwei-
hung und Mysterien», «Reinkarnation und Karma, vom Standpunkte der
modernen Naturwissenschaft notwendige Vorstellungen», «Wie Karma
wirkt», «Theosophie und Sozialismus», «Okkulte Geschichtsforschung»
(GA 34).
Im Juli nehmen Rudolf Steiner und Marie v. Sivers in London an der
Jahresversammlung der britischen Sektion teil, bei welcher Gelegenheit die
«Federation of European Sections - Theosophical Society» begriindet
wird, ein Zusammenschluss der europaischen Sektionen, der dann zu-
nachst jedes Jahr einen Kongress veranstalten wird.
Im Herbst beginnen die grofien offentlichen Vortragsreihen in Berlin,
zumeist im Architektenhaus, die bis 1918 jeweils im Winterhalbjahr statt-
finden. Diese von sehr vielen Menschen besuchten Vortrage liegen in der
Gesamtausgabe vor (GA 52-67). - Noch beschrankt sich die Vortragstatig-
keit fast ganz auf Berlin, wird aber mit Hilfe von Mitgliedern auch in
anderen Stadten angestrebt. Erste offentliche Vortrage gibt es in Diissel-
dorf, Hamburg und Koln, und vor allem in Weimar mit drei Vortragen im
Fruhjahr, wo es zur ersten neuen Zweigbildung nach der Sektionsgriin-
dung kommt. Im Herbst ist Rudolf Steiner nochmals zu Vortragen in
Weimar.
5 An Marie von Sivers in Schlachtensee bei Berlin
Donnerstag, 16. April 1903
Briefkopf: Kaiser - Kaffee - Konditorei
Weimar, den 16. April 1903
Liebe vertraute Schwester! Der erste Vortrag ist also gehalten. Er
war recht gut besucht. Es war mir oft, als ob ich Dich im Audito-
rium suchen miisste. - Ubrigens sah ich sogleich, dass ich fur
Weimar einiges anders sagen musse, als ich es in Berlin getan habe.
Der Widerstande gibt es auch hier genug. Frau Liibke arbeitet mit
Hingebung. Es war alles in der schonsten und besten Weise arran-
giert. Sie hat wirkliche theosophische Gesinnung. - Ich mache
naturlich besonders in fremden Stadten fur mich immer neue wich-
tige Erfahrungen beziiglich der Art des Wirkens. Ich hoffe, dass
wir vorwarts kommen, wenn ich alle solchen Erfahrungen fleifiig
verwerte. Wir, beide zusammenwirkend, diirfen hoffen, in Deutsch-
land etwas zu erreichen. Wir sind auch dann zusammen, wenn wir
raumlich nicht nebeneinander sind. - Den zweiten Vortrag werde
ich popularer gestalten, als er in Berlin war. Bis ins kleine Weimar
scheinen doch noch zu wenig Begriffe von Evolution und Natur-
wissenschaft gedrungen zu sein, trotzdem Haeckel in der Nachbar-
stadt Jena an der Universitat wirkt.
Nach dem Vortrage hat mich gestern Herr von Henning zu den
Schlaraffen verschleppt, deren Mitglied er ist. Es war ein Opfer;
aber ich wollte es bringen, weil auch der Redakteur der Weimari-
schen Zeitung «Deutschland» darum anhielt; und ich mochte nicht,
dass sich etwa die Zeitungen hier gleich von vornherein feindlich
zur theosophischen Bewegung stellen. In kleinen Stadten haben die
Zeitungen noch einen viel grofteren Einfluss als in grofieren. Aber
ich konnte wieder Erfahrungen sub specie humanitatis machen. Ich
war vorher nie bei einer Sitzung der Schlaraffia. Das ist etwas, was
urspriinglich als Parodie auf gewisse Auswuchse des gesellschaftli-
chen Lebens gegriindet worden ist. Es ist nun lehrreich zu sehen,
wie sich dergleichen Dinge in die Lebensgeister der Menschen ein-
schmeicheln. Diese Schlaraffia hat viele Tausende von Mitgliedern
in alien Teilen Deutschlands und Osterreichs und Zweige in den
meisten deutschen Stadten. Nun ist ihr [ihr] urspriinglicher parodi-
stischer Charakter kaum noch als solcher anzusehen; denn das Spiel
wirkt Ernst in den Gemiitern. Man muss so etwas sehen, um zu
wissen, was alles in Menschengemutern an Strebungen lebt, die von
dem abziehen, wohin wir fiihren wollen. Man weift sonst oft gar
nicht, wo der Quellpunkt gewisser astraler Vibrationen liegt, die
einem mit groEer Macht entgegentreten, und deren Ursprung in
Orten unter der Oberflache unseres sozialen Daseins zu suchen ist.
An solchen Orten sammeln sich eine Menge Krafte, die der Theo-
sophie widerstreben. Sie treiben da unter den merkwurdigsten
Masken ihr Spiel. Man lernt sie besonders in Form von Schmeich-
lern kennen, die sich langsam und sicher in die Seelen schleichen.
Viele der Dinge, die unserer Bewegung entgegenwirken, fiihren,
wenn man ihre Wirkenssphare verfolgt, an solche und ahnliche
Orte. Die Menschen, die vor uns sitzen, sind oft recht wenig bei
uns, weil sie von Kraften dirigiert werden, die da und dorthin in die
Lebens-Trivialitat lenken, in eine Trivialitat, die nach und nach
Lebensnerv wird. Solchen Dingen kann nur durch die wirklichen
Theosophen entgegengewirkt werden, die dies ganz sind, und die
deshalb zu Akkumulatoren von Astralkraften werden, um eine
Besserung des Denkens und Empfindens zu bewirken. Ich weifi,
dass jeder Gedanke, wenn er auch unausgesprochen bleibt, wenn er
sich aber nur in der theosophischen Linie bewegt, eine Kraft ist, die
gerade gegenwdrtig viel bedeutet. Ohne einen Stamm von wahren
Theosophen, die in fleifiigem Meditieren das Gegenwart-Karma
verbessern, wiirde die theosophische Lehre doch nur halbtauben
Ohren gepredigt.
Es ist wahrscheinlich, dass ich Sonnabend friih in Schlachtensee
bin, so dass mich Briefe, die dann erst ankommen, nicht mehr treffen.
Heute abend ist theosophischer Zirkel bei Frau Liibke.
In Treuen und Briiderlichkeit Dein R. St.
Frau Liibke: Helene Liibke, geb. v. Bleszynska (1859-1916), Frau des 1893
verstorbenen Kunsthistorikers Wilhelm Liibke, Mitglied der T.G. in London, seit
1902/03 auch der deutschen Sektion. 1903/04 lebte sie in Weimar, wo sie im April
die drei offentlichen Vortrage Rudolf Steiners veranstaltete und den Weimarer
Zweig griindete. 1905 verzog sie nach Elberfeld und organisierte auch dort
Vortrage Rudolf Steiners. Ira April 1906 kehrte sie nach England zuriick.
Herr v. Henning: Horst v. Henning (gest. 1943), Generalagent, Freund Rudolf
Steiners aus der Weimarer Zeit, Mitglied der T.G. seit 1895, spater Vorsitzender
des Zweiges Weimar.
Schlaraffia: Eine seit der Mitte des 19. Jahrhunderts uber die ganze Erde verbrei-
tete deutsche Vereinigung. Lit.: O. R. Zimmer, Schlaraffia, 1926.
Schlachtensee: Im Januar 1903 wurde die Leitung der deutschen Sektion von der
Kaiser-Friedrichstr. 54a in Charlottenburg nach Schlachtensee, Seestr. 40 verlegt,
und im Oktober 1903 in die Motzstr. 17, Berlin W.
6 An Marie von Sivers in Schlachtensee bei Berlin
Donnerstag, 16. April 1903, andere Fassung
Weimar, 16. April 1903
Liebe vertraute Schwester! Der erste Vortrag ist also gehalten. Er
war recht gut besucht. Es war mir oft, als ob ich Dich im Audito-
rium suchen miisste. - Ich sah ubrigens sogleich, class ich fur
Weimar einiges im Vortrag werde anders sagen miissen. Der Wi-
derstande gibt es auch hier genug. Frau Liibke arbeitet mit Hin-
gebung. Es war hier alles in der schonsten und besten Weise arran-
giert. Man sieht es der Handhabung der Frau Liibke an, dass sie
fiinf Jahre in England an der Quelle gesessen hat. Ihre Arrange-
ments haben einen Zug nach Vornehmheit. - Ich mache natiirlich
besonders in fremden Stadten fur mich immer neue Erfahrungen
beziiglich der Art des Wirkens. Ich hoffe, dass wir vorwarts kom-
men, wenn ich die alle fleifSig verarbeite und verwerte. Wir, beide
zusammen wirkend, durfen hoffen, in Deutschland etwas zu er-
reichen. Wir sind auch dann zusammen, wenn wir ortlich nicht
nebeneinander sind. - Den zweiten Vortrag werde ich popularer
gestalten, als er in Berlin war. Bis ins kleine Weimar scheinen doch
noch zu wenig Begriffe von Entwickelung und Naturwissenschaft
gedrungen zu sein, trotzdem Haeckel in der Nachbarstadt an der
Universitat wirkt. Nach dem Vortrage hat mich gestern Herr
v. Henning zu den Schlaraffen verschleppt, deren Mitglied er ist. Es
war ein Opfer; aber ich wollte es bringen, weil auch der Redakteur
der hiesigen Zeitung «Deutschland» darum anhielt, und ich mochte
nicht, dass sich etwa die Zeitungen hier, wo sie einen groEeren
Einfluss als in Berlin haben, von vornherein ablehnend der Theo-
sophie gegeniiber verhalten. Aber ich konnte wieder Erfahrungen
sub specie universi machen. Ich war vorher nie bei einer Sitzung
der Schlaraffia. Das ist etwas, an dem seine Mitglieder wie an einem
Lebensnerv hangen. Gestern hielt der «Kanzler» eine Rede, in der
er sagte, wer einmal Schlaraffe gewesen ist, und miisste aufhoren, es
zu sein, der ftihlte sich von der Lebensquelle getrennt. Diese Schla-
raffia ist iiber ganz Mitteleuropa verbreitet und hat iiberall ihre
Mitglieder, die sich gradweise in «Pilger», «Junker», «Ritter» und
«Herrlichkeiten» gliedern. Ob es noch hohere Grade gibt, ist ein
Mysterium, zu dem ich noch nicht gedrungen bin. Nun ist aber die
Grundlage der ganzen Gesellschaft die Trivialitat. Es schmerzte,
die Reden zu horen, die da in einem eigenen Schlaraffendialekt
gehalten wurden. Meine Erfahrung ist, dass es solches gibt, und
dass Tausende von Menschen in Deutschland und Osterreich in der
Schlaraffia etwas sehen, wo sie ihr Bestes suchen. Man muss so
etwas sehen, um zu wissen, was alles in Menschengemiitern an
Strebungen lebt, die von der Richtung zum Hoheren, zum Geisti-
gen abzieht. Man weifi sonst oft gar nicht, wo der Quellpunkt
gewisser astraler Vibrationen liegt, die einem mit Macht entgegen-
treten, und deren Ursprung in den Orten unter der Oberflache
unseres sozialen Daseins zu suchen ist. An solchen Orten versam-
meln sich die Krafte, die der Theosophle widerstreben; sie treiben
da unter den merkwiirdigsten Masken ihr Spiel. Man lernt sie da
besonders als Schmeichler kennen, die sich mit einer ganz eigenen
Herzenssprache in die Menschenseelen schleichen. Es geht ganz
feierlich zu. «Herrlichkeit» sitzt auf einem «Thron», zur einen Seite
vom «Kanzler», zur andern vom «Marschall» umgeben. Man hat
Kopfbedeckungen, die die Wurden symbolisch zum Ausdruck brin-
gen. Man hat Namen, die einen ganz abtrennen von allem «Profa-
nen». Man verbringt die ganze «Sippung» (deutsch: Sitzung) in
zeremoniellen Formen. Es ist notwendig, den Zauber jeglicher
Zeremonie zu kennen, wenn man die bestimmende Gewalt dieser
«Sippungen» auf die Menschen durchschauen will. Viele der Dinge,
die uns in unserem Streben entgegenwirken, fiihren, wenn man ihre
Faden verfolgt, an solche und ahnliche Orte, die sich dem gewohn-
lichen Beobachter entziehen. Die Menschen, die vor uns sitzen,
sind oft recht wenig bei uns, weil sie von Kraften dirigiert werden,
die da und dorthin lenken. Solchen Dingen kann nur durch die
wirklichen Theosophen entgegengewirkt werden, die dies ganz
sind, und die deshalb Akkumulatoren von Astralkraften darstellen,
die auf eine Besserung des Empfindens und Fiihlens wirken. Ich
weifi, dass jeder Gedanke, wenn er auch unausgesprochen bleibt
und nur seine Richtung in der theosophischen Linie hat, eine Kraft
ist, die gegenwartig viel bedeutet. Ohne einen Grundstock von
wahren Theosophen, die in fleiEigster Meditationsarbeit, das Ge-
genwart-Karma verbessern, wiirde die theosophische Lehre doch
nur halbtauben Ohren gepredigt.
In Treuen und Briiderlichkeit Dein R. St.
7 An Marie von Sivers in Schlachtensee bei Berlin
Samstag, 18. April 1903
Weimar, 18. April 1903
Liebe vertraute Schwester! Auch der zweite Vortrag ist gehalten.
Er war noch besser besucht als der erste. Aus allem, was ich hier
in bezug auf unsere Sache erlebe, darf ich hoffen, dass wir durch-
dringen werden, wenn wir Ausdauer und Wirkenskraft haben. Und
Ausdauer miissen wir, Wirkenskraft werden wir haben, wenn wir
nur den Geboten der innern Notwendigkeit folgen. Habe aller-
herzlichsten Dank fur Deinen Brief. Es ist mir sehr leid, dass Du
mit Aufierlichkeiten so geplagt bist, und dass Du nicht einmal ganz
wohl bist. - Die Schwierigkeiten, welche Dir die alten Blatter ge-
macht haben, werden in nicht ferner Zeit ganz schwinden. Sie
mussen iiberstanden werden. Denn sie liegen einmal auf dem Weg,
wenn sich die Wissenschaft des Gehirns in die Weisheit des Her-
zens wandeln und dadurch der Geist immer lebendiger werden soil.
Du musst bedenken, dass nicht nur Diagramme und Zeichnungen,
sondern auch Vorstellungen und Ideen nur Symbole sind. Alles das
ist nur Durchgangstor zum Geiste. Du wirst den Durchgang fin-
den, weil Du dazu pradestiniert bist. Allerdings gibt Dir das auch
die Notwendigkeit, diesen Durchgang zu suchen.
In welchem Sinne Deinhard hier wirken will, davon gibt einen
Vorgeschmack, was Hiibbe-Schleiden in einem eben eingetroffenen
Brief schreibt. Es ist wieder dieselbe Sache: nicht Theosophie und
nicht Theosophische Gesellschaft. Wieder die Mahnung: ich solle
nichts tun als eine Zeitschrift ohne Hinweis auf beides herausgeben.
Dass wir iiberhaupt etwas unternehmen, ist ganz gegen die Ansicht
dieser Herren. Nun, wenn wir in ihrem Sinne handelten, wiirde die
Begriindung der deutschen Sektion eine Farce sein; wir handelten
treulos gegen alle unsere Versprechungen und die Theosophie ware
unter Deutschen ganz ohne Aussichten. Es ist eigentumlich, dass
diese Hemmschuhe hineinfallen mussen in eine Zeit, in der man die
Kraft zum Weiterwirken braucht; dass sich diese ganz wesenlose
Rederei der Herren storend in den Weg legt, wo, von ihr abge-
sehen, alles doch zu Hoffnungen berechtigt. Hier arbeitet Frau
Liibke mit Hingebung, und in demselben Augenblicke mahnen die
alten deutschen Theosophen zum Nichtstun. Ob es wohl noch
lange dauern wird!
Wir werden jetzt alles mit Festigkeit tun mussen, selbst auf die
Gefahr hin, dass uns diese alten Theosophen verlassen. - Du ver-
stehst mich; und das gibt mir Kraft, das macht mir die Fliigel frei.
In Treuen und Bniderlichkeit R. St.
Deinhard: Ludwig Deinhard (1847-1917), Industrieller, Freund und Mazen von
Hiibbe-Schleiden, begriindete im Marz 1894 den Zweig Miinchen der euro-
paischen Sektion der T.G., der dann aber bald wieder einschlief. 1902 wurde der
Zweig mit nur 7 Mitgliedern reaktiviert fur die deutsche Sektionsgriindung, um
im Fahrwasser von Hiibbe-Schleiden praktisch gleich wieder einzuschlafen.
was Hiibbe-Schleiden in einem eben eingetroffenen Brief schreibt: «... Anderer
Ansicht als Sie bin ich nur in bezug auf die Absicht und den Zweck der
theosophischen Bewegung. Sie und alle anderen heutigen Vertreter wollen aus
dieser Bewegung fur sich und moglichst viele andere einzelne Personen den
geistigen Vorteil und Nutzen ziehen. ... Um nun diese Zweckerfiillung zu
ermoglichen, scheint mir die erste Vorbedingung, dass wir unserer Kultur nur den
geistigen Inhalt unserer Erkenntnis und unseres Strebens geben, dass wir aber
dabei vorerst die Schlagworte Theosophie und Theosophische Gesellschaft ganz
vermeiden.» (Brief vom 17. 4. 1903). Rudolf Steiner schrieb an den Rand: «Das ist
eben die grundfalsche Voraussetzung, die alle Missverstandnisse hervorruft. Nicbt
Nutzen und nicht Vorteil, sondern notwendige Erfiillung eines klar eingesehenen
Karmas!!! Fur mich war die Differenz klar, als ich sah, dass meine dahingehend
fur den Eingeweihten bestimmten Andeutungen in Berlin auf keinen fruchtbaren
Boden fielen und nur von Fraulein v. Sivers verstanden wurden.»
8 An Rudolf Steiner in Weimar
Samstag, 18. April 1903
Schlachtensee, d. 18/IV 03
Heute wirst Du nun von Deinhard attackiert. Ich schicke Dir die
eben angekommene letzte Nummer des Vahan. Es ist manches
Interessante daran. Bresch bessert sich zusehends. Er ist maftvoll
und fest, und die paar Anspielungen auf Hiibbe-Schleiden sind
ebenso richtig als am Platz. Man kann Hiibbe-Schleiden nicht die
Vorderrolle spielen lassen.
Deinhard ist bestimmt erschreckt iiber Dein Vordringen und hat
unserer armen Frau Carola Mayne den Kopf wirr gemacht, denn sie
antwortet mir nicht. Du sollst ihm sagen, dass er sie in Ruhe lasst.
Demselben Bericht entnehme ich, dass Olcott in Europa ist. Am
5. Marz abgereist, also ist er schon hier. Vielleicht, bei seinem hohen
Alter, das letzte Mai. Wir miissen ihn sehen, nicht wahr? Vielleicht
kommt er zu uns. Es ist ganz gleich, wenn Hiibbe-Schleiden und
Deinhard sich dagegen wehren. Es ware eine Sanktionierung unse-
rer neubegriindeten Sektion durch den ehrwiirdigen und ersten
Prasidenten. Es ware wiederum ein frischer Strom und ein An-
sporn fur die Mitglieder. Am besten war es, er bliebe so lange, dass
er zum Jahresfest kommen konnte und mein Gast in Berlin sein.
Sollte er aber friiher wegreisen, miisste es auch im Sommer moglich
sein einen Vortragsabend anzukiinden, an welchem Ihr beide zu-
sammen sprechen wiirdet, und einen Tag oder zwei wtirde er wohl
in Schlachtensee leben. Kann er aber das alles nicht, so ware es
wohl schon, wenn wir nach London gingen und zwar lieber jetzt
als zur Convention.
Ich werde gleich Naheres zu erfahren suchen. Am liebsten moch-
te ich ihm gleich, und auch in Deinem Namen, einige Begriifiungs-
worte schicken und die Hoffnung aussprechen, ihn auch den rau-
hen deutschen Boden betreten zu sehen. Soil ich?
Und lass mich, wenn es gent, recht schnell etwas iiber Deine
Unterredung mit Deinhard wissen, damit ich der Carola gegeniiber
Sachkenntnis habe.
Heute war es mir zum ersten Mai, als ob ich etwas tiefer das
Wesen der Meditation erkannte, das schopferischer ist als Nach-
Denken, Nach-Beten und -Empfinden. Ich wollte es auch fixieren,
aber da kam die Morgenarbeit dazwischen und jetzt die Briefe und
ich furchte, es verfluchtet sich. Du wirst freilich sagen: das hattest
du doch tun miissen. Aber dann ist wieder die absorbierte Seelen-
ruhe nicht, die Grundbedingung, wegen des Ungetanen.
Das war iibrigens etwas, was mir heute besonders klar vor
Augen trat, auch in der Meditation. Mein Haupthindernis war die
Unordnung. Die gab mir auch das gesteigerte Hetzgefuhl und die
Gewissensbisse, und so drangte sich immer das Ungeschehene und
Vernachlassigte des taglichen Lebens in die devotionellen und
mentalen Bilder. Das ist ein tiefer Grund meines langsamen Wei-
terkommens, und so lange dieses Laster nicht radikal ausgewurzelt
ist, wird's auch nicht gut gehen. Beim Kleinen muss angefangen
werden.
Da hast Du meine eben errungene Einsicht.
Dir aber tausend Dank, Du Guter, Bester, fur das Meer von
Licht, das Du mir gibst, und fur Dein spirituelles- Tragen.
Wie geht's Dir? Marie.
1903
Wenn wir hingehen miissten, oder gar ich allein, mochte ich am
liebsten den 8. Mai, den Todestag von Frau Blavatsky dazu aus-
suchen. Es war mein grofies Bedauern voriges Jahr, dass ich nicht
da sein konnte, und da wir ihn selbst dieses Jahr noch nicht erheb-
lich feiern konnen, mochte ich's einholen.
Erwage dies alles, wenn Du nun nahere Bestimmungen iiber
Deine Vortragstournee triffst, insbesondere Miinchen. Willst Du
nicht gleich Deinhard vorschlagen eine Rede in Hannover zu
halten, Du naturlich.
der «Vahan»: Die von Richard Bresch in Leipzig herausgegebene Zeitschrift fur
Theosophie, (1899-1906).
Frau Carola Mayne, geb. Grafin Topor-Morawitzky (1846-1907/08), Mitglied im
Berliner Zweig seit Marz 1903. Marie v. Sivers hatte sie gebeten, in Miinchen
Vortrage Rudolf Steiners zu organisieren, da Deinhard, der eigentlich fur Miin-
chen zustandig war, sich damals gegen jede offentliche theosophische Tatigkeit
straubte, wie z. B. aus seinem Brief an Marie v. Sivers vom 13. 5. 1903 hervorgeht:
«Ich mochte nun zunachst freundlich bitten, sich doch kiinftig gefalligst an meine
Adresse wenden zu wollen, wenn es sich um irgendwelche Dinge handelt, die die
theosophische Gesellschaft angehen. Herr Becker ist ja mit den Verhaltnissen der
theosophischen Bewegung kaum naher vertraut und noch viel, viel weniger ist
dies Mrs. Mayne, eine in Pasing wohnende Deutsch-Amerikanerin, die leider
stocktaub ist und dazu die unangenehme Eigenschaft besitzt, dass sie durch ihre
naiven Briefe fortwahrend nur Konfusion stiftet. - Als ich kiirzlich Dr. Steiner in
Weimar traf, habe ich ihn ausdriicklich gebeten, sich wegen etwaiger Vortrage, die
er hier halten wolle, doch ja an mich zu wenden. Ich glaube als altestes Mitglied
der T.S. und als derjenige, der am meisten zur Ausbreitung der theos. Ideen in
Miinchen beigetragen hat, dies erwarten zu durfen. Ich habe nun schon in Weimar
Dr. Steiner darauf aufmerksam gemacht, dass das Interesse fur Vortrage in der
gegenwartigen Jahreszeit hier ein aufierordentlich geringes ist. Ich rate also positiv
ab, jetzt oder im Laufe des Sommers hier einen offentlichen Vortrag halten zu
wollen. ...»
Olcott ... mein Gast in Berlin: Hat sich nicht realisiert.
lieber jetzt als zur Convention: Sie fuhren aber doch erst zur Jahresversammlung
der Britischen Sektion der T.G. in London, 3. bis 5. Juli 1903.
9 An Marie von Sivers in Schlachtensee bei Berlin
Sonntag, 19. April 1903
Weimar, 19. April 1903
Liebe vertraute Schwester! Deinhard hat sich bis zur Stunde noch
nicht gemeldet. Er wird also wohl erst heute kommen. Gestern hat
sich hier die Weimarische Zweigloge konstituiert. Aufter den bei-
den Vortragen habe ich auch noch - mit denen, die beitreten wer-
den - zweimal engeren Zirkel gehalten. - Dass unsere Anwesenheit
in der nachsten Zeit in London notwendig sein werde, habe ich seit
lange empfunden. Jetzt, da Olcott in Europa ist, ist sie wohl unver-
meidbar. Aber, liebe vertraute Schwester: wir rmissen zu diesem
Ende alles wohl erwagen und uns den rechten Zeitpunkt bestim-
men. Denn ich glaube, Dir sagen zu konnen, dass diese nachste Zeit
fiir uns keine unwichtigen Sachen bringen werde. Wir diirfen jetzt
in keiner Sache unseren nachsten Impulsen folgen. Was Du mir
eben - im Vahan - gesandt hast, ist ja nur Symptom. Es arbeitet
manches gegen uns. Und Bresch hat gegenwartig einen richtigen
Fuhler. Was er selbst sagt, ist gerade jetzt vielleicht wichtiger, als
sich der Schreiber selbst bewusst ist. Hochstwahrscheinlich reise
ich iibrigens Dienstag iiber Leipzig nach Berlin. Es scheint mir
vorlaufig, dass ich Bresch sprechen muss. - Also wir werden, wenn
ich wieder bei Dir bin, alles in bezug auf Olcotts Anwesenheit
ruhig besprechen. Frau Liibke, die durch ihr dreijahriges Zusam-
menwirken mit den Londoner Theosophen ganz anders sehen ge-
lernt hat, als die alten Mitglieder in Deutschland, gab mir schon
vorgestern Recht, als ich auf die Wichtigkeit hinwies, jetzt Olcott
personlich nahe zu treten. Ich empfinde nun hier, dass richtig ist,
was wir zu tun begonnen haben. Nicht darauf kommt es an, wieviel
wir da oder dort im ersten Ansturm erreichen, sondern ob wir das
Richtige - das durch das Zeit-Karma Bedingte - tun. Sogleich wenn
ich nach Berlin komme, miissen meine drei Vortrage gedruckt
werden. Und fiir den «Luzifer» ist wohl kein Zeitpunkt richtiger
als gerade der, zu dem er erscheinen wird. - Dass Deinhards Be-
sprechung mit mir ohne Bedeutung sein muss, wenn wir vorwarts
kommen wollen, das wirst Du ohne weiteres zugeben. Das wich-
tige fur mich wird auch gar nicht sein, was er sagt, sondern, was er
nicht sagt. Auch in Hiibbe-Schleidens letztem Brief ist das wichtig-
ste, was gar nicht darinnen steht. Ich werde mit Dir in den nachsten
Tagen iiber Verschiedenes sprechen, was Dir manches klarer ma-
chen wird. Fur heute nur einen Richtsatz: Wir halten treu zusam-
men; und wir tun beide, auch gegen etwaige Missverstdndnisse, die
in der nachsten Zeit kommen konnten, alles in vollster Treue und
Hingebung an Mrs. Besants Intentionen.
Was Du mir iiber Deine Meditation mitteilst, macht mich froh.
Ich weifi, Du wirst weiter kommen. Und ich weifi auch, dass Dich
die besten Krafte leiten. Fahre also fort. Es ist so lieb, dass Du mir
auch gestern geschrieben hast, so dass ich heute morgen den Brief
von Dir erhielt. Weimar hat fur mich ein rechtes Doppelgesicht
jetzt. Du weifit, dass ich Dir ofter von meiner Empfindung gewis-
ser «Unwahrheiten» gesprochen habe. Ich war in Weimar sieben
Jahre, und da ist es einzusehen, dass auch heute wieder die «Ge-
spenster» jener «Unwahrheiten» aus alien Winkeln hervorkriechen.
Es haftet an meinen Relationen in Weimar zu viel Personliches.
In Treuen und Briiderlichkeit R. St.
Sogleich miissen meine drei Vortrage gedruckt werden: Die ersten offentlichen
Darstellungen der Inhalte der Theosophie (Die Theosophie und die Fortbildung
der Religionen, Die theosophischen Hauptlehren, Die Theosophie und der
wissenschaftliche Geist der Gegenwart) in Berlin im Marz und April, und deren
Wiederholung in Weimar. Der Druck ist nicht erfolgt; die Griinde dafiir sind
nicht bekannt.
«Luzifer»: Die von Rudolf Steiner herausgegebene «Zeitschrift fur Seelenleben
und Geisteskultur, Theosophie», deren erste Nummer am 1. Juni 1903 erschien,
ab Januar 1904 mit der Wiener Zeitschrift «Gnosis» zu «Lucifer-Gnosis» ver-
bunden.
Ich war in 'Weimar sieben Jahre: Viele Briefe Rudolf Steiners aus dieser Zeit findet
man in dem Band «Briefe II», GA 39.
10 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 21. November 1903
Weimar, 21. November 1903
Liebe vertraute Schwester,
gerne hatte ich Dir schon gestern einen kurzen Grufi gesandt, aber
die Zeit vor dem Vortrag war ausgefiillt. Heute habe ich Deine
lieben Zeilen erhalten. Sie sind ganz Du. Doch sollst Du nicht
glauben, dass ich den Zug in Dir, der uns zusammen gefuhrt hat,
auch nur im geringsten unterschatze. Fiir uns ist ja das gemeinsame
Ziel eine der Meister-Krafte, denen gegeniiber wir beide «lenksam»
sein miissen in treuer, fester Waffenbriiderschaft. Der Mit-Glaube
ist eine positive Kraft, die magnetisch fiir uns wirkt, und diese Mit-
Glaub ens-Kraft hast Du mir durch Dein Verstandnis gebracht; und
wir miissen sie uns gegenseitig geben.
Der gestrige Vortrag ist also voniber. Vorher war ich mit Frau
Liibke bei Prozors. Abends hab ich auch den jungen Sohn fliichtig
gesehen. Der Vortrag gestern handelte von der «Pilgerfahrt der
Seele». Der erste Teil behandelte das dreifache menschliche Wer-
den: lunarisch-kamische Epoche: Bildung der manasisch-kamischen
Psyche (1. 2. Rasse) und Epoche der Verkorperungen des eigent-
lichen Menschengeistes (von der 3. Rasse an). Dann im 2. Teile
folgten die Wege durch physische, kamische und Devachan-Welt.
Ich versuchte den irdischen Menschenwandel zu charakterisieren
als Durchziehen durch verschiedene Lebensstationen (Reinkarna-
tionen), die «Hauser» und betonte dann, dass im Anfange und am
Ende je ein Tempel stent; auf dem ersten das Menschenlebensratsel,
auf dem am Ende das «Wort der L6sung» und an den «Hausern»
dazwischen die einzelnen Buchstaben, die zuletzt das «Wort der
L6sung» zusammensetzen.
Heut abends wird kleiner Kreis versammelt. Und dann fahre ich
nach Coin ab, wo ich morgen um 9 Uhr sein mochte. Du schreibst
von einer Portiere, die du vor meiner Tiir anmachen lassen willst.
Ich glaube nicht, dass Du dies jetzt tun sollst. Ich werde Dir miind-
lich sagen, warum ich gerade jetzt die Haufung neuen Ziindstoffes
nicht fur gut halten kann. Glaube, mein Liebling, wie ich glaube,
dass wir iiber die Schwierigkeiten hinauskommen, gerade dann,
wenn wir auch nicht einmal scheinbar provozieren. Missverstehe
mich nicht und sehe darin keine Kleinmiitigkeit, oder den Mangel
an Willen, Klarheit zu schaffen. Aber Klarheit wird um so eher
auch da kommen, wenn wir selbst in diesem Falle das «Verwunden
verlernen». Es ist ein beherzigenswertes Wort des neuen Testamen-
tes: «Widerstrebe nicht durch Wehetun». (Die deutsche Uberset-
zung hat nattirlich auch da einen Nonsens: Widerstrebe nicht dem
Ubel). Und wenn das «Wehe-Tun» auch nicht von uns verursacbt
ist, so kann es doch von uns bewirkt sein. Wir miissen in solcher
Richtung das Notwendige tun, und lieber einen Schritt weniger, als
einen zuviel (wohlgemerkt in dieser Richtung). Also lassen wir die
Portiere, die auch dadurch nicht sonderlich viel bessern kann, dass
sie das physische Kuchengerausch abhalt und das psychische noch
um einen Grad erhoht.
Sei frisch, liebe Vertraute, sieh manchmal in Deinen Papieren
nach und halte es mit Deiner Meditation, wie wir es besprochen
haben.
In Treuen ganz Dein Rudolf.
eine der Meister-Krafte: Siehe Hinweis zu Nr. 20.
Prozors: Graf Maurice Prozor (1849-1928), bekannt als Ubersetzer der Dramen
Ibsens ins Franzosische, Diplomat in russischen Diensten, damals am Hofe von
Weimar, seine Frau Marthe, seine Tochter Elsa und sein Sohn Maurice Edouard,
waren oder wurden alle Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft.
17\Jt
Im April dieses Jahres wird der vielleicht wichtigste Schritt iiber Berlin
hinaus unternommen, durch den der Grand gelegt wird zu einer frucht-
baren Entwickelung der fur die Zukunft der anthroposophischen Arbeit in
Deutschland neben Berlin wichtigsten Zentren, Miinchen und Stuttgart. In
Stuttgart hatte Prof. Oscar Boltz im Herbst 1903 eine eigene «Theosophi-
sche Gesellschaft in Stiddeutschland» gegriindet und im Januar 1904 sogar
versucht daraus eine siiddeutsche Sektion zu machen. Adolf Arenson bat
um Hilfe, da er sich von Rudolf Steiners personlichem Einwirken ver-
sprach, dass es diese Spaltung verhindern konnte. Mit Freuden begriifite er
daher in seinem Brief vom 17. Marz die Absicht Rudolf Steiners im April
nach Stuttgart zu kommen. (Die Gruppe um Boltz konstituiert sich dann im
Februar 1905 als zweiter Stuttgarter Zweig der deutschen Sektion.) - In
Miinchen war der Zweig praktisch eingeschlafen, und der zustandige Lud-
wig Deinhard wehrte sich gegen jede Initiative aus Berlin. Daneben gab es
dort aber mehrere theosophische Gruppen, die in einem losen Zusammen-
hange mit der Hartmann-Bohme Gesellschaft in Leipzig standen. Deren
grofke stand unter der Leitung der Baronin Wangenheim, die damals ihren
Wohnsitz von Miinchen nach Sachsen-Coburg verlegte. Zu ihrer Gruppe
gehorten auch Sophie Stinde und Grafin Kalckreuth. Wahrscheinlich durch
Vermittelung von Alfred Meebold wird Rudolf Steiner eingeladen im April
auch dort zu sprechen, und das fuhrt nach seinem zweiten Besuch auf der
Riickreise von Lugano Ende April zu einer grofien Konferenz aller Miinch-
ner Theosophen, zu der sogar die Grafin Brockdorff aus Meran erscheint.
Am 9. Mai schreibt die Baronin Wangenheim an Rudolf Steiner: «Mein
langeres Bleiben in Miinchen hatte also doch zu einem positiven Resultat
gefuhrt, namlich zum Zusammenschluss der verschiedenen Kreise zu einer
«Loge» im Anschluss an Adyar, durch Sie. [...] Es freut mich von Herzen,
dass wir soweit sind, uns Ihnen, den nicht nur ich, sondern die Andern mit
mir als einen geistig Verwandten erkannt und lieb gewonnen haben, uns
offiziell anzuschliefien. Das muss Ihnen ein Zeichen sein, wie tief eingrei-
fend Ihre ganze Wesenheit auf uns wirkte! In warmer Freundschaft halte ich
Ihre Hand fest in der meinen und hoffe auf haufiges Wiedersehen. Frl. von
Sivers und Ihnen herzlichen Grufi von Ihrer G. A. Wangenheim*.
Anfang Juni erscheint Rudolf Steiners Buch «Theosophie. Einfiihrung
in iibersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung», im Juni-Heft
des «Lucifer» auch der erste Aufsatz der Folge «Wie erlangt man Erkennt-
nisse der hoheren Welten?». So ensteht nach und nach eine eigenstandige
Literatur, und dadurch wird die von vielen begriiftte Ablosung von der
indisch-theosophischen Darstellungsweise ermoglicht.
Im Mai sind Rudolf Steiner und Marie v. Sivers in London um mit
Annie Besant liber die Einrichtung der «Esoterischen Schule» zu verhan-
deln. Mit Dekret vom 10. Mai wird Rudolf Steiner zum « Arch-Warden of
the E.S. in Germany and the Austrian Empire» ernannt, und in der
zweiten Halfte des Jahres beginnt der Aufbau der E.S. (GA 264, 266). -
Im Juni nehmen sie am ersten Jahreskongress der Foderation Europaischer
Sektionen in Amsterdam teil. Auch Sophie Stinde und Grafin Kalckreuth
aus Munchen, Mathilde Scholl aus Koln und andere sind anwesend. - Im
September begleiten sie Annie Besant auf einer Vortragsreise durch die
deutschen Zweige.
Bei der Generalversammlung der deutschen Sektion im Oktober kann
berichtet werden, dass die Mitgliederzahl von 130 auf 251 gestiegen
ist. Vier neue Zweige wurden begriindet (Koln, Niirnberg, Munchen,
Dresden).
11 An Marie von Sivers in Berlin
Freitag, 8. April 1904
Stuttgart, 8. April 1904
Liebe Marie!
Es war mir sehr befriedigend, als ich Deinen Entschluss horte, doch
nach Lugano mitzureisen. Ich hoffe, dass bis zu dem Tage, an dem
wir uns wieder sehen werden, doch ein kleines Snick theosophi-
scher Arbeit getan sein werde. Hier haben wir gestern eine Zweig-
versammlung gehabt, die, wie ich wohl annehmen darf, giinstig
verlaufen ist. Heute abends ist also Vortrag. Man beschaftigte sich
auch hier in letzter Zeit viel mit Uneinigkeit; und ich werde froh
sein, wenn ich mir bei meinem Weggange werde sagen konnen, ich
habe etwas zur Einigkeit beigetragen.
Arensons Tochterchen geht in den nachsten Tagen nach Bern
(Schweiz) und ich mochte Dich bitten, ob Du die Adressen unserer
Berner Theosophen an Arenson schreiben konntest. Er mochte,
dass seine Tochter dort theosophischen Anschluss findet. Tue es,
denn die ganze Familie Arenson ist wirklich der Bewegung sebr
ergeben. Am Sonntag fahre ich nach Miinchen himiber. Ich werde
da im Hotel «Deutscher Kaiser» (am Bahnhof) wohnen. Deinhard
hat mir hieher geschrieben, und auch dieses Hotel angegeben.
Die Zeit ist hier sehr ausgefiillt; und ich muss Dir diesen Brief
in der Morgenstunde schreiben, denn spater wird man mir wohl
keine Zeit lassen. Vorlaufig habe ich mich noch nicht blicken las-
sen. Die kleinen Mitteilungen sende ich zugleich mit diesem Briefe
an Bresch ab.
Morgen erhaltst Du dann einen Brief mit einigen Auftragen fiir
«Lucifer» und anderes.
Lieb war mir, wie Du unsere beiden letzten esoterischen Stun-
den hast auf Dich wirken lassen. Glaube mir, meine liebe Marie,
Du kommst schneller vorwarts, als Du es vielleicht selbst nur ir-
gend bemerken kannst. Ich denke in Liebe an Dich und alle Arten
des Nahekommens sind bei uns nur Bestatigungen unseres tiefen
geistigen Zusammenhangs. Du bist mir die Priesterin, als die Du
mir entgegenblicktest, als ich Deine Individualist erkannt hatte.
Ich schatze Dich in der Reinheit Deiner Seele, und nur deshalb darf
ich Dir zugetan sein. Wir leben miteinander, weil wir innerlich
zueinander gehoren, und wir werden immer ein Recht haben, so
zueinander zu sein, wie wir sind, wenn wir uns klar sind, dass
unser personliches Verhaltnis eingetaucht ist in den heiligen Dienst
der Geistesevolution. Ich weifi, dass der Augenblick nicht kommen
darf, wo diese Heiligkeit auch nur im geringsten gestort wiirde.
Uberbiirde Dich nicht in diesen Tagen. Ich hoffe am Mittwoch
eine recht Gesunde zu finden.
Mehr werde ich heute wohl nicht schreiben konnen. Denn man
erwartet mich da draulSen. - Dass ich in Miinchen im Hotel wohne,
ist sogar besser, denn noch nicht alle Leute haben die Art, die Du
so schon pflegtest, als Annie Besant [Okt. 1902] bei Dir wohnte.
Du weifk, dass [nicht] zu viel bekummern um einen Gast, nicht die
Aufmerksamkeit stort. Man muss aber die Menschen nehmen, wie
sie sind, besonders wenn sie mit bestem Willen sich ein wenig zu
viel um einen bekummern. Du weifk, dass dies keine Klage ist,
denn Arensons sind der Sache wirklich treu ergeben.
Immer in aller Treue Dein Rudolf
nach Lugano mitzureisen: Mitte April besuchten Rudolf Steiner und Marie
v. Sivers fur eine Woche den Zweig in Lugano, auf Einladung von Giinther
Wagner.
Arensons: Adolf Arenson (1855-1936) und seine Frau Debora (1862-1937), geb.
Meldola, Mitglieder seit 1902 und 1903. Adolf Arenson, seit 1904 im Vorstand der
deutschen Sektion, grundete zusammen mit Carl Unger 1905 einen eigenen Zweig
Stuttgart III speziell zum Studium der Werke Rudolf Steiners; komponierte u. a.
fur Miinchen die Musik zu den Mysteriendramen. - Mit «T6chterchen» diirfte die
alteste Tochter Clarita gemeint sein, die spater Eugen Benkendoerfer heiratete.
Die kleinen Mitteilungen: Bezieht sich auf die Rubrik «Kleine Mitteilungen der
D.T.G.» im «Vahan», in der Mitteilungen des Berliner Zweiges erschienen.
unsere beiden letzten esoterischen Stunden: Nach Brief Nr. 20 zu schliefien, erhielt
Marie v. Sivers montags privaten esoterischen Unterricht.
12 An Rudolf Steiner in Stuttgart
Freitag, 8. April 1904, aus Berlin
8/IV 04
Den Brief des Schweizer Herrn habe ich beantwortet. Ich fordere
iiberhaupt unsere fiinf Schweizer Mitglieder auf, sich Mittwoch
Abend in Zurich einzufinden um Dich zu begriifien, - und sage
ihnen, dass wenn sie alle hubsch beisammen sind, Du ihnen even-
tuell auch Donnerstag zugeben wiirdest. Als Adresse gebe ich ih-
nen Dr. Gysi, Borsenstr. 1 1 an, da ich noch kein Hotel weifi. Um
die Angabe eines solchen habe ich Herrn Gysi gebeten, der sie mir
hoffentlich zuschickt. Gib mir Deine Mtinchener Adresse, damit
ich eventuell telegrafieren kann. Hier etwas, was man als Einladung
zum Kongress nach Florenz betrachten kann. - Hier ein Brief des
Grafen, den ich mir aufzuheben bitte. Ich werde ihn nun damit
vertrosten, dass Du ihn besuchst, wenn Du im Herbst Deine Reise
nach Innsbruck machst. Sollte die Reise Hartmanns schon eine
Antwort sein auf Deine Erklarung Mrs. Scott gegemiber? Moglich,
dass sie der Prinzessin diese Mitteilung gemacht hat.
Hierher kam nun Frau Pantenius aus Pfalzburg und ein Dr. ph.il.
Morck aus Wiesbaden, der Dich kennen lernen wollte.
Die Druckbogen fur die Federation wirst Du in Miinchen
bekommen; dann gib an, wie viel und wie gedruckt werden soli.
Schon Dich, hetz Dich nicht ab, - lerne den Menschen etwas
abschlagen.
Ganz Deine Marie
unsere fiinf Schweizer Mitglieder: Rudolf Geering-Christ, Bottmingen bei Basel,
1894 im Griindungsvorstand der D.T.G. in Berlin; Alfred Gysi, Zurich; Wilhelm
v. Megerle, Schirmensee am Ziirichsee; Jacques Tschudi, Glarus. Das funfte Mit-
glied war wahrscheinlich Paul Buro. Giinther Wagner und die anderen Mitglieder
in Lugano konnen nicht gemeint sein, da sich Rudolf Steiner auf der Reise nach
dort befand, wo bereits ein Zweig bestand.
Dr. Gysi: Dr. med. Alfred Gysi (1864-1957), Forscher am zahnarztlichen Institut
der Universitat Zurich, spater Professor. AIs Mitglied des Zweiges Lugano wurde
er 1902 auch Mitglied der deutschen Sektion. 1908 Mitbegriinder und spater
Vorsitzender des Zschokke-Zweiges in Zurich. 1913 gehorte er zusammen mit Dr.
Emil Grosheintz, Frau Marie Schieb und Frau Marie Hirter- Weber zu den vier
Schweizer Mitgliedern, die das Gelande fur den Goetheanum Bau in Dornach
stifteten.
Einladung zum Kongress nach Florenz: Anzeige der 3. Jahresversammlung der
italienischen Sektion, 17. und 18. April, durch den Generalsekretar Decio Calvari
vom 6. April.
Brief des Graf en ... Reise nach Innsbruck: Vermutlich Graf und Grafin Brock-
dorff, die ehemaligen Geschaftsfuhrer des Berliner Zweiges, die sich im Herbst
1902 nach Meran zuriickgezogen hatten, das iiber die Brenner-Bahn leicht von
Innsbruck aus zu erreichen ist. Der Brief des Grafen aus dieser Zeit ist allerdings
nicht erhalten. Ob die Reise nach Innsbruck wirklich erfolgte, ist nicht bekannt.
Reise Hartmanns: Dr. Franz Hartmann (1838-1912), Mitarbeiter H. P. Blavat-
skys, griindete die von Adyar unabhangige «Theosophische Gesellschaft in
Deutschland», war nicht der administrative Leiter dieser Gesellschaft, aber doch
ihr Spiritus rector, auch nachdem er seinen Wohnsitz in Florenz nahm. Uber seine
Reise ist nichts Naheres bekannt, aufier dass er am 24. Mai 1904 auf dem
Bundestag der «T.G. in Deutschland» in Leipzig einen Vortrag hielt.
Erklarung Mrs. Scott gegeniiber: Julia Scott, ebenfalls eine alte Theosophin, war
mit H. P. Blavatsky personlich bekannt. Sie kam nach Italien und leitete die Loge
in Florenz, wahrend Marie v. Sivers in Bologna wirkte. Die konstituierende
Versammlung der italienischen Sektion fand am 1. und 2. Februar 1902 in Rom
statt. Wohl spatestens bei dieser Gelegenheit lernten sich die beiden Damen
kennen. Mrs. Scott war Abonnentin der Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» und ein
Besuch von ihr in Berlin im September 1903, wo sie Rudolf Steiner kennenlernte,
ist durch ihren Brief vom 18. September 1903 belegt. - Die «Erklarung» bezieht
sich sehr wahrscheinlich auf Rudolf Steiners Absicht sich um Siiddeutschland zu
kummern.
Prinzessin: Maria de Rohan, geb. Grafin v. Degenfeld (1851-1924), in Florenz. Sie
hatte Kontakte zu alien theosophischen Gruppierungen; vor allem in der Korre-
spondenz von Franz Hartmann erscheint ihr Name ofters. So hatte sie auch
urspriinglich das Patronat fur die Frauen des Memphis-Misraim Ordens, an dem
Franz Hartmann beteiligt war (s. GA 265, S. 86). Im August 1911 wurde sie
Mitglied des Zweiges Miinchen I der deutschen Sektion.
Dr. phil. Morck: Dietrich Morck, Mitglied seit Oktober 1904, 1908 bei der
Griindung des Zweiges Wiesbaden Schriftfiihrer.
Druckbogen fiir die Federation: Deutsche Fassung des Programms fur den ersten
Kongress der «Federation of European Sections of the Theosophical Society»,
welcher im Juni 1904 in Amsterdam stattfand.
13 An Marie von Sivers in Berlin
Montag, 11. April 1904
Miinchen, 11. April 1904
Liebe Marie!
Wirklich ist es also erst jetzt moglich, Dir zu schreiben. Dass in
Stuttgart alles gut ging, weifk Du schon. Die Stuttgarter Mitglieder
strahlten, als sie den vollen Saal sahen; und ich war selbstverstand-
lich froh, zu 500 Personen von Theosophie sprechen zu konnen. -
Gestern, gleich nach meiner Ankunft, war der Abend bei der
Baronin Wangenheim. Ich sollte iiber die Entwickelung der christ-
lichen Mystik sprechen. Das habe ich getan. Nach dem Vortrage
wollten sogleich die Zuhorer auch, dass ich offentlich spreche. Und
- Deinhard will es nun auch. Alles geht also darauf hin, dass ich
noch fiir Mittwoch bleibe, und dann einen offentlichen Vortrag
halte. Aber ich habe jetzt Bedenken. Die Baronin Wangenheim hat
friiher Opfer gebracht, als Bohme da war, und deshalb zweifelte
sie, ob wir nicht mit einem offentlichen Vortrag bei dem so abge-
schreckten Publikum in der Art Fiasko machen konnten, dass iiber-
haupt niemand komme. Nun ware doch bis Mittwoch alles iiber-
hastet; und ein solcher in aller Eile veranstalteter Vortrag scheint
mir nicht das rechte zu sein. Er konnte gerade wegen der Eile
schlecht besucht sein, und dann konnten die Veranstalter erst recht
stutzig werden. Ich werde daher gleich nachher, wenn ich zu Dein-
hard zum Mittagessen gehe, diesem vorschlagen, dass ich auf der
Riickreise iiber Augsburg mir meine Karte umschreiben lasse und
eventuell dann hier einen offentlichen Vortrag halte. Das diirfte auf
jeden Fall gescheiter sein. Auf alle Falle geht dann gleich nachmit-
tag an Dich ein Telegramm ab.
Mittlerweile haben sich iibrigens die von Deinhard angesetzten
«Aussprachen mit Theosophie-beflissenen» um eine fur morgen vor-
mittag vermehrt. Du siehst, auch derlei Dinge wachsen. Aber ich
gehe doch nicht auseinander; und mir scheint, Du wirst mich bei
unserem Zusammentreffen nicht gerade herabgekommen finden.
Ich werde mich ja um so weniger auflosen, je mehr mir Deine
liebe Kraft zur Seite steht. Der Augenblick, in dem ich Deine Briefe
lese, ist ein Feieraugenblick; und ich weift, dass es so sein soil.
Also nun soil es weitergehen. Wir werden sehen. Heut nach-
mittag ist bei Deinhard «Aussprache im kleinen Kreise». Abends
Vortrag bei der Grafin Kalckreuth.
Sei in aller Herzlichkeit bedacht, meine Liebe, und komm
gesund nach Zurich.
Dein Rudolf
Baronin Wangenheim: Freiin Gertrud Alexandrine v. Wangenheim (1863-1958),
unternahm es nach dem Besuch Rudolf Steiners, die verschiedenen theosophi-
schen Gruppen in Munchen zu einem Zweig der deutschen Sektion zu vereinigen.
Dieser neue Zweig, in dem auch der alte von Ludwig Deinhard aufging, bekam
eine neue Griindungsurkunde mit Datum 6. Juni 1904, Vorsitzende Rosa
v. Hofstetten. Auch Sophie Stinde und Grafin Kalckreuth wurden so im Mai 1904
Mitglieder der deutschen Sektion.
Bohme: Edwin Bohme (1877-1906), Generalsekretar der Leipziger «Theosophi-
schen Gesellschaft in Deutschland». Anlass zu deren Griindung war folgender
Vorgang: 1894, drei Jahre nach dem Tod von H. P. Blavatsky, unternahmen H. S.
Olcott und A. Besant einen Versuch, W.Q. Judge aus der Theosophical Society zu
Schirmensee am Ziirichsee, April 1904
auf der ersten gemeinsamen Reise In die Schweiz
vor dem Hause von Wilhelm von Megerle
verdrangen. William Quan Judge (1851-1896), war Mitbegriinder und Vizeprasi-
dent der Gesellschaft, sowie Generalsekretar der Amerikanischen Sektion der T.S.
Aus Protest loste sich diese Sektion 1895 von der Adyar-Gesellschaft und konsti-
tuierte sich als selbstandige «Theosophical Society in America*. Auch aufterhalb
Amerikas schlossen sich Gruppen diesem Protest an, so entstand die «Theosophi-
cal Society in England* und die deutsche Gesellschaft von Franz Hartmann.
Naheres siehe: Kapitel VII in H. Wiesberger, «Rudolf Steiners esoterische Lehr-
tatigkeit», Dornach 1997.
Grdfin Kalckreutb: Pauline v. Kalckreuth (1856-1929), Malerin, Mitglied seit Mai
1904, spater Vorsitzende des Zweiges Miinchen I, seit 1911 auch im Vorstand der
Sektion. 1911 als Mitbegriinderin des Bauvereins in dessen Vorstand bis 1925.
Zusammen mit ihrer Freundin Sophie Stinde trug sie die Organisation der
Festspiele in Miinchen 1907 und 1909-1913.
Sophie Stinde (1853-1915), Malerin, Mai 1904 mit ihrer Freundin beteiligt an der
Neugriindung des Miinchner Zweiges, der vor allem durch sie neben Berlin zu
einem Hauptzentrum der Wirksamkeit Rudolf Steiners wurde. Seit 1904 war sie
im Vorstand der deutschen Sektion. 1911 Mitbegriinderin und erste Vorsitzende
des Bauvereins.
komm gesund nach Zurich: um gemeinsam nach Lugano weiter zu fahren. Die
gemeinsame Riickreise fuhrte wieder iiber Miinchen.
14 An Marie von Sivers im Ostseebad Graal
Donnerstag, 25. August 1904
Berlin, 25. August 1904
Liebe, «die Welt ist unendlich; es ist dem Menschen notig, sie in
ihren Symbolen zu ergreifen.» Das ist ein Wort des Mystikers
Cardanus. Es ist gestern fur mich symbolisch gewesen, nach acht
Tagen Leben an der Grenze zwischen Land und Wasser, wieder in
die Arbeiterversammlung versetzt zu sein. Ich musste das Astral-
wasser getriibt durch die mancherlei Personlichkeiten betrachten.
Es ist, wie wenn das klare Seewasser durch verschiedene triibende
Gesteinsschichten geht. In solchen Dingen erlebt man immer
wieder aufs Neue, was es heifk: Sonderdasein.
Das sollen nur Andeutungen sein dessen, was sich nur mit vielen
Worten klar sagen liefie. Aus diesen Andeutungen aber magst Du
begreifen, dass ich so gerne die Vortrage an der Arbeiterschule fort-
fiihren mochte. Aber die Kluft, die sich geltend macht zwischen dem,
was allein noch an der Statte moglich ist, und dem, was ich lehren
muss, wird doch immer grower. Gestern wurde verlangt, ich solle am
7. September zum Thema «Historischer Materialismus» sprechen als
«Erwiderung», nachdem vorher Grunwald, ein starrer Sozialdemo-
krat, iiber dasselbe Thema gesprochen haben wurde. Das ist natiir-
lich unmoglich. Ich erklarte, ich konne auf keinen Fall an einem
Abend zugleich mit Grunwald auf der Ankiindigung stehen. Ich
wurde aber in die Versammlung kommen, und, wenn sich Veranlas-
sung fande, in der Diskussion sprechen. - Der Vortrag Grunwalds
ist dazu bestimmt, einen Gegenpol zu bilden gegen das, was ich leh-
re. Alles, was ich wohl jetzt noch tun konnte, um die Schule viel-
leicht zu behalten, war meinen Vortrag abzulehnen. Denn durch die
Gegeniiberstellung hatten diejenigen, die meine Art nicht wollen, ein
leichtes Spiel gehabt. Ich mochte aber gerade an dieser Stelle alles
vermeiden, was den Bruch herbeifuhren konnte.
Damit wollte ich Dir, Liebe, nur die Situation schildern. Eben
komme ich aus Potsdam; wo man mir sagte, dass man die «Kinder
des Luci£er» an Dich in Korrektur abgesandt habe. Und nun nur
noch einen Gruft, so herzlich als er sein muss nach dem schonen
Bande, das uns bindet.
In Treuen geistig mit Dir Rudolf.
GriiEe Schwester und Mutter.
Hieronymus Cardanus (1501-1576), italienischer Naturforscher, Philosoph (Neu-
platoniker), Arzt und Mathematiker. Das Zitat lief? sich nicht feststellen.
nach acht Tagen Leben an der Grenze zwischen Land und Wasser: im Ostseebad
Graal.
Arbeiterschule: Rudolf Steiners unterrichtete von 1899 bis 1904/05 an der von
Wilhelm Liebknecht begriindeten Arbeiterbildungsschule. - Vgl. «Mein Lebens-
gang», Kapitel 28; ferner J. Mucke/A. Rudolph, «Erinnerungen an Rudolf Steiner
und seine Wirksamkeit an der Arbeiter-Bildungsschule in Berlin 1899-1904»,
Basel 1955.
Potsdam: Druckerei Hayns Erben, die spater auch viele Werke des Philosophisch-
Anthroposophischen Verlags druckte.
die «Kinder des Lucifer» an Dich in Korrektur abgesandt: Es handelt sich um das
verspatete August-Heft von «Lucifer-Gnosis», wo auch die deutsche Ubersetzung
Marie v. Sivers' von Edouard Schures Drama «Die Kinder des Lucifer» in Fort-
setzungen erschien.
Scbwester: Olga v. Sivers, Mitglied seit 1902, war haufig in Deutschland zu
Besuch, spielte in Miinchen in den Mysteriendramen mit, starb 1917 in Petersburg
infolge einer im Lazarettdienst zugezogenen Infektion.
Mutter: Caroline v. Sivers, geb. Baum (1834-1912), deutscher Herkunft heiratete
sie den deutsch-baltischen Generalleutnant Jakob v. Sivers in russischen Diensten.
15 An Marie von Sivers im Ostseebad Graal
Samstag, 27. August 1904
Berlin, 27. August 1904
Liebste, Du sollst Dir keine Sorgen machen um mich. Fur die paar
Tage, um die es sich da handelt, muss ich doch fertig werden kon-
nen. Allerdings warm ich fortkommen kann: das lasst sich augen-
blicklich gar nicht absehen. Es ist Sonnabend abends, und eben
komme ich aus Potsdam, wo ich erst heme die letzten Korrekturen
zum jetzigen Luciferhefte lesen konnte. Der Drucker ist erst heute
5 Uhr iiberhaupt fertig geworden. D. h. es ist erst der Satz fertig;
nun kann ja erst der Druck beginnen. Ich werde also wohl bald
anfangen miissen, zu glauben, dass sich meine Osterreichreise im
Sinne Deines lieben Briefes verwirklichen werde.
Heute habe ich einen Brief von Frl. Scholl erhalten, in dem sie
voller Besorgnis von dem Mitkommen Keightleys mit Mrs. Besant
schreibt. Sie scheint dafur zu halten, dass dahinter nichts Gutes
stecke. Ich schrieb ihr nun sogleich einige Zeilen, dass sie doch
unbefangen sein solle und dass wir doch nicht mit Diplomatic die-
ser Diplomatic begegnen sollen. Ich glaube, das Verhalten des
Okkultisten in solchen Dingen ist schwer zu verstehen. Es handelt
sich aber wirklich darum, sich in einem solchen Falle die Frage gar
nicht vorzulegen: was bedeutet dies, oder jenes?, sondern, bauend
auf die geistigen Machte, die hinter uns stehen, die Wellen rings
herum branden lassen. An eine Krise in der T.S. [Theosophical
Society], die auch uns mit treffen wird, muss einmal geglaubt wer-
den. - Ich werde mich mit Dir, meine Liebe, immer sicher fiihlen.
Du aber musst bei mir sein. Ich habe Dir oft davon gesprochen.
Seelen, wie die Deine, mit der schonen mentalen Intention, braucht
die Gegenwart. «Auf seinen Fiifien stehen», das ist die Lehre, die
wir auch fin* die theosophische Bewegung befolgen miissen. Wie
viel wir auch missverstanden werden: daran liegt nichts; aber wir
diirfen auch nicht im geringsten gebrochen werden.
Alle Deine Sachen habe ich erhalten. Den Satz, der Dir nicht
gefallt, habe ich noch einmal umgeformt. Und widerstrebt er Dir
jetzt noch, so kann er fur das Biichlein ja noch eine andere Form
erhalten.
Also nochmals: bleibe doch, Liebste, so lange es vorgenommen
worden ist. Bedenke doch, dass ich mich heute sogar aufgeschwun-
gen habe, ins vegetarische Restaurant Mittagessen zu gehen. Und
vielleicht tue ich es auch morgen.
Bis zum Gebrauch des Schlusselchens bin ich noch nicht vorge-
drungen. Denn ich hatte noch nicht Zeit. Aber, wenn ich doch
noch sollte abreisen konnen, so erhaltst Du den Schliissel zur
rechten Zeit.
Hubo will keines der angegebenen Themen. Nun soil ich ihm
raten, was zu tun. Am 31. kommt ja Mrs. Besant durch Hamburg.
Da mag er sie fragen, ob sie in Hamburg iiber etwas anderes
sprechen will.
Wenn man nur jetzt mehr fur die Verbreitung des «Lucifer» tun
konnte. Aus verschiedenem (Zuschriften etc.) ist klar ersichtlich,
dass die letzten Hefte sehr eingeschlagen haben.
Der stud, phil., von dem Du schreibst, meint es gewiss gut. Aber
er wird wenig Genossen haben; und ob er, wenn er einst ein Dr.
phil. sein wird, noch so denken wird, ist erst die Frage. Was fur
Berge von Hindernissen in deutschen akademischen Kreisen zu
durchdringen sind fur unsere Weltauffassung, das ahnt der nicht,
der diese Kreise nicht ganz genau kennt. Aber ich mochte gern auf
die Intentionen des jungen Mannes eingehen.
In Herzlichkeit vereint mit seiner Lieben Rudolf
Griifte Mutter und Schwester.
meine Osterreichreise: Rudolf Steiner pflegte jedes Jahr seine Angehorigen in
Horn/Niederosterreich zu besuchen: der Vater Johann Steiner (1829-1910), die
Mutter Franziska, geb. Blie (1834-1918), die Schwester Leopoldine (1864-1927),
der Bruder Gustav (1866-1942).
Frl. Scholl: Mathilde Scholl (1868-1941), wahrend eines langeren Italien-Aufent-
haltes wurde sie 1899 Mitglied der T.G. Im Oktober 1902 war sie bei der
Grundungsversammlung der Sektion in Berlin anwesend. Seit Mai 1903 lebte sie
in Koln und organisierte dort Vortrage Rudolf Steiners, die im Februar 1904 zur
Gnindung des Kolner Zweiges fiihrten. Seit Oktober 1903 im Vorstand der
deutschen Sektion, gab sie von 1905 bis 1914 das interne Gesellschaftorgan
heraus, die «Mitteilungen fur die Mitglieder der deutschen Sektion der T.G.». Von
1914 an lebte sie in Dornach.
Mitkommen Keightleys mit Mrs. Besant: Rudolf Steiner hatte bei seinem Londo-
ner Aufenthalt im Mai 1904 Annie Besant zu einer Vortragsreise durch Deutsch-
land eingeladen, die im September stattfand. In ihrer Begleitung befanden sich
Bertram Keightley und Esther Bright. Rudolf Steiner und Marie v. Sivers empfin-
gen Annie Besant in Hamburg und begleiteten sie auf der ganzen Reise. Rudolf
Steiner gab die englisch gesprochenen Vortrage jeweils in deutscher Sprache
wieder.
Krise in der T.S.: Diese von Rudolf Steiner vorausgesehene Krise begann mit dem
Leadbeater-Skandal von 1906, steigerte sich mit den Vorgangen bei der Wahl von
Annie Besant zur Prasidentin nach dem Tode Olcotts, und fiihrte schliefilich
durch den Humbug des «Sterns im Osten» zur Jahreswende 1912/13 zum Aus-
schluss der deutschen Sektion durch Annie Besant. Naheres siehe «2ur Geschich-
te und aus den Inhalten ...», GA 264, sowie Hella Wiesberger, «Rudolf Steiners
esoterische Lehrtatigkeit», Dornach 1998.
«Auf seinen Fiiflen stehen»: Eine der Lehren aus dem damals sehr bekannten
Biichlein der englischen Theosophin Mabel Collins «Licht auf dem Weg», 1904
neue deutsche Auflage.
Hubo will keines der angegebenen Themen: Bernhard Hubo, Zweigleiter in
Hamburg. Annie Besant hatte fur ihre Vortrage in verschiedenen Stadten
Deutschlands vier Themen zur Auwahl vorgeschlagen, die aber anscheinend
Hubo alle nicht gefielen.
Am 31. kommt ja Mrs. Besant durch Hamburg: auf der Hinfahrt zu einer
Rundreise durch die skandinavische Sektion, bevor ihre Reise durch Deutschland
am 15. September mit einem Vortrag wieder in Hamburg begann.
Der stud, phil: Ludwig Kleeberg (1880-1972), Kassel, der das Projekt einer
theosophischen Studentenverbindung versuchte. Mitglied seit Juni 1905 im Zweig
Miinchen. - Vgl. Kleeberg, «Wege und Worte. Erinnerungen an Rudolf Steiner
aus Tagebuchern und aus Briefen», Stuttgart 1961.
16 An Marie von Sivers in Berlin
Donnerstag, 24. November 1904
Miinchen - Stuttgart, 24. November 1904
Liebe Marie, ich muss Dir nun im Wagen schreiben, sonst geht es
auch in Stuttgart wieder so, wie es bisher gegangen ist. Immer
wurde die Zeit besetzt, in der ich schreiben sollte. Doch Du weifk,
dass meine Gedanken Dich umgeben. Und die Deinigen begleiten
mich. Eng, innen, verbunden sind wir.
Bis nun ist alles wohl gut gegangen. Erst Nurnberg. Angekom-
men, Vortrag gehalten. Viele Fragen haben dann die Leute gestellt.
Es war ein schones Interesse. Am zweiten Tag hatte ich mit einzelnen
Menschen viel zu sprechen. Frau Rissmann ist fortdauernd intensiv
bei der Sache. Die Arme hat es schwer. Ihr Mann steht ja solchem
ganz fern. Am zweiten Abend war es mit dem Vortrag wie am er-
sten. Es ist gut, dass immer mehr auch naturwissenschaftlich Gebil-
dete zur geistigen Weltauffassung heriiberkommen. Ein Arzt hat in
der Diskussion relativ ganz gut gesprochen. Am Sonntag morgen gab
ich um 10 Uhr der Loge noch eine Stunde. Dann kam der grofke Teil
der Niirnberger Theosophen gleich zum Bahnhof mit.
In Regensburg erwartete mich Feldner. Das ist eine Stadt. Ganz
eingehiillt in romische Machtgeliiste. Eine dichte Wolke aus diesen
Geliisten halt die Bevolkerung in furchtbarer Dumpfheit. Feldner
hatte man in dem verbreiteten klerikalen Blatt selbst die Inserate
zuriickgewiesen. Aufierdem war Gefahr vorhanden, dass die dor-
tigen klerikalen Vereine durch Tumult den Vortrag storen. Als vor
Jahren - so etwas begibt sich in Regensburg nur nach Jahren -
einmal ein Mann hier sprechen wollte, waren die klerikalen hand-
festen Manner erschienen und fingen an zu schreien: So etwas hast
du uns nicht zu sagen; dazu sind unsere Pfarrer da. Das waren also
die Aussichten. Feldner hat sich nun damit geholfen, dass er an-
kiindigte: nur der kann kommen, der sich vorher schriftlich um
eine Einladungskarte bewirbt. Das war gut. Es kamen etwa 30
Personen. Sehr aufmerksam. Sehr bei der Sache. Gymnasiallehrer,
Realschullehrer, Arzte. Vorher hatte ich schon eine kleine Konfe-
renz mit Feldners, einem Realschullehrer und einem Arzte, dann
abends den Vortrag.
Dann fror ich im Regensburger Hotel, in dem zwar einst Karl V.
gewohnt hat, das aber jetzt so schlimm ist, dass am Morgen der
Hausknecht davongelaufen war, weil er es nicht hatte aushalten
konnen. Ich musste mir erst aus der Nachbarschaft einen Wagen
besorgen. Sonst ware ich, trotz Feldners Sorgsamkeit, nicht recht-
zeitig nach Stuttgart [Miinchen] gekommen.
So kam ich Montag fruh also nach Miinchen. Grafin Kalckreuth
und Frl. Stinde haben mich vom Bahnhof abgeholt. Am Tage Be-
sprechungen. Abends war dann der erste Vortrag. Am Saaleingang
waren schon die beiden Studenten. Sehr eifrig. Sehr schon. Ich hielt
den Vortrag, der auch in mystischer Sprache gehalten war. Ich gab
da mal keine Diskussion. - Ich wollte, dass an diesem Abend die
Stimmung, auf die der Vortrag berechnet war, erhalten bliebe.
Am nachsten Tag waren Konferenzen. Auch die Studenten
kamen. Ich sprach lange und vieles mit ihnen. - Dazwischen war
ich auch bei Deinhards. Abends war dann der Vortrag: Steht Theo-
sophie in Widerspruch mit der Wis sens chart. Dann war eine lange
Diskussion. Ich kiindigte da auch die theosophische Studentenver-
bindung an, die mit einem ganz unerwarteten Interesse und Beifall
von Seiten des Publikums aufgenommen worden ist. Mittwoch
vormittag musste ich zu Baronin Gumppenberg; dann war ich
wegen der Studententheos. beim Rektor der Miinchener Universi-
tat, dann bei Huschke. Nachmittag war ich bei Schewitsch, die
einen Kreis zu sich eingeladen hatte. Das musste ich tun, denn hier
war der sehr begabte Naturforscher Dr. R. France und der Theo-
loge Dr. Miiller. Es war eine der interessantesten Diskussionen.
Die ganze Frage Naturwissenschaft und Theosophie wurde aufge-
rollt. France konnte immer wieder und wieder nur sagen: «da kann
ich wieder ein naturwissenschaftliches Analogon fur Ihre Ausfuh-
rung beibringen». Zuletzt iiberraschte er die Versammlung damit,
dass er sagte: Wir stehen heute eben vor naturwissenschaftlichen
Ratseln, die nur im theosophischen Sinne gelost werden konnen.
Der Naturforscher Friese sagte erst neulich einem Problem gegen-
liber: man mochte irrsinnig werden vor der Sprache, die fur uns
materialistisch Denkende jetzt die Natur spricht. - Noch ganz er-
griffen kamen die paar Leute abends in die Loge, die noch die
Verbindung bilden zwischen unserer Loge und der Schewitsch-
Gruppe. Kalckreuth und Stinde war en nicht mit. Sie waren auch
gar nicht aufgefordert gewesen. Abends, gestern, war dann Logen-
abend. Ich sprach zuerst iiber das Wesen der «Vereinigung». Dann
war langere Fragenbeantwortung. Der Sohn der Grafin Wacht-
meister war auch da. Er war iibrigens auch schon im Vortrag am
vorhergehenden Tage. Megerle ist in Miinchen und war in alien
Vortragen.
Heute, eben vor zwei Stunden brachten mich die beiden Damen
nach dem Bahnhof. Jetzt sitz ich hier im Wagen. Draufien knieho-
her Schnee. Die Fenster undurchsichtig. Alles gedachte in Liebe
Deiner. Die Damen, Megerle und auch die Studenten lieben Dich
und alle senden Dir wirklich herzliche GriifSe. Das tut mir so gut.
Griifie die Sister herzlich und die andern. - Andere Dinge will
ich Dir schreiben, wenn ich nicht auf einem Buche in der Luft,
sondern auf einer Tischplatte werde schreiben konnen. Ich muss
mir jetzt fest vornehmen, die Gummischuhe nicht zu vergessen, die
mir in Miinchen die Grafin Kalckreuth ersetzt hat; die Deinigen
sind in Regensburg weiter gefahren. Sie wollten sich beim Ausstei-
gen namlich nicht melden, sondern die Reise ohne mich fortsetzen.
Mogen sie zu andern Fiiften mehr Anhanglichkeit haben.
Allerherzlichst Dein Rudolf.
Frau Rijimann: Minna Rifimann (gest. 1945), Mitglied seit Mai 1903, 1904 Schrift-
fuhrer bei der Griindung des Diirer Zweiges Niirnberg.
Feldner: Jakob und Antonie Feldner, Mitglieder seit Oktober 1905, 1906 griinde-
ten sie das Zentrum Regensburg. Ein «Zentrum» war eine Vorstufe zu einem
Zweig, zu dessen Griindung 7 Mitglieder erforderlich waren.
die beiden Studenten: Ludwig Kleeberg und Hans Bunge.
Huschke: Otto Huschke (1846-1907), Kunstmaler, seit 1894 Mitglied im Zweig
Miinchen.
Schewitsch: Helene v. Schewitsch, verw. v. Racowitza, geb. v. Donniges (1843-
1911), und ihr Mann hatten ihren eigenen theosophischen Zirkel, der sich weder
der deutschen Sektion noch sonst wo anschliefien mochte.
France: Dr. Raoul Heinrich France (1874-1943), Direktor eines biologischen
Instituts in Miinchen. Seine Schrift «Das Sinnesleben der Pflanzen» wurde 1906
von Rudolf Steiner in Nr. 31 von Lucifer- Gnosis besprochen (jetzt in GA 34).
der Theologe Miiller: Wahrscheinlich Dr. Josef Miiller in Miinchen, ein aufierhalb
des engeren Verbandes der Kirche stehender katholischer Geistlicher, Herausge-
ber der Zeitschrift «Renaissance», in der er einen freien Katholizismus vertrat.
Friese: Heinrich Friese, deutscher Bienenforscher.
Sohn der Grdfin Wacbtmeister: Graf Axel Wachtmeister, aus Schweden. Seine
Mutter Constance Wachtmeister, geb. de Bourbel (1838-1910), war eine vertraute
Freundin von H. P. Blavatsky.
Megerle: Wilhelm v. Megerle, bildender Kiinstler, 1902 schon Mitglied im Zweig
Lugano, lebte in Starnberg und in Schirmensee am Ziirichsee, wo ihn Marie
v. Sivers und Rudolf Steiner auf ihrer Reise nach Lugano Ostern 1904 besuchten.
(Siehe Foto S. 71).
die beiden Damen: Grafin Kalckreuth und Sophie Stinde.
die Sister: Olga v. Sivers.
17 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 27. November 1904
Frankfurt - Coin, 27. Nov. 1904
Meine Hebe Marie, von draufien blickt mich der Rhein an, von
innen die Gedanken an Dich. Die Rheinberge sind mit kaltem
Schnee tiberlagert; die Gedanken an Dich mit Warme. Manchmal
werde ich von diesem Blatte aufsehen, urn beides ineinander tonen
zu lassen.
In Stuttgart erwarteten mich Arensons und Frau Dr. Paulus. Die
letztere nahm mich nun gleich, ziemlich buchstablich in Beschlag.
Ich musste zu Paulus und durfte nicht einmal meine Sachen zu
Arensons tragen, bei denen ich doch wohnen sollte. Erst um halb
fiinf kam ich los. Dann waren bei Arensons einige unserer Stutt-
garter Theosophen. Dann gings in die Loge. Nachdem ich eine
Einleitung gegeben hatte, war es rege Fragestellung iiber alles
Mogliche. Am nachsten Morgen musste ich nochmals zu Paulus,
dann zu Oppel. Die Stuttgarter mochten im Januar einen Zyklus
von 3 Vortragen arrangieren.
Freitag mittag kam ich nach Karlsruhe. 4 Uhr hatten Linde-
manns eine theosophische Zusammenkunft und abends einen Vor-
trag arrangiert. Die Loge da ware ja fertig. Ob sie gedeihen wird!
Lindemanns sind nicht gerade intellektuell sehr fortgeschritten. Da
ist es immer schwierig. Am Freitag abend ging ja alles recht gut.
Wollen wir sehen, wie es weiter geht. Der anwesende Hollander,
der zur hollandischen Sektion gehort und jetzt Assistent an der
Technischen Hochschule in Karlsruhe ist, macht sich am besten.
Dadurch dass er viel fragte, kam viel Gutes zu Tage. Auch Frl.
Keller ist in einer gewissen Hinsicht eine gute Theosophin, aber
sehr krank.
Eben fuhr ich iiber die Rheinbriicke bei Lahnstein.
Gestern war ich also in Heidelberg. Alles tragt da Hartmann-
Bohme'schen Typus. Schwab ist ernst und sucht nach innerer Ent-
wickelung. Von den beiden, die aufier ihm in Heidelberg noch die
Sache leiten, ist der eine ein guter Mensch, Schuhwarenreisender;
der andere Musiker, Dilettant in Philosophic, Vielredner, beson-
ders letzteres und dann noch Homoopath.
Eben durch Ehrenbreitstein gefahren.
Dass ich wieder nach Heidelberg komme, wollen die Leute.
Ob es etwas werden kann, ist die Frage. Einen Studenten habe ich
fur die akademisch theosophische Vereinigung engagiert. Wollen
sehen, ob da etwas wird!
Heute morgen 8 Uhr fuhr ich von Heidelberg ab. In Kastel-
Mainz kam Dr. Morck und fuhr bis Riidesheim mit. Jetzt also
gehts Coin zu.
Von Regensburg ab war es eine Reise durch den Schnee. Die
Eisenbahnwagen und Grafin Kalckreuths Zimmer sind die am
besten geheizten Orte.
Allerherzlichstes Rudolf. -
Paulus ... Oppel: Adolf Martin Oppel, Maler und Bildhauer, war bei der Griin-
dung der deutschen Sektion 1902 Vorsitzender des Zweiges Stuttgart. 1904 hatte
er den Vorsitz an Dr. med. Franz Paulus (1849-1919), abgegeben, der aber schon
1906 mit seiner Frau Doris Deutschland verliefi und 1912 aus der deutschen
Sektion austrat. Den Vorsitz iibernahm Prof. Schwend.
Lindemanns: Ludwig Lindemann (gest. 1911), und seine Frau Erdwine (1873-
1956), seit Marz 1904 Mitglieder des Zweiges in Koln. Grtindete Ende 1904 den
Zweig in Karlsruhe, half 1908 in Palermo bei der Griindung der ersten italieni-
schen «Rosenkreuzer Gruppe».
Hollander: Dipl.-Ing. Hermann Sybrand Hallo (geb. 1879), Mai 1910 Mitglied des
Karlsruher Zweiges, im Herbst 1913 wurde er dessen Vorsitzender. Seit 1913 apl.
Professor an der TH Karlsruhe, ab April 1914 o. Professor in Delft und spater
Leiter einer anthroposophischen Arbeitsgruppe dort.
Frl. Keller: Elisabeth Keller, Mitglied seit Mai 1904, beteiligt an der Griindung
des Zweiges Karlsruhe im Dezember 1904, spater tatig im Berliner Sekretariat,
Motzstr. 17.
Hartmann-Bohmescher Typus: Die Heidelberger Gruppe gehorte zu der sog.
«Internationale Theosophische Verbriiderung», ITV, die nicht eigentlich ein orga-
nisatorischer Zusammenschluss, sondern vielmehr ein loser Verbund war von
selbstandigen Gesellschaften, Vereinen, Zirkeln, oder wie sie sich jeweils nannten.
Diese ITV wurde aber administrativ von Leipzig aus betreut, mit dem Ziel, dass
man voneinander wusste. Von diesen Gruppen wurden Redner zu Vortragen
eingeladen, insbesondere Hartmann und Bohme, aber auch Rudolf Steiner. Die
Heidelberger Gruppe konstituierte sich im Oktober 1906 als Zweig der deutschen
Sektion, mit Friedrich Schwab als Vorsitzendem, Schriftfiihrer: Hugo Harder.
Schwab: Friedrich Schwab (1878-1946), Mitglied in Heidelberg seit Marz 1906.
Hat auf Rudolf Steiners Rat hin 1912 das Abitur nachgeholt, dann Medizin
studiert, Dr. med., praktizierte viele Jahre in Berlin, behandelte auch Friedrich
Rittelmeyer.
18 Widmung in Marie von Sivers 1 Exemplar von
Mabel Collins «Licht auf den Weg», wahrscheinlich Ausgabe 1904
*doJlv J Lt£& ft tin- V <~&U*t4 t Jv CtUL
kCtJut $c.U*t <(£cLt VULTit.
19 Eintragung in einem Notizbuch aus dem Jahre 1904
Archiv-Nr. B422
1905
Im Januar beendet Rudolf Steiner seine bisherige Haupttatigkeit, den
Unterricht an der Arbeiterbildungschule. Dadurch wird eine Intensivie-
rung des Einsatzes fur die T.G. moglich: wurden im Vorjahr 7 kleinere
und grofSere Vortragsreisen unternommen, so sind es dieses Jahr 17.
Immer ofter begleitet ihn Marie v. Sivers von nun an auf diesen Reisen, urn
ihm einen Teil der damit verbundenen Anstrengungen abzunehmen. - Im
Februar fiihrt die Kritik einiger Mitglieder an der Geschaftsfuhrung des
Berliner Zweiges D.T.G. dazu, dass Rudolf Steiner, Marie v. Sivers und
Friedrich Kiem von der Leitung der D.T.G. zuriicktreten und einen neuen
Zweig, Besant-Zweig genannt, begriinden, dem sich fast alle Berliner
Mitglieder anschlieften. Die D.T.G. wird sich im Januar 1906 auflosen. -
Im Juli findet der 2. Kongress der Foderation der Europaischen Sektionen,
diesmal in London, statt. - Mit einer Reise im September beginnt Rudolf
Steiners offentliches Wirken in der Schweiz, in St. Gallen, Zurich und
Basel. Marie v. Sivers begleitet ihn auf dieser Reise und berichtet dariiber
anschaulich an Edouard Schure (Brief Nr. 33b).
Bei der Generalversammlung der deutschen Sektion im Oktober wird
berichtet, dass 5 neue Zweige begriindet wurden: Besant-Zweig Berlin,
Stuttgart II, Stuttgart III, Freiburg, Karlsruhe; die Anzahl der Zweige
betragt 18, die Zahl der Mitglieder 377, gegen 256 im Vorjahr. - Im
November erscheint die erste Nummer des von der Generalversammlung
beschlossenen Organs fur die internen Sektionsangelegenheiten «Mit-
teilungen fur die Mitglieder der Deutschen Sektion der Theosophischen
Gesellschaft», herausgegeben von Mathilde Scholl in Koln. Von diesen
«Scholl-Mitteilungen» wird in den Brief en bis 1914 immer wieder die
Rede sein.
20 An Marie von Sivers in Berlin
Montag, 9. Januar 1905
Miinchen, 9. Januar 1905
Liebste Marie! Dir sende ich treue Gedanken der Liebe und Zunei-
gung. Ich tue das nicht nur, wenn ich Zeit finde, Dir das schriftlich
zum Ausdruck zu bringen. Du weifk es und weifk, wie innig wir
verbunden sind. Es ist ja gewiss, dass sich noch manche widerstre-
bende Machte gegen unseren Seelenbund auflehnen werden; derlei
Dingen muss in voller Ruhe stand gehalten werden.
Findest Du erst die ganze Ruhe, mein Liebling: dann mogen die
Wogen branden um den Felsen herum, auf dem wir stehen. Ist der
Felsen auf dem Grunde der Wahrheit erbaut, dann kann ihn und
damit auch uns nichts wankend machen.
Habe Dank fur Deine lieben Briefe. Sie tragen etwas so Liebes
in die Arbeit herein. - Stuttgart Nr. 1 und die beiden offentlichen
Mimchener Vortrage sind also vorbei. Heute nachmittag habe ich
noch bei Schewitsch, abends die Studentenversammlung; dann
morgen Stuttgart. - Ich hoffe, dass bisher alles gut gegangen ist.
Moge es auch so weiter gehen. Frau Dr. Paulus walkt einen durch;
Kalckreuth und Stinde sind in bezug auf die Erweisung von
Freundschaftsdiensten wirkliche Muster.
Deine «Wegweiser-Sendung» habe ich Kalckreuth und Stinde
mitgeteilt. - Derlei Dinge sind recht charakteristisch fur unser Zeit-
alter. Und man kann davon viel lernen. Dass es die Leipziger tun,
nun das liegt eben in ihrem Karma; sie konnen ja nicht anders. - So
etwas hangt von der Menschen Innerem ab, und da sollte man doch
wirklich nicht ein strenger Richter sein. Nun aber ist ja die duftere
Seite auch gerade das, woriiber wir urteilen sollen. Denn diese muss
die Grundlage unseres Lernens sein. Vor allem miissen wir davon
fur unser eigenes Verhalten lernen. Wir leben in einem Zeitalter, in
dem sich Leute wie die Leipziger Theosophen das Urteil bilden
konnen: So etwas wirkt in unserer Zeit. So sind die Instinkte unserer
Mitmenschen, mit denen wir rechnen wollen. Waren die Leipziger
uberhaupt Theosophen, so konnte sich ja das Karma unseres Zeit-
alters nicht so in ihnen spiegeln. Aber Theosophen sind sie eben
nicht. Das sollen wir uns in allem Mitgefiihl gestehen. Deshalb spie-
gelt sich in ihnen das herunterziehende, unheilige, schlecht-demo-
kratische unseres Zeitalters in dieser Art. Sie sind die Opfer dieser
Haupteigenschaften der Gegenwart. Meine Liebste, nimm dies als
zur heutigen esoterischen Stunde gehorig auf (es ist Montag mor-
gen), was ich Dir jetzt sage. In den Kopfen der sogenannten Theoso-
phen wird sich noch einmal aller Materialismus unseres Zeitalters
am krassesten spiegeln. Weil die theosophische Gesinnung selbst
eine so hohe ist, werden diejenigen, die nicht ganz von ihr ergriffen
werden, gerade die schlimmsten Materialisten werden. An den Theo-
sophen werden wir wohl noch viel boseres zu erleben haben, als an
denen, die nicht von der theosophischen Lehre beriihrt worden sind.
Die theosophische Lehre als Dogmatik, nicht als Leben aufgenom-
men, kann gerade in materialistische Abgriinde fuhren. Wir mussen
das nur verstehen. Sieh Dir einmal Keightley an. Der ist auf dem
besten Wege, eines der schlimmsten Opfer der Theosophie zu wer-
den. Ohne Theosophie ware er ein schlichter, unbegabter, aber wahr-
scheinlich braver Gelehrter geworden. Durch die Theosophie wird
er ein hochmiitiger, neidischer, norgelnder Streber. Das sind Erwa-
gungen, denen der Okkultist immer wieder nachhangen muss, wenn
er daran denken soil, die hohe Weisheit der heiligen Meister in das
Publikum zu streuen. Das ist seine grofte Verantwortlichkeit. Das ist
es, was uns die Briider immer entgegenhalten, die im Okkultismus
konservativ bleiben und die Methode des Geheimhaltens auch
ferner pflegen wollen. - Und kein Tag vergeht, an dem die Meister
nicht die Mahnung deutlich ertonen lassen: «Seid vorsichtig, be-
denkt die Unreife eures Zeitalters. Ihr habt Kinder vor euch, und es
ist euer Schicksal, dass ihr Kindern die hohen Geheimlehren mit-
teilen miisst. Seid gewartig, dass ihr durch eure Worte Bosewichter
erzieht.» Ich kann Dir nur sagen, wenn der Meister mich nicht zu
iiberzeugen gewusst hatte, dass trotz alledem die Theosophie un-
serem Zeitalter notwendig ist: ich hatte auch nach 1901 nur philo-
sophische Biicher geschrieben und literarisch und philosophisch
gesprochen.
Meine Liebe, bleibe mir stark: so lange wir die Verbindung mit
der grofien Loge haben werden, kann uns in Wirklichkeit nichts
geschehen, was auch scheinbar geschehen mag. Aber nur durch
diese unsere Starke bleibt uns die Hilfe der erhabenen Meister. Du
weifk: ich spreche dies so niichtern, so verstandesklar wie das all-
taglichste im Leben. «Bleibt stark und klar», das sagen die Meister
alle Tage.
In Treuen ganz Dein Rudolf.
«Wegweiser-Sendung»: Theosophischer Wegweiser, Monatsschrift, Organ der
Hartmann-Bohme-Gesellschaft, Leipzig; Herausgeber Arthur Weber, Leipzig.
Seid gew'drtig, dass ihr durch eure Worte Bosewichter erzieht: - Vgl. hierzu das
Kapitel «Die Spaltung der Personlichkeit wahrend der Geistesschulung» in «Wie
erlangt man Erkenntnisse der hoheren Welten?», GA 10.
wenn der Meister mich nicht zu Uberzeugen gewusst hdtte: Dies muss in der Zeit
zwischen dem Gesprach mit Marie v. Sivers im Herbst 1901 (s. S. 36) und seinem
im Januar 1902 erfolgten Beitritt zur T.G. gewesen sein; denn er schrieb im
August 1902 im Entwurf eines Rundschreibens an die deutschen Zweige: «ich trat
nicht fruher bei, als da ich wusste, dass die geistigen Krafte, denen ich dienen
muss, in der T.S. vorhanden sind.»
Verbindung mit der grojlen Loge: Rudolf Steiner meint hier die Gemeinschaft der
«Lehrer» oder «Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindun-
gen», Naheres in «Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der
Esoterischen Schule» (GA 264).
21 An Marie von Sivers in Berlin
Donnerstag, 12. Januar 1905
Niirnberg, 12. Januar 1905
Liebste Marie! Allerherzlichsten Dank fur Deine Briefe, die ich alle
- auch den mit der Feder - erhalten habe. Ich denke, es ist auch
weiter alles gut gegangen. Gestern war hier ein aufierordentlich
guter Besuch. Nur in Jena: Da scheint es mit dem Arrangement
ganz gewaltig gehapert zu haben. Zunachst fand ich hier vor eine
Nachricht der Frau Liibke, dass nichts, dann, dass doch etwas sein
werde. Ich fahre also gleich nachher dahin. Wir wollen sehen. Das
werden die schwersten Dinge sein: die Auseinandersetzung mit der
offiziellen «Wissenschaft». Den Gelehrten und Gelehrsamkeit-
beflissenen stellen sich ja die allerschwersten Vorurteile in den Weg;
und im Sinne der Meister ist, dass wir zwar den VorstoE wagen
sollen, dass wir aber da ganz besonders vorsichtig sein sollen. Und
so gehe ich denn auch mit starkem Verantwortlichkeitsgefuhl an
die heutige Aufgabe.
Ich kann Dir nur noch sagen, dass ich am Sonnabend 7 Uhr 40
am Anhalter Bahnhof ankommen werde, und dass ich Dir meine
allerherzlichsten Empfindungen voraus sende
Dein Rudolf.
22 An Marie von Sivers in Berlin
Donnerstag, 19. Januar 1905
Dusseldorf, 19. Januar 1905
Mein Liebling. Du hattest Dich nicht sorgen sollen wegen meines
Aussehens am Sonntag. Es war das ja doch wohl nur die Widerspie-
gelung der Affaire in der Bildungsschule. Du weifk, dass ich in dem
Wirken in diesen Kreisen eine Mission sah. Es ist wirklich etwas
zerstort, was ich nicht wollte zerstort sehen. Jetzt geht es natiirlich
nicht anders. Nach und nach aber treibt unsere Zeit in eine Form des
Lebens hinein, die das Zusammenwirken aller wirklich aufwartsstre-
benden Krafte notwendig macht. Es ware so notwendig in alles un-
sere geistige Weltanschauung hineinzugiefien. Es war also am Sonn-
tag doch zu etwas wichtigem bei mir der Schlusspunkt gemacht
worden. Wenn ich so sehe, in welche Hande allmahlich die Bildung
unserer Demokratie kommt! Es ist nichts Schones.
Aber zugleich kann ich Dir wieder melden, dass hier die Men-
schen mich «ganz besonders gut» aussehend finden.
Montag also habe ich den Colnern iiber die Apokalypse gespro-
chen. Da waren nur wenig, weil, wie sich dann herausstellte, man
in Coin nicht wusste, was «Apokalypse» ist. Und Frl. Scholl hatte
keine andere Bezeichnung zugefiigt.
Dienstag nachmittag sprach ich fiir die Coiner Mitglieder iiber
die «Genesis» und am Abend offentlich iiber «Goethes Marchen».
Dieser Vortrag war im Verhaltnis zum vorigen in Coin gut be-
sucht. Und es ist alles recht gut gegangen.
Am gestrigen Mittwoch nachmittag sprach ich in Godesberg
iiber «Theosophie und Christentum» im kleinen Kreise und abends
in Bonn iiber Goethes Faust. Da in Bonn war es auch verhaltnis-
maftig recht gut besucht.
Heute Donnerstag bin ich nun hier in Diisseldorf, - Boyer hat
schon etwas gemalt. Jetzt ist J A 3 Uhr, um 4 Uhr habe ich iiber den
«Gottesbegriff», am Abend bei Frau Smits iiber Goethes Faust zu
sprechen. Morgen nachmittag iiber «Lebensfuhrung» und am
Abend ist dann morgen hier der offentliche Vortrag.
Sonnabend friih ungefahr 8 Uhr bin ich zu Hause. Auf Deinen
Wunsch hat schon Frl. Scholl einen Schlafwagen bestellt.
Auf Wiedersehen herzlichst Dein Rudolf
Affaire in der Bildungsschule: Am 15. Januar 1905 war Rudolf Steiners letzter
Vortrag in der Arbeiterbildungsschule, nachdem er durch die doktrinaren Leiter
der Schule, gegen den Willen seiner Schiiler, aus dieser verdrangt wurde.
Boyer hat schon etwas gemalt: Otto Boyer, Mitglied seit April 1904, Vorsitzender
des im Oktober 1904 neu begriindeten Zweiges Diisseldorf. (Der 1902 an der
Griindung der deutschen Sektion beteiligte Zweig hatte sich bald danach aufge-
lost, als sein Vorsitzender Bruno Berg zuriicktrat.) Boyer war Kunstmaler in
Diisseldorf und bat Rudolf Steiner ihn portratieren zu diirfen (Olgemalde im
Archiv der Rudolf Steiner-Nachlassverwaltung). Auch er verliefi Diisseldorf im
Oktober 1905; das Amt des Vorsitzenden iibernahm Lauweriks.
Frau Smits: Clara Smits Mess'oud Bey (1863-1948), Mitglied seit Ende 1903, 1907
Vorsitzende des Zweiges Diisseldorf, 1908 im Vorstand der Sektion. Eine Unter-
redung mit Rudolf Steiner Ende 1911 iiber die Berufsausbildung ihrer Tochter
Lory wurde zum Ausgangspunkt fiir die Eurythmie.
23 An Marie von Sivers in Berlin
Dienstag, 14. Marz 1905
Munchen, 14. Marz 1905
Liebste Marie!
In Liebe und Treuen gedenke ich Deiner und danke Dir fur Demen
schonen Gru$, den ich gestern erhalten habe. Viel kann ich Dir
nicht schreiben, denn hier ist viel zu tun. Aber dass ich im Geiste
bei Dir bin, das weifit Du. In Niirnberg ging es wieder recht gut.
Merkwiirdigerweise waren gerade zwei Stuttgarter in Niirnberg:
Pfundt und del Monte. Auch Speiser, der vor kurzem bei uns
besprochene, erschien dort auf dem Plane. In Regensburg gliedern
sich natiirlich doch nur wenige aus der ultramontanen Dunkelheit
heraus. Sonntag und Montag waren also hier die offentlichen Vor-
trage. Ich bin nun schon ziemlich auch hier auf «Esoterisches» ein-
gegangen. Es war gut besucht. Deinhard war bei beiden Vortragen.
Auch hier hatte es bald ein ganz kleines Krischen gegeben.
Frl. v. Hofstetten wollte zuriicktreten. Ich suchte es ihr plausibel
zu machen, dass das nicht gut ware. Sie wird wohl bleiben.
Du schreibst mir so Liebes iiber die Vortrage der vorigen Wo-
che. Ja, sieh, ich werde mich in den Vortragen immer freier machen
mussen von der Art der Siebenteilung, wie sie im Anfange nament-
lich durch den Sinnett'schen esoterischen Buddhismus ublich ge-
wesen war. Die dreigliedrige Dreiteilung meiner «Theosophie» ist
fur die Zwecke des wirklichen Eindringens in die Dinge das einzig
mogliche. Die Siebenteilung, ohne diese Zuruckfuhrung auf die
Dreiteilung fuhrt nur irre. Das haben die orientalischen Mystiker
ebenso wie die abendlandischen vom Anfang an gegen die Schema-
tismen Sinnetts einzuwenden gehabt. Deshalb kam auch aus dieser
Siebenteilung nicht viel Praktisches heraus. Du siehst: ich spreche
in den Mitteilungen der Akasha-Chronik von dem Punkte ab, wo
ich iiber die Mitte der Lemurier hinausgehe, gar nicht mehr
von Unter-«Rassen». Und das entspricht genau der Anschauung.
Der Unter-Rassenbegriff hat namlich streng genommen nur eine
Bedeutung zwischen der Mitte der lemurischen und dem Ende
unseres Zyklus (5. Wurzelrasse). Dann verliert dieser Begriff
gegeniiber der Anschauung seine Bedeutung. Ebenso verliert wei-
terhin der Wurzelrassenbegriff seine Bedeutung, hat sie wieder fur
gewisse Verhaltnisse der lunarischen und solarischen Evolution
und nicht mehr vorher.
Recht betrachtet gibt es nur 16 wirkliche Menschenrassen:
5 lemurische, 5 atlantische + 5 arische + 1 nacharische. Was vorher
und nachher auftritt, ist etwas anderes als «Rasse». Und so ist vie-
les, was korrigiert werden muss, weil es blofi gebraucht worden ist
durch Ausdehnung der Vorstellungen, die fiir die Erde gelten, auf
das ganze Planetenheer. Daraus ist dann jener unselige Schematis-
mus entstanden, der mechanisch 7 irdische Verhaltnisse sich auf
alien Planeten rastlos abraspeln lasst. Man hatte anfangs gar nicht
ankniipfen konnen an die theosophische Bewegung, wenn man
nicht die ewige Multiplikation mit 7 mitgemacht hatte. Aber all-
mahlich muss diese mechanische Multiplikation durch die leben-
dige geistige Wirklichkeit ersetzt werden.
In Herzlichkeit ganz Dein Rudolf
Pfundt: Friedrich Pfundt, Eisenbahn-Sekretar, Mitglied in Stuttgart bereits vor
1902.
del Monte: Jose del Monte (1875-1950), Industrieller, Mitglied seit November
1903. Mitbegriinder der Kommenden Tag AG, Stuttgart, in deren Zusammenhang
er seine Kartonagenfabrik mit 700 Arbeitern stellte.
FrL v. Hofstetten: Rosa v. Hofstetten (1836-1908), hatte den Vorsitz des im Mai
1904 neubegriindeten Munchener Zweiges, bis sie ihn 1906 krankheitshalber an
Graf in Kalckreuth abgab.
Sinnettschen esoterischen Buddhismus: Alfred Percy Sinnett, «Esoteric Bud-
dhism», 1883, deutsch «Die esoterische Lehre oder Geheimbuddhismus», 1884.
Mitteilungen der Akasha-Chronik: Aufsatz-Reihe iiber die Welt-Entwickelung in
der Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» ab Juli 1904. Wieder abgedruckt in «Aus der
Akasha-Chronik», GA 11.
24 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 19. Marz 1905
Coin, 19. Marz 1905
Mein Liebling, nur rasch mochte ich Dir sagen, dass ich am Freitag
in Bonn schon wieder fast ganz gut, und gestern hier ganz gut bei
Stimme war. Eigentlich war die Sache ja nur Donnerstag abends
fatal. Auf keinen Fall ist es notig, bei uns am Freitag abzubestellen.
Du wirst mir, wenn ich nach Hause kommen werde, von dem
Stimm-Zwischenfall nichts mehr anmerken. Also lasse mich, bitte,
Freitag iiber die 4. Dimension vortragen.
Dr. Peipers war gestern hier beim Vortrag und sagte mir von der
Verschiebung beziiglich Elberfelds. Du musst nur bedenken, dass
ja die Leute ungeschickt sind, und nichts fur ihre Ungeschicklich-
keit konnen. Ich bin sicher, dass ich das Rundreisebillet doch auch
fur die andere Strecke Dtisseldorf-Berlm direkt brauchen kann.
Eigentlich war's ja naturlich. Doch muss man erst sehen, ob's geht,
denn das Natiirliche ist ja fur Behorden zuweilen eine Unmoglich-
keit. Es wird schon alles werden.
Indessen griifie ich Dich ganz, ganz herzlich und bin Donners-
tag friih spatestens in Berlin. Nicht wahr, Du wirst deshalb doch
gut sein.
Herzlichst Dein Rudolf
iiber die 4, Dimension vortragen: Vortrag Berlin, 24. Marz 1905, in GA 324a.
Dr. Peipers: Dr. med. Felix Peipers (1873-1944), Mitglied in Dusseldorf seit
Oktober 1904. 1906/07 richtete er als Nervenarzt in Miinchen eine Privatklinik
ein. Wirkte 1910-13 bei den Mysterienspielen mit, 1911 Mitbegriinder des Bau-
vereins, 1911 im Vorstand der Sektion, ab 1915/16 Vorsitzender des Zweiges
Miinchen I, 1921-24 Arzt am Klinisch-Therapeutischen Institut in Stuttgart.
25 An Marie von Sivers in Berlin
Freitag, 7. April 1905
Cannstatt, 7. April 1905
Mein Liebling! Ich muss mir einige Augenblicke aussondern, um
Dir nun ein paar Zeilen schreiben zu konnen. In treulichen Gedan-
ken bin ich bei Dir. Lieb sind Deine beiden Briefe. Doch nur das
Eine solltest Du nicht tun: Dir fortwahrend diese Sorgen machen.
Sieh mal: die Sache war wirklich nicht schlimm. All die Menschen,
die in Berlin in das Coupe eingestiegen sind, in dem ich safi, stiegen
in Leipzig, also etwa V2 1 Uhr aus und dann war ich bis Nurnberg,
also bis 8 Uhr ganz allein. Immer ist es besser, in solchen Dingen
ein wenig gleichmiitiger zu werden. Wenn Du Dir um mich immer
Sorgen machst, so muss ich mir wieder Sorgen machen wegen Dei-
ner Sorgen, und wir kommen gar nicht zurecht. - Aber ich habe
Dich doch so lieb. Und es wird mit uns beiden sicher alles gut wer-
den. Bleibe mir sicher, gesund, frisch. Ich muss Dich so finden, wenn
ich nach den Kreuz- und Querreisen nach Hause kommen werde.
Nun die paar praktischen Fragen: In Breschens «Vahan» kann
man etwa folgendes schreiben:
Die Bibliothek des Berliner Zweiges (Deutsche Theosophische
Gesellschaft) befindet sich und Biicher konnen ausgeliehen
werden unter folgenden Bedingungen.
Ich glaube, dass Bresch bei seiner Taktunmoglichkeit die grofite
Torheit macht, wenn wir nicht einfach von ihm verlangen: die
Notiz wie sie jetzt ist, soli wegbleiben, und diese kurze soli an die
betreffende Stelle kommen. Mehr brauchen wir nicht.
Auf dem Programm soli fur den 4. Mai stehen:
Schiller und die Gegenwart (Theosophische Schillerfeier).
Hast Du das Programm an Hayns Erben gesandt? Bitte schreib
mir das fur Montag, oder Sonntag nach Hamburg, damit ich nicht
ein zweites Programm-Manuskript dahin sende.
Die Bucherverzeichnisse sind ganz richtig. Auch die Stelle beziig-
lich «Lucifers».
Also nochmals allerherzlichste GriijRe. Bleibe frisch, gesund und
sicher. Dein Rudolf.
26 An Marie von Sivers in Berlin
Dienstag, 11. April 1905
Auf der Fahrt nach Munchen. 11. Apr. 1905
Mein Lieblmg. Es konnte sein, dass ich in Munchen wieder lange
nicht zum Schreiben kame; deshalb mochte ich Dir vom Eisen-
bahnwagen aus die allerherzlichsten Griifie senden. Es ist lieb, wenn
Du ofters schreibst. Du begleitest mich mit Deinem Segen. Und
Dein Segen gehort zu unserem Werke.
In Stuttgart ist es, wie Du aus Arensons Bericht weifit, gut
gegangen. Die beiden Logen vertragen sich vorlaufig so gut mit
einander, wie es nicht der Fall sein konnte, wenn sie Eine waren.
Im Ganzen hat ja jetzt Stuttgart vier Zweige. AuEer unsern beiden
noch einen von Bohme gestifteten und einen Tingley'schen (Gliick-
selig). Die Mitglieder - wenigstens einige - des Bohme-Zweiges
waren aber mit voller Sympathie bei meinen Vortragen und der
Hauptmacher, ein Herr Bach, hat mir sogar in einem Karton ein
Geschenk beim Abgange iiberreicht. Ich weifi noch nicht, was es
ist. Denn ich habe noch nicht Zeit gefunden, es zu offnen.
Der Zug halt eben in Ansbach.
In Hannover war der Besuch mittelmafiig, durchaus nicht
schlecht den Verhaltnissen nach. Es lagert eben da iiber dem Gan-
zen des armen Hubbe-Schleiden (wie eine Dunstwolke) zersetzen-
der Verstand, der so fern von jeglicher Intuition ist wie das Gehirn
eines deutschen Professors der griechischen Kunst vom Verstand-
nis des griechischen Genius. Der Mann redet eine so untheosophi-
sche Sprache und ist so tief zu bemitleiden, wie ein Gefangener, der
seinen Kerker fur die Welt halt. Unendliche Miihe gibt er sich, aus
einem ganz vertrockneten Schwamm Wasser heraus zu pressen.
Eigentlich besteht seine ganze Weisheit in dem Zusammenschwei-
Een der heutigen Schulweisheit mit ein paar Brocken angelernter
«uralter Weisheit» in ganz schematischer Form. Dabei hat er grofie
Modelle des sogenannten «primaren Atoms» verfertigen lassen, die
fast den Raum eines halben Zimmers ausfullen, und die doch nichts
sind als Wiedergaben eines Bildes, das vor dem Titelblatt von Annie
QA
Besants «Uralter Weisheit» steht. Schon bei meiner letzten Anwe-
senheit in Miinchen zeigte mir Deinhard wie einen kostbaren Schatz
photographische Aufnahmen dieser Modelle.
Mein Liebling: alles ist relativ. Und von dieser Htibbe-Deinhard
Weisheit bis zu der selbstgefalligen Mystik des «Stuttgarter Adep-
ten» A. Oppel ist doch noch ein Weg aufwarts. Und nicht ganz
Unrecht hat Oppel, von seinem Standpunkte, Deinhard wie «blo-
de» zu halten. So sprach er sich neulich aus. Und doch ist Oppel
der «kuriose Mensch». Man muss ganz objektiv auf all diese Rela-
tivitaten sehen. Denn wenn auch ein Frosch noch kein Ochse ist,
so ist er doch grofier als eine Fliege.
In Hamburg ist Hubo noch immer nicht iiber seine inner-aujRere
Unruhe hinaus. Er will im Grunde alien wohl, aber bekrittelt alles
und beklagt sich iiber alles. Sonntag sprach ich zu den Leuten der
Loge iiber die Bedeutung der Wochentage und iiber die sieben
romischen Konige, um die eminent praktische, ins Leben eingrei-
fende Bedeutung der Theosophie anschaulich zu zeigen. Gestern
war bei «Goethes Evangelium» ein im Grunde nicht schlechter
Besuch.
Dass Du meinen Namen auf das Titelblatt der «Kinder des
Luzifer» gesetzt hast, scheint mir zu viel getan, da die zehn kleinen
Seiten doch gar zu wenig sind, um noch besonders benamset zu
werden. Doch wollen wir die Sache jetzt schon so lassen, wie es
Deinen Intentionen entspricht.
Deinhard wird diesmal nicht in Miinchen sein wahrend meiner
Anwesenheit. Er geht zum Psychologen-Kongress nach Rom, um
dort aufzupassen, ob die braven offiziellen Psychologen sich nicht
doch herablassen, auf einige «metaphysische» (recte: spiritistische)
Beobachtungen hinzuweisen. Es ist so erbarmenswiirdig zu sehen,
wie diese Leute gierig nach Schatzen graben und froh sind, wenn
sie Regenwiirmer finden.
Der Zug halt jetzt in Gunzenhausen. Hiigeliges Waldland und
unsonnige Stimmung ist draufien. Es beginnt sogar zu regnen.
Gestern trugest Du wieder fur mich vor. Ich bin so froh, dass es
so weit ist, und dass Du wahrend meiner Abwesenheit auf meinem
Platze sitzest. So gehort es sich ja doch. Wir werden in solcher Art
immer weiter kommen.
Treibe Deine Meditation, so gut Du eben kannst. Der Glanz,
der auf die intellektuelle Erfassung der okkulten Dinge fallen muss,
geht ja doch von ihr aus. Selbst dann, wenn Du es nicht merkst. In
den Meditationsformeln und Konzentrationsiibungen, die Du jetzt
hast, liegt der Schliissel zu vielem. Sie sind seit uralten Zeiten
gepragt von den grofien Adepten, und wer sie in Geduld in seiner
Seele lebendig macht, saugt aus ihnen die Wahrheit von sieben
Welten. Es sind eben die Geheimnisse der Wissenden in sie gelegt.
Und wer sie richtig anzuwenden vermag, hat die Moglichkeit, die
Hiillen der drei unteren Weltformen abzustreifen und allmahlich
sogar bis zum Zustand des «Schwanes» heranzureifen. Du musst
Dir iiber Unvollkommenheiten der Meditation keine Sorge ma-
chen; aber stets bestrebt sein, alles zu tun, was in Deinen Kraften
liegt.
Fiir diesmal noch die allerherzlichsten Griifie von Deinem
Rudolf.
In ein paar Minuten wird der Zug in Treuchtlingen sein.
Die beiden Logen: Die Griindungsurkunde fiir den Zweig Stuttgart II, Kerning
Zweig, hat das Datum 19. Februar 1905, Vorsitzender Prof. Oscar Boltz. - Im
September 1905 kam dann noch der Zweig Stuttgart III dazu, der speziell zum
Studium der Werke Rudolf Steiners gegnindet wurde, Vorsitzender Hans Weifi-
haar, Schriftfuhrer Adolf Arenson. - 1907 erlosch Stuttgart I und Stuttgart III trat
an seine Stelle.
Bohme: Edwin Bohme, Generalsekretar der Leipziger Gesellschaft.
Tingley: Katherine Tingley (1852-1929), amerikanische Theosophin, «Nachfolge-
rin» von William Q. Judge in der Fiihrung der von Adyar unabhangig geworde-
nen «Theosophical Society in America*.
Annie Besants «Uralte Weisheit»: «The Ancient Wisdom» (1897), deutsche Uber-
setzung von Mathilde Scholl 1898.
« Kinder des Luzifer»: Drama von Edouard Schure; Le Theatre de l'Ame (lere
serie); Les Enfants de Lucifer (Drame antique), Paris 1900; autorisierte Uberset-
zung von Marie v. Sivers, Leipzig 1905, Dornach 1955.
Gestern trugest Du wieder fiir mich vor: Die Versammlung der Mitglieder des
Berliner Zweiges fand jeweils montags statt.
27 An Rudolf Steiner, wahrscheinlich in Karlsruhe
Donnerstag, 13. (oder 14.) April 1905, aus Berlin
In grower Eile:
Auch Herrn Schwab habe ich Lucifernummern zum Verkauf
geschickt. Kann nicht auf den Aufsatz «Einweihung und Myste-
rien» hingewiesen werden? Ich hab die drei Heftchen zusammen
gelegt fur 1 Mk. - Es wird dort hingewiesen auf «Esoterisches
Christentum» und «Grofie Eingeweihten».
Schonstes und bestes wunsche ich. Wie ist's mit diesem ersten
Mai? Soil ich alien absagen? Sicher ist ja Kassel noch nicht, aber ist
der erste Mai was?
Ich habe die Absicht schleunigst die Schillervortrage drucken zu
lassen (auf Kiems Risiko) und die Korrekturbogen Freitag vorzu-
legen. Sprach heute mit dem Potsdamer M.[ann] dariiber, der hier
war. 200 M. fur 1000 Exemplare wie «Goethes Faust», aber doppelt
so dick. Die Vortrage sind so schon. Diirfen wir?
Auf Wiedersehen!
Herrn Schwab: Friedrich Schwab in Heidelberg, dort fand am 17. April 1905 der
offentliche Vortrag «Die Weisheitslehren des Christentums statt.»
Aufsatz «Einweihung und Mysterien»: Aufsatz in drei Folgen in der Zeitschrift
«Luzifer», Juli/ August/September 1903. Wieder abgedruckt in «Luzifer-Gnosis
1903-1908», GA 34.
«Esoterisches Christentum» und «Grojie Eingeweihten»: Annie Besant, «Esoteri-
sches Christentum oder die kleinen Mysterien», deutsch von Mathilde Scholl,
Leipzig 1903; Edouard Schure, «Les Grands Inities», Paris 1889. Die autorisierte
deutsche Ubersetzung von Marie v. Sivers erschien seit Februar 1904 laufend in
der Zeitschrift «Lucifer-Gnosis»; Buchausgabe Leipzig 1907 und Miinchen 1955.
Kassel: Dort war am 1. Mai 1905 der offentliche Vortrag «Schiller und die
Theosophie».
Schillervortrage: «Schiller und unser Zeitalter», Aufzeichnungen nach Vortragen,
gehalten vom Januar bis Marz 1905 an der Berliner «Freien Hochschule», heraus-
gegeben von Marie v. Sivers, Berlin 1905, Dornach 1932. Wieder abgedruckt in
«Uber Philosophic, Geschichte und Literatur», GA51.
Kiem: Friedrich Kiem (gest. 1933), Mitglied seit September 1903, Kassierer des
Berliner Zweiges, seit 1905 im Vorstand der Sektion.
wie «Goethes Faust»: Gemeint ist die kleine Broschiire Rudolf Steiners «Goethes
Faust als Bild seiner esoterischen Weltanschauung*, Berlin 1902; 1918 um zwei
weitere Aufsatze erweitert unter dem Titel «Goethes Geistesart in ihrer Offenba-
rung durch seinen Faust und durch das Marchen <Von der Schlange und der
Lilie>»; jetzt GA 22.
28 An Marie von Si vers in Berlin
Palmsonntag, 16. April 1905
Mannheim, 16. April 1905
Mem Liebling. Von hier aus sende ich Dir die herzlichsten Griifte.
Meine Gedanken weilen bei Dir, und am Donnerstag hoffe ich
meinen guten Liebling recht wohl anzutreffen. In Miinchen schien
es mir wieder ganz gut zu sein. Die Vortrage, die von etwas Christ-
lichem handeln, wie der iiber den Apostel Paulus, finden allerdings
noch weniger Ohren. Es gibt da zweierlei Schwierigkeiten. Einmal
hat es der bisherige Gang der theosophischen Bewegung mit sich
gebracht, dass die Leute Theosophie fiir etwas wesentlich Indisches
halten. Sie glauben daher auch wohl, dass der Theosoph nichts iiber
das Christentum zu sagen habe. Und dann tritt ja wirklich das
offizielle Christentum heute in einer Form auf, dass es schwer wird,
an die von mir vorgetragene wahre Gestalt zu glauben. Es wird
noch manches notwendig sein, um hier Klarheit zu schaffen. Der
Katholizismus findet nicht mehr die Worte, um den «Christus» zu
kiinden, weil er sich den modernen Denkformen entfremdet hat
und dadurch eigentlich nur mehr von denen verstanden werden
kann, die durch Unbildung nicht von diesen Denkformen beriihrt
sind. Der Protestantismus ist auf dem Wege, durch den Rationalis-
mus und Tatsachen-Historismus seiner Theologen, den «Christus»
iiberhaupt zu verlieren und nur mehr den «Jesus von Nazareth»
festzuhalten, den er als den «schlichten Mann» dem modernen
Demokratismus nahe zu bringen sucht.
Deshalb waren auch in Karlsruhe beim offentlichen Vortrage die
Nichttheosophen iiber das Christentum, von dem sie horten, etwas
verbliifft, die Theosophen zwar sympathisch beriihrt, aber doch
auch etwas verwundert. Man konnte ihnen ablesen: «dass im Chri-
stentum solche Theosophie ist, haben wir bisher gar nicht geahnt».
Ubrigens war in diesem Vortrage Prof. Drews, der Professor der
Philosophic an der Technischen Hochschule in Karlsruhe. Ich ken-
ne ihn von friiher, hatte ihn aber seit wohl 8 Jahren nicht mehr
gesehen. Gestern besuchte ich ihn dann. Mir schien, dass dies ganz
gut sein konnte. Denn er ist wohl einer der einsichtvollsten deut-
schen Philosophieprofessoren. Doch kann er iiber den springenden
Punkt nicht hinweg. Ihn trennt von der Theosophie, was auch
Eduard von Hartmann von ihr abscheidet. Beide konnen nicht an
die Moglichkeit eines Erlebens des Ubersinnlichen glauben. So
kommen sie nur dazu, dieses Ubersinnliche zu erschlieflen. Dabei
kann naturlich nichts herauskommen als ein Abstraktum, ein caput
mortuum des spekulierenden Verstandes. Wir haben in einem an-
derhalbstiindigen Gesprach im Grunde uns nur iiber das geeinigt,
was uns trennt. Eine Personlichkeit wie Drews muss eben in seinen
gewohnten Denkformen wie in Suggestionen stecken. Das wird
noch lange dauern, ehe ein deutsches Philosophengehirn den ein-
fachen Grundkern der Vedantaphilosophie erfasst. Und vorher ist
doch auf diesem Gebiete gar nichts zu machen. Wenn die Leute
nur einmal Goethe, oder doch nur Schiller verstehen konnten.
Wenn Du wirklich findest, dass die Schillervortrage zu drucken
gehen, so lasse sie immerhin drucken. Nur miisste naturlich auf
dem Titelblatt stehen, dass es Vortrage sind. Und dann will ich Dir
morgen ein paar Zeilen als Vorrede dazu senden, die Du verwenden
magst. Am 4. Mai hoffe ich doch noch etwas hoher iiber Schiller
gehen zu konnen, da wir ja im Architektensaal ein schon etwas in
der Sache stehendes Publikum haben.
Die Grafin Kalckreuth wird Dir meine Biicher senden, die ich
beim letzten Teil meiner Reise nicht mehr brauche. Heb sie mir auf.
Dann bitte, sende an Baronin Gumppenberg ein paar Worte mit
dem genauen Titel jenes englischen Physikbuches, das Du einst-
mals von Mrs. Burke als Gruppenbuch zugewiesen erhieltest. Es
soli dazu bestimmt sein, die Fraulein v. Gumppenberg von den
Hohen der drei Logoi und des Jiva, wo sie fast ausschlielSlich weilt,
auf die Erde herabzuholen. Den 1. Mai-Vortrag habe ich abgesagt;
das muss auch mit alien andern geschehen. Denn wenn ich am
1. Mai zu Hause bin, so halte ich auch an diesem Tage zu Hause
Vortrag. Ich mochte am Karfreitag iiber «Ostern und die Theo-
sophie» und am 1. Mai iiber den «verlorenen und wieder aufzurich-
tenden Tempel» sprechen. Wenn es aussichtsvoll ware, hatte ich
auch nichts gegen einen zweiten Kasseler Vortrag.
In Miinchen mochten sie mich anfangs Mai wieder haben. Sie
werden Dir diesbezuglich schreiben. Ich mochte gerne nochmal
hin, umsomehr, als ich auch dann in Freiburg im Breisgau sprechen
soil. Es wird Dir deswegen ein Herr Manz schreiben. Lege dann
Miinchen und Freiburg so, wie es Dir richtig erscheint. Freiburg
kann auch wichtig sein.
Nun noch etwas anderes. Ich weift nicht, ob Du Dich an Frau
Vacano in Miinchen erinnerst. Sie braucht eine kleine Hilfe von
uns. Und wir miissen tun, was wir konnen. Es handelt sich um
folgendes. Sie ist einst von ihrem Manne geschieden worden. Jetzt
will sie in Deutschland Medizin studieren. Dazu muss sie vorher
das Abiturientenexamen machen. Man gestattet ihr aber nicht als
russische «Untertanin», das zu tun. Sie hat also beschlossen, sich in
Deutschland zu verheiraten, um deutsche «Untertanin» (so sagt sie)
zu werden. Nun aber braucht merkwiirdigerweise eine russische
«Untertanin» die Zustimmung ihres geschiedenen Mannes, wenn
sie vom russischen General-Consistorium die «Erlaubnis» zur
Heirat haben soli. Bei der Art, wie sie sich von ihrem Manne ge-
trennt hat, glaubt sie nicht recht, dass dieser ihr diese Erlaubnis
gibt. Kurz, was zu tun ist, ist dieses: es muss beim Petersburger
General-Consistorium angefragt werden, ob es denn gar nicht an-
ders gehe, ihr den Consens zur Wiederverheiratung zu geben. Ich
denke mir die Sache nun so: Frl. Kamensky konnte einmal zum
General-Consistorium hingehen. Dort sollte sie sich nach einer
moglichst mafigebenden und gut informierten Personlichkeit er-
kundigen. Diese sollte sie fragen, ob denn durchaus die Erlaubnis-
Bescheinigung des Herrn Vacano notwendig ist, oder ob es nicht
auch geniige, wenn dem Generalconsistorium durch Briefe aus der
Zeit der Scheidung klar bewiesen wiirde, dass der Mann Vacano
der bei der Scheidung schuldige Teil war. Ich denke, dies konnte
Frl. Kamensky sehr gut machen. - Frau Vacano wird Dir wohl
dariiber in diesen Tagen schreiben. Kennst Du Dich aber nicht
ganz gut aus dem aus, was ich geschrieben habe, so warte ruhig, bis
ich zu Hause sein werde, ehe Du an Frl. Kamensky etwas schreibst.
Beziiglich des Besuches von Frau Pissarew folge, mein Liebling,
Deinem Gefuhl. Was Du tust in solchem Falle, ist mir recht und
lieb. Bedenke nur das eine: ob es nicht doch zu Deiner Ruhe und
Sammlung, die Du auch brauchst, gut ware, wenn Frau Pissarew
kommen konnte, wann sie will; aber dabei selbstandig in einer
Pension wohnte. Auch sie konnte dann vielleicht mehr von uns
haben, als wenn sie ganz im Hause ist. Doch noch einmal: tue, was
Du nach Deinem Gefuhl tun mochtest. Ich bin so und so damit
einverstanden.
Ich mdchte nun hier bis morgen vormittag etwas arbeiten, um
dann mit einem geeigneten Zug mittags nach dem ganz nahen
Heidelberg hiniiberzufahren.
Allerherzlichst Dein Rudolf.
Am 4. Mai hoffe ich doch noch etwas hdher iiber Schiller gehen zu konnen:
Vortrag «Schiller und die Gegenwart» zu seinem 100. Todestag (in GA 53).
Baronin Gumppenherg: Freiin Emmy v. Gumppenberg (1857-1934), Mitglied in
Miinchen I seit Mai 1904, fungierte aber auch als Vorsitzende der beiden Zweige
Miinchen II und III, wirkte bei den Mysterienspielen mit. 1913 Verfasserin der
Schrift «Offener Brief an Dr. Hubbe-Schleiden in Antwort auf seine <Botschaft
des Friedens>».
Frl. v. Gumppenberg: Freiin Marika v. Gumppenberg (1884-1968), Mitglied seit
April 1907, Nichte der vorigen.
Mrs. Burke: Vermutlich Leiterin einer Gruppe der Esoteric School of Theosophy.
Marie v. Sivers wurde im April 1902, als sie in Bologna war, in diese Schule
aufgenommen.
1. Mai-Vortrag ahgesagt ... muss auch mit alien andern geschehen: Der urspriing-
liche Vortragsplan ist nicht bekannt. Der Vortrag am Karfreitag den 21. April
1905 in Berlin iiber «Ostern und die Theosophie» wurde gehalten. Das fur den 1.
Mai in Berlin beabsichtigte Thema «Uber den verlorenen und wieder aufzurich-
tenden Tempel» wurde am 15. Mai behandelt. Die dariiber vorliegenden Notizen
findet man in GA 93.
Herr Manz: Alfred Manz, Mitglied bei der Grundung des Zweiges Freiburg i.Br.
Oktober 1905, ging spater nach Argentinien.
Frau Vacano: Hariet v. Vacano (1862-1949), aus Russland, seit Mai 1904 Mitglied
in Miinchen, fiihrte dort die vegetarische Pension «Fruchtkorb», Mitwirkende bei
den Mysterienspielen 1907-13, iibersetzte auf Anregung Rudolf Steiners Werke
des russischen Philosophen Wladimir Solofjeff ins Deutsche (Autorenname Harry
Kohler), lebte spater in Dornach.
Frl. Kamensky: Anna Kamensky (1867-1952), 1908 erste Generalsekretarin der
russischen Sektion der T.S.
Frau Pissarew: Helene Pissarew, eine russische Bekannte oder Freundin von
Marie v. Sivers aus Kaluga. Von 1905 an Mitglied des Berliner Zweiges, ab 1908
Leiterin des Rudolf Steiner-Zweiges in Kaluga. Sie hatte Rudolf Steiner zu
Vortragen auf ihr Gut bei Kaluga eingeladen. Die Versammlung fand dann aber
im Mai 1906 in Paris statt. Vgl. Marie Steiner in «Die Anfange der geisteswissen-
schaftlichen Vortragstatigkeit», im «Nachrichtenblatt» Nr. 35, 30. August 1925.
29 An Marie von Sivers in Berlin
Montag, 17. April 1905
Mannheim, 17. April 1905
Mein Liebling!
Ein Stundchen habe ich noch hier. Ich mochte Dir noch allerherz-
lichste Griifie senden. Ich weifi nicht, ob mir Kleeberg in Kassel
schon ein Hotel bestimmt hat, sonst mochte ich dort wohnen im
«Monopol Hotel». Ich habe noch immer gefunden, dass diejenigen
Hotels die besten sind, die man sich selbst aussucht.
Hier habe ich u. a. den Artikel «Wie erlangt man Erkenntnisse der
hoheren Welten?» fur Nr. 22 des «Lucifer» geschrieben. Er enthalt
Wichtiges iiber die Evolution des Atherkorpers. Damit geht es aller-
dings ganz tief in die Esoterik hinein, und manches wird doch etwas
frappierend sein fur diejenigen, die blofS bei der Aufzahlung der
verschiedenen «K6rper» stehen geblieben sind. Aber diese Dinge
miissen jetzt erscheinen. Im Hotel war es wohl ruhig; aber die «Ho-
telgeister» bilden doch noch eine andere Atmosphare als die Wohn-
zimmer derer, welche sich schon ein wenig mit theosophischen Ge-
danken erfiillt haben. AuEer dass ich gearbeitet habe, habe ich noch
einen kleinen Gang zum Schillerdenkmal vor dem Mannheimer
Theater gemacht. Du weifit, dass von Mannheim aus Schillers Name
zuerst der Welt geklungen hat. Dafiir steht vor dem Theater ein Mann
in der unglaublichsten Pose, karikierteste Energie, unmogliche
Plastik (z. B. ein Mantel mit einem Gewicht, dass 3 deutsche Korpo-
rale daran zu tragen hatten, Stirne eines schlechten Charakterdarstel-
lers etc. etc. etc.) zwischen dem siifilichen Iffland und dem biederen
Dalberg. Das alles ist eben Gegenwartskultur. Man fragt: haben
denn unsere Plastiker ein jegliches Formgefiihl verloren. Sieht man
denn nur noch Masken und gar keine Seelen?
Jetzt aber muss ich packen: nach Deiner Meinung, mein Lieb-
ling, hetfk das ja, ein wenig Unordnung machen in den Koffern.
Allerherzlichstes von Deinem Rudolf
In Berlin tragt jetzt Haeckel vor; und die Leute tun so, als ob
vorgestern der Darwinismus in die Welt gekommen ware. Wenn
unsere Zeitungen fortfahren, in dieser Art die «Kultur» -Arbeit
fortzusetzen, dann kommen wir allmahlich ins schonste Geistes-
Chaos hinein. Man soil an dieser Kulturarbeit vorbeigehen und nur
seine Arbeit tun.
Artikel «Wie erlangt man Erkenntnisse der hdheren Welten?» fur Nr. 22: Es
handelt sich um das in Nr. 20 begonnene Kapitel «Uber einige Wirkungen der
Einweihung», jetzt in GA 10.
Iffland: August W. Iffland (1759-1814), Schauspieler und Biihnenautor, von
1779-96 am Mannheimer Theater.
Dalberg: Wolfgang Heribert v. Dalberg (1750-1806), von 1778-1803 Intendant
des Mannheimer Theaters.
30 An Rudolf Steiner in Dusseldorf
Mittwoch, 26. (oder 27.) April 1905, aus Berlin
Ich weifi nun nicht, ob die Schiller-Biichlein zeitig in Dusseldorf
eintreffen. Ich habe erst Mittwoch friih die Revision erhalten und
sie dann per Eilbote zuruckgeschickt. Ich habe auch wieder mora-
lischen Magenschmerz bekommen, als ich mein «Vorwort» las.
Vielleicht bist Du ganz bose. Ich habe Dr. Peipers Adresse an
Hayn's Erben angegeben. Bitte, wenn sie da sind, sag Du dem Dr.
Peipers, dass der Preis 1 Mark fur das Buch ist. Nicht wahr, das ist
doch der richtige Preis? Kiem dachte 50 Pf. wie Faust, aber Faust
hat 32 Seiten, dieses 72 und das Format ist etwas grower. Also ich
denke wir nehmen 1 Mark.
Herzlichen Grufi Marie
Schiller-Biichlein ... wie Faust: Siehe Hinweis zu Nr. 27.
31 An Marie von Sivers in Berlin
Freitag, 28. April 1905
Rath bei Dusseldorf, 28. April 1905
Mein Liebling! Hier bin ich bei Dr. Peipers angelangt und sende
Dir herzlichste Griifie. Dies Haus liegt zwischen Baumen, und
draufien scheinen matte Sonnenstrahlen auf erste Fruhlingsbluten
und Baumknospen, die sich zum Lichte drangen. Solch Leben lege
ich in die schonsten Griifte und nehme an, dass Dir, mein Liebling,
diese Grufiknospen entfaltet sein werden, wenn sie Deinem lieben
Blick begegnen.
Die paar Leute, die in Coin sind, nehmen wirklich innigen Anteil
an unserer Weltanschauung. Und auch bei den offentlichen Vortra-
gen ging es nicht schlecht, trotzdem es hatte besser besucht sein
konnen. Gestern dauerte die Fragebeantwortung sogar bis 11 Uhr.
Am ersten Tage liefi ich unsere Leute nach dem Vortrage eine In-
terpellation bringen iiber die auf Mrs. Besant beziigliche Notiz. Ich
hoffe, dass diese Besprechung im Anschlusse an die Vortrage die
beste Reaktion sein werde. Ich habe dann den Leuten offentlich
den Sachverhalt auseinandergesetzt.
Von dem Schillerbiichlein ist mir hier noch nichts gezeigt
worden. Mache Dir, mein Liebling, doch keine Sorge dariiber, dass
mir etwas nicht recht sein konnte. Was Du tust, entspringt schon
immer den rechten Impulsen.
Peipers ist wenig entwickelt. Die medizinischen Studien haben
den Armen eher in Verwirrung als zur Klarheit gebracht. Er will
ja das beste. Aber er hat noch kein inneres Zentrum gefunden.
Das ist das schlimme bei den jetzigen offiziellen Studien, dass sie
in den Menschen Gedankenformen schaffen, die einer hoheren
Erfassung der Dinge - selbst beim besten Willen - geradezu
Widerstand leisten, Es ist unbedingt notwendig, dass gerade
solche Studien wie die medizinischen von theosophischem Geiste
durchtrankt werden. Denn darauf kommt es an, dass mit der
Wissenschaft sich die theosophische Auffassung verbinde. Die
naturarztliche laienhafte Pfuscherei kann und darf nicht von uns
in Schutz genommen werden. Das ware eine Gefahr. - Man
muss hier eben durchaus tiefer sehen. Das Ganze hangt mit
unserem Rassenzyklus zusammen. Jede der Unterrassen unserer
fiinften Wurzelrasse hatte bisher einen semitischen Einschlag.
Der letzte kam, wie Du weifk, liber Spanien nach Mitteleuropa.
Aber solche Einschlage erschopfen sich, und, wenn ein Zyklus
abgelaufen ist, so muss ein neuer Einschlag kommen. Wir haben
in unserer Kultur eigentlich den neuen Einschlag schon darin-
nen; aber er hat noch nicht seine voile Entfaltung erlangt. Das
Ganze ist als das Ineinandergreifen zweier geistiger Wirbel zu
verstehen, die ihr Ubereinanderlaufen in Christus haben. Ich
schalte Dir, mein Liebling, eine symbolische Zeichnung ein, die
Du studierend entziffern magst.
Wo das Zeichen cT stent, da sind wir jetzt. Wir sind noch nicht
ganz christlich, und die Einschlage semitischer Art von friiher sind
noch da, aber sie sind eben das Zersetzungsferment. Nicht zufallig
ist es, dass die Manner, welche durch ihr scharfes, klares, aber ganz
materialistisches Denken den starksten Einfluss in der letzten Zeit
auf die europaischen Massen gehabt haben, Marx und Lassalle, Ju-
den waren. Und nicht zufallig ist es, dass Geister, welche synthe-
tisch, aufbauend, nicht verstandesmafiig zersetzend wirken, wie Bis-
marck, Haeckel usw. kleine Denker sind, laienhaft und noch
stumpfsinnig in bezug auf alle hoheren Angelegenheiten der
Menschheit. Sie sind eben die Embryonen einer werdenden Kultur.
Haeckel tragt etwas an sich, was als Kulturnachgeburt ausgeschie-
den werden muss. Sein Positives ist embryonal und die Hiille ist von
der materialistischen Nahrmutter des 19. Jahrhunderts versorgt. Ich
sehe eben in dem Positiven bei Haeckel doch etwas, was sich entfal-
ten kann. Es gibt eben in unserer Zeit zweierlei Gedankenformen,
eine aufkommende, noch embryonale: Haeckel in der Zoologie;
Schiller- Goethe muss diese Form befruchten - dann Fechner in der
Psychologie; die Theosophie muss diese Form befruchten - Bis-
marck in der Kulturpolitik, Tolstoi muss diese Form befruchten.
Alles andere ist absterbend, zersetzend: das rein analysierende
Denken in der Zoologie, Botanik und Medizin; Wundt und seine
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Anhanger in der Psychologie; die Sozialdemokratie und der Libe-
ralismus in der Politik.
Alle unsere Theologie, Jurisprudenz, Padagogik sind von Zer-
setzungsstoffen angefullt. Die Zersetzung ist ja schon zum Kinder-
gift padagogisch in den Kindergarten geworden. Und die Zerset-
zung zeigt sich am besten daran, dass diese Kindergarten auf der
andern Seite wieder eine Notwendigkeit unseres totenden Grofi-
stadtlebens geworden sind. Wie ein entsetzliches Geschwiir den
Ausbruch einer Krankheit bedeuten kann. Und doch gibt es nicht
Schlimmeres, als wenn sich unsere padagogische Methodik des noch
nicht schulpflichtigen Kindergemiites bemachtigt. Verstandesdres-
sur tritt da ganz unvermerkt an etwas heran, was nur im Anschau-
en groE werden sollte. Und das furchtbarste ist, dass unsere
«Padagogen» gerade der Ansicht sind, dass die Verstandesdressur
Anschauen sei. Anschauungsunterricht wird eben das grasslichste
Verstandespraparat genannt.
Ich muss ein Ende machen.
In herzlichstem Deiner-Gedenken Rudolf.
Lassalle: Ferdinand Lassalle (1825-1864). Begriinder der Sozialdemokratie in
Deutschland.
Fechner: Gustav Theodor Fechner (1801-1887). Deutscher Naturforscher und
Philosoph. Begriinder der Psychophysik, einer mit Messungen arbeitenden
Sinnespsychologie.
Wundt: Wilhelm Wundt (1832-1920). Philosoph. Nach dem Muster eines von ihm
in Leipzig gegriindeten Instituts fur experimentelle Psychologie wurden viele
ahnliche Institute eingerichtet.
32 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 29. April 1905
Rath, 29. April 1905
Mein Liebling, ich mochte morgen 8 Uhr abends von hier abfah-
ren. Dadurch komme ich 2.30 nachts in Kassel an. Da wird es sich
doch besser machen, im Hotel abzusteigen. Also werde ich wieder
im Kasselerbof sein. Hier wird es namlich mit morgen abends ge-
nug sein vorlaufig. Und vielleicht ist es doch gut, wenn ich schon
Montag am Tage in Kassel bin. Nach Deinen guten Absichten mit
der eventuellen neuen Logenbildung werde ich verfahren. Wollen
sehen.
Allerherzlichste Griifte Rudolf
eventuelle neue Logenbildung in Kassel: Dort bestand schon bei Griindung der
deutschen Sektion (Oktober 1902) eine Loge, die aber wieder einschlief und erst
am 14. Januar 1907 neu gegriindet und von Rudolf Steiner eingeweiht wurde.
33 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 7. Mai 1905
Auf der Fahrt Freiburg - Karlsruhe
Mein Liebling! Morgen wirst Du den Lotustag zu halten haben.
Was Du auch alles in den letzten Zeiten gegen Dich selbst vorge-
bracht hast: ich weifi, dass gut ist, was Du machst. Du wirst aus
Deinem schonen Innern heraus auch diesmal das richtige finden.
Beifolgende Gedanken habe ich eben im Eisenbahnwagen aufge-
schrieben. Vielleicht kannst Du sie vorlesen. Ich mochte sie als eine
Art Brief an die Besant-Loge aufgefasst wissen. Und Du wirst von
Dir aus auch einige Worte im Anschlusse iiber Annie Besant, die
grosse Schiilerin H. P. B's finden.
Gestern in Freiburg ging alles sehr gut. Aber es wollte gar nicht
enden mit Fragen. Die Stuttgarter haben es nun doch nicht richtig
gefunden, mich heute abend zu haben und deshalb abgesagt. Ich
bin also 11.41 von Freiburg abgefahren und komme abends 10 Uhr
nach Miinchen. Ich habe heute von 9 Uhr ab Besprechung mit den
Freiburger Leuten gehabt. Wie sie sich zum Anschluss stellen,
dariiber sprechen wir Donnerstag.
Jetzt noch allerherzlichste Griifie Dein Rudolf
Der Zug wackelt so, dass es ganz unmoglich wird weiterzuschrei-
ben, und das Coupe ist von den allerschwatzendsten Leuten voll.
Nach London zum Lotustag sende ich morgen ein Begriifkings-
telegramm.
Lotustag: Bezeichnung fiir den Todestag von H. P. Blavatsky (8. Mai 1891).
Anschluss: Der Freiburger Zweig der T.G. konstituierte sich im Oktober 1905,
Vorsitzender Ferdinand Bauer, Schriftfuhrer Anna Weiftbrod. Der eigentliche
Initiator war Alfred Manz.
33a Beilage zu Nr. 33
In dem Namen H. P. Blavatsky vereinigen sich am heutigen Tage
die Gedanken aller Theosophen des Erdenrundes. Nur wenige aber
wissen schon heute, was der geistige Fortschritt der Begriinderin
unserer Bewegung zu danken hat. Und auch diese wenigen wissen
es noch recht unvollstandig. Denn die tiefen Weisheiten, die in der
«Geheimlehre» liegen, enthiillen sich dem Menschen erst langsam
und allmahlich. Immer, wenn man selbst wieder ein wenig fort-
geschritten ist auf dem Pfade, der sich in schwindelnden Hohen fiir
jeden menschlichen Blick verliert, entdeckt man in diesem Buche
neue Geheimnisse, fiir die man vorher noch nicht das rechte Ver-
standnis haben konnte. Und so gehort H.P.B. zu den Individuali-
taten, fiir welche der Grad der Verehrung mit der eigenen Ent-
wickelung ein immer hoherer wird. Man muss Erfahrungen haben
in solcher Steigerung der Schatzung fiir sie, wenn man gegemiber
H.P.B. den rechten Gesichtspunkt gewinnen will. Man muss
lernen, sie in rechter Art zu verehren.
Anfangs, da fragt man wohl noch nach Aufierlichkeiten ihres
Lebens, um ein Verhaltnis zu ihr zu gewinnen. Es gibt aber einen
Standpunkt, wo alles Aufiere schwindet gegemiber der Empfin-
dung von der unermesslich bedeutungsvollen spirituellen Sendung
H.P.B. 's, und ihrer groften Aufgabe innerhalb der gegenwartigen
Geistesbewegung. Wer dann wirklich etwas wahrnimmt von dieser
spirituellen Sendung, dem erfliefit aus ihr, aus der Erkenntnis, die
Art, wie er sich zu unserer grofien Bahnbrecherin zu stellen hat. Er
lernt dann auch einsehen, dass ein Mensch, der eine solche Sendung
hat, notwendig zunachst Verkennung, sogar Verleumdung auf sich
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nehmen muss. Derartiges gehort zu den Opfern, die er dem Leben
zu bringen hat. -
Das Wirken von H.P.B. fiel in eine Zeit, in welcher die materia-
listische Denkart und Gesinnung in einer ungeheuren Ausdehnung
begriffen war. Wissenschaft, Leben, alles schien dem Materialismus
die Bausteine zu liefern zu einem riesenhaften Gebaude. Kompli-
ziert musste die Personlichkeit sein, die in einer solchen Zeit der
Menschheit wieder ein Bewusstsein brachte von der Wahrheit einer
spirituellen Welt. Man hat zu bedenken, dass es nicht allein von der
Wahrheit abhangt, wie sie den Menschen iiberliefert werden soil,
sondern von den Menschen selbst. Unendlich schwierig war es,
einer materialistischen Denkart und Gesinnung die Wahrheit in
einer solchen Form zu bringen, dass sie verstanden werden konnte.
Wie H.P.B. aufzutreten hatte, wurde ihr durch das Mafi des Ver-
standnisses vorgeschrieben, das ihr die Zeit entgegenbringen konn-
te. Wenn ein Hammer auf einen Gegenstand schlagt, so hangt es
nicht allein von dem Hammer ab, was geschieht. Glas zerspringt
und Blei wird zu einer diinnen Platte geschlagen. Wenn der groEe
Geist GrofSes gibt, so muss er seine Gaben doch in die Gefa£e
giefien, die ihm von den Empfangenden entgegengehalten werden.
— H.P.B. gegeniiber wird man allmahlich nur unterscheiden lernen
zwischen der auEeren Form und dem inneren Wert ihrer grofSen
Gaben. - Gerade der Geist der Zeit, in welcher sie ihre Sendung zu
erfullen hatte, machte diese zu einer so unendlich schwierigen. Dass
sie diese Sendung doch ubernommen hat, bezeugt fur den Einsich-
tigen die Grofie der Personlichkeit; bezeugt aber auch, wie grofi die
Bereitwilligkeit dieser Personlichkeit war, die Opfer zu bringen,
welche mit der Mission verbunden waren.
Vieles ist namentlich von gelehrter, oder gelehrt sein wollender
Seite gegen die Echtheit usw. der Leistungen H.P.B. 's eingewendet
worden. Man hat bezweifelt, dass sie ihre Kundgebungen wirklich
von der Seite habe, die sie bezeichnet hat. Kommt es denn aber dar-
auf an? Kommt es nicht zunachst darauf an, das Werk zu verstehen,
und seinen inneren Wert zu erkennen? Wie viele miissten sich, bei
gehoriger Vertiefung, sagen, dass sie an dem Quell von H.P.B. 's
Schriften, Dinge lernen konnen, die ihnen von irgendwo anders nicht
geoffenbart werden konnten. Jedenfalls ist sie also die Vermittlerin.
1st es nun klug, Wahrheiten aus der Hand eines Menschen zu emp-
fangen, die von den hochsten Dingen handeln, und dann noch iiber
die Glaubwiirdigkeit desselben Menschen in viel geringeren Dingen
zu norgeln? Durch nichts konnte H.P.B. mehr zum Wunder gemacht
werden, als wenn die gelehrten Einwendungen gegen sie irgend-
welchen Grund hatten. Man vergegenwartige sich nun einmal die
Schlussfolgerung, die man ziehen miisste, unter solchen Vorausset-
zungen. Angenommen, es zweifelt jemand daran, dass die Dzyan-
Strophen «echt» seien. Man hat das getan und viele tun es noch. Also
jene uralte Quelle existierte gar nicht, welche H.P.B. angibt. Nun
gut; man stelle sich einmal probeweise auf einen solchen Standpunkt.
Uber die Echtheit mag man streiten; iiber die Wahrheit zu streiten,
ist ein Unding. Denn von der Wahrheit kann sich jeder selbst iiber-
zeugen, wenn er dazu die rechten Wege einschlagt. Wer es tut, der
erkennt in diesen Strophen die tiefsten Wahrheiten immer mehr und
mehr. Ja, die Sache liegt so, dass man eigentlich bei jedem Vorriicken
in der eigenen Erkenntnis, von der abgrundartigen Tiefe dessen mehr
iiberzeugt wird und einem immer klarer vor Augen tritt, was man
selbst bei vorgenicktem Verstandnis noch dem Ahnen iiberlassen
muss. - Was bedeutet demgegenuber, der dies wirklich weifi, noch
die Anklage: H.P.B. habe die Dzyan-Strophen erfunden? Das aller-
dings sonderbarste hatte geschehen mussen: diese Frau findet die tief-
sten Wahrheiten und erfindet dazu ein torichtes Marchen iiber die
Herkunft. Nun die Schlussfolgerung ist so unmoglich, dass sie nur
Zeugnis sein kann fur die Unlogik der Gegner H.P.B. 's, dass sie aber
von dem wirklich Verstehenden unbedingt nicht Ernst genommen
werden kann.
Zusammenbrechen mussen nach und nach alle Kartengebaude
der Anklager dieser Personlichkeit, wenn man einmal in einem nur
einigermaEen hoheren Grade sich ein Verstandnis erworben hat
von ihrer spirituellen Kraft, von der Art ihrer Sendung. Und her-
ausheben wird sich allmahlich auch aus den Trummern von Ankla-
gen, Verkennungen usw. das Bild der Frau, welche ihre Fahigkeiten
in einem bedeutungsvollen Wendepunkte gestellt hat in den Dienst
einer Bewegung, deren Wert eben nur diejenigen nicht anerkennen
werden, die dafiir noch nicht das Verstandnis sich erworben haben.
Wir Theosophen aber werden den Lotustag, als den Erinne-
rungstag des Augenblickes, in dem H.P.B. den physischen Plan
verlassen hat, immer als einen Festtag begehen, als einen Tag auch
der Liebe und des Dankes gegeniiber der Stifterin unserer Bewe-
gung. Den Verstehenden unter uns ist H.P.B. keine Autoritat in
dem landlaufigen Sinne, denn solche Autoritat braucht sie nicht.
Fur die rechte, wahre Autoritat aber, die ihr zukommt, wird die
Erkenntnis ihres Werkes sorgen. Ein Autoritatsgefuhl braucht nur
da verlangt zu werden, wo es nicht freiwillig entgegengebracht
wird. Wir schatzen, lieben H.P.B., weil wir unwahr gegeniiber der
von uns erkannten Wahrheit sein wiirden, wenn wir uns anders
verhielten. Und wir ahnen, dass diese unsere Schatzung selbst eine
sich entfaltende Lotusblume sein wird. Denn um so groEer, ver-
breiteter werden die Blatter der Blume sein, je mehr wir selbst in
der Erkenntnis aufsteigen. Aber zu diesem Aufsteigen ist H.P.B. 's
Werk wieder die Leiter, die uns halt. Deswegen muss Dankbarkeit
das Echo sein, das aus unseren Herzen stromt, wenn uns der Lo-
tustag ein lebendiges Sinnbild ist unserer wachsenden Erkenntnis.
Geheimlehre ... Dzyan-Strophen: Die Wiedergabe und Kommentierung von
Strophen «Aus dem Buche des Dzyan» bilden den Inhalt der beiden Bande von
Blavatskys Hauptwerk «Die Geheimlehre».
33b Marie von Sivers an Edouard Schure
Samstag, 7. Oktober 1905
Ubersetzung aus dem Franzosischen
Berlin, 7 octobre 05
Cher Monsieur,
Mit Freude erhielt ich Ihren langen Brief, umsomehr als ich oft an
Sie gedacht und ungern der Versuchung widerstanden habe, Sie in
Ihrer Einsamkeit in Barr aufzusuchen, sei es auch nur fur einige
Stunden. Ich war namlich ganz in Ihrer Nahe. Zwar war ich wah-
rend der ganzen Reise sehr knapp mit der Zeit, aber das hatte mich
nicht gehindert; es war vielmehr das Gefuhl, dass Sie keine Storung
wiinschten, der Wille, Ihre Einsamkeit zu respektieren, und die
Idee, dass Sie in Barr in einem Zauberschloss leben, in welches man
nicht eindringen sollte.
Ich habe vom 6. bis 26. September eine theosophische Rundreise
mit Herrn Steiner gemacht, auf der wir einige Stadte in der Schweiz
und in Siiddeutschland besucht haben. Wir waren jeweils zwei Tage
an einem Ort. Es gab einen offentlichen Vortrag am ersten Abend
und das, was man Aussprache nennt, am zweiten. Die Tage in den
verschiedenen Orten waren ausgefullt von Gesprachen mit Theo-
sophie-Interessierten und ihren mannigfachen Bediirfnissen. Ich
glaube nicht, dass man in kiirzerer Zeit eine so grofie Fulle an
Erfahrungen verschiedenster Art machen kann, als wahrend dieser
Reisen mit Herrn Steiner und Frau Besant. Es ist namlich, als wenn
alle Schleier von den menschlichen Seelen fallen wiirden. Sie geben
sich, wie sie sind, und manchmal ist es wie der Ausbruch eines
Vulkans. Nie hatte ich geglaubt, dass Menschen so kompliziert, so
armselig und so unwissend in bezug auf sich selbst sein konnten; so
sehr das Opfer ihrer eigenen Gefiihle und das Spielzeug ihrer Illu-
sionen. Ich hatte auch nie geglaubt, dass eine ziemlich starke Dosis
Intelligenz, wie sie ja fiir unsere Zeit charakteristisch ist, infolge der
Eigenliebe zusammengehen konne mit einem volligen Mangel an
wirklichem Verstandnis, <Einsicht>. Diese Einsicht findet sich eher
noch bei den einfacheren Gemiitern, denen die Eitelkeit nicht die
Augen schliefit, wohingegen die Gescheitheit erstaunlich borniert
sein kann und leicht zum Opfer ihrer eigenen Spriinge wird. Die
Seelen sind wirklich wie Landschaften, und durch diese Landschaf-
ten muss ich jetzt reisen. So gingen wir von St. Gallen nach Zurich,
Basel, Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt, Kas-
sel, Weimar. Die verschiedenen Interieurs taten sich vor uns auf -
es gibt ja keine Schranken zwischen den verschiedenen sozialen
Klassen in der Theosophie -, und die Seelen in der Vielgestaltigkeit
ihrer Umgebungen aufzusuchen, ist aufierst lehrreich. Fiir die einen
sind Arbeit und Armut Hemmschuh und bleierner Mantel, fur die
anderern bilden Vorurteile und der Dienst an irgendwelchen an-
gehauften Gegenstanden uniibersteigbare Mauern. Schon und trost-
lich aber ist, dass jeder, der durch die Lehren der Theosophie an-
geriihrt wurde, die Kraft findet, sein Kreuz zu tragen und einen
Weg sich offnen sieht, der zur Freiheit fuhrt.
Das ist es auch, was einen iiber alle Enttauschungen hinweg
trostet, denen man in der Theosophischen Gesellschaft ausgesetzt
ist. Besonders ich, die ich mich der Organisation widmen muss,
einer Sache, die meinem Geschmack am allermeisten zuwider ist
und eine eigentliche Sisyphus-Arbeit darstellt, ich benotige diesen
Trost am allermeisten. Es gait, ein Haus zu bauen mit vielfach ganz
klaglichem Material, wobei man das alte, das seine Untauglichkeit
schon erwiesen hatte, mit neuem mischen musste. Das war nur
moglich dank der Weisheit, und der ubermenschlichen Kraft von
Herrn Steiner. In einigen Wochen werden wir wissen, ob diese
Arbeit, die nun schon drei Jahre durchgefiihrt wird, weitergeht oder
ob sie aufhoren muss, um den Strom einzuengen und ihm eine
Richtung mehr nach innen zu geben. Wenn das der Fall sein sollte,
so wiirde ich es nur um derjenigen willen bedauern, die dann aus-
geschlossen sein werden.
Seit meiner Riickkehr nach Berlin habe ich keinen Moment mehr
fur mich. Denn das Haus ist voll von unseren besten Mitgliedern,
die aus anderen Stadten gekommen sind, um wahrend ein bis zwei
Monaten taglich mit Herrn Steiner zu arbeiten. Jeden Tag haben
wir die schonsten Stunden. Nein, Herr Steiner braucht kein Medi-
um, er ist ein ganz grower Eingeweihter und liest ganz gewiss nicht
allein im Astralen. Sein inneres Schauen und seine kristallklare
Wissenschaft umfassen Welten, an welche der Gedanke nur mit
Schrecken von feme anriihrt, so hoch sind sie. Sein Wissen hat
keine Liicken und seine Kraft ist ebenso groft wie seine Giite. Es ist
vielleicht ein schlechter Dienst, den wir ihm leisten, wenn wir so
sprechen. Aber wir, die wir um ihn leben und das Wunder mit
Augen sehen, konnen nicht ganz und gar dariiber schweigen. Das
Unbegreiflichste ist vielleicht, dass jemand von einer so zerbrech-
lichen Menschlichkeit wie ich, von ihm gewahlt wurde, urn ihm in
Arbeit und Mufie Gefahrtin zu sein. Es gibt Leute, die das irritiert.
Man wird in ihm das Allzumenschliche suchen. Nun, er wird wohl
wissen, was er tut. Er hat einen Willen, welcher auch hier iiber das
Personliche hinausgeht.
Sie fragen mich, ob die Ubersetzung der «Kinder des Lucifer»
mich befriedigt hat. [...]
Im November wird Herr Steiner zwei Vortrage in Colmar hal-
ten; Herr Ostermann, ein Mitglied der franzosischen Sektion, will
sie einrichten. Er mochte auch einen Vortrag in Strafiburg, aber
man sagt, dass man dort sehr wenig geneigt ist, die neue Botschaft
entgegenzunehmen.
Moge das Licht, das Sie in Ihre Werke stromen lassen, Ihnen
auch das Herz warmen wahrend dieser regnerischen Herbsttage.
M. Sivers
Jeden Tag haben wir die schdnsten Stunden: Horernotizen von diesem Kursus
sind jetzt wiedergegeben in «Grundelemente der Esoterik», GA 93a.
34 Postkarte: Herrn Dr. Rudolf Steiner, Augustiner Hof, Zurich
Poststempel: Berlin W 11.11.05 11-12N | Zurich 13.XI.05
Berlin W, Motzstr. 17 11/XI
In Frankfurt ist nun doch offentlicher Vortrag um V2 9 Uhr!*
«Haeckel, die Weltratsel und die Theosophie». Ich habe auch nach
Basel dariiber geschrieben (an Herrn Schusters Adresse), da ich
nicht weifi, ob es fur Zurich schon zu spat ist. Bitte auch sich zu
merken, dass Herr Geering zu einem vegetarischen Mittagsmahl
eingeladen hat, und dass wenn die Ankunft spater erfolgt, er be-
nachrichtigt werden miisste.
Besten Grufi M.S.
* Es wird also keine Diskussion sein konnen!
Ich habe Herrn Nab gebeten zum Zuge von 11.15 (das ist wohl der
richtige?) einen Schlafwagen vorauszubestellen.
Vortrag «Haeckel, die Weltratsel und die Theosophie»: Von dem Frankfurter
Vortrag am 15. November gibt es keine Nachschrift. Rudolf Steiner hat jedoch
ofters uber dieses Thema gesprochen und die Nachschrift von seinem Berliner
Vortrag selbst durchgesehen und in der Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» abgedruckt.
Jetzt in «Luzifer-Gnosis 1903-1908», GA 34.
Herr Schuster: Hugo Schuster (1876-1925), als junger Kaufmann in St. Gallen
initiativ am Aufbau der anthroposophischen Arbeit beteiligt, z. B. an den Zweig-
griindungen in St. Gallen, Bern und Basel, Mitglied seit September 1905. Durch
die christologischen Darlegungen Rudolf Steiners dem Priesterberuf geneigt,
studierte er 1913 Theologie und wurde 1918 Pfarrer der altkatholischen Kirche.
Herr Geering: Rudolf Geering-Christ (1871-1958), Bottmingen bei Basel, Buch-
handler und Verleger, 1894 im Griindungsvorstand der D.T.G. in Berlin, 1906
Grundungsmitglied des Paracelsus-Zweiges Basel, ab 1921 dessen Vorsitzender.
Herr Nab: Franz Nab, Mitglied seit Juli 1905, Vorsitzender des im Januar 1906
gegriindeten Zweiges in Frankfurt.
35 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 12. November 1905, aus Miinchen
Mein Liebling! Das Beifolgende werfe ich nun gleich noch selbst
in den Postkasten, damit Du es morgen hast. Dann bitte ich die
Grafin Kalckreuth, dass sie Dir heute noch das Buch abgehen lasst,
Du wirst es dann auch morgen haben.
In Miinchen ist es, wie ich meine, gut gegangen.
Jetzt ist es morgens 6 Uhr vor der Abreise und ich sende Dir
alles HerzKche und Liebe in meinen Empfindungen noch von
Miinchen aus.
Den Rest der «Nachrichten» sende ich noch heute ab.
Sei mir herzlichst gegriilk und sei, wenn ich komme eine recht,
recht gesunde Maus Dein Rudolf
Miinchen, 12. November
Das Beifolgende ... Den Rest der «Nachrichten»: «Das Beifolgende» diirfte sich
auf den Teil der «Nachrichten» beziehen, dessen Rest am Abend folgen soli. -
«Nachrichten» sind die auf der Generalversammlung 1905 beschlossenen Scholl-
Mitteilungen, die bis 1914 erschienen. Die Manuskripte hierfur wurden, wie aus
den Briefen deutlich wird, von Rudolf Steiner durchgesehen und korrigiert.
36 An Marie von Sivers in Berlin
Dienstag, 14. November 1905
Basel, 15. (!) November 1905
Mein Liebling!
So bin ich also in Basel angelangt. In St. Gallen ist es, denk ich,
trotz der bedenklichen Wahl des Themas gegangen. Nur hatten die
Leute diesmal den Saal «Volkskiiche» genommen, wo letzthin die
Besprechung im engern Kreise war. Dahin kommt aber ein ganz
anderes Publikum. Man sollte aber doch darauf sehen, das einmal
herangezogene Publikum zu erhalten. Rietmann ist nun einmal ein
Zauderer. Bei Oberholzer konnte ich nicht wohnen, weil sie schon
anderen Besuch hatten. So lud mich Rietmann zu sich. Wenn doch
die Menschen - sie meinen es doch gut - einen nicht in ein unheiz-
bares Zimmer einlogierten! Man kann sich doch unmoglich so der
Gefahr des Erkaltens aussetzen, wenn man jeden Tag zu sprechen
hat. Das macht iibrigens auch Hubo.
In Zurich war ein vollbesetzter Saal. Viel innere Zustimmung,
aber auch viel innere Opposition, die aber in der nachfolgenden
Diskussion nicht hervortrat. Gras war auch wieder da. Der allein
wollte eine «naturlichere» Theosophie. Viele Russen und Polen
waren da. Die sind am langsten geblieben. Dr. Gysi ist voll von
«der hat gesagt», «der wird sagen», «man soil nicht zu weit gehen»
usw. Fast hat er schon die gute Wegman damit angesteckt. Von der
wiirde ich Angstlichkeit sogar begreifen, da sie doch vor dem Ex-
amen stent, und die Professoren doch in Zurich die Scheuleder aus
derselben Riemerwerkstatte haben wie anderswo. Und nun bin ich
heute in Basel. Das Mahl bei Geering, bei dem auch Schuster war,
habe ich hinter mir. (Es ist 5 Uhr). Geering ist gedriickt wie vor
Wochen, Schuster noch immer ein wenig Schwatzer. Wir wollen
sehen.
Nach Frankfurt schreibe ich sogleich die Ankunft. Ich fahre
morgen 8 Uhr 16 ab und bin um 2 Uhr in Frankfurt. Alles andere
besorge ich dann.
Von Frankfurt fahre ich abends 10 Uhr 23 Min. ab und bin
morgens 7 Uhr 40 in Berlin. Dann hoffe ich eine recht gesunde gute
Maus zu finden.
In aller Herzlichkeit Rudolf
Datum: Hier muss ein Versehen Rudolf Steiners vorliegen, da er am 13. in Zurich,
am 14. in Basel und am 15. in Frankfurt gesprochen hat.
Basel ... St. Gallen: Die theosophischen Gruppen in Basel und St. Gallen haben
sich im Oktober 1906, resp. Januar 1906 der deutschen Sektion angeschlossen.
Thema in St. Gallen: Unser Planetensystem im Sinne einer geistigen Weltauffas-
sung.
Rietmann: Otto Rietmann (1856-1942), Photograph, Mitglied seit Dezember
1905, Vorsitzender des im Januar 1906 gegriindeten Zweiges St. Gallen. In seinem
Atelier entstanden die meisten Portrait-Photographien Rudolf Steiners, auch hat
er viele Aufnahmen des entstehenden Goetheanum-Baues gemacht.
Oberbolzer: Frau Emmy Oberholzer wurde im Dezember 1905 Mitglied.
Gras: Gusto Graser (1879-1958), Naturapostel der 20er Jahre, siehe Ulrich Linse
«Barfiifiige Propheten. Erloser der zwanziger Jahre», Berlin 1983. Eine Erinne-
rung an ihn, ohne Namensnennung, im Vortrag Dornach, 10. September 1915 in
GA 253.
die gute Wegman: Dr. med. Ita Wegman (1876-1943), studierte damals in Zurich,
griindete 1921 in Arlesheim das Klinisch-therapeutische Institut, woraus eine
intensive Zusammenarbeit mit Rudolf Steiner auf medizinischem Gebiet entstand.
1922-1923 im engeren Arbeitsausschuss des Goetheanum, von Weihnachten 1923
bis 1935 im Griindungsvorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesell-
schaft und Leiterin der medizinischen Sektion.
37 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 18. November 1905, aus Hamburg
Mein Liebling!
Zunachst den «Moses». Es ist wieder ein sehr schones Kapitel. Ich
werde nun alles tun, um den «Mond» zur rechten Zeit fertig zu brin-
gen. Aber es ist hier nur in einem Zimmer warm. Und ich muss auf
den Eisenbahnwagen rechnen. Aber wie gesagt: alles soil geschehen.
In herzlichster Liebe bin ich gedanklich bei Dir. Sei mir eine
recht, recht gesunde M.
Herzlichst Rudolf
12 V 2 Uhr. -
Hoffentlich ist mein Gehirn die Nacht nicht zu stark eingefroren,
so dass das Moses-Korrigieren nicht gelitten hat. Es ist von 5 Uhr
ab morgens geschehen. -
Zundchst den «Moses»: Es handelt sich urn ein Kapitel der Ubersetzung von Marie
v. Sivers von Edouard Schures «Die grofien Eingeweihten». - Vgl. hierzu Hinweis
zu Nr. 27.
«Mond»: Siehe nachster Brief, Nr. 38.
38 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 19. November 1905, auf der Fahrt von Hamburg nach Colmar
Sonntag 12 x li Uhr
Mein Liebling! Beifolgend die Mondenevolution. Ich habe sie Dir
heute vom morgen ab ausgearbeitet und werde sie per Eilbrief von
Colmar sogleich absenden. Du musst sie dann doch morgen friih
erhalten. Ganz unmoglich war es, sie bei Hubo zu machen. In
meinem Schlafzimmer ist es zum Erfrieren und in seinen Raumen
ist er eben selbst fortwahrend - zappelnd -. Er hatte sich fur Sonn-
abend ganz vom Geschafte frei gemacht. Behalte dann das Elabo-
rate bis ich komme. Es ist fur das Vorlesen wohl sehr geeignet. Fur
den «Lucifer» muss ich dann noch ein bisschen daran feilen.
Gestern abend war in Hamburg der Saal gefiillt und ich hatte
das Gefiihl und die Intuition, dass es besser war denn je. Dasselbe
sagten hinterher auch Sellin und Frau Tode.
Eine eigentliche Diskussion gab es nicht. Und es war gestern
ganz gewiss deshalb, weil die Menschen den Eindruck behalten
wollten.
Hoffentlich finde ich Donnerstag eine frische gesunde M.
Herzlichst Rudolf.
Mondenevolution: Dieses Manuskript fur Marie v. Sivers zum Vorlesen in der
Montagabendarbeit des Berliner Zweiges ist im Nachlass nicht vorhanden. Da
jedoch Rudolf Steiner noch bemerkt: «Fiir den <Lucifer> muss ich dann noch ein
bisschen daran feilen», kann es sich nur um das Kapitel aus der «Akasha-
Chronik» «V. Das Leben auf dem Monde» handeln, wie es in «Lucifer-Gnosis»
Nr. 29 abgedruckt wurde. Jetzt in «Aus der Akasha-Chronik», GA 11.
Sellin: Albrecht Wilhelm Sellin (1841-1933), Direktor der in Brasilien tatigen
Hanseatischen Kolonisationsgesellschaft, November 1904 Mitglied in Hamburg,
Juli 1908 Pensionierung, Vorsitzender bei der Griindung des Zweiges Zurich
Oktober 1908, ab 1910 in Miinchen aktiv, spielte in den Mysterienauffiihrungen
1909-13 mit.
39 An Rudolf Steiner, wahrscheinlich in Colmar
ca. Sonntag, 19. November 1905, aus Berlin
Viele Grii^e, - ich habe heute fortwahrend Besuch, - ich bitte,
wenn moglich Frl. Minsloff s Brief durchzulesen. Es ist ein tief
tragischer Fall, woriiber ich noch sprechen werde.
Frl. Minsloff: Anna Rudolfovna Minsloff, Russin, wurde im Oktober 1905 Mit-
glied im Berliner Zweig. Eine merkwiirdige Personlichkeit, von hoher Bildung
und grofien okkulten Kenntnissen, iibte sie eine gewisse Zeit lang auf die russi-
schen Theosophen eine starke Wirkung aus.
40 An Marie von Sivers in Berlin
Montag, 20. November 1905
Colmar in Elsass, 20. Nov. 1905
Mein Liebling!
Hoffentlich hast Du noch rechtzeitig die Sache iiber den «Mond»
erhalten, so dass es heute abends gut geht. Ich bin also programmi-
ng 3.27 gestern hier angekommen. Ostermann hat mich erwartet
und mich dann in - ein eiskaltes Zimmer gefuhrt, fast noch schlim-
mer wie bei Hubo. Da habe ich stundenlang gefroren und wirklich
nicht begriffen, was das soli. Denn es war sogar auf den Fluren
geheizt. Nur just bei mir nicht. Dann sagte ich abends ganz trok-
ken, dass dies nicht ginge. Er erwiderte ganz naiv «das habe ich
ganz vergessen». Es wurde nun eingeheizt, aber wie!
Dann gings zum Vortrag. Es war nicht ubermaEig, aber doch
ziemlich besucht. Das Wetter war schlecht und Sonntag. Ein Publi-
kum, das noch gar nichts von Theosophie wusste. Einige protestan-
tische Pastoren, zwei katholische Priester. Mit den Fragen dauerte
es von 8 V4 - 11 Uhr. Es schien wirklich gelungen, das Publikum
zu interessieren.
Dann fand ich abends wieder ein ganz mafiig warmes Zimmer,
und - im Bette eine Warmeflasche, die ich schleunigst herausge-
schmissen habe. 1st das nicht unglaublich, geradezu drollig: Einem
in einer Eisgrube einen Dampfkessel zum Halbverbriihen hinzu-
legen.
Zum Waschen bekam ich morgens eine Tasse voll warmen
Wassers und das Waschbecken ist auch so grofi wie das, wovon
sich Martha nicht hat abgewohnen wollen, es auf den Tisch zu
stellen.
Ich mochte Dir das Zeug eigentlich nicht alles schreiben; aber
ich will Dich bitten, einige entsprechend gestellte Worte an Aren-
son zu schreiben, dass ich - aus was immer fur Griinden meinet-
wegen - diesmal in Stuttgart im Hotel wohnen muss. Man moge
mir das in Stuttgart nicht iibel nehmen. Mach Deine Worte so.
Aber ich kann mir doch wirklich nicht helfen. Alles andere ertrag
ich ohne Schaden; aber diese Privateinladungen sind mit Ausnahme
der so guten in Miinchen und Coin wirklich geeignet, mich nach
und nach unfahig zur Arbeit zu machen. Hier habe ich mich davon
nun vollends iiberzeugt.
Verzeihe, mein Liebling, dies Lamento. Aber ich schreibe selbst
dieses frierend. Es ist wirklich nicht Schuld der Menschen. Aber sie
verstehen nichts von den Bedingungen der geistigen Arbeit.
Heute ist also Straftburg, morgen nochmals Colmar. Dann fahre
ich so friih als moglich Mittwoch nach Freiburg (Hotel Continen-
tal «Zum Pfauen»). - Besser ist*s dort am Fufiboden kleben zu
bleiben, was ja einmal passiert ist, als hier anzufrieren.
Frau Liibke schreibt also, wie Du wohl gelesen hast, vom
3. Dez. Ich habe eben zugesagt. Teile das auch Frl. Scholl mit, dass
ich also 3. Dez. aber erst abends in Elberfeld sein mochte. Dann
werde ich noch in der Nacht vom 3. auf den 4. nach Diisseldorf
fahren, und mochte auch dort im Hotel wohnen.
Sei eine gesunde, frische M. Herzlichst Rudolf
Aber von Frl. Minsloff habe ich keinen Brief erhalten.
Ostermann: Alfred Ostermann (1862-1919), Colmar, Mitglied der franzosischen
Sektion der T.G.
41 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 25. November 1905, aus Nurnberg
Mein Liebling, beifolgend schicke ich Dir also die Sache iiber
Wochentage und Evolution. Es ist skizzenhaft, wird Dir aber
dienen konnen, den Gegenstand Montag vorzubringen, der ja jetzt
nach der Sonnen- und Mond-Entwickelung auch ganz gut po-
stiert ist. -
Nun hast Du gestern selbst gesehen, wie wenig noch iibrig ge-
blieben ist von den einstigen esoterischen Institutionen, die doch
einmal ein physiognomischer Abdruck waren hoherer Welten. In
Wahrheit sollten die drei symbolischen Grade: Lehrling, Geselle,
Meister die drei Stufen ausdriicken, auf denen der Mensch im Geiste
sich selbst d. h. sein Selbst innerhalb des Menschentypus findet.
Und die Hochgrade sollten die Erhebung stufenweise andeuten,
durch die der Mensch ein Bauer am Menschheitstempel wird. Und
wie der gewordene Menschenorganismus d. h. der astrale, atheri-
sche und physische Organismus ein Mikrokosmos der Vergangen-
heitswelt sind, so soil der von der Maurerei in Weisheit, Schonheit
und Starke zu errichtende Tempel das makrokosmische Abbild
einer inneren mikrokosmischen Seelen- Weisheit, Seelenschonheit
und Seelenstarke sein.
Im Materialismus hat die Menschheit das lebendige Bewusstsein
von alle dem verloren und die aufiere Form ist vielfach an Men-
schen iibergegangen, die zum inneren Leben keinen Zugang haben.
Es ware nun die Aufgabe, das maurerische Leben aus den ver-
aufierlichten Formen aufzufangen und neu zu gebaren, wobei na-
tiirlich das wieder geborene Leben auch neue Formen hervorbrin-
gen miisste. Dies sollte unser Ideal sein: Formen zu schaffen als
Ausdruck des inneren Lebens. Denn einer Zeit, die keine Formen
schauen und schauend schaffen kann, muss notwendigerweise der
Geist zum wesenlosen Abstraktum sich verfluchtigen und die Wirk-
lichkeit muss sich diesem blofi abstrakten Geist als geistlose Stoff-
aggregation gegeniiberstellen. - Sind die Menschen imstande wirk-
lich Formen zu verstehen z. B. die Geburt des Seelischen aus dem
Wolkenather der sixtinischen Madonna: dann gibt es bald fur sie
keine geistlose Materie mehr. - Und weil man groiSeren Menschen-
massen gegeniiber Formen vergeistigt doch nur durch das Medium
der Religion zeigen kann, so muss die Arbeit nach der Zukunft
dahin gehen: religiosen Geist in sinnlich-schoner Form zu gestal-
ten. Dazu aber bedarf es erst der Vertiefung im Inhalte. Theosophie
muss zunachst diese Vertiefung bringen. Bevor der Mensch nicht
ahnt, dass Geister im Feuer, in Luft, Wasser und Erde leben, wird
er auch keine Kunst haben, welche diese Weisheiten in aufierer
Form wiedergibt.
Fur heute herzlichstes von Rudolf
den Gegenstand Montag vorzubringen: Bezieht sich auf den Berliner Zweigabend,
den Marie v. Sivers in Abwesenheit Rudolf Steiners leitete.
Sonnen- und Mond-Entwickelung: Siehe «Aus der Akasha-Chronik», GA 11.
Nun hast Du gestern selbst gesehen: Aufnahme in den Freimaurer-Orden von
Memphis-Misraim, siehe Hinweis zu Nr. 42.
41a Beilage zu Nr. 41
Die Namen der Wocbentage und die Evolution des Menschen
In der Reihenfolge der "Wochentage kommt die Evolution unseres
Planetensystems zum Ausdrucke. Man muss sich dabei nur ganz
klar sein, dass esoterisch die Erde durch die beiden Planeten Mars
und Merkur zu ersetzen ist. Es steht namlich die erste Halfte der
Erdentwickelung, vom Anfang bis zur Mitte des atlantischen Zeit-
alters (1. 2. 3. und halbe 4. Rasse) mit dem Mars, die zweite Halfte
(V24. 5. 6. 7. Rasse) mit dem Merkur in einem esoterischen Verhalt-
nis. Als die Wesen, die sich auf dem Monde entwickelt hatten, aus
dem Pralayadunkel (1. Runde der Erde) auftauchten, war vom
Menschen folgendes in der Anlage entwickelt: 1. Der physische
Leib (vom Saturn her); 2. Der Ather-Doppelleib (von der Sonne
her), 3. Der Empfindungsleib (vom Monde her). Nach allem, was
vom Monde her veranlagt war, konnte sich nun - ohne aulkren
Einfluss - in der ersten Erdenhalfte (1. 2. 3. Runde) die Empfin-
dungsseele hinzuentwickeln, die selbst mit dem Empfindungsleib
verschmilzt. Der Mensch war also, vermoge der in der geraden
Evolutionslinie liegenden Tendenz veranlagt als ein Wesen zu er-
starren, das nach folgendem Schema aufgebaut gewesen ware:
/letherteib
Sollte nun der Mensch sich weiter entwickeln, dann brauchte er
einen neuen Einschlag. Es mussten auf die Erde wahrend der ersten
Halfte ihrer Evolution Krafte gepflanzt werden, welche von den
drei vorhergehenden Weltkorpern noch nicht da waren. Die leiten-
den Wesen der Erdentwickelung entnahmen solche Krafte wahrend
der ersten Halfte dieser Entwickelung vom Mars; sie nehmen sie
wahrend der zweiten vom Merkur. Durch die Marskrafte erfahrt
die Empfindungsseele (Astralkorper) eine Auffrischung. Sie wird
zu dem, was in meiner «Theosophie» Verstandesseele genannt wird.
Durch die vom Merkur geholten Krafte wird diese Verstandesseele
wieder so aufgefrischt, dass sie bei ihrer eigenen Evolutionsstufe
nicht stehen bleibt, sondern sich zur Bewusstseinsseele aufschliefit.
Und innerhalb der Bewusstseinsseele wird das «Geistselbst» (Ma-
nas) geboren. Dieses wird auf dem Jupiter das den Menschen be-
herrschende Prinzip sein. In gleicher Art wird das mit dem Lebens-
geist (Budhi) auf der Venus und mit Atma auf dem Vulkan sein.
Parallelisiert man somit die Glieder der menschlichen Wesenhek
mit den Planeten und ihren Kraften, soweit die letzteren Anteil an
der Ausbildung dieser Glieder haben, so erhalt man das folgende
Schema.
Der Mensch war nicht auf dem Mars; aber seine Verstandesseele
stent so in einer esoterischen Beziehung zu diesem Planeten, dass
ihre Krafte von ihm heruntergeholt sind. R'dumlich hat man sich
das so vorzustellen, dass die Erde, bevor sie in ihrer vierten Runde
selbst atherisch (also physisch) geworden ist, durch den Mars - der
damals atherisch war, hindurchgegangen ist. Schematisch hat man
sich das so vorzustellen:
IV.
o
JnfeKekfucll
M*ars
■'o
Q
Dieser Durchgang dauerte sogar noch herein in die physische Er-
denzeit; und w'dhrend er sich vollzog entnahmen die leitenden
Wesen dem Mars die zur Verstandesseele notwendige Kamamaterie
und da diese ihr physisches Vehikel im warmen Blut hat (im Ares-
blut des Kampfmenschen), so wurde damals das Eisen der Erde
eingefugt, das ein Bestandteil des Blutes ist. -
Ebenso wenig wird der Mensch jemals den Merkur wirklich
bewohnen, wohl aber steht er seit der Mitte der Atlantischen Welt
mit der Kamamaterie (eigentlich Kama-Manas-Materie) des Mer-
kur in Verbindung und aus ihr haben die leitenden Wesen die
menschliche Bewusstseinsseele mit Kraften versehen. Als physisches
Vehikel ist durch diese Einwirkung des Merkur das Quecksilber
(Merkur) auf die Erde gekommen. Nach der Entwickelung der Erde
zum plastischen Zustand wird raumlich die Erde durch den Mer-
kur durchgehen. Die Erde selbst wird dann astral sein, der Merkur
aber atherisch. - Schematisch ist das so:
Diese ganze Evolutionsbahn der Erde haben nun die Eingeweihten
in der Reihenfolge der Wochentage festgelegt:
1. Sonnabend = Saturntag: Saturday
2. Sonntag
3. Monlag
4. Marstag - mardi = diustag (Diu ist der deutsche Ares, Mars
od. Kriegsgott)
5. Merkurtag = mercredi = Wotanstag (Wotan ist der deutsche
Merkur; siehe Tacitus Germania)
6. Jupitertag = jeudi = Donarstag (Donar ist der deutsche
Jupiter)
7. Venustag = vendredi = Frejatag (Freja ist die deutsche Venus)
8. Vulkantag wird nicht gebildet, weil Wiederholung, wie
Oktav Wiederholung der Prim ist.
Nun wird in den Geheimschulen noch eine andere Gesetzmafiig-
keit der Wochentage gelehrt, welche nicht etwa mit der ersten in
Widerspruch stent, sondern ganz mit ihr vereinbar ist. Sie beruht
darauf, dass ein Tag in 4 Teile zerlegt wird und jedem Teil ein
Planet zuerteilt wird. Das ganze hat dann die Planetenfolge im
Abstande von der Erde zur Grundlage; namlich
Man hat somit:
Vormittag Nachmittag Vormitternacht Nachmitternacht
I. Tag
Mond 1
Montag
Venus
[Merkur]
2
*
Merkur
[Venus]*
3
Sonne
4
II. Tag
Mars 5
Marstag
Jupiter
6.
Saturn
7
Mond
8
III. Tag
Merkur 9
Merkurtag
Venus
10
Sonne
11
Mars
12
IV. Tag
Jupiter 13
Jupitertag
Saturn
14
Mond
15
Merkur
16
V.Tag
Venus 17
Venustag
Sonne
18
Mars
19
Jupiter
20
VI. Tag
Saturn 21
- Saturntag
Mond
22
Merkur
23
Venus
24
VII. Tag
Sonne 25
Sonntag
Mars
26
Jupiter
27
Saturn
28
Man schreibe also die Planeten zu den Tagesvierteln in der Reihen-
folge Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn, dann
fange man wieder an: Mond, Merkur usw. ist man dann so oft
herum, dass man wieder den Mond an erster Stelle hatte, dann sind
7 Tage erschopft.
Dieser Einteilung liegt das Verhaltnis von 4 (Tetragramm) zu 7
zu Grunde. Es hat dies den Sinn, dass am ersten Teil des Tages
einer der Grundteile dem Planeten zugeordnet ist, zu dem er nach
seinen Kraften gehort:
(n. Jag
ro
li. /a9 j \4faC\
rv
3^
v. Tas
VTT. Ta3
ro ^
-3
En
T
1 — 1 I
13
Durch eine solche Gesetzmafiigkeit ersieht man, wie der Mensch
aus dem Makrokosmos heraus gebaut ist und dadurch die mannig-
faltigsten Beziehungen zu den Konstellationen der Korper des
Makrokosmos hat.
Venus und Merkur: In dem Schema auf S. 129 muss in der Rubrik I. Tag Rudolf
Steiner sich verschrieben haben: Venus und Merkur miissen umgestellt werden.
Siehe auch die davorstehende Zeichnung Rudolf Steiners.
42 An Marie von Sivers in Berlin
Donnerstag, 30. November 1905
Karlsruhe, 30. Nov. 1905
Mein Liebling, mit Deinem Programm bin ich einverstanden. In
Stuttgart ist nun auch schon fair die beziiglichen Tage der Saal
genommen. Damit sind also die Tage fur Stuttgart auch aufierlich
festgelegt. Fiir Weihnachten lasse ich alles Deinem Ermessen an-
heimgestellt, mein Liebling. Ich mochte nur eventuell, wenn ich die
Sachen bis dahin so weit habe, nach Pest fahren und dann mochte
ich einmal in Horn gewesen sein. Doch dariiber konnen wir ja
noch reden.
In Stuttgart und Heidelberg ist, denke ich, alles gut gegangen.
Da ich den Vorsatz mit Tubingen ausgefiihrt habe, ist alles in Stutt-
gart etwas eilig geworden. Sonst hatte ich meinem Liebling schon
von dort aus geschrieben.
Schon sind Deine Worte in dem letzten Briefe; und ich bin so
froh, dass Du von den Luciferaufsatzen etwas gehabt hast.
Julius Engel hat ja seine Sache nunmehr bekommen. Ich hoffe,
dass das alles in Ordnung ist.
Viel kann ich Dir auch heute nicht schreiben. Auch in Heidel-
berg haben die Leute mich viel in Anspruch genommen, wie Du
Dir denken kannst.
Die Freimaurer-Sache wollen wir nur ja bedachtig, ohne alle
Uberstiirzung machen. Reufi ist kein Mensch, auf den irgendwie zu
bauen ware. Wir miissen uns klar dariiber sein, dass Vorsicht so
dringend dabei notig ist. Wir haben es mit einem «Rahmen», nicht
mit mehr in der Wirklichkeit zu tun. Augenblicklich steckt gar
nichts hinter der Sache. Die okkulten Machte haben sich ganz da-
von zuriickgezogen. Und ich kann vorlaufig nur sagen, dass ich
noch gar nicht weifi, ob ich nicht eines Tages doch werde sagen
miissen: das darf gar nicht gemacht werden. Ich bitte Dich daher,
mein Liebling, doch ja nichts anderes, als etwas ganz vorlaufiges
mit den Leuten zu besprechen. Wenn wir eines Tages sollten ge-
notigt sein, zu sagen: da konnen wir nicht mit, so diirfen wir vor-
her nicht zu stark engagiert sein. Es sind bei der Sache zum Teil
personliche, zum Teil Eitelkeitsmotive im Spiel. Und vor beiden
fliehen die okkulten Machte. Sicher ist, dass vorlaufig es alien ok-
kulten Machten wertlos erscheint, dass wir solches tun. Doch ganz
bestimmtes kann ich auch heute noch nicht dariiber sagen. Bemer-
ken wir bei der nachsten Unterredung mit Reufi etwas Unrichtiges,
dann konnen wir noch immer das Angemessene tun.
Fur heute nur noch allerherzlichsten GruE Rudolf.
Weihnachten ... nach Pestfabren und dann ... Horn: Diese Absicht fuhrte Rudolf
Steiner hochstwahrscheinlich zwischen dem 3. und 7. Januar 1906 aus, s. Hinweis
zu Nr. 44.
Vorsatz mit Tubingen: Besuch bei dem Arzt Emil Schlegel in Tubingen zwischen
dem 26. und 28. November 1905 von Stuttgart aus. Im Vortrag Dornach, 12. April
1924 in GA 236 wird dieser Besuch erwahnt.
dass Du von den Luciferaufsdtzen etwas gehabt bast: Es diirfte sich vor allem um
die im Oktober-Heft 1905 der Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» begonnenen beiden
neuen Aufsatzreihen handeln: «Theosophie und soziale Frage» (jetzt in «Luzifer-
Gnosis 1 903-1 908», GA 34) sowie «Die Stufen der hoheren Erkenntnis» (jetzt
GA 12).
Julius Engel (ca. 1854-1925), Maler, 1894-97 Vorsitzender der D.T.G. Berlin,
1898 Griinder und Vorsitzender des Zweiges Charlottenburg, ca. 1905 Professor
an der Technischen Hochschule Magdeburg.
Freimaurer-Sache ... Reuft: Theodor Reufl (1855-1923), war zusammmen mit Dr.
Franz Hartmann 1902 von dem Freimaurer John Yarker autorisiert worden den
Memphis-Misraim Ritus in Deutschland einzufiihren. Nach neuen Brieffunden
war es Franz Zavrel, der Rudolf Steiner den Vorschlag machte, eine Memphis-
Misraim Loge fur Theosophen zu errichten. Er vermittelte den Kontakt zu Reufi,
als Rudolf Steiner im Oktober 1905 beschloss fur die zu begriindende erkenntnis-
kultische Abteilung der Esoterischen Schule die Autorisierung durch diesen
Orden zu erwerben. Franz Zavrel aus Prag lebte zu dieser Zeit in Berlin, er hatte
den 95. Grad inne und war 1904 von dem Amt eines Generalsekretars in diesem
Orden, wahrscheinlich in Bohmen, zuriickgetreten. Im Februar 1905 war er im
Berliner Zweig Mitglied geworden. Naheres dazu siehe Kapitel 36 von «Mein
Lebensgang» und «Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen
Abteilung der Esoterischen Schule», GA 265, ferner Hella Wiesberger, «Rudolf
Steiners esoterische Lehrtatigkeit», Dornach 1997.
17UO
Im Januar wird, zunachst in Berlin, die zweite Abteilung der Esoterischen
Schule eingerichtet, in der mit freimaurerischer Kult-Symbolik gearbeitet
wird, und die formal eine Loge des Memphis-Misraim Ritus ist, genannt
«Mystica aeterna». In der Folge wiinschen viele Menschen auch in anderen
Stadten Deutschlands und der Schweiz, spater auch im Ausland, aufge-
nommen zu werden, und so werden Logenraume zunachst in Miinchen,
Koln und Stuttgart eingerichtet. In den Briefen wird dieser Zusammen-
hang unter der Abkiirzung F.M. (auch M.E.) immer wieder erwahnt.
Aufgrund der bisherigen Reiseerfahrungen geht Rudolf Steiner dazu
iiber, auch auEerhalb Berlins zusammenhangende Vortragsreihen zu hal-
ten. Dadurch will er es den Zuhorern ermoglichen, in die theosophische
Geistesbewegung leichter und defer Eingang zu finden, als dies durch hier
und dort stattfindende einzelne Vortrage moglich ist. So kommt es 1906 zu
4 grofien Vortragszyklen: im Mai/Juni 18 Vortrage in Paris, im Juni/Juli in
Leipzig 14 Vortrage iiber Popularen Okkultismus, im August/September
in Stuttgart «Vor dem Tore der Theosophie» (GA 95), im Oktober/No-
vember in Miinchen «Die Theosophie an der Hand des Johannes-Evan-
geliums». Bei alien diesen Reisen kommt nun auch immer Marie v. Sivers
mit, um ihn von den aufteren taglichen Anforderungen zu entlasten.
Der 3. Jahreskongress der Foderation europaischer Sektionen findet
dieses Jahr in Paris statt. Urspriinglich war fur Juni 1906 ein Vortrags-
zyklus Rudolf Steiners fur Russen auf dem Gut einer Freundin von Marie
v. Sivers im Gouvernement Kaluga (siidwestlich von Moskau) geplant. Da
dies durch die politische Entwicklung in Russland nicht moglich war,
baten die Russen darum, den Zyklus in die Zeit des Jahreskongresses nach
Paris zu verlegen, wo es immer eine zahlreiche russische Kolonie gab. Zu
den Russen, darunter auch bekannte Literaten, und zu den Deutschen,
gesellen sich bald auch zum Jahreskongress gekommene Englander, Hol-
lander, Franzosen, Italiener. Dadurch wird diese Vortragsreihe zu der
ersten, die Rudolf Steiner vor einem internationalem Publikum halt. Bei
dieser Gelegenheit begegnen Rudolf Steiner und Marie v. Sivers zum
ersten Mai personlich Edouard Schure, nach einem bereits Jahre wahren-
den Briefwechsel mit ihr. Seiner Einladung, ihn auf seinem Sommersitz in
Barr im Elsass, am Fufie des Odilienberges, zu besuchen, folgen sie im
September. Dort werden wahrend einer Woche die schon in Paris be-
gonnenen Gesprache weitergefiihrt. Dabei geht es insbesondere urn die
Absicht, bei dem 1907 von der deutschen Sektion durchzufiihrenden
4. Jahreskongress der Foderation Schures Rekonstruktion des Heiligen
Dramas von Eleusis aufzufiihren.
Uber den Fortgang der Mitgliederbewegung kann bei der Generalver-
sammlung der deutschen Sektion im Oktober berichtet werden, dass es im
Verlaufe des Jahres zu.7 neuen Zweiggriindungen gekommen ist: Basel,
Bonn, Bremen, Frankfurt a.M., Heidelberg, Miinchen II, St. Gallen, ferner
die Zentren Regensburg, Elberfeld und Esslingen. (Ein Zentrum ist eine
registrierte Gruppe, die die von den Statuten fur eine Zweiggriindung
geforderte Mindestzahl von 7 Mitgliedern noch nicht erreicht hat.) Die
deutsche Sektion besteht jetzt aus 24 Zweigen und 3 Zentren mit 591
Mitgliedern, gegen 377 im Vorjahr.
43 Beilage zu einem nicht vorhandenen Brief an Marie von Sivers
ca. 5. Januar 1906
Die Entwickelung der Erde
Die Erde ist der vierte der sieben Planeten, auf denen der Mensch
aufeinanderfolgend seine sieben Bewusstseinszustande entwickelt.
Es ist gezeigt worden, dass der Mond der Schauplatz zur Entfal-
tung des Bilderbewusstseins ist. Ein «Bild» ist nur ahnlich, nicht
gleich seinem Gegenstande. Das Bewusstsein aber, das auf der Erde
ausgebildet wird, erzeugt Vorstellungen, die in einer gewissen Be-
ziehung «gleich» sind dem Gegenstande, zu dem sie gehoren. Des-
halb wird das Erdenbewusstsein auch das «Gegenstandsbewusst-
sein» genannt. Doch entwickelt sich dieses Gegenstandsbewusst-
sein erst wahrend des vierten kleineren Erdenkreislaufes (Runde).
Wahrend der drei ersten werden die friiher auf Saturn, Sonne und
Mond durchgemachten Zustande kurz wiederholt. Doch muss auch
hier wieder gesagt werden, dass man es nicht mit einer blofSen
Wiederholung zu tun hat, sondern es gestalten sich wahrend dieser
Wiederholung der physische Korper, der Ather- und der Astralleib
so urn, dass sie Trager des «Ich» werden konnen, von dessen Ent-
wickelung in der vierten Runde ja das Gegenstandsbewusstsein
abhangt.
Wenn also nach der dritten Wiederholungsrunde der Erde wie-
der eine Art Schlafzustand durchgemacht ist - zwischen dem soge-
nannten archetypischen und dem arupischen Globus - dann tritt,
beim Beginn der vierten Runde alles das - zunachst arupisch -
hervor, was als Ergebnis der Saturn-, Sonnen- und Mondentwicke-
lung zu betrachten ist. Man hat es also da zu tun mit den Nach-
kommlingen der drei Mondenreiche: dem Mineralreich, das noch
in gewissem Sinne pflanzlich ist, mit dem Pflanzenreiche, das etwas
wie tierisches Leben hat, und mit einem Tierreiche, das hoher steht
als das gegenwartige Tierreich. Diese drei Reiche bilden zusammen
den von Neuem aus dem Dammerzustand hervortretenden Plane-
ten: die Erde. Doch ist festzuhalten, dass in dieser Erde noch die
ehemalige Sonne und der ehemalige Mond mitenthalten sind. Wah-
rend die Mondmanvantara zu Ende ging, haben sich ja Sonne und
Mond wieder vereinigt und sind als ein Korper ins Pralaya hin-
iibergegangen. Sie treten dann auch hier wieder als ein Korper
heraus, obwohl sich schon in der dritten Erdenrunde die Tendenz
zur Spaltung deutlich gezeigt hat. Nun macht die Erde - wahrend
der vierten Runde - den Rupa- und Astral-Zustand durch, und
schickt sich dann an, wieder physisch zu werden.
Die Herausbildung dieses physischen Zustandes bei den drei
genannten Reichen obliegt den «Geistern der Form». Sie bilden
namentlich bei dem hochsten Reiche, dem Tier-Menschenreiche die
friiheren «Sinneskeime» zu wirklich geformten Sinnesorganen um.
In alien friiheren physischen Zustanden, welche der Mensch durch-
gemacht hat, hatten die Sinnesorgane noch nicht die festgefugte
Form.
Nun horen diese Organe dadurch, dass sie eine feste Form
erhalten, auf, aktiv zu sein; sie verlieren ihre Produktivitat, sie wer-
den rein passiv, geeignet zum blofien Wahrnehmen des von aufien
als Gegenstande Dargebotenen. Die Produktionskraft zieht sich
also von den Sinnesorganen zuriick; sie geht mehr nach innen; sie
bildet das Verstandesorgan. - Dieses Organ kann aber nicht gebil-
det werden, ohne dass wieder ein Hinabstofien eines gewissen Teiles
der menschlichen Genossen auf eine tiefere Stufe stattfindet. Jetzt
aber stofk der Mensch einen Teil seines Wesens selbst in eine un-
tergeordnete Region hinab. Er sondert einen Teil seines Wesens als
die eigene niedere Natur ab. Und diese niedere Natur behalt die
Produktionskraft, welche die Sinnesorgane haben abgeben miissen.
Diese in eine niedrigere Sphare hinabgestoftene Produktionskraft
wird zur geschlechtlichen Hervorbringungskraft, wie sie auf der
Erde auftritt. Die «Geister der Form» wiirden alle Hervorbrin-
gungskraft und damit alles Leben erstarren machen, zur blofien
Form erharten, wenn sie nicht diese Kraft auf einen Teil des
Menschenwesens konzentrierten. Daher bewirken die Geister der
Form die Geschlechtsbildung. Ohne diese miissten statt lebender
Menschen Statuen entstehen.
Nun ist der ganze Vorgang mit einer volligen Umbildung der
Erde verkmipft. Es entstehen solche Verhaltnisse, dass die geschil-
derten Wesen leben konnen. Das wird moglich dadurch, dass die
Erde - jetzt noch mit dem Monde vereint - aus dem sich abspaltet,
was als Sonne zuriickbleibt. Dadurch tritt die Sonne eben als selb-
standiger Korper der Erde entgegen. Das ist die aufiere physische
Bedingung fur das Entstehen der aufieren Wahrnehmung, des Ge-
genstandsbewusstseins, und fur die Herausbildung der geschlecht-
lichen Anlagen. Doch hat man es zu dieser Zeit noch durchaus mit
einer Doppelgeschlechtigkeit zu tun. Das riihrt davon her, dass die
Mondenkrafte noch alle in der Erde darinnen stecken. Nur ist
wahrend dieser Zeit das Verstandesorgan, obwohl vorhanden, noch
ganz untatig. Es wird erst seine Aktivitat entfalten konnen, wenn
die Geschlechts-Produktionskraft sich um die Halfte vermindert
hat, so dass ein jedes Wesen nur die Halfte der friiheren Produk-
tionskraft sein eigen nennt. Damit ist dann die Zweigeschlechtig-
keit gegeben. Aufierlich wird das bewirkt durch das Heraustreten
derjenigen Krafte aus der Erde, welche diese dann als der gegen-
wartige Mond umkreisen. Ware nun diese Abtrennung nicht er-
folgt, dann hatte die ganze Erde zu einer starren Masse, zur blofien
Form werden mussen. So aber hat sich nur das aus ihr entfernt, was
unbedingt fest werden musste, und dies ist eben Mond geworden,
auf dem eben das menschliche Leben nicht sich entfalten konnte.
So hat sich, aus der gemeinsamen planetarischen Materie heraus,
die Erde das gerettet, was produktiv sein konnte, wenn auch nur
auf dem niederen Gebiete des geschlechtlichen Lebens. Der
Reprasentant der «Geister der Form» ist Jehova. Er bewirkt somit
die Formung der Sinnesorgane; aber er bewirkte auch, wenn er
nun mehr allein wirksam ware, die vollstandige Erstarrung in der
bloEen Form.
Nun werden fur den weiteren Fortgang zwei Ereignisse bedeut-
sam. Das Eine ist die Entstehung der beiden Geschlechter aus dem
oben angegebenen Grunde. Die Form des Geschlechtlichen riihrt
von den Formgeistern her. Aber damit ist nicht auch schon der Zug
der beiden Geschlechter fur einander, die Neigung derselben zu
einander gegeben. Diese kommt davon, dass sich in dem Leben der
beiden Geschlechter besondere Wesen verkorpern, welche von
einem fremden Schauplatze herabsteigen: von der Venus. Durch sie
wird jetzt die Liebe in ihrer untergeordnetsten Form, als Neigung
der Geschlechter [zu einander], der Erde einverleibt. Diese Liebe
ist dazu berufen, sich immer mehr zu veredeln, und spater die
hochsten Formen anzunehmen.
So wie nun die Venuswesen das Element [der Neigung] der
getrennten Geschlechter [zu einander] abgeben, so bewirken sie
andrerseits auch, dass der Verstand fruchtbar werden kann. Er er-
halt die Halfte der an der Geschlechtskraft ersparten Produktions-
fahigkeit. Aus diesem Grunde konnen sich jetzt die Monaden -
zunachst ihr Manasteil -, die sich, wie gezeigt, wahrend Saturn-,
Sonne- und Mond-Zyklus gebildet haben, in das Verstandesorgan
herabsenken. Doch ware das Wirken der Monaden kalt und trok-
ken geblieben, wenn nicht der Astralleib einen solchen Einschlag
erhalten hatte, dass der Mensch die Tatigkeit seines Verstandes mit
einer gewissen hoheren Leidenschaftlichkeit betriebe. Dieser Ein-
schlag kam dem Menschen vom Mars her. Und diejenigen, welche
ihn vermittelten, sind die luziferischen Wesenheiten, welche auf
dem Monde zwar iiber die Stufe des spateren Erd-Menschen-
daseins hinausgekommen sind, es aber doch nicht so weit gebracht
haben, dass sie wie die Lunar-Pitris ihre Mondentwickelung mit
dem Mondmanvantara hatten abschliefien konnen. Sie bringen, als
Eingeweihte, jetzt die Mars-Astralkrafte in den Astralleib des Men-
schen und fachen damit in diesem die Leidenschaft fur die Betati-
gung des Intellektes an. Damit beleben sie die Erkenntnis des
Menschen; sie fachen ihn zur Selbstandigkeit an. Das ist die Hilfe
in der Fortentwickelung des Menschen, welche durch das luziferi-
sche Prinzip geleistet wird. Allerdings verbanden sie mit der Er-
kenntnis auch den Eigennutz. Denn sie entfachen ja das Denken
durch die Leidenschaft, und diese bewirkt den Eigennutz. Aber nur
dadurch ist es moglich geworden, dass der Mensch die Erde seinen
Zwecken dienstbar gemacht hat, sie in seinen Nutzen genommen
hat. Jehova hatte bloft die Form des Verstandesorgans gegeben, und
die Geister von der Venus hatten blofi in diesem einen leidenschafts-
losen Sinn erweckt; denn was von ihnen nach dieser Richtung ge-
geben werden konnte, ist ja an die Fortpflanzungskraft abgeliefert
worden.
Datum: Dies ergibt sich aus Brief Nr. 44.
44 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 7. Januar 1906, auf der Fahrt von Miinchen nach St. Gallen
Mein Lie b ling. Die Zeit bis Lindau gehort nun der lieben guten
Maus. Draufien beginnen nach Kempten eben die Vor-Alpenberge,
und der Schnee lagert auf ihnen. Keine Sonne will durch den
Wolkenvorhang hindurchdringen. Meinem Liebling sende ich die
schonsten und besten Gedanken. Ich weifi, wie schwer es dieser
Liebling manchmal hat; aber wir miissen uns gemeinsam durch
dieses Leben hindurchfinden; auch das auEere muss sich geben, so
grofi auch die Schwierigkeiten sind.
Gestern schien es mir, als ob die Gedanken, die ich Dir fur
morgen aufschrieb, doch noch einer Erganzung bediirftig waren.
Vielleicht erhaltst Du diese Zeilen noch friih genug. Deshalb will
ich zu dem Kapkel «Erdbildung» doch noch einiges hinzufiigen.
Du weifit, dass die Lunar-Pitris, also die Wesen, die dem Men-
schen um eine Stufe vorausgehen, auf dem Monde ihr Dasein bis zu
einer Stufe zu bringen haben, die analog der Stufe des Menschen-
daseins auf der Erde ist. Nehmen wir nun einmal die Mitte der
Erdentwickelung in Betracht. Es ist Dir bekannt, dass da der
Mensch die Einschlage von Mars und Merkur aufnimmt, und
seinem «Jupiterdasein» so zustrebt, wie man einem Ideal zustrebt.
Von den drei Gliedern des Astralleibes: der Empfindungsseele, der
Verstandesseele und Bewusstseinsseele bringt der Mensch nur das
erste, die Empfindungsseele vom Monde mit; die Verstandesseele
riihrt vom Marseinschlag, die Verstandesseele [Bewusstseinsseele]
vom Merkureinschlag her. Die Bewusstseinsseele kann nur dadurch
entfaltet werden, dass die Krafte, die spater auf dem Jupiter zur
vollen Entwickelung kommen werden, sozusagen ihren Schatten
schon vorauswerfen. Die Folge dieses Schattenwerfens ist die Ent-
faltung der Bewusstseinsseele, die dadurch so, wie es in meiner
«Theosophie» geschildert ist, erst zur Tragerin des «Geistselbst»
werden kann. So weit der Mensch heute schon «Manas» entwickelt,
lebt er sich schon in die Jupiterstufe hinein. Auf die Jupiterstufe
folgt nun fur alle Wesen, welche der siebengliedrigen Menschen-
evolution mit angehoren, die Wwwsentwickelung. Genau so wie
der Mensch dem Jupiter entgegenlebt, so leben die Lunar-Pitris des
Mondes (die «Zwielichtgeister»), wenn sie ihre Normalentwicke-
lung durchgemacht haben, dem Venusdasein entgegen. Und die
«Feuergeister» sind bereits dort. Sie leben dort ihrem Vulkandasein
entgegen.
Will man also die gegenwartige Sachlage ganz richtig bezeich-
nen, so muss man sagen: der Mensch lebt auf der Erde dem Jupiter
entgegen; die Lunar-Pitris leben auf dem Jupiter der Venus ent-
gegen, und die Feuergeister leben auf der Venus dem Vulkan ent-
gegen. Ist ein Wesen auf der Vulkanstufe selbst angelangt, so ist es
zu einem schaffenden geworden. In dieser Lage sind nun wahrend
der Erdentwickelung des Menschen die «Geister der Form». Sie
sind deshalb die Schopfer des irdischen Menschen. Und insoferne
sie dieses sind, ist «Jehova» ihr Reprasentant. So hat es seit der
Mitte der Erdentwickelung der Mensch zu tun: 1. Mit seinen Schop-
fern, den Geistern der Form, die ihm seine irdische Gestalt verlie-
hen haben; 2. mit den Feuergeistern, welche seinem Astralleib die
sinnlichen Affekte gaben; 3. mit den Lunar-Pitris, die eben diesem
Astralleib die irdische Erkenntnis gegeben haben; und endlich 4.
mit sich selhst, der als «Ich» in der Bewusstseinsseele lebt.
Das Eingreifen der Feuergeister tritt in der zweiten Halfte der
lemurischen Zeit ein, dann kommt hinzu das Wirken der Lunar-
Pitris, und in der 5. Unterrasse der atlantischen Zeit beginnt dann
der Mensch sich zum selbstandigen «Ich» zu entfalten. Die nicht
vollendeten Lunar-Pitris wirken nun in dieser Reihenfolge anders
als die vollendeten. Die letzteren pragen von aufien den Astralkor-
per in Vollkommenheit mit dem Merkureinschlag; die ersteren aber
miissen sich selbst erst noch vollenden mit dem, was sich am Men-
schen heranbildet. Sie stecken also mit ihrer eigenen Wesenheit im
Menschen darinnen. Dadurch sind sie das luziferische Prinzip.
i- 5-
Von Potsdam wird in diesen Tagen die letzte Korrektur des
«Lucifer» kommen; schicke mir sie sogleich etwa nach Basel, oder
wo ich nach Deiner Berechnung sein werde. Nun wird mir klar,
dass ich Dir ja das Geld fur Schorsch gar nicht gegeben habe. Gib
es ihm also auch jetzt noch nicht, wenn es nicht angeht.
Herrn Kiem sag, dass er das Versprochene in einigen Tagen
erhalt. Ich sende es an Dich. Er braucht es ja erst in einiger Zeit.
Nun noch allerschonstes an den guten Liebling, den ich in
Miinchen als gesunde Maus zu treffen hoffe.
Herzlichst Dein Rudolf
Datum: Dies ergibt sich aus der am 7. Januar 1906 abgestempelten Postkarte an
Johanna Miicke in Berlin, die zusammen mit diesem Brief in Lindau auf die Post
gegeben wurde. Rudolf Steiner hat demnach seine in Nr. 42 ausgesprochene
Absicht, um Weihnachten nach Budapest und nach Horn (Besuch der Eltern und
Geschwister) zu fahren, zwischen dem 3. und 7. Januar 1906 ausgefuhrt. Auf der
Reise von dort nach St. Gallen iiber Miinchen schrieb er Nr. 43, «Die Entwicke-
lung der Erde».
in Miinchen ... treffen: Am 17. Januar.
45 An Marie von Sivers in Berlin
Dienstag, 9. Januar 1906, auf der Fahrt von Zurich nach Lugano
9. Januar 1906
Mein Liebling. Es ist auf dem Wege von Zurich nach Lugano, dass
ich Dir schreibe. In Zurich fand ich einen Brief von Giinther
Wagner vor, dass er mich heute erst um 10 Uhr vom Hotel abholen
wolle. Wenn ich also doch in der Nacht gefahren ware, hatte ich ja
Wagner erst um 10 Uhr gesehen. Nun komme ich mit dem Zuge,
der 8.20 von Zurich abgegangen ist, und mit dem ich nun fahre,
1.21 nachmittags in Lugano an. Der Unterschied ist demnach nicht
grofi. Und es war auch gut so. Denn es war gestern ganz entschie-
den der beste bisherige Abend in Zurich. Wenn er auch infolge des
ganz schlimmen Wetters und mancher anderer Umstande schlecht
besucht war. Das Publikum ging gestern in seltener Weise mit.
Und die Stimmung war so gut, dass sie selbst anhielt, als ein junger
Gelehrter in der Diskussion auftrat, und die so billigen heute auf
der Strafe liegenden Einwande vorbrachte. Auch da zeigte sich
wieder, welch Hindernis das Spinnengewebe gelehrter heutiger
Begriffe fur ein unbefangenes Erfassen der geistigen Wirklichkeit
ist. Das ist fur den wirklichen Okkultismus nur zu verstandlich.
Man muss nur das Wesen dieser gelehrten Begriffswelt betrachten.
Sie ist ja ganz und gar nur abgezogen von der raumlich-physischen
Wirklichkeit. Nun muss ja der Okkultist sich dieser Begriffe auch
bedienen. Nur giefit er den Inhalt der hoheren Erfahrung in sie
hinein. Der in den gegenwartigen Denkgewohnheiten Befangene
hort nun nur, was er schon kennt. Und so bleibt gerade ihm das
Leben unzuganglich. Die Gegenwart muss durch diesen Zustand
hindurchgehen. Und wir haben die Aufgabe, den aus der physisch-
raumlichen Wirklichkeit entnommenen Gedankenformen Leben
aus den hoheren Gebieten des Daseins zu geben.
Nach diesem Manne sprach der «unmogliche» Graser, der ein-
heitliche Gras. Was er sagt, weiftt Du ja.
Hatte ich aber gestern schon so friih weggehen mussen, dass ich
urn 10.35 hatte abfahren konnen: so ware es nicht gut gewesen.
Denn die Versammlung dauerte auf die natiirlichste Art bis ein
Viertel nach Elf.
Wahrend ich dieses hier schreibe, ist es draufien ganz triib und
regnerisch. Man kann nicht weit sehen. Alle Berge sind unsichtbar.
Ich fahre mit den lichten Gedanken an meinen Liebling durch die
Nebel-Dunkelheit.
Nun ein paar geschaftliche Notizen: Rietmann hat von mir das
Logendiplom und die paar anderen Diplome erhalten. Fur das erste
gab er mir 10 Mark. Dann sagte er mir, dass er Dir geschrieben
hatte, das eine der fruher iiberschickten Diplome sei zerrissen
worden; es miisse also dafiir ein Duplikat ausgestellt werden. Bitte
tue das und vergiss nicht links oben in die Ecke zu schreiben
«Duplikat». -
Gysi ist der angstliche Mensch, als den Du ihn kennst. Man
kann das aber heute niemand venibeln. Denn wer eine offizielle
Stellung anstrebt, kann sicher sein, dass er uniibersteigliche Hin-
dernisse findet, wenn es ruchbar wird, dass er an den «Unsinn» der
Theosophie glaubt. Und Gysi soli ja demnachst Dozent fur Zahn-
heilkunde an der Zuricher Universitat werden. Wer meint, dass die
«Freiheit» der Schweiz in einer solchen Sache giinstig ist, der irrt
sich sehr. Denn «Freiheit» ist doch zunachst die Moglichkeit, dass
sich die Menschen im Sinne ihrer Fahigkeiten «frei» entfalten. Wenn
die Menschen «klug» sind, so ist ja freilich «Freiheit» eine solche
der «Klugheit». Wenn aber die Menschen toricht sind, so hat man
es doch mit «Freiheit zur Torheit» zu tun.
Ubrigens zeigte mir Gysi einen Zeitungsabschnitt iiber eine
Theaterauffiihrung in Lausanne: In dem betreffenden «Drama»
macht sich ein «geistreicher» satirischer «Dichter» iiber die Theo-
sophie her. Im Mittelpunkte des niedlichen Biihnenwerkes steht
eine Familie, in denen die Prozors lacherlich gemacht werden. Sie
vereinigen einen Kreis von Leuten urn sich, die darauf ausgehen,
sich ihrer friiheren Existenzen zu erinnern. Nun kommen ein Sohn
und eine Tochter der Familie vor. Dem Sohn stellt sich ein ver-
kappter Gauner vor, der vorgibt, dass ihm der junge Prozor in
einer friiheren Existenz eine grofiere Summe Geldes schuldig
geworden ist, die er jetzt zahlen miisse. So wird eine Prellerei aus-
gefiihrt. Der Tochter stellt sich ein Individuum vor, das behauptet,
ein Anrecht auf ihre Kiisse zu haben, weil er in einem friiheren
Leben ihr Gatte war. Natiirlich fallen die «dummen Theosophen»
auf die Gaunereien hinein. Und sie werden - Dramen miissen einen
Schluss haben - von ihrer «Dummheit» geheilt, als ihnen die Gau-
nereien klar werden. Man kann sich denken, welche Unsumme von
«Komik» das gibt, wenn so «ein Geist zum andern Geist» spricht
d. h. ein dichtender Philister zu einem philistrosen Publikum.
Alles wird aber noch kommen: boswillige Verfolgung, philistrose
Lacherlichmachung usw. usw. Denn wir sind doch erst im Anfang.
In aller Herzlichkeit, komme nach Miinchen als frische Maus
und lass Dich dort schonstens begruften von Deinem
Rudolf
Giinther Wagner (1842-1930), Griinder der Firma Pelikan in Hannover, Vetter
und Mazen von Hiibbe-Schleiden, zog sich von der Leitung seiner Firma nach
Lugano zuriick, als Vorsitzender des Zweiges Lugano 1902 an der Griindung der
deutschen Sektion beteiligt, seit November 1906 in Berlin als Betreuer der
Theosophischen Bibliothek.
46 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 13. Januar 1906, aus Colmar
13. Januar 1906
Mein Liebling. Vorhin kamen Ostermann und ich aus Strafiburg.
Und ich mochte nun die Zeit bis zum Nachmittagsvortrag beniit-
zen, um Dir zu schreiben. Ostermann hat in Straftburg einen gro-
fSen Saal genommen und freien Eintritt gemacht, so dass gestern
wohl 600 Menschen beim Vortrag anwesend waren. Es hat bis nach
1 1 Uhr, von 8 Uhr ab, gedauert. Vor dem Vortrage waren wir mit
einem Manne zusammen, der eben ein Buch iiber die verschiedenen
«Leben Jesu» seit dem 18. Jahrhundert verfasst hat, der Dozent an
der Universitat ist und auEerdem zu seinen theologisch-philoso-
phischen Studien jetzt noch Medizin studiert. Er will nach vier
Jahren nach Afrika gehen, urn dort die «Wilden» emporzubringen.
Du siehst, ein Gelehrten-Typus der besseren Sorte. Aber gerade
deshalb so charakteristisch. In jedem Worte eine Bestatigung
dessen, was ich in dem Artikel «Theosophie und Wissenschaft»
geschrieben habe. Gegen alles wirklich Geistige geradezu ab-
gestumpft. Von Mrs. Besant, die er bei ihrem StrajRburger Vortrage
gehort hatte, wusste er nur zu sagen: «eine ganz unselbstandige
Natur, aus der gar nichts spricht». Was er nun zu meinem gestagen
Vortrage gesagt hat, weifi ich noch nicht.
Gewiss hast Du, mein Liebling, ganz recht mit dem, was Du in
Deinem Brief e von Dir schreibst. Und wir miissen jetzt ganz ernst-
lich nachforschen, wie wir Dich entlasten konnen. Aber es war ja
wirklich bis jetzt so schwer, in Deutschland jemand eine Arbeit zu
iibertragen. Was haben wir doch mit unseren bisherigen Helfern
fur Erfahrungen gemacht! Aber nun muss eben etwas geschehen.
Wenn es Dir angemessen diinkt, mein Liebling, dass wir in Miin-
chen Freimaurer gleich «machen», dann miisstest Du mir und Dir
vollstandiges Ornat mitbringen. Und dann miissten wir unbedingt
haben von den Geraten, die wie es scheint noch gar nicht da sind
(den Hut brauche ich nicht, aber alles andere): 1.) Bibel, 2.) Stachel-
kranz, 3.) Dreieck, 4.) Zirkel, 5.) Totenkopf, 6.) ein bei den Geraten
befindliches Tuch, um es auf einen Tisch zu legen, 7.) Leuchter und
Kerzen, wenn Du nicht voraussetzt, dass man diese an Ort und
Stelle haben kann, 8.) Die Myrrhe, die dabei sein muss. -
Da ich das alles nicht hier habe, kann ich natiirlich die Freimau-
rer auf dem Wege nicht schon «machen». Geering-Christ und Schu-
ster wollen gleich dabei sein. [Gunther] Wagner ist ja Johannis-
maurer; ich habe ihm alles vorgetragen. Es wird sich zeigen, ob er
den Sprung machen wird von der gewohnlichen Johannismaurerei
zu den Hochgraden. Bei Arenson wird es dasselbe sein. Auch der
ist Johannismaurer. Ich will in Stuttgart sehen, was sich machen
lasst. Aber die formelle Aufnahme wird ja erst erfolgen konnen,
wenn ich die Sachen mithaben werde. Vergiss iibrigens nicht, falls
Du iiberhaupt fur Miinchen etwas mitnehmen willst - die proviso-
rischen Schiirzen und Scharpen fur die Neophyten mitzunehmen.
In Miinchen kommt auch Huschke in Betracht. Wir werden sehen.
Unterschrieben habe ich die Empfangsbestatigung fur die
Sachen, weil ich dachte, dass wir sie erst ausfolgen, wenn wir die
Sachen haben.
Es wird schon sein, wenn Du Regensburg besuchst.
Montag abends konntest Du vielleicht den Leuten doch etwas
iiber den «Christus» sagen. Du kannst ja da so manches Scheme aus
Schure einflechten. Und die Grundlage des Christuswesens kennst
Du ja. Man hat sich das «Wesen» Christus als den umgekehrten
makrokosmischen Menschen vorzustellen, der aber gleich ist dem
zweiten Aspekt der Gottheit, oder des Logos. - Denke Dir den
Augenblick, bevor die sogenannte «Monade» (die Gesamtheit der
Monaden) herabsteigt, um in die bis dahin praparierten Tiermen-
schenkorper sich zu inkarnieren. Das Tierreich bis dahin, soweit es
entstanden war; also mit Ausnahme der Saugetiere, hatte physisch
ausgebreitet alles, was fur den niederen Menschen in ein Wesen
zusammengezogen werden musste. In diesen lemurischen Tiermen-
schen steigt die Mon[a]denwelt herab, indem sich Manas von Budhi
zunachst abtrennt. In dem lemurischen Menschen ist so inkarniert
Manas, das sich mit Kama zu Kama-Manas vereinigt, und Budhi-
Atma bleibt nur als Anlage mit Manas noch verkniipft. Christus ist
nun diejenige Wesenheit, welche die «Budhi» zunachst als ersten
Funken erweckt. Dazu ist notwendig, dass das Christuswesen Be-
sitz ergreift von einem Chela im dritten Grade (Jesus). So also
haben wir das Christusereignis auf Erden anzusehen, als die Um-
kehrung des Prozesses innerhalb der Monadenwelt, von dem, was
sich bei «Adam» vollzogen hat. Paulus spricht das ja ganz deutlich
aus, wenn er den « Christus » den «umgekehrten Adam» nennt. Der
auftere historische Vorgang ist nur das tatsachliche Symbol fur den
inneren geistigen Vorgang.
Man hat also die Sache sich etwa nach dem folgenden Schema
zu versinnlichen:
Wenn sich die Frau Schmidt beziiglich der «Vaterschaft» des
Jesus nicht beruhigen will, so sag ihr doch, dass uns nur die geisti-
gen Dinge kiimmern, und dass die «Vaterschaft» nur wichtig hatte
werden konnen fiir die Vorganger unserer heutigen braven Juri-
sten, wenn sie die Erbschaftsverhaltnisse Jesu hatten erledigen
mussen, dass aber «Jesus» [auf] alle Erbschaft verzichtet hat und
dass damit schliefilich die Sache mit dem «Vater» nicht gerade
brenzlich ist. Aufter den Juristen interessiert die «Vaterschaft» aber
doch nur die Tanten der Kaffeekranzchen und der five o'clock
tea's. Aber das alles hat es damals noch nicht gegeben.
Nun nochmals: Lasse Dich in Munchen als ganz gesunde Maus
treffen. Ich werde in Munchen ankommen: 7 Uhr 52 morgens.
Deshalb bitte ich Dich, mich nicht zu erwarten und auch den
Damen zu sagen, dass sie mich auf keinen Fall erwarten sollen. Ich
werde schon allein ankommen und etwa ein Viertel nach 8 Uhr bei
Stinde-Kalckreuth sein.
Herzlichstes von Deinem Rudolf
waren wir mit einem Manne zusammen, der eben ein Buck Uber die verschiedenen
Leben Jesu . . . verfasst hat: Es kann sich nur um Albert Schweitzer handeln mit
seinem Buch «Von Reimarus zu Wrede>>, 1906, 2. Auflage unter dem Titel
«Geschichte der Leben-Jesu-Forschung», 1913.
Artikel «Theosophie und Wissenschaft»: In Nr. 28 (September 1905) von «Lucifer-
Gnosis», wiederabgedruckt in «Luzifer-Gnosis 1903— 1908», GA 34.
Wenn es Dir angemessen diinkt: Bezieht sich darauf, dass die kiirzlich, Anfang
Januar, errichtete esoterische Einrichtung von Rudolf Steiner und Marie v. Sivers
gemeinsam geleitet wurde.
wenn Du Regensburg besuchst: Marie v. Sivers und Rudolf Steiner trafen sich am
17. Januar 1906 in Munchen. Vermutlich aufierte sie in einem nicht mehr vorhan-
denen Brief an ihn die Absicht auf dem Weg nach Munchen Regensburg zu
besuchen.
Montag abends: Berliner Zweigabend.
47 An Marie von Sivers in Berlin
Donnerstag, 25. Januar 1906
Dresden, 25. Januar 1906
Mein Liebling, nun bin ich also bis Dresden gelangt. Schon war es,
dass Du wenigstens die paar Tage fern von dem Berliner Getriebe
sein konntest. Wenn ich Dich doch schon heraus hatte aus den
kleinlichen Arbeiten und Dich so recht leben sane in der geistigen
Welt, die Dir doch bestimmt ist und der Du nur entrissen werden
musstest fur einige Zeit, weil es so schwer war in Deutschland fur
unsere Sache Menschen zu finden, die wirklich wissen konnen,
worauf es ankommt. So musstest Du nicht ein einfaches, sondern
ein doppeltes Martyrium auf Dich nehmen. Und zu alledem noch
die so schwierige Lage mit der «Gattin»! Alle Versuche nach da
oder dorthin lassen ja doch nur neue Schwierigkeiten erkennen.
Wir beide, mein Liebling und ich selbst, miissen das Karma des
Materialismus mittragen, denn Materialismus hat notwendig fur das
alltagliche Leben, wie es sich in unseren Einrichtungen ausspricht,
Sinnlosigkeit im Gefolge. Und die Sinnlosigkeit macht alle Dinge
so schwierig, weil ihnen ja dann, wenn sie vorhanden ist, nicht mit
dem «Sinn» beizukommen ist. Aber es soil alles geschehen im
weiteren, was nur irgend moglich ist.
In Frankfurt war zunachst der Besuch sehr maftig; der «Goethe-
zweig» ist aber gegriindet und Nab hat seinen Vorsitz. Auch in
Marburg waren nur in geringer Zahl die Herren Studierenden fur
eine Vertiefung der geistigen Kultur zu haben. Dort traf ich iibri-
gens den Dr. Christlieb, der vor 14 Jahren mich in Weimar aufge-
sucht hat, weil er damals an meinen Schriften Gefallen gefunden
hatte. Dann war er auf sieben Jahre nach Japan als Missionar ge-
gangen. Nun hat er ja die Biicher von Trine ins Deutsche iibersetzt.
Er zeigte mir eine Rezension des «Esoterischen Christentums» von
A. Besant, die er fur eine protestantisch kirchliche Zeitschrift ge-
schrieben hat. Diese seine Rezension schlielk mit den netten Wor-
ten «Mich dunkt, die Alte redet im Fieber». Das ist das Urteil eines
liberalen Protestanten-Gelehrten, der obendrein Trine ins Deut-
sche iibersetzt. Von der Theosophie scheint er nun durch den
Marburger Vortrag doch ein klein wenig bessere Vorstellungen
erlangt zu haben.
Vom Sonntagabend in Kassel erzahle ich Dir noch. Der Nach-
mittag (Montag) bei Noll scheint fruchtbar gewesen zu sein. Der
offentliche Vortrag war nicht gerade schlecht, doch aber auch nicht
iibermafiig gut besucht. Kiems Eltern waren anwesend.
In Weimar war es Dienstag verhaltnismafiig gut besucht. Es hat
nichts gemacht, dass Henning fur Mittwoch 6 Uhr die Maurer
gerufen hat. Wir miissten eigentlich iiberall die Johannesmaurer als
Briider anerkennen, und uns ganz maurerisch zu ihnen verhalten.
Das habe ich denn auch getan. Die Sache war nur insofern nicht
sehr wirksam, als auf Hennings Einladung nur 4 weimarische
Maurer gekommen sind. Nun sind ja die Weimarischen Verhaltnis-
se in der Maurerei noch insofern ungiinstig, als da nach dem soge-
nannten Hamburgischen System «gearbeitet» wird, und dies ist
wohl eines der geistlosesten. Mit den vieren gings ja im Grunde
gut. Nun, ich erzahle Dir noch mehr davon.
In Hannover mogen sie das Thema machen, wie sie wollen. Dort
ist ja etwas Gescheites doch nicht moglich, so lange der gute
Hubbe-Schleiden sein «wissenschaftliches» Blech redet. - Frau
Liibke habe ich geschrieben, sie moge machen, was sie will: auch
sie wird nur hindernd irgendeinem Gedeihen sein. Bremen ist
eigentlich grasslich. Denn Frau Dr. Braun hat das Zeug dazu, uns
griindlich aufs Eis zu fiihren.
Also wir sehen uns nun wieder bald, mein Liebling. Ich muss also
noch morgen hier fur einen engeren Kreis bleiben. Wenn ich Dir nicht
noch anderes berichte, so komme ich Sonnabend 10.15 in Berlin an.
Einstweilen allerherzlichstes von Deinem Rudolf
die paar Tage fern von dem Berliner Getriebe: Marie v. Sivers war vermutlich
noch einige Tage nach dem gemeinsamen Aufenthalt in Miinchen am 17. und 18.
Januar 1906 bei den ihr befreundeten Damen Sophie Stinde und Grafin Kalck-
reuth geblieben, wahrend Rudolf Steiner seine Vortragsreise weiterfuhrte.
Dr. Christlieb: Max Christlieb (1862-1916), protestantischer Pfarrer, 1906 in
Marburg als Bibliothekar tatig, siehe Rudolf Steiner, «Mein Lebensgang», XX.
Kapitel, ferner Ludwig Kleeberg, «Wege und Worte», Stuttgart 1961, S. 82.
Noll: Dr. med. Ludwig Noll (1872-1930), auf der Griindungsversammlung 1902
in den Vorstand der deutschen Sektion gewahlt, Januar 1907 Vorsitzender bei der
Neugriindung des aufgelosten Zweiges Kassel, 1921-24 Arzt am Klinisch-Thera-
peutischen Institut in Stuttgart, 1924/25 zweiter behandelnder Arzt Rudolf
Steiners.
Frau Dr. Braun: Clara Braun, Krankenschwester (Schwester Frida), gesch. Frau
des Sozialisten Dr. Heinrich Braun, Mitglied seit 1897, half in den ersten Jahren
beim Biicherversand im Berliner Sekretariat, verzog 1905 nach Bremen, heiratet
dort ca. 1906 Gustav Wobken (gest. 1959).
48 An Marie von Sivers in Berlin
Dienstag, 13. Februar 1906, aus Koln
13. Februar 1906
Mein Liebling, es ist hier wirklich so viel zu tun gewesen, dass ich
Dir bisher habe die versprochenen Sachen nicht senden konnen.
Ich bring Dir die Kate Spink-Sache fur Donnerstag mit. Es ist
wirklich schade, dass Du hast diesmal nicht mitkommen konnen.
Nun aber das nachste Mai. Frau Kiinstler ist wirklich recht wenig
gesund. Sie liegt die meiste Zeit, sogar gestern und heute zu Bett.
Die Sache sieht sich gar nicht gut an.
Ich komme also wohl Donnerstag 8.48 Potsdamer Bahnhof an.
Beziiglich Stuttgart bin ich mit dem Thema ganz einverstanden.
Man kann ja immerhin iiber das christliche Mysterium auch offent-
lich sprechen.
In ein paar Minuten ist hier Logenvortrag. Dann Bonn. In
Gedanken bin ich ganz innig bei Maus. -
Die Altmann Korrekturen sind alle erledigt.
Allerherzlichst Dein Rudolf
Kate Spink: 1905-1908 Generalsekretarin der Britischen Sektion, London.
Frau Kiinstler: Maud Kiinstler, geb. Capon (1866-1916), und ihr Mann Eugen
(1869-1942), Druckereibesitzer, Mitglieder seit Dezember 1903, lebten in Wohn-
gemeinschaft mit Mathilde Scholl, zusammen begriindeten sie den Zweig Koln.
Die Altmann-Korrekturen sind alle erledigt: Diirfte sich auf die Zeitschrift
«Lucifer-Gnosis» beziehen, die ab Nr. 25 (Juni 1905) in Kommission bei Max
Altmann, Leipzig, erschien.
Landin, Juli 1906
mit Clara Selling und Eugenie von Bredow (stehend)
49 An Marie von Sivers in Donndorf bei Bayreuth
Dienstag, 14. August 1906
Berlin, 14. August 1906
Mein Liebling!
Gern glaube ich Dir, class Dein armer Kopf in diesen Tagen schwer
Briefe schreiben kann. Was hat aber auch dieser gute Kopf in der
letzten Zeit alles leisten mussen! Aber er darf den Mut nicht ver-
lieren. Er muss sich wieder finden. Er ist ja doch so voll der rich-
tigsten Empfindungen. Und er ist augenblicklich ja doch nur durch
die aufieren Verhaltnisse beunruhigt, wahrend er innerlich zur Ruhe
und Gelassenheit geradezu pradestiniert ist. Sieh mal, mein Lieb-
ling, das ist einmal das Notwendige beim Okkultismus, dass er die
Moglichkeit, in der Welt Kraft zu entfalten, nur dann erlangt, wenn
dies auf Kosten des Nichtanwendens der Kraft auf sich selbst ge-
schieht. Das ist ungenau gesagt; aber fur uns kann es gut erklarend
sein.
Bisher scheint es mir nicht, als ob ich zu einer Festspielvorstel-
lung kommen konnte. Aber am letzten Tage Deines Aufenthaltes
in der «Fantaisie» werde ich dann dort zu sein suchen. Ich werde
mir erst morgen die Zeit fur die osterreichische Reise usw. einteilen
konnen. Ich muss warten, wie die Druckerei fertig wird.
Gestern gab ich Deine von Dir mir eingepackten Gummischuhe
Selling, damit er sie Dir schicke. Den Bayreuther Fiihrer will ich
senden. Die Adresse des Tischlers sollst Du morgen haben. Ich
muss morgen doch alles durchsehen, und dann findet sie sich ganz
gewiss. Heute wiirde mich das Suchen nur aufhalten.
Dem armen Kiem hat man iibel mitgespielt. Ich habe ihm einen
Brief nach Kassel geschrieben. Uberraschen konnen solche Dinge
den nicht, der in die heutigen Zeitverhaltnisse hineinsieht. Wer die
juristische Welt kennt, aus der solche Geister, wie der Kiem ver-
nehmende Untersuchungsrichter ihre Seelennahrung erhalten, der
weifi, dass solches heute kommen musste. Nur wer nicht hinsieht,
wie die Verhaltnisse sind, der kann von Einzelnem iiberrascht sein.
Ein einzelner solcher Richter [mit] seiner bemitleidenswerten Ge-
dankenverwirrung und seinem ungesunden Gefiihlsleben ist ein
September 1906
Opfer der ins Absurde sich bewegenden juristischen Gewohnheiten
unserer Zeit. Und mit der Person eines solchen Opfers muss man
das tiefste Mitleid haben. Unsere Zeit muss seelische Patienten
immer mehr erzeugen. Und toricht ware es zu glauben, dass etwas
anderes als eine groftangelegte geistige Bewegung irgendwie helfen
konnte. Die geistigen Krafte, von denen heute das offizielle Leben
gefiihrt wird, miissen dieses in den Sumpf fuhren. Und das «einzi-
ge» gro£e Unrecht, das man gegeniiber all dem begehen kann, ist,
die Augen vor diesen Verhaltnissen zu verschliefien. Wer sehen
will, kann iiberall «auf der Stra$e» mit Handen das Absurde grei-
fen. In der deutschen «Intelligenz» regt man sich z. B. jetzt dariiber
auf, dass die Breslauer Kirchenbehorde einen Konfirmanden zu-
riickgewiesen hat, weil er ausdrucklich sagte, dass er an gewisse
Satze des Apostolicums nicht glauben konne. Der Junge hat sogar
ein eigenes Credo sich ausgearbeitet, der Kirchenbehorde einge-
reicht, und der Vater setzte alle Hebel in Bewegung, um fur den
Jungen die Konfirmation zu erzwingen auf Grundlage von dessen
eigenem Apostolicum. Also Konfirmanden erklaren sich heute fur
berechtigt, den ganzen Umfang der Welterkenntnis aus eigener
souveraner Weisheit zu bestimmen. Dass der Junge so ist, das ist
begreiflich, wenn man die gegenwartigen Einfliisse auf Kinder ins
Auge fasst, dass der Vater den Jungen von einer Kirche konfirmiert
haben will, deren Bekenntnis der Konfirmand nicht teilt, soil be-
greifen, wer auch begreifen kann, dass jemand baden will, ohne
nass zu werden.
Niemand aber sieht, worauf es ankommt. Dass die Kirchenleiter
in - natiirlich unbewusster und aus Unfahigkeit entsprungener -
Pflichtvergessenheit es nicht dahin bringen, dass ein Konfirmand
das rechte Gefuhl fur den Inhalt bekommt, was er bei der Konfir-
mation zu sagen hat.
Wer sehen will, kann die Symptome derjenigen Krankheit iiber-
all sehen, die so ernst ist, wie jene, welche die vierte Unterrasse der
Atlantier getroffen hat.
Das Heft 32 des «Lucifer» ist nun im Manuskript ganz fertig. Dies-
mal habe ich es ganz allein geschrieben, von der ersten bis zur
letzten Zeile. Was ich mit den nachsten Heften will, soli in kleinen
Dosen kommen, deshalb steht in diesem nur ein Anfang mit einem
Artikel «Die Lebensfragen der theosophischen Bewegung».
In aller Herzlichkeit Dein Rudolf
Bitte schreibe mir nochmals, wann der erste Vortrag im Architek-
tenhaus ist. Ich kann diese Zahl in meinem Notizbuch nicht lesen.
Aber bitte sogleich.
Festspielvorstellung: Rudolf Steiner, Marie v. Sivers und deren Schwester Olga
v. Sivers, Sophie Stinde, Grafin Pauline v. Kalckreuth waren zu einer Parsifalauf-
fiihrung in Bayreuth (It. Karte vom 9. August 1906 an Johanna Miicke). Laut Brief
Marie v. Sivers' an Edouard Schure vom 14. August 1906, hatte sie gerne noch
einmal zusammen mit Rudolf Steiner eine Auffiihrung gesehen, was jedoch nicht
moglich war.
Fantaisie: Hotel in Donndorf bei Bayreuth, wo Marie v. Sivers mit Mutter und
Schwester zur Erholung weilte.
Selling: Wilhelm Selling (1869-1960), als Maschinentechniker in Afrika, Riickkehr
kurz vor der Jahrhundertwende, krankheitshalber pensioniert. Seit April 1905
Mitglied im Berliner Zweig stellte er sich ganz fur die Arbeit dort zur Verfugung.
Ein einzelner solcher Richter [mit] seiner: Im Original steht <wird> fur <mit>.
Artikel «Die Lebensfragen der theosophischen Bewegung»: Jetzt in «Luzifer-
Gnosis», GA 34.
erste Vortrag im Architektenhaus: Der erste Vortrag im Herbst 1906 fand am 11.
Oktober statt, siehe «Die Erkenntnis des Ubersinnlichen in unserer Zeit und
deren Bedeutung fur das heutige Leben», GA 55.
49a Marie von Sivers an Edouard Schure
Samstag, 10. November 1906
Ubersetzung aus dem Franzosischen
10. Nov. 1906
Cher Monsieur,
Wir kommen soeben aus Munchen zuriick, wo Herr Steiner einen
Zyklus unter dem Titei «Die Theosophie an Hand des Johannes-
Evangeliums» gehalten hat. Es war grofiartig. Wahrend der zwolf
/Ike P <?72-^<?%U/Z^e-^ — f
Tage dort haben wir auch den Plan fur den Kongress entworfen
und die Sale gemietet. Diese sind nach unserem Geschmack -
wiirdig, weitraumig, wo hi proportioniert und frei von Verzierun-
gen, sodass die Dekoration unsere Sache sein wird. Wir konnen
versuchen, uns der Idee des Tempels zu nahern. Die Biihne ist auch
grofi und wir werden weit genug entfernt vom Publikum sein, um
die Illusion des «Mysteriums» zu erzielen, ein Projekt, das wir
nicht aufgegeben haben. So mochten wir Sie noch einmal um die
Erlaubnis bitten, «Das heilige Drama von Eleusis» auffuhren zu
diirfen, nicht mit Schauspielern, sondern indem wir die Rollen an
Mitglieder unserer Gesellschaft verteilen. Herr Steiner will gar kei-
ne Theaterroutine, er wird selbst unser Regisseur sein und uns den
tieferen Sinn unserer Rollen eroffnen. Da er ja alles kann, wird er
auch das konnen. Er wird auch mit sicherem Blick diejenigen aus-
zuwahlen wissen, die besondere Fahigkeiten fur bestimmte Rollen
haben. Ich glaube, dass Sie nicht zu viel riskieren, da ja die Auf run-
ning keine offentliche sein wird. Es werden nur die Mitglieder der
Theosophischen Gesellschaft da sein und die Zeitungen werden
sich nicht hineinmischen. Nur im Falle eines ganz unerwarteten
Erfolges konnte man daran denken, die Sache offentlich zu wieder-
holen, sofern Sie damit einverstanden sind.
Nun miisste man allerdings, wie Sie selbst sagten, einige An-
derungen vornehmen, und dann die fertige Ubersetzung dem
Komponisten geben. Wir miissen uns also gleich ans Werk machen,
denn der Kongress findet schon zu Pfingsten statt (am 19. Mai).
Manchmal kommen einem, wenn man die Dinge mit Energie und
gutem Willen in die Hand nimmt, die Sterne zu Hilfe; sie inspirie-
ren uns und senden uns die guten Schutzgeister. Wer weifi, ob ein
solches Unternehmen, mit Mut und Glauben durchgefuhrt, nicht
die Pforte fur groftere Erfolge offnen konnte. Wenn man selbst
nicht aktiv ist, kann man nicht erwarten, dass die anderen etwas
riskieren. Naturlich muss man sich auf eine Riesenarbeit gefasst
machen. Wenn Sie ablehnen, wird Herr Steiner selbst etwas im
Sinne der antiken Mysterien verfassen, denn wir legen Wert auf das
Mysterium, - aber wir hatten sehr gerne das Ihrige.
Es ist richtig, dass Herr Steiner mir die Rolle der Demeter geben
will und das hat mich erschreckt. Ich hatte eher Persephone ge-
wahlt als die Gottermutter. Nur sagt Herr Steiner, dass diese Mutter
etwas von einer Nonne haben muss, und dass sogar mein Mund fur
diese Rolle besonders geeignet ist, nicht jedoch fur die der Perse-
phone. Ich kann nun nicht gerade die erste sein, die sich straubt,
nur finde ich, dass ich jetzt die schwierigste Rolle habe und zu-
gleich die, von der am meisten abhangt. "[...]
Es ware natiirlich sehr schon, wenn Sie «Das Christentum als
mystische Tatsache» iibersetzen wiirden, und Herrn Steiner ware
es sehr lieb, durch Sie an das franzosische Publikum herangebracht
zu werden. Er ist zur Zeit in Leipzig und hat mich beauftragt,
Ihnen diese Antwort zu geben.
Bitte geben Sie uns recht bald Ihren Bescheid wegen des Myste-
rienspiels. Ich glaube, dass aus dieser gemeinsamen Arbeit eine
fruchtbare Kraft des Guten fur die Menschheit entstehen wird. Und
das Ansehen eines jeden geistigen Arbeiters wachst in seinem
eigenen Lande, wenn die Nachbarn sich um ihn kiimmern. [...]
Vielen Dank noch fur all die schonen Dinge, die Sie uns sagen.
Ich kehre oft in Gedanken in das friedliche Vogesental zuriick, wo
wir eine so warme und verstandnisvolle Gastlichkeit gefunden ha-
ben. Ich hoffe Sie und Madame Schure in Miinchen wiederzusehen;
nach dem Kongress hoffe ich eine Serie von internen Vortragen mit
Hilfe der Damen Kalckreuth und Stinde an irgendeinem schon
gelegenen Ort in Bayern einrichten zu konnen. Wenn Sie wiissten,
wie Herr Steiner arbeiten muss! Ich glaube, so etwas ist noch nie
gesehen worden.
Nos plus cordiales et respectueuses amities a Mme Schure et
a vous M. Sivers
Serie von internen Vortragen: Im Anschluss an den Kongress fand in Miinchen
der Zyklus: «Die Theosophie des Rosenkreuzers» statt, GA 99.
50 An Marie von Sivers in Berlin
Montag, 19. November 1906
Bremen, 19. Nov. 1906
Mein Liebling
Dies war nun wieder einmal eine Fahrt durch die Gebiete der
«Alten». Der Vortrag in Hannover war sehr gut besucht; er passte
eigentlich recht wenig zu dem ganz unmoglichen Thema. Dennoch
ging's sehr gut. Am nachsten Tag fanden sich die nach Esoterik
Suchenden im Hotel ein; mittag konnte naturlich Dohren nicht
umgangen werden. Paula Stryzek kam wieder mit ihren Klagen
beziiglich Hiibbe-Schleidens; dann war um 5 esoterische Stunde.
Es war aus Paula Stryzeks und der andern Aussagen klar, dass
Hiibbe-Schleiden durchaus teilnehmen wollte. Um nicht hart zu
sein, sagte ich «ja». Dann nachher begleitete er mich zu Grafin
Moltke. Was er da redete, war das unmoglichste Zeug. Er habe
noch immer erlebt, dass die Leute durch die Esoterik verdorben
worden seien. Besonders die «Weiber». Zuletzt kam nichts anderes
heraus, als dass er mit Paula unzufrieden ist. Auf jeden andern
wiirde sie horen; nur auf ihn nicht. Abends war dann Logenabend.
Dann kamen wieder Elogen liber Elogen von ihm.
Dann also Hamburg. Hubo, Kolbe, Scharlau erwarteten mich.
Hubo hatte doch vorausgesetzt, dass ich bei ihm wohnen werde.
Also wars. Die Ursache seines Riicktritts? Eine hochst unbedeu-
tende Differenz mit Scharlau und Kolbe. Endloses Betonen der
Undankbarkeit samtlicher Logenmitglieder. Abends leitete Schar-
lau, nicht Hubo die Versammlung. Die esoterische Stunde wollte
ich doch um 11 Uhr Sonntag bei Hubo ansetzen. Es geschah. Doch
Hubo ging selbst fort, als die andern kamen. Nachmittag ging ich
ins Patriotische Haus zur Logenversammlung. Hubo ging auch da
nicht hin. Er konne die andern nicht sehen. Es ist nichts mehr zu
machen mit ihm. Alles hilft doch nichts. Die Dinge, die er vor-
bringt, sind doch nur Masken. Frl. v. E. wirkt erstens noch nach.
Diese Affaire hat ihm das letzte Ende gegeben. Dazu kommt ein
ganz unbandiges Gefuhl, dass ihm die andern Mitglieder iiber den
Kopf wachsen. Er kann nicht sehen, dass sie etwas bekommen von
anderer Seite. Es ist ein grenzenloses Ressentiment in ihm. Ich
miisste nach Lage der Sache den Leuten raten, ihn gehen zu lassen,
sich einen neuen Vorsitzenden zu wahlen und ihn zum Ehren-
Prasidenten zu ernennen. Da hat er nichts zu tun.
Nun liegen aber die Dinge in Hannover und Hamburg so, dass
ich nach Neujahr doch hin muss, wenn nicht viel verloren sein soli.
Wir miissen also dafur sorgen, dass das geht.
Sowohl in Hamburg wie in Hannover konnte es gut gehen, wenn
nicht Hiibbe und Hubo waren. - Es ist auch gar nicht unmoglich,
dass Hiibbe Lust bekommt, oder schon hat, auf dem Kongress eine
Rolle zu spielen. Auch die iiblen Folgen einer etwa da spielenden
gekrankten Eitelkeit konnen nur durch einen neuerlichen Besuch
Hannovers - nicht wegen Hiibbe, sondern wegen der Andern -
paralysiert werden. Hiibbes ganzes Auftreten ist der Ausfluss eines
schwachen Kopfes und einer starken Eitelkeit. Daher redet er auch
stets von seiner Bedeutung und von seiner Bescheidenheit. -
In Bremen habe ich bis jetzt niemand gesehen. Dazu ist wohl
noch morgen Zeit.
Die Vorrede zu den I. hoffe ich mitzubringen. Der Aufenthalt
sowohl in Hannover wie auch in Hamburg war recht anstrengend.
Hiibbe's Reden wirken doch wie sinnlose Wortzusammenstellun-
gen; das tiefste Mitleid ist das einzige Gefiihl, das man haben kann.
Hubo ist voll von Affekten - und ein ganz gebrochener Mann. Die
General-Versammlung hat wohl auch schlimm auf ihn gewirkt;
nicht durch uns, sondern durch anderes, das lieber miindlich mit-
geteilt werden soli. Menschliches, Allzumenschliches, Personliches,
Allzupersonliches.
Mittwoch friih komme ich wohl an, wenn ich nichts anderes
mitteile: 7 Uhr 8 Minuten.
Ganz herzlichst Dein Rudolf
Vortrag in Hannover ... ganz unmoglichen Thema: «Gott und die Unsterblich-
keit».
Dbhren: Wohnsitz von W. Hubbe-Schleiden.
Stryzek: Paula Stryczek (1868-1945), im Haushalt von Hubbe-Schleiden, 1908
von ihm adoptiert, spater im Haushalt von Giinther Wagner in Berlin. 1902
bereits Mitglied der T.G..
Grafin Moltke: Grafin Ella v. Moltke, geb. Grafin Bethusy-Huc (1856-1924), in
Hannover, Mitglied im Berliner Zweig seit Juli 1906. Schwagerin des Generals
Helmuth v. Moltke in Berlin. (Der Grafen-Titel ging in diesem Zweig der Familie
Moltke nur nach dem Recht der Erstgeburt.)
Kolbe: Adolf Kolbe, Mitglied seit 1897, grxindete 1898 mit B. Hubo den Ham-
burger Zweig, seit 1905 im Vorstand der Sektion.
Scharlau: Gustav Scharlau, ebenfalls Mitglied seit 1897 und Mitbegriinder des
Hamburger Zweiges.
Frl. v. E.: Unbekannt.
Die Vorrede zu den I.: Durfte sich auf die Vorrede Rudolf Steiners zu der
Ubersetzung durch Marie v. Sivers von Schures «Les grands Inities» unter dem
Titel «Die grofien Eingeweihten», Leipzig 1907, beziehen.
51 An Marie von Sivers in Berlin
Dienstag, 4. Dezember 1906, aus Bonn
Mein Liebling!
Diisseldorf, Elberfeld, Coin und soeben auch Bonn sind absolviert.
Scholl hat nun wieder ganz ernstlich alle guten Versprechungen
gemacht. Sie hat doch unter dem Einfluss ihres Verhaltnisses mit
Bredow eine Phase durchgemacht, in der sie gezeigt hat, dass sie
eine passive, empfangende Natur sein muss, wenn sie befriedigt
sein soil. Im Anfange der Sektionsbildung trat eine gewisse Aktivi-
tat und Initiative hervor bei ihr; aber ihre Personlichkeit verlangt
eine Stiitze von auften. Und zwar in personlichstem Sinn. Es wird
ihr sogar recht schwer werden, sich wieder zu finden. Auf eine
Initiative von ihr wird wohl so bald doch nicht zu rechnen sein.
Und doch hinge von einer solchen ab, ob hier in dieser Umgebung
die Sache weiter geht.
Aber was soil man viel iiber diese alte «Saule» sagen, wenn doch
auch die neuen sich nicht gerade klug erweisen. Oder ist die Auf-
fassung der Frau Wolfram von Frau von Hoffmanns Brief nicht
geradezu schadlich? Sie schreibt der Hoffmann, dass sie fur die
Leipziger Loge Geld brauche. Hoffmanns schicken ihr fur die
Vortrage 300 Mark. Frau Hoffmann schreibt, dass sie sich von der
theos. Gesellschaft nichts versprechen. Und die Wolfram findet,
dass sie antworten muss «ohne Saure mit den Girlanden der Lie-
benswiirdigkeit etc.». Du hast wohl den torichten Brief der Wolf-
ram gelesen. Es ist mir lange von alten Theosophen kein so verstan-
diges Wort vorgekommen wie von Frau Hoffmann. Es ist ja doch
nur natiirlich, dass solche Leute erst wieder langsam gewonnen
werden miissen, nachdem sie die theosophische Komodie von
Anfang an sich um sie haben abspielen sehen. Auch ist es nicht zu
verwundern, wenn solche Leute von dem gewohnlichen Logentrei-
ben sich nicht sonderlich sympathisch beriihrt finden. Wenn sie
doch trotzdem so objektiv sind, wie der Brief zeigt, dann ist das
der Anerkennung, nicht der Schnoddrigkeit wert. Wenn wir die
Logentreiberei als etwas anderes betrachten, denn ein notwendiges
Ubel, so treiben wir in einen philistrosen Sumpf hinein. Das ein-
zige, auf das es ankommt, ist, dass den Leuten geistiges Leben zu-
gefiihrt wird. Was sie gegenseitig in den Logen schwatzen, ist nicht
zu vermeiden, aber zu gar nichts niitze. - Was hat nun gar die
Katzbalgerei des Vollrath mit der geistigen Bewegung zu tun? Kurz,
Wolframs Brief ist eine Zusammenstellung von Dummheiten.
Der Gravell ist in Heidelberg jedenfalls iiberflussig.
Mein Liebling, habe herzlichsten Dank fur Deine Briefe. Schone
Dich ein wenig. Widme Dich mehr dem Leben dessen, was Du
z. B. an den Montagen vortragen kannst. Es ist doch schmerzlich,
dass Du wieder die Einpackung der Biicher hast besorgen miissen,
und dadurch vom Geistigen bist abgezogen worden. Das hatte doch
Wagner besorgen lassen miissen. Aber die Leute wissen doch nie,
was sie tun sollen, und wollen doch immer etwas tun. Hoffentlich
wird die Sache mit Wagner nicht gar zu schlimm.
Das Protokoll habe ich Frl. Scholl gegeben. Korrigieren muss
ich es doch noch im Druck. Es war in Coin nicht moglich.
Sonntags sind in Coin 7 neue F.M. eingetreten: Biische, Linde-
mann und Frau, Frl. Weber, Frau Berendt, Dr. Peipers und Frau.
Bald weiteres herzlichst Dein Rudolf
Bredow: Eugenie v. Bredow, geb. Grafin Schwerin (1860-1922), Mitglied seit
November 1904, seit 1911 im Vorstand der Sektion. Lebte in Landin in der Mark
Brandenburg, hatte aber auch eine Absteige in der Motzstr. 17. Im Sommer 1906
verbrachten Rudolf Steiner, Marie v. Sivers, Mathilde Scholl und wenige andere
Freunde einige Tage auf dem Bredowschen Gut in Landin.
Frau Wolfram: EHse Wolfram, geb. Garmatter (1868-1942), Mitglied seit Septem-
ber 1905, 1906 Schriftfuhrerin, 1908 Vorsitzende des Zweiges Leipzig, seit 1908
im Vorstand der Sektion.
Frau v. Hoffmann: Freifrau Eveline, geb. Becker (1842-1913), Gattin des Barons
Oskar v. Hoffmann (1832-1912), der vor der 'Jahrhundertwende das in der T.G.
sehr bekannte Biichlein «Light on the Path» von Mabel Collins ins Deutsche
libersetzte: «Licht auf den Weg», wozu Rudolf Steiner 1903/04 eine Exegese
schrieb (s. GA264, 2. Auflage 1996). Sie war ein sehr altes Mitglied der T.G.,
schloss sich aber erst im Marz 1911 der deutschen Sektion an, nicht aber dem
Zweig in Leipzig, wo sie wohnte.
Vollrath: Hugo Vollrath, theos. Verleger und Buchhandler, Mitglied der Hart-
mann-Bohme Gesellschaft, seit Mai 1904 auch Mitglied des Zweiges Leipzig,
wurde 1908 auf Antrag von Elise Wolfram wegen seiner unwurdigen Umtriebe
aus der deutschen Sektion ausgeschlossen. 1911 lielS er ein Pamphlet voller Liigen
gegen Rudolf Steiner los, zur selben Zeit ernannte A. Besant ihn zum Sekretar des
«Sterns im Ostens» fiir Deutschland unter Hiibbe-Schleiden, annulierte diese
Ernehnung allerdings bald darauf. Zur Generalversammlung im Dezember 1911
stellte er, sowie Ahner, Krojanker und C.R. Miiller Antrage auf Wiederaufnahme
in die Sektion, die abgelehnt wurden. - Vgl. Scholl-Mitteilungen, Nr. VIII,
Dezember 1908 und XIII, Marz 1912.
Gravell: Dr. phil. Paul Gravell, Mitglied seit Oktober 1907 in Heidelberg, dann
nach Miinchen und schlieftlich nach unbekannt verzogen.
Das Protokoll habe ich Frl. Scholl gegeben: Protokoll der Generalversammlung
der deutschen Sektion vom 21. Oktober 1906 fiir Nr. IV der im Januar 1907
erschienenen Scholl-Mitteilungen.
hatte doch Wagner besorgen lassen mtissen: Gunther Wagner hatte im November
1906 die Verwaltung der Theosophischen Bibliothek mit Fernleihe in Berlin
ubernommen und war daftir von Lugano nach Berlin iibergesiedelt.
Biische: Frl. Ella Biische, Schwelm/Westfalen, Mitglied im Kolner Zweig seit
Januar 1904.
Frl. Weber: M. Weber, Godesberg, Mitglied im Kolner Zweig seit Dezember 1903.
Frau Berendt: Elisabeth Berendt (gest. 1952), Godesberg, Mitglied seit Dezember
1903 und Schriftfuhrerin bei Begriindung des Zweiges Koln im Marz 1904.
52 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 8. Dezember 1906
Stuttgart, 8. Dec. 1906
Mein Liebling. Eh es in Stuttgart losgeht, sollst Du diese paar Zeilen
erhalten. Unter Frankfurt hat leider noch mein Hals zu tragen.
Diese edlen Arrangeure hatten es «schlau» gefunden, sowohl den
offentlichen Vortrag wie den internen Abend bei Bier und Tabak-
rauch zu veranstalten. Dass dies mein Hals nicht aushalt, ist selbst-
verstandlich. Ubrigens gab's noch eine Schonheit am Abend. Nach
dem Vortrag kam ein Fragesteller, der einen Satz von der Theoso-
phie vorbrachte, der heillosester Blodsinn war. Als ich sagte, dass
doch im Vortrage so etwas nicht gesagt worden sei, wies er ein
Flugblatt auf, das unser braver «Goethezweig» hat drucken lassen
und worin der Satz steht. Ich musste nun natiirlich sagen, dass es
mir gar nicht einfallt, dergleichen zu vertreten. Es stellte sich her-
aus, dass das Ding eine bosartige Ubersetzung des ohnedies schon
konfusen englischen entsprechenden Flugblattes war. So sagte ich
auch den Leuten. Nachher erklarte Herr Hintze, dass er dies aus
dem Englischen iibersetzt habe. Da haben die Leute unsere Flug-
blatter, worin der Text ordentlich deutsch steht. Herr Hintze aber
findet es notig, Flugblatter extra nach dem englischen Text zu
drucken und dafiir das Geld des Goethezweiges auszugeben. Er ist
eben bei den Englandern in die Schule gegangen.
Der Prof. Voigt kommt nicht mehr, weil ihm die «Theosophie»
des Herrn Hintze mit unnotigen «buddhistischen» Floskeln dem
deutschen Geistesleben unmoglich erscheint. Die Frau Liibke
hatten wir los; nun haben wir wieder da in Frankfurt so einen, der
die Dinge am englischen Quell studiert hat.
Mein Liebling, wie steht es mit Deiner Ubersetzung der Eleu-
sinien? Wir mussen sie bald haben.
Nach Leipzig fahrst Du doch mit? Denn dass der Altmann die
M-Broschiire ohne Vorrede druckt, ist trotz alledem von ihm eine
Frechheit und auf eine werden sicher weitere folgen.
Trotzdem ich gestern in Heidelberg anfangs nicht recht wusste,
wie ich die Technik meines Halses handhaben werde, ging es dann
gut. Hoffentlich komme ich nun auch heute in Stuttgart durch.
Und bis morgen oder ubermorgen hoffe ich, dass die alle Augen-
blicke sich umflorende Stimme wieder ordentlich sein werde.
Anfangs Januar miissen wir unbedingt die Kongress-Programme
versenden konnen. Wir werden uns also wohl dann in Miinchen
aufhalten miissen.
*f
*■»* 'i »»
Ubrigens kann Nab nichts fur die Flugschrift; fur den Bier-Rauch-
saal aber ist er wohl mitverantwortlich. Wahrend das erste Helden-
stiickchen formiert worden ist, war er krank. Jetzt ist er wieder
gesund. Ubrigens ist seine Krankheit ein bemerkenswerter Fall von
zu schnell vollzogener Abstinenz, wie mir ganz klar geworden ist.
Der Mann steht den ganzen Tag im Ledergeruch. Du weifk, er hat
noch seinen Schoppen getrunken, als wir ihm das erste Mai in
Frankfurt begegneten. Nun war der Alkohol fur ihn das, was den
Schaden des Lederduftes paralysierte. Er hat sich ihm ganz schnell
entzogen, und ist ebenso schnell Vegetarier geworden. Da reagierte
denn der Organismus mit einer Rippenfellentziindung. Jetzt hat er
die Reaktion hinter sich und kann natiirlich sowohl Fleisch wie
Alkohol meiden. Aber, wenn Du Dir die Sache iiberdenkst, wirst
Du viel Bemerkenswertes an dem Fall finden. Der Organismus ist
eingespannt zwischen zwei Krankheitsursachen, die sich paralysie-
ren. Fallt die eine weg: hier der Alkohol, so macht die andere krank,
bis sich der Organismus sie eingeimpft hat. Wie viele Menschen
leben doch in unserer Zeit nur unter den sich gegenseitig aufheben-
den Krankheitsursachen!
Schonste Griifie mein Liebling von Deinem Rudolf
Grufi an Wiesel und Selling.
Herr Hintze: Oscar Hintze (1865-1955), 1906 Mkglied in Frankfurt, 1910 in
Hamburg, 1913 ausgetreten.
Prof. Voigt: Andreas Voigt, Mkglied seit Februar 1906, 1909 ausgetreten.
Ubersetzung der Eleusinien: Marie v. Sivers iibersetzte «Das heilige Drama von
Eleusis» aus Edouard Schures «Sanctuaires d'Orient», Paris 1898, fur die Auffiih-
rung beim Kongress im Mai 1907 in Miinchen und Rudolf Steiner brachte sie in
freie Rhythmen. Siehe «Das heilige Drama von Eleusis», Dornach 1939.
dass der Altmann die M-Broschure ohne Vorrede druckt: Aus der im Archiv
vorliegenden Korrespondenz zwischen dem Verleger Altmann und Rudolf Steiner
bzw. Marie v. Sivers geht hervor, dass Rudolf Steiner eine Vorrede schreiben
sollte zu einer «Mahatma-Broschiire». Eventuell handelt es sich urn die deutsche
Ausgabe von Annie Besants Schrift «H. P. Blavatsky und die Meister der Weis-
heit», deren 2. deutsche Auflage 1924 vom Theosophischen Verlagshaus Leipzig
herausgegeben wurde. Wann und wo die 1. deutsche Ausgabe erschienen ist,
konnte nicht festgestellt werden.
Kongress-Programme ... Miinchen: Der IV. Kongress der Foderation Europai-
scher Sektionen der T.G. wurde im Mai 1907 in Miinchen durch die deutsche
Sektion veranstaltet. Fur die Vorbereitung hielten sich Rudolf Steiner und Marie
v. Sivers ab Mitte April in Miinchen auf.
Wiesel: Scherzname Rudolf Steiners fur:
Clara Selling (1875-1961), Schwester von Wilhelm Selling, ab 1905 fiihrte sie fur
Marie v. Sivers den Hauhalt, 1910 heiratete sie Kurt Walther und ging nach
Fiirstenwalde/Spree. Als dieser 1913 nach Berlin versetzt wurde, kehrten sie beide
in die Motzstr. 17 zuriick.
52a Rudolf Steiner an Edouard Schure
Donnerstag, 20. Dezember 1906
Miinchen, 20. December 1906
Hochverehrter Freund!
Seit den schonen Tagen in Barr folgte fur mich unausgesetzt Reise
auf Reise. Nur darin suchen Sie die Erklarung, dass Sie diesen Brief
erst heute erhalten. Zunachst lassen Sie mich es aussprechen, mit
wie tiefer Befriedigung mich jene schonen Tage erfullt haben. Die
Vorlesung der Teile Ihres projektierten Werkes war fur mich ein
Ereignis, an das sich mir die herrlichsten Hoffnungen kniipfen. Die
Welt- und Lebensauffassung, von welcher eine neue Vergeistigung
unserer Kultur erwartet werden muss, wird da in eine Form gegos-
sen, tritt [in] einer solchen Anschauungshohe und kunstlerischen
Anschauungsart auf, wie es sein muss, wenn der Weg aus der
Gegenwart in die Zukunft gefunden werden soil. Es wird eine hoch
zu schatzende Gabe fur unsere Zeit sein, dieses Buch. Sie wissen
aus den Mitteilungen von Frl. v. Sivers und aus meinen eigenen,
welchen Schatz ich in Ihren Werken sehe. Mir erscheinen sie viel
wichtiger als diejenigen, welche unmittelbar von der sogenannten
theosophischen Bewegung ausgegangen sind. Und ich muss das mir
von den erhabenen Meistern der Rosenkreuzerbewegung eroffnete
Weisheitsgut viel schoner in diesen Werken finden als in denen der
theosophischen Bewegung, weil es in den letztern vielfach wie in
gebrochenen Strahlen erscheint, bei Ihnen sich aber rein durch die
so edel-kiinstlerische Gestalt hindurch in seiner Wahrheit zeigt.
Deshalb war mir die Teilnahme an Frl. v. Sivers sorgfaltiger Uber-
setzung der «Grofien Eingeweihten» etwas so befriedigendes. Auch
dieses Buch ist nun fertig, und es wird vielen deutschen Lesern
bedeutsames geben.
Dass Ihnen die in Barr aufgeschriebenen Ubungen etwas sind,
ist mit lieb. Sie sind ja im Einklange mit der rosenkreuzerischen
Weisheit. Und wenn ich Sie um etwas bitten darf, dann ist es
dieses: nicht die Geduld zu verlieren, wenn der Zeitpunkt einer
wahrnehmbaren Wirkung auch etwas auf sich warten lasst. Der
Weg ist ein sicherer, aber er braucht viel Geduld. In einer kurzen
Zeit, wenn der rechte Augenblick dazu sein wird, schreibe ich ge-
wiss die Fortsetzung davon. - Zunachst erfahrt man ja die Wirkung
nur durch ganz intime Vorgange des Seelenlebens. Und es bedarf
eigentlich grower und zugleich subtiler innerer Aufmerksamkeit,
um zu verspiiren, wie sich die Manifestationen aus einer anderen
Welt einstellen. Diese sind sozusagen zwiscben den sonstigen Er-
eignissen des inneren Lebens nur zu merken.
Jetzt erst, seit Barr's schonen Tagen, bekomme ich etwas Luft.
Frl. v. Sivers und ich beniitzen ein paar freie Tage, um in Venedig
ruhig zu arbeiten. Ihnen, hochverehrter Freund, wollte ich schon
von der ersten Reisestation, hier in Munchen, schreiben. Die
Grafin Bartowska soil von Venedig aus das versprochene Schreiben
erhalten.
Als ein schones Ereignis des Miinchener Kongresses ware es
anzusehen, wenn Ihre «Eleusinien» aufgefuhrt werden konnten. Die
Schwierigkeiten sind immerhin grofie. Und ich werde mir alle Muhe
geben. Ein wiirdiger Komponist ist gegenwartig in Deutschland
schwer zu finden. Doch wir wollen sehen. Gewiss ware es schon,
wenn eine Ubersetzung in Versen geleistet werden konnte. Doch
so viel ich die heutigen Verhaltnisse in Deutschland iibersehe, wird
das nicht moglich sein. Die Hohe, auf der das ganze stehen muss,
konnte darunter leicht leiden. Deshalb bin ich der Ansicht, dass
eine wurdige Prosa besser sein wird. Beziiglich der Demeterscene,
iiber welche Frl. v. Sivers Ihnen geschrieben hat, werde ich mir
erlauben, Ihnen in einem nachsten Briefe Vorschlage zu machen.
Ich sehe vor mir die Art, wie diese Scene auch noch in den spateren
Eleusinien wirklich vor sich ging. Es war das Ganze in wunderbare
symbolische Heiligkeit getaucht. Erst jetzt kann ich beginnen,
ernstlich mich mit den Vorbereitungen zum Kongress zu befassen.
Deshalb werde ich auch erst jetzt mit meinen Vorschlagen kommen
konnen. Naturlich muss der Hauptgedanke sein, Ihre herrliche
Schopfung nur dann zu bringen, wenn wir es wiirdig tun konnen.
Beim Komponisten wird mein Gesichtspunkt sein, jemanden zu
finden, der auf Ihre grofien Intentionen eingehen kann.
Ihrer verehrten Frau Gemahlin empfehle ich mich zum Besten;
Ihnen selbst sende ich schonsten Weihnachtsgrufi und bin in hin-
gebungsvoller Verehrung
Ihr Rudolf Steiner
Bis zum 2. Januar: Hotel de l'Europe, Venezia (Venedig) -
Gr'djin Bartowska: Die polnische Grafin Batowska, eine alte Freundin von Schure,
war mit H. P. Blavatsky bekannt. Rudolf Steiner lernte sie im Mai 1906 in Paris
kennen. Sie starb am 30. Januar 1911.
1VU/
Im Februar beginnt Rudolf Steiners Wirken fur die Theosophie in Oster-
reich-Ungarn auf Einladung der dortigen Gruppen, zunachst in Wien, Prag
und Budapest, im November kommen noch Graz und Klagenfurt dazu.
Am 17. Februar stirbt Olcott, der Griinder-Prasident der T.G., in
Adyar, nachdem sich seltsame Dinge an seinem Krankenlager abspielten
und er in der Folge Annie Besant zu seinem Nachfolger nominierte. Fur
die Wahl durch die Mitglieder wird der Monat Mai festgesetzt, bei der sie
als zweiter President der T.G. bestatigt wird. In diesen Vorgangen und
ihrer Haltung dazu liegen die Anfange einer Entwickelung, die 1913 zum
Ausschluss der deutschen Sektion fiihren wird. (GA 264).
Der 4. Jahreskongress der Foderation europaischer Sektionen findet
dieses Jahr an Pfingsten in dem Saal der Tonhalle in Miinchen statt, 18-
21. Mai. Generalsekretare oder andere offizielle Vertreter der Sektionen
und viele Gaste aus dem Ausland erscheinen, auch A. Besant kommt liber
Triest aus Indien angereist. Fur Rudolf Steiner bietet sich die Moghchkeit,
die von ihm vertretene abendlandische christlich-rosenkreuzerische Esote-
rik zu prasentieren. Mit einer entsprechenden Gestaltung des Saales, seinen
Vortragen iiber den rosenkreuzerischen Einweihungsweg und der Auffuh-
rung von Schure's Rekonstruktion des Heiligen Dramas von Eleusis soil
der Eindruck harmonischen Zusammenwirkens von Wissenschaft, Kunst
und Religion vermittelt werden, wie dies in den alten Mysterien gepflegt
wurde. Mit dieser Kongress-Gestaltung wird der Weg gebahnt zur Schaf-
fung einer offentlichen Mysterienstatte, wie sie dann durch die modernen
Mysteriendramen Rudolf Steiners und den dafiir entstandenen Goethe-
anum-Bau ermoglicht werden wird. (Vgl. «Bilder okkulter Siegel und
Saulen - Der Miinchner Kongress», GA 284). - In den folgenden Tagen
fiihrt Rudolf Steiner ein Gesprach mit Annie Besant, mit Marie v. Sivers
als Dolmetscherin, in dem er seine Griinde darlegt, warum er durch die
jiingsten Ereignisse genotigt sei, das noch bestehende formale Band
zwischen seiner esoterischen Schule und der ihrigen zu losen. (GA 264).
Der erste Vortragszyklus dieses Jahres findet in Miinchen im Anschluss
an den Kongress statt: «Die Theosophie des Rosenkreuzers» (GA 99).
Darauf f olgt im Juni in Kassel der Zyklus «Theosophie und Rosenkreuzer-
tum» (GA 100), immer in Begleitung von Marie v. Sivers. Im August
«fluchten» sie nach Italien, damit Rudolf Steiner sich in Ruhe seinen
schriftstellerischen Arbeiten widmen kann. Nach einer Woche bei Schure
in Barr im Elsass findet Mitte September ein kleiner Zyklus in Stuttgart
und anschlielSend ein grower in Hannover statt: «Die Grundlagen der
Theosophie». Im November ist in Basel der Zyklus «Das Johannes-
Evangelium» (GA 100) und an Weihnachten ein kleiner Zyklus in Koln.
Im Oktober bei der Jahresversammlung der deutschen Sektion kann
berichtet werden, dass wieder 4 neue Zweige entstanden sind: Kassel,
Diisseldorf II, Elberfeld, Esslingen, so dass nunmehr 28 Zweige und ein
Zentrum mit insgesamt 872 Mitgliedern zur deutschen Sektion gehoren,
gegen 591 im Vorjahr.
53 An Marie von Sivers in Berlin
Montag, 21. Januar 1907, aus Erlangen
Mein guter Liebling! Allem andern zuvor sende ich Dir die liebe-
vollsten Griifie und danke Dir fur Deine guten Briefe; auch fiir den
letzten, wo Du iiber den Verlegerwicht so in Aufregung kommst.
Sieh mal: wie man ihn auch immer warten lasst, zu Drohungen mit
Korrekturenlesen durch andere etc. diirfte er sich doch nicht ver-
steigen. Solche Leute haben einmal keine Einsicht. Ich habe doch
wirklich mit diesem «Schlussel» zu allem andern dazu, noch genug
Muhe; ja er hat mich iiberhaupt sehr aufgehalten. Und doch musste
ich wenigstens da dafiir sorgen, dass zum mindesten im Ton die
Unmoglichkeiten gemildert werden. - Bitte, mein guter Liebling,
rege Dich nicht auf. Wenn Dir doch Arbeit abgenommen werden
konnte. Du hattest namlich jetzt fiir Monate notig, nur im Geiste
zu leben.
Was mir die Abwickelung der Angelegenheiten so schwer macht,
ist, dass sich immer Reise an Reise unmittelbar anschlielk. Etwas
dazwischen: darauf kame es an, wenn auch nicht viel.
Beifolgend schick ich Dir das Kongress-Programm. Ich habe es
nun fertig in dem Zustande, dass es der Drucker bekommen kann.
Anders kann man es ja nicht drucken lassen. Das Manuskript muss
so angeordnet sein, dass sich der Drucker auskennt.
Bitte, lass es nun sofort drucken und zwar ganz genau nach dem
Manuskript. Die Namen der Komiteemitglieder kommen noch alle
zusammen ans Ende. Das kann dann noch in die Druckerei extra
geschickt werden. Vorlaufig sind die auslandischen Komitees in
den mir gegebenen Vorlagen so chaotisch, dass ich es bis zum
Auskennen noch nicht gebracht habe. Wenn doch die Leute lernen
wiirden, so zu schreiben und die Dinge anzuordnen, dass man sich
auskennt. Aber das will doch gar niemand.
Bitte klebe die zwei Halften von Seite 5 aneinander, bevor das
Ding in die Druckerei geht.
Ich bin heute auf ein paar Stunden hieher nach Erlangen entflo-
hen. Auf dem Wege von Karlsruhe nach Niirnberg konnte ich nir-
gends aussteigen, und ware ich schon heute morgens in Niirnberg
gewesen, dann kriegtest Du wohl auch noch diese beifolgende
eilige Kongresssache nicht. Denn wo es auch ist: die Leute sind
immer da.
Bitte gib dem Drucker ein Kongress-Programmheft vom vori-
gen Jahr, damit er nicht eine unmdgliche Grofie macht. Und schar-
fe ihm ein, dass er richtig den Text zweispaltig - gegeniiberstehend
- deutsch-englisch macht, wie es im Manuskript ist.
In Stuttgart sind wieder 4 F.M. eingetreten: Frau Aldinger, Bart,
Boltz, Jose del Monte. Eine Kandidatin musste ich fur spater
vertrosten.
Im iibrigen ist alles gut verlaufen.
Die Leute um Oppel breyern im Sinne der Breyer'schen Flug-
schrift. Die andern regen sich dariiber auf. Am naivsten ist
Schwend. Er ist Vorsitzender der Loge, in der auch Breyer ist. Und
dieser hat alien andern MitgHedern gesagt: es sei ihre Ehrenpflicht
auszutreten und ihm die Loge ganz allein zu iiberlassen. Die an-
dern sollten eine neue Loge griinden. Und Schwend ist naiv genug,
dies alles als diskutabel anzusehen. Nun deswegen ist er aber auch
«Professor».
Herzlichst Dein Rudolf
mit diesem «Schlussel»: H. P. Blavatsky, «Der Schliissel zur Theosophie. Eine
Auseinandersetzung in Fragen und Antworten iiber Ethik, Wissenschaft und
Philosophic, zu deren Studium die Theosophische Gesellschaft begriindet worden
ist. Neue, einzig autorisierte Auflage, Leipzig Verlag von Max Altmann 1907».
Nach der im Archiv vorliegenden Korrespondenz zwischen dem Verleger Alt-
mann und Rudolf Steiner wurde diese autorisierte deutsche Ausgabe von Rudolf
Steiner bearbeitet, wenn nicht gar iibersetzt. Manuskriptteile und Korrekturbogen
befinden sich im Archiv. Ein den «Schlussel» erganzendes «Theosophisches
Glossarium» erschien 1908 ebenfalls in Bearbeitung von Rudolf Steiner.
Fran Aldinger: Maria Aldinger (gest. 1909), seit Februar 1905 Mitglied bei
Stuttgart II, dann III.
Bart: Josef Bart, seit Januar 1906 Mitglied bei Stuttgart II.
Boltz: Prof. Oscar Boltz (gest. 1932), Mitglied schon vor 1902, Februar 1905
Vorsitzender bei der Griindung des Kerning-Zweiges Stuttgart II. Ab 1907
Vorsitzender des Zweiges Lugano.
Die Leute um Oppel: Der Zweig Stuttgart I. Bei der Begriindung der deutschen
Sektion 1902 hatte Adolf M. Oppel den Vorsitz inne, 1904 ging er an Dr. Paulus,
1906 an Prof. Schwend iiber. - Anscheinend sind die Mitglieder tatsachlich aus
dem Zweig I in einen der beiden anderen Zweige iibergetreten; jedenfalls erlosch
Stuttgart I im Jahre 1907, und Stuttgart III wurde zu Stuttgart I, Vorsitzender
Adolf Arenson.
Breyer: Dr. med. Hans Breyer (1879-1967), schon vor 1902 Mitglied der T.G.,
1910 wurde er aus den Listen gestrichen. Dies geschah normalerweise, wenn der
Kontakt wahrend zweier Jahre verloren war.
Schwend: Prof. Dr. Friedrich Schwend (gest. 1934), Oberstudienrat, Mitglied seit
Dezember 1905, griindete im Dezember 1907 den Schiller-Zweig, der dann als
Stuttgart III in den Listen gefuhrt wurde.
54 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 9. Februar 1907, aus Strafiburg
9. Febr. 1907
Mein Liebling!
Wenigstens von hier sollst Du ein paar Zeilen erhalten. In Hanno-
ver und Heidelberg waren die Dinge die gewohnten. In Karlsruhe
war Logenvortrag, und ich habe da iiber das Vaterunser gespro-
chen. Hertzberg macht sich sehr gut. Der Mann hat sogar in der
Zeit, in der wir ihn nicht gesehen haben, auf eigene Art eine okkul-
1 TO
te Ubung (40tagige Fasten) durchgemacht und typische, regulare
Revelationen gehabt. In Basel war die Uberraschung, dass sie einen
grofien Saal bei freiem Eintritt hatten (450 Personen), und dass eine
ganze Menge von Menschen abgewiesen werden mussten. Dann
aber war noch hinterher interner Abend. Das war wirklich genug
fur einen Tag. Und mein Gliick war, dass ich mir hinterher eine
Droschke besorgen lielL Ware ich ins Hotel zu Fufi gegangen, so
ware meine Stimme umgeschlagen. In Bern waren dann wieder zwei
offentliche Abende, und gestern hier wieder einer mit 700 Perso-
nen. Und auch der heutige Abend ist nicht intern, sondern soli in
einem Saal fur 200 Personen sein. Morgen dann wieder offentlich
in Hamburg. Es ware nur schade, wenn die Vortrage selbst dar-
unter litten, dass nicht interne d. h. viel weniger anstrengende
dazwischen sind.
Im tibrigen immer die Weltmisere, die nur durch den wirklichen
Okkultismus besser werden kann. Hier ist Ostermann, Frau
Brandt, sogar Frau v. Tschirschky. In Heidelberg waren Sonklar,
Kinkel. - Der Gravell ist noch schlimmer geworden. Auch beim
gestrigen offentlichen Vortrag - bei den Fragestellungen - hat es
sich gezeigt, dass das schwerste Hindernis die durch die verkehrten
gegenwartigen Theorien durchgegangenen Begriffskriippel sind.
Hubbe-Schleiden nennt diese verwachsenen Begriffskriippel die
urteilsfahigen Leute und sagt, dass unsere Mitglieder urteilslos sind,
und alles durch das Gefiihl aufnehmen. Ich habe, weil er nun durch-
aus wollte, mir 1 V2 Stunden seine Intentionen, durch die er «fiir
die urteilsfahigen Menschen» die Theosophie plausibel machen will,
angehort. Diese seine «wissenschaftlichen» Beweise, von denen er
und die Seinen nun fortwahrend reden, sind nichts weiter als ab-
strakte Begriffshiilsen fiir ausgedorrte, im Materialismus gerostete
Gehirne; vom hoheren Standpunkte das Blech der physikalischen
Theorien, das ohnedies schon ausgewalzt ist, nochmals ausgewalzt.
«Chrysam verloren» ist ein altes Sprichwort fiir dies Zeug.
Ostermann wartet auf mich. Deshalb sende ich Dir - wirklich -
in einem besondern Brief Steuererklarung, Postanweisung und Brief
an Olcott.
Aber Du sollst doch diesen Grufi wenigstens haben. Die Frau
Geering ist jetzt vollig in der Theosophie aufgehend. Der gute
Schuster laboriert an einem kleinen Kinde, das er sich «unverse-
hens» zugelegt hat, und hat einen «okkulten» Rat haben wollen,
wie er mit dem Wurm, besonders aber mit der Wurmerin, die ihm
an den Fersen ist, fertig werden soli. Also Du siehst: Weltmisere.
Ostermann lasst mich nun rufen.
Herzlichst Dein Rudolf
Hertz berg: Erich v. Hertzberg (geb. 1873), Oberleutnant, Mitglied seit April 1906
in Berlin, dann Karlsruhe. (1913 Hauptmann a.D.)
Frau v. Tschirschky: Gertrud v. Tschirschky und Bogendorff, Mitglied in Miin-
chen seit November 1904.
Sonklar: Alice v. Sonklar, geb. Lopez (geb. 1865), aus Argentinien, Mitglied der
T.G. schon vor 1902, wurde im Dezember 1912 als Mitglied des «Sterns im
Osten» aus der Sektion ausgeschlossen. Das hinderte aber ihre Tochter Flossy
nicht, Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft und eine der Ur-Eurythmi-
stinnen zu werden.
Kinkel: Alice Kinkel (1866-1943), Mitglied seit Februar 1905 im Zweig Stuttgart
II. Von 1906 an besorgte sie bei alien Veranstaltungen in Stuttgart den Biicher-
tisch. Von 1911-20 wohnte sie mit ihrem Mann Wilhelm im Stuttgarter Zweig-
haus, das sie betreuten.
«Chrysam verloren»: Alte Redewendung im Sinne von «verlorene Liebesmiihe».
Das vom griechischen <chrisma> abgeleitete Wort bezeichnet das schon in der
fnihen Kirche bei den Sakramenten verwendete Salbol.
Brief an Olcott: Antwort auf eine Anfrage des Prasidenten Olcott und A. Besants
zum Ausschluss von C. Jinarajadasa aus der T.S. vom 1.1.1907, sowie zur
Nominierung A. Besants als Nachfolgerin durch Olcott vom 7.1.1907, (GA 264,
S. 287).
Frau Geering: Elisabeth Geering, geb. Christ (gest. 1951), Mitglied in Basel seit
September 1906.
55 Erstes Testament, vom 19. Februar 1907, vor der Reise nach Wien.
(Das letzte Testament wurde am 18. Marz 1915 erstellt.)
fl^tA <wu^su*w Ti-do jxrCl frdC\ [s^Cu. A^Ci^vu . trw
A fUlrl fall
^^w. 2n A^c fflt^iAA,
diw tmcw zhiuv ^vuLij ) oU2^ t#w^\' w ^
JtiJUt, *W ^ ^ ^
56 An Marie von Sivers in Berlin
Montag, 25. Februar 1907
Budapest, 25. Februar 1907
Mein Liebling!
Allerherzlichsten GruE vom Donaustrande. Es ist doch nicht mehr
lang, bis wir uns wiedersehen; deshalb verspare ich die Mitteilun-
gen iiber die Reiseerlebnisse der mundlichen Erzahlung.
Dem Schreiben an die Generalsekretare wollte ich nur auf einem
besonders beigefiigten Blatte folgende Zeilen mitgeben: «Der un-
terzeichnete Generalsekretar der Deutschen Sektion der T.S. hat
die Briefe des General-Councils, des Prasidenten-Griinders und
Mrs. Besants vom Januar 1907 in folgender beiliegender Art beant-
wortet. Er gestattet sich diese Antwort als seine Meinung in den
obschwebenden Fragen auch an die Generalsekretare gelangen zu
lassen. Mit theosophischem GrufS Dr. Rudolf Steiner.» So kann die
Sache auch heute noch abgehen. Nur muss der Passus beziiglich
Olcott's Weiterleben einfach gestrichen werden. Wie die Dinge nun
auch kommen werden: fur die T.S. wird alles fatal sein, fur die
spirituelle Bewegung doch nicht ungiinstig. Auch der Verfall der
T.S. als solcher darf uns keineswegs schrecken. Du, mein Liebling,
musst schon begreifen, dass ich selbst Dir gegeniiber bei An-
deutungen bleiben muss iiber die M.[eister]-Affaire in Adyar. Aber
das eine wirst Du mir doch zugeben, dass jetzt etwas mehr noch
als «Blindheit» dazu gehort, wenn man meint, man konne eine
Administrativaktion der Gesellschaft mit der Berufung auf die
Mr.[Meister] durchsetzen. Mrs. Besant wird wohl nichts Schlim-
meres in ihrer jetzigen Lage tun konnen, als diese Berufung zu
ihren eigenen Impulsen zu machen. Gerade diejenigen, die sich zu
ihr zahlen, wird sie dadurch in eine schiefe Lage bringen. Denn
wenn wir sie wahlen, werden wir sie aus Griinden wahlen miissen,
die gar nicht ihre eigenen sind. Kann es etwas Widersinnigeres
geben? Man sollte die heilige Berufung auf die Meister nicht miss-
brauchen zur Stiitze einer Sache, die durch Philistersinn kompro-
mittiert ist. Denn die Meister haben mit jener «allgemeinen Men-
schenliebe» nichts zu tun, die nur der umgewendete heuchlerische
Leibrock des Spieftbiirger-Egoismus unseres Zeitalters ist. Wenn
man diesen Egoismus umwendet, so kommt aus der Nuance der
Beschamung, die er auf seiner rechten Seite tragt, nichts zu Tage als
die Wollust des Mitleids und der «allgemeinen Bruderliebe» der
linken! Die Meister haben es mit Erkenntnis und nicht mit Moral-
predigten zu tun.
Du wirst mich verstehen, mein Liebling. Ob Sinnett, oder
Olcott: das andert iibrigens nichts. Wir miissen vorwarts.
In Treuen Dein Rudolf
Schreiben an die Generahekretare: Der in Nr. 54 erwahnte Brief an Olcott.
Meister- Affaire in Adyar: Mit Datum vom 7. Januar 1907 hatte Olcott in einem
Rundschreiben an die Funktionare und Mitglieder der T.S. mitgeteilt, dass die
Meister M. und K.H. an seinem Krankenbett erschienen seien und ihm befohlen
hatten A. Besant zu seinem Nachfolger zu bestimmen. Naheres siehe: H. Wies-
berger, Rudolf Steiners esoterische Lehrtatigkeit, Dornach 1997, Kapitel VII.
Sinnett: Alfred Percy Sinnett (1840-1921), Vizeprasident der T.S., nach Olcotts
Tod interimistisch amtierender President.
57 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 10. Marz 1907
Coin, 10. Marz 1907
Mein Liebling!
Herzlichen Dank fiir Deine so lieben Worte. Dienstag morgens
8 Uhr 50 komme ich in Berlin an. Dass die theosophischen Gesell-
schaftsdinge immer verworrener werden, siehst Du wohl. Mead hat
nun seine Sache auch noch drucken lassen, und sendet sie, wie es
scheint, an alle theosophischen Logen der Erde. Unsere Mitglieder
werden zum Teil recht verdutzte Gesichter machen. Es wird also
wohl schon recht bald bei uns eine Art «Mitteilung an die Mitglie-
der» notig sein, die eine nichts zu wiinschen iibrig lassende Erkla-
rung gibt. Wir konnen ja doch den Humbug nicht verschweigen,
wenn alle andern [ihn] in die Welt hinausposaunen. Wenn wir aber
in einem gewissen Zeitpunkt nicht sprechen, so unterhohlen wir
uns alien Boden. Es ist so traurig, class die beschranktesten, engsten
Menschen, wie z. B. Mead, jetzt die «Vernunft» zu verteidigen
haben. Solchen Naturen ist keine Ubersichtlichkeit, und keine Per-
spektive eigen. Aber im «kleinen Fall» hat gerade solch beschrankte
Riicksichtlosigkeit oft Recht. - Diejenigen aber, die einen etwas
hoheren Standpunkt einnehmen mochten, und zu Mrs. Besant ge-
halten haben, wie wir, werden durch deren Unmoglichkeiten in die
schlimmste Lage gebracht.
In Diisseldorf ist mir auch die Situation klar geworden. Lau-
weriks ist ein ganz, ganz kleiner Mead. Aber den haben sie in
Holland so vollgepfropft mit Selbstiiberhebung, dass er iiberhaupt
mit einem Panzer umgeben ist. Wenn er z. B. davon redet, dass er
eine andere Ansicht von Theosophie habe als ich, so beruft er sich
niemals auf das, was ich selbst gesagt habe, sondern auf dummen
Klatsch, auf Dinge, von denen allerdings wieder die andern be-
haupten, dass sie sie nicht, oder anders gesagt haben usw.
Mathilde Scholl lasst sich nun von Weiler magnetisieren. Ich
kann solch Zeug nachtrdglich natiirlich nur konzedieren. Denn
handelte ich anders, so ware das etwas gegen Weiler. Und der hat
von seinem Standpunkt aus Recht. Aber dass Scholl nicht den
Gedanken hat, dass sie abdiziert von der Position, die sie hier
haben musste, wenn sie solches tut, das ist schlimm.
Alles andere will ich Dir lieber erzahlen.
Allerherzlichsten Grufi Dein Rudolf
Griift Wiesel und Selling.
Mead hat nun seine Sache auch noch drucken lassen: «The Coming Election to the
Presidency*, datiert 1.3.1907, nahm Stellung gegen die Kandidatur von A. Besant.
George Robert Stow Mead (1863-1933), englischer Gelehrter, Mitherausgeber der
«Theosophical Review», einer der fiihrenden Theosophen. Verliefi 1909 wegen
der Wiederaufnahme von Leadbeater die T.S. und grundete seine eigene Gesell-
schaft «The Quest».
Mitteilung an die Mitglieder: «An die samtlichen Mitglieder der deutschen Sek-
tion der T.G.» vom 12. Marz 1907, in GA264.
Lauweriks: Johannes Ludovicus Mathieu Lauweriks (1864-1932), hollandischer
Theosoph, kam im Januar 1905 nach Diisseldorf um bei der theosophischen
Arbeit zu helfen und wurde Mitglied der deutschen Sektion, sowie Lehrer an der
dortigen Kunstgewerbeschule. Im Oktober 1905 iibernahm er das Amt des
Vorsitzenden des Diisseldorfer Zweiges der T.G. Wegen seines Unverstandnisses
Rudolf Steiner gegeniiber befand er sich bald in Opposition zu den Mitgliedern
seines Zweiges, sodass er austrat und im Marz 1907 seinen eigenen Zweig, die
Blavatsky-Loge oder Diisseldorf II, griindete. Pfingsten 1913 wurde er General -
sekretar der neuen, Adyar-abhangigen deutschen Sektion.
Weiler: Otto Weiler, Magnetiseur, wurde im Februar 1907 Mitglied, spater
Vorsitzender des Zweiges in Bonn.
58 An Marie von Sivers in Munchen
ca. Sonntag, 28. April 1907, aus Berlin
Briefkopf:
Theosophische Gesellschaft, Deutsche Sektion, Berlin W, Motzstr. 17
Mein Liebling!
Mit diesen Zeilen mochte ich Dir nur einen herzlichen Grufi sen-
den und Dir sagen, dass ich mich, so sehr es nur geht, bemiihen
werde, morgen abend abzureisen. Ich hoffe auch, dass ich die
Wahlsache bis dahin unter Dach und Fach gebracht haben werde.
Es muss versandt werden ein Zirkular an den Vorstand, und eines
an die Vorsitzenden der Zweige, dann die Wahlzettel mit einem
Zirkular. Frl. Boese und Herr Selling vervielfaltigen aus Leibes-
kraften.
Mrs. Besant hat mir noch das Beiliegende gesandt, das ich
Dir mitsende. Du siehst daraus, was alles vorgeht, namentlich in
Amerika.
Dein Antrag kann fur die gegenwdrtige Wahl nicht in Betracht
kommen. Er ist eine Statutenanderung, und diese miisste erst von
der ganzen T.S. beschlossen werden, eh sie in Kraft tritt. Wahlten
wir jetzt schon nicht, so wurden wir die Statuten verletzen. Und
man konnte mich von Adyar aus absetzen. Ich telegraphiere
morgen am Spatnachmittag, ob ich komme.
Allerherzlichst Dein Rdlf.
aus Berlin: Fur die Durchfiihrung der Prasidentenwahl innerhalb der deutschen
Sektion war Rudolf Steiner, der sich mit Marie v. Sivers im April bereits in
Miinchen zur Vorbereitung des Kongresses aufhielt, wiederum fur einige Tage in
Berlin.
Zirkular an den Vorstand: Datiert 28. April 1907, in GA 264.
Zirkular ... an die Vorsitzenden der Zweige: Unbekannt.
Frl. Boese: Louise Boese (gest. 1960), kam im Winter 1906 auf Empfehlung von
Miss Esther Bright nach Berlin um Rudolf Steiners Vortrage zu horen, zeitweise
im Sekretariat tatig, leitete im Berliner Zweig und auch anderswo Arbeitsgruppen,
lebte spater lange Jahre in Dornach, kehrte im Alter nach Frankreich zuriick.
das Beiliegende: Rundschreiben «To the Members of the British Section etc.»,
Streitschrift von A. Besant, datiert Benares 24. Marz 1907.
58a Marie von Sivers an Edouard Schure
Sonntag, 26. Mai 1907
Ubersetzung aus dem Franzosischen
Munich, 26 Mai 1907
Dies ist der erste Tag, an dem ich ein paar ruhige Stunden in mei-
nem Zimmer habe, bald werden die Menschen hereinstromen, aber
ich versuche, Ihnen bis dahin wenn nicht einen Bericht, so doch
wenigstens einige fragmentarische Mitteilungen zu geben. Mein
langes Schweigen vor dem Kongress war mir selbst am schmerz-
lichsten. Ich habe nicht gewagt, Sie zum Kommen zu veranlassen,
denn wenn die Auffiihrung [der Eleusinien] missgliickt ware, so
hatten Sie peinliche Momente erlebt und eine lange Reise mit Stra-
pazen auf sich genommen, um unangenehme Eindriicke zu emp-
fangen. Und dann wussten wir wirklich bis zum letzten Moment
nicht, ob wir es schaffen wiirden. Die Widerstande waren sehr grofi.
Sie miissen bedenken, dass die Schauspieler aus verschiedenen Stad-
ten kamen und sich erst sehr spat zusammenfinden konnten. Von
zwei Damen, welche wir als unsere Sterne betrachteten und die in
den Rollen von Persephone und Hekate Ausgezeichnetes verspra-
chen, musste die eine fort, um eine Schwagerin in Briissel zu pfle-
gen, die plotzlich wahnsinnig geworden war; die andere wurde
selbst nervenkrank, und wahrend einer Woche hatten wir sie hier,
ohne sie zu ihrer Mutter schicken zu konnen, von welcher sie die
Krankheit geerbt hat und von der sie ihr ganzes Leben hindurch
gequalt worden ist. Schliefilich musste man sie in eine Anstalt brin-
gen, es war wirklich eine Katastrophe. So waren die Chancen fur
das Gelingen der Auffiihrung sehr gering geworden. Nach man-
chem Zogern entschlossen wir uns, es mit einem sehr armen jungen
Madchen [Alice Sprengel] zu versuchen, das ein iiberaus schweres
Leben hat und in Momenten der Niedergeschlagenheit ganz hoff-
nungslos wirkt, weil es ihr an Energie fehlt. Sie setzt sich dann hin,
legt die Hande in den Schofi und sagt: «Ich kann's mir nicht bie-
ten.» Glucklicherweise konnte sie sich die Rolle der Persephone
«bieten». Das war die Frage gewesen. Dann sah man den Funken,
der frtiher in ihr schlafend gelegen hatte, sich entziinden, und sie
wurde jeden Tag gliicklicher. Die zuerst sehr schwache Stimme, die
ihr immer in die Brust herunterrutschte, wuchs mit jedem Tage;
aber erst in der letzten Woche konnten wir sicher sein, dass man sie
verstehen wurde. Noch jetzt ist dieses junge Madchen ganz ver-
klart und sie hat noch immer die Alliiren einer Prinzessin. Diese
Tage werden die schonsten ihres Lebens gewesen sein. Im ganzen
waren die Proben eine Quelle des Entziickens und der Harmonie
fur viele. Wir hatten stets eine ganze Anzahl von Zuhorern, die nie
genug bekommen konnten und die das Stuck so schon fanden, dass
sie es jeden Tag hatten horen mogen. Die Nymphen und die Schat-
ten waren sehr eifrig, gaben uns aber viel zu tun. Alle diese Leute
hatten nie gespielt. Aufier Triptolem, der Berufsschauspieler ist,
aber Mitglied der Gesellschaft, und mir, die ich seinerzeit in Lieb-
habertheatern mitgewirkt habe, hatte keiner von unseren Leuten je
das Rampenlicht gesehen. Der Enthusiasmus hat alles ersetzt. Me-
tanira war enttauschend. Diejenige [H.v.Vacano], welche diese Rolle
spielen sollte, musste die der Hekate iibernehmen, und die neue
Darstellerin, eine sehr gescheite Dame, zeigte keinerlei Biihnenver-
standnis. Die Rolle des Triptolem war zunachst einem jungen Mann
anvertraut worden, der sehr gerne spielen wollte, durchaus sympa-
thisch, aussehend wie ein Ephebe, aber so trostlos in seinen Gesten
und in seiner Sprache so unfahig jeglichen Aufschwungs, dass wir
wahrend einiger Zeit glaubten, die Sache seinetwegen aufgeben zu
miissen, bis der Schauspieler kam, der urspriinglich den Pluto spie-
len sollte und der ihn mit gutem Erfolg ersetzt hat. Dionysos war
ein reizendes junges Madchen, halb Italienerin, halb Polin, die als
Letzte erschien und zunachst mit einem Akzent sprach, der uns
zusammenfahren liefi. Sie war zwar nett, aber aufierst ungeschickt,
und die Schlussapotheose war in Gefahr, ihretwegen ins Wasser zu
fallen. Man musste also alle Tage intensiv mit ihr arbeiten und ihr
das Wesen der deutschen Aussprache beibringen. Hierdurch geriet
meine Stimme, nachdem ich sie bereits durch einen Husten und das
dauernde Sprechen bei den Proben erschopft hatte, in einen sol-
chen Zustand, dass ich wahrend der letzten Woche vollig heiser
war und furchtete, bei der Auffuhrung nicht sprechen zu konnen,
zumal da ich keine Moglichkeit hatte, mich zu pflegen und mich
den ganzen ubrigen Verpflichtungen zu entziehen. Abgesehen von
meinen Obliegenheiten als Sekretarin der deutschen Sektion und
des Kongress-Bureaus hatten wir, nur fur diese Auffuhrung, ein-
richten miissen: zwei Mal-Ateliers (fur die Kulissen), ein Schnei-
der-Atelier (selbst die Kostiime wurden alle nach Angaben Herrn
Steiners von unseren Mitgliedern gemacht), schlieftlich zwei wei-
tere Ateliers, wo unsere Maler fur die Ausschmiickung des Saales
(der Tempel der Zukunft) nach den Zeichnungen von Herrn Stei-
ner arbeiteten. Das gab ein Hin und Her wie in einem Ameisen-
haufen - iiberall eine fiebrige Hast, denn man hat sich in die groften
Ausgaben erst gestiirzt, als man wirklich sicher war - mehr oder
weniger -, dass man spielen konnte.
28. Mai
Herr Stavenhagen (der iibrigens kein Hollander ist) hatte seine
Musik erst drei Tage vor der Auffuhrung fertig und zu dem vor-
gesehenen Schlusschor ist er iiberhaupt nicht mehr gekommen. Die
Musik war jedoch schon; ich wei£ nicht, wie es die Auslander
gefunden haben, die Deutschen fanden jedenfalls, dass es «wie
Spharenharmonie» gewesen sei. Und die Schauspielertruppe fand
es auch sehr schon: wiirdig, stark und atherisch - durchaus religios.
Ich glaube, dass es fur die Dichtung von Vorteil war, dass sie
nicht mit Musik gemischt wurde. Durch die schonen Vorspiele
wurde eine religios-gesammelte Stimmung hervorgerufen; dann
herrschte das Wort allein und die Idee konnte umso klarer hervor-
treten.
Die Deutschen waren wirklich begeistert - sie haben keine
banalen Komplimente gemacht -, sie waren durch das Drama selbst
zutiefst ergriffen und haben uns dringend um eine Wiederholung
gebeten; das war jedoch nicht moglich. Die Auslander werden ge-
wiss kritischer und kiihler gewesen sein, aber wie Sie es selbst schon
geahnt haben, war eine grofte Anzahl von ihnen mit durchaus feind-
seligen Gefiihlen gekommen, entschlossen, sich dem fortschritt-
lichen Geist zu widersetzen, mit Ironie zu behandeln, was ihr Ver-
standnis iibersteigt, und alles abzuweisen, was sie fur unorthodox
halten. Es war aber eigenartig zu beobachten, wie der Widerstand
sich trotzdem nach und nach verringerte, und wieviele schliefilich
ergriffen aus dem Saale gingen. Die Blechs und Mr. Pascal werden
ihre reservierte Haltung gewiss nie aufgeben, aber Pascal ist ganz
am Ende seiner Krafte, und die Blechs sind aufierordentlich eng-
stirnig; auch glaube ich, dass es ihnen einen merkwurdigen Ein-
druck gemacht hat, dass wir die Bedeutung Ihres Werkes so stark
betonen, wahrend sie durch ihre englische Erziehung wohl daran
vorbeigegangen sind. Ihre Gefiihle sind daher sehr gemischt.
Mit Recht erkannten Sie die Hand von Herrn Steiner in der
Ubersetzung. Ich weift nicht, warum Herr Sauerwein Ihnen gesagt
hat, dass sie von mir ist. Ich kenne Herrn Sauerwein iibrigens nicht,
habe ihn nie gesehen. Herr Steiner hat mir von ihm gesprochen als
von einem Theosophen, dem er in Wien begegnet ist, dass er am
Tage der Auffiihrung am Kongress war und mit Ihnen bekannt ist.
Da er nach Paris ging, bat er ihn, Sie von uns zu griiften. Vielleicht
hat Herr Sauerwein auf dem Biichertisch die zwei Werke gesehen,
welche ich iibersetzt habe, und daraus geschlossen, dass ich auch
die Ubersetzerin des «Heiligen Dramas» bin. Ich habe die Prosa-
Ubersetzung gemacht und erst hier, im Laufe des letzten Monats,
ist Herr Steiner an die Arbeit gegangen, um sie in Rhythmen zu
bringen. Unter welchen Schwierigkeiten! Standig wurde er unter-
brochen, man verlangte ihn dauernd. Er ging weg, kam wieder fur
fiinf Minuten, setzte seine dichterische Arbeit fort und ging dann
wieder, von einem andern gerufen. Er hat in alien Kiinsten und in
alien Handwerken gearbeitet, alle angeleitet: Maler, Bildhauer,
Musiker, Schreiner, Tapezierer, Schauspieler, Schneiderinnen, Thea-
terarbeiter, Elektriker ... Wenn er das Material und die Arbeiter
zur Verfiigung gehabt hatte, so hatte er in kurzer Zeit etwas Fabel-
haftes zuwege gebracht: den Tempel der Zukunft. So konnte er nur
Ideen skizzieren, aber sie werden befruchtend wirken,
Mit all dieser Arbeit konnten sogar die letzten Szenen des Dra-
mas erst in einem Moment fertiggestellt werden, welcher mir schon
hochst kritisch schien. Ich hatte wohl das Vertrauen, dass man es
schaffen wurde, aber darauf mochte ich mich nicht verlassen, es
ware tollkiihn gewesen. Es hatte mich zugleich erfreut und er-
schreckt, wenn Sie geschrieben hatten, dass Sie kommen, aber Sie
dazu zu ermutigen, wagte ich nicht. Man mochte ja nicht die schiit-
zenden Geister herausfordern, sondern nur vorsichtig ihre Hilfe
erbitten. Was mich am meisten erstaunt hat, ist, dass ich fur die
Auffuhrung meine Stimme wiedergefunden habe - so ruhig und
sicher, wie wenn sie nie durch Husten gequalt und vor Miidigkeit
erschopft gewesen ware.
Cassel-Wilhelmshohe, Burgfeldstr. 2, Villa Elsa
17/6 07
Cher Monsieur,
Ich bin beschamt durch Ihre beiden letzten Briefe und bedaure
lebhaft, Ihnen nicht diese in Miinchen geschriebenen Blatter ge-
sandt zu haben, von denen ich glaubte, dass ich sie noch in alien
Einzelheiten wiirde erganzen konnen. Aber jeder Tag brachte
etwas Unerwartetes. Fur den Zyklus Herrn Steiners in Miinchen
waren etwa zweihundert Personen dageblieben, die uns in Stiicke
rissen. Es war sehr schwierig abzureisen. Die letzten Tage hatten
1 OA
wir um neun Uhr abends noch zehn Personen, die darauf warteten,
empfangen zu werden. Wenn wir, wie auch in diesem Falle, den
Morgenzug nehmen, so packen wir unsere Koffer zwischen zwei
und sechs Uhr morgens, ohne ins Bett zu gehen. Direkt vom Zuge
ging Herr Steiner dann zu einem offentlichen Vortrag in Leipzig,
ein andrer folgte am nachsten Tage. Ich blieb einen Tag lang wie tot
auf meiner Chaiselongue.
In Berlin erwartete mich eine sehr anstrengende Arbeit, die mich
zwang, alle meine Papiere in Schranken zu versorgen und den gan-
zen Tag auf den B einen zu sein. Unsere Wohnung war viel zu eng
geworden fur alles, was sich dort abspielen muss. Schon vor Miin-
chen war mir das Vergniigen zuteil geworden, Mauern durchschla-
gen, Wande tapezieren zu lassen usw. Jetzt musste ich den Umzug
machen, fur welchen die fiinf Tage in Berlin ganz unzureichend
waren, zumal wir standig von Leuten belagert sind, die Lieferanten
nichts beizeiten lieferten und die Arbeiter aufierdem noch streik-
ten. Am Morgen des 15. Juni mussten wir den Zug nach Kassel
nehmen, wo jetzt ein zweiwochiger Zyklus stattfindet. Hier ist es
friedlich. Man hat uns in dem schonen Park von Wilhelmshohe gut
untergebracht. Meine Mutter und meine Schwester sind mit uns.
Ich kann endlich meine in alien ihren Teilen schrecklich vernach-
lassigte Korrespondenz wieder aufnehmen. Wohl sind uns viele
Theosophen hierher gefolgt, aber es gibt nicht diese fiebrige Hast,
aus der normalerweise unser Leben besteht. Ich sollte Ihnen nicht
von diesen Dingen sprechen, denn es scheint mir, dass Sie das ganz
aufier Atem bringen muss, und es erscheint Ihnen gewiss im Wi-
derspruch zu der Zuriickgezogenheit, die dem Mystiker frommt.
Aber Herr Steiner ist immer ruhig und konzentriert, selbst inmit-
ten der nervenzerreibendsten Hetze. Und ich muss zweifellos durch
diese Schule gehen. Am 1. Juli gedenken wir wieder in Berlin zu
sein, wo ich weiter einrichten und noch eine Wand durchbrechen
lassen muss. Dann traumen wir davon, uns vom 15. Juli bis zum
1. September unsichtbar zu machen.
Dies ist absolut notwendig, damit Herr Steiner wieder seine
literarischen Arbeiten ein wenig voranbringen kann, es ist auch
unerlasslich, um sich vom Betrieb etwas auszuruhen. Ich bin sehr
froh, dass Herr Steiner auch dieser Ansicht ist, denn ich glaube
nicht, dass man in dieser Weise ohne Unterbrechung fortfahren
konnte.
Wenn wir allein sein wollen, miissen wir aber Deutschland ver-
lassen und unseren Aufenthaltsort niemandem verraten. Ich habe es
schon geschafft, dass auf dringende Fragen diese Antwort akzep-
tiert wird: «Wir gehen in die Versenkung.» Dann seufzt man:
«Wenn sie nur nicht zu lange wird, die Versenkung.»
Ich wiirde mich freuen, wenn wir Sie, sei es vor oder nach dieser
«Versenkung», besuchen konnten. Sie sehen, dass gar keine Rede
davon sein kann, dass wir ein grofteres Interesse Ihrerseits fur
unseren Kongress erwartet hatten. Wir wissen ja, dass dieses Inter-
esse und die Sympathie in ehrlicher Weise vorhanden sind, wah-
rend so viele andere voller Vorurteile und ablehnender Gefuhle
kamen. Ihr Geist war durchaus unter uns, stark und beherrschend,
und das Gefuhl der Zusammengehorigkeit und Ubereinstimmung
mit Ihnen war ein vollkommenes. Fiir alle unsere Getreuen sind Sie
zu einem vertrauten und geachteten Meister geworden. Man hat
lebhaft bedauert, dass Sie nicht da waren, und eine Entschliefiung
angenommen, in der man den herzlichen Dank der Versammlung
zum Ausdruck brachte, dass Sie Ihre Zustimmung zum Spiel des
Mysteriums gegeben haben. So viele haben gesagt: «Es war einfach
ubermenschlich.» Die gleiche EntschlielSung wurde gefasst in be-
zug auf Herrn Stavenhagen, dessen Musik ausgezeichnet, von
durchaus religiosem Charakter und hochst inspirierend fiir die
Darsteller war (die sie am Tage der Auffuhrung zum ersten Mai
horten). Mit einer Wagner-Musik ware das Drama selbst in den
Hintergrund getreten; so konnte das Wort sich entfalten.
18 Qfuni]
Ich habe Ihre Adresse von Mont-Dore nicht, - ich hoffe, dass man
Ihnen meinen Brief nachschickt. Verzeihen Sie mein langes Schwei-
gen, es war ein Schicksal, das jetzt auf mir lastet. Und lassen Sie
mich wiederholen, dass mir niemals auch nur die Idee gekommen
ist, Ihnen einen Vorwurf daraus zu machen, dass Sie nicht am
Kongress waren. Aber jeden Tag habe ich bedauert, Ihnen nicht
schreiben zu konnen. Ich kann mir allerdings nicht den Vorwurf
machen, vor der Auffuhrung zu angstlich und zogernd gewesen zu
sein, denn die Generalprobe hatte Sie zweifellos noch mit Entset-
zen erfullt. Die Beleuchter machten alles verkehrt, aber auch sie
sagten ganz ruhig: «Morgen haben wir ja den Doktor unter uns»,
und dann ging auch bei ihnen alles gut.
Hoffen wir, dass es nicht unmoglich sein wird, diesen Versuch
zu wiederholen. Und tausend Dank dafur, dass Sie uns das Gliick
gewahrt haben, ein so herrliches Werk spielen zu diirfen. Hoffen
wir auf ein baldiges Wiedersehn und auf Ihre baldige Genesung.
Mille saluts de M. Steiner a Mme Schure et a vous. J'y joigne les
miens
M. Sivers
Herr Stavenhagen: Bernhard Stavenhagen (1862-1914), Meisterschiiler Liszts,
gehorte zu den glanzvollsten Virtuosen seiner Schule, unternahm zahlreiche
erfolgreiche Konzertreisen in Europa und Amerika. Rudolf Steiner und Stavenha-
gen waren von ihrer gemeinsamen Weimarer Zeit 1890-1895 her befreundet, als
er groftherzoglich-sachsischer Hofpianist und Hofkapellmeister war.
Blechs: Charles Blech (1855-1934), und seine Schwester Aimee Blech (1862-1930),
prominente franzosische Theosophen.
Mr. Pascal: Dr. Th. Pascal, damals Generalsekretar der Franzosischen Sektion.
Herr Sauerwein: Dr. Jules Sauerwein (1880-1967), bekannter franzosischer Jour-
nalist. Lernte Rudolf Steiner 1906 in Wien kennen, Mitglied seit Januar 1913.
Ubersetzte verschiedene Werke Rudolf Steiners ins Franzosische und stellte sich
auch als Ubersetzer bei seinen Vortragen zur Verfiigung. Im Herbst 1921 berich-
tete er im «Matin» iiber sein Gesprach mit Rudolf Steiner uber die Vorgeschichte
des ersten Weltkrieges.
Wagner-Musik: Schure hatte sich fur sein Drama eine Musik im Stile Wagners
gewiinscht.
59 Zweites Testament, vom 5. August 1907,
vor der Abreise nach Italien
Testament.
Hierdurch erklare ich, Endesunterzeichneter, dass nach meinem
Tode alle in meinem Besitz befindlichen Briefschaften und alle
sonstigen von mir geschriebenen oder von andern geschriebenen
und an mich gerichteten oder mir iibergebenen Schriftstiicke und
Briefe an Fraulein Marie von Sivers, z. Z. wohnhaft Berlin W
MotzstraiSe 17, iibergehen; und zwar so durch Vererbung an sie
fallen, dass sie ihr rechtmafiiges Besitztum werden und durch sie
allein zu verwalten sind.
Von meinen Biichern und meinem sonstigen etwa vorhandenen
Besitztum sollen meine in Horn, Niederosterreich lebenden Eltern
und Geschwister so bedacht werden, dass sie alles erhalten, was
Fraulein von Sivers nicht als ihr Eigentum in Anspruch zu nehmen
hat. Dagegen hat meine von mir derzeit getrennt lebende Gattin
nichts auEer dem Pflichtteil zu erhalten. Meinem Willen wiirde es
entsprechen, wenn Frl. v. Sivers auch alle Biicher fur sich behielte
und lediglich den Wert derselben an meine Eltern und Geschwi-
ster, beziehungsweise den Pflichtteil an meine Gattin ablieferte.
Dr. Rudolf Steiner
Berlin, am 5. August 1907
Motzstrafte 17.
59a Marie von Sivers an Edouard Schure
Sonntag, 18. August 1907
Eingeschriebener Brief: Monsieur Edouard Schure, Barr, Elsass, Germania
Poststempel: Roma 26 8 07 | Barr 28.8.07 5-6V
Ubersetzung aus dem Franzosischen
Rome, 18 Aout
Cher monsieur,
danke fur Ihren langen Brief, den wir vor sechs Tagen, am Abend
unserer Ankunft, auf der Post abgeholt haben. Wir haben einen
kurzen Aufenthalt in Florenz eingeschoben, da es am Wege lag. Es
ist schade, die Schatze so in der Eile zu sehen, aber was kann man
machen! Auch fur Rom werden wir nicht allzu viel Zeit haben, und
wir werden uns mit einem gewissen beschrankten Programm be-
gniigen mtissen. Trotzdem werden wir versuchen alles zu sehen,
wovon Sie uns [in Ihrem Brief] sprechen.
Fur mich selber war ich durch mein Entziicken iiber Rom hin-
durchgegangen, und es ist eigentiimlich, wie meine Art des Enthu-
siasmus der Ihrigen gleicht. Mit Herrn Steiner ist die Art zu sehen
noch ein wenig anders. Es ist wie wenn der Blick des Sehers beim
Innern des Kernes, beim Mark des Knochens beginnt und von da
aus auf einmal die ganze Sphare erfasst, den ganzen Umkreis er~
greift. Die schonen Schleier der Maja mit ihren berauschenden Wun-
dern brauchen sich nicht einer um den andern zu entfalten - er
erschaut sie in ihrem Wesen und mit ihnen einen Teil der Zukunft.
Wovon Herr Steiner in Italien besonders beeindruckt ist, im Winter
wie auch jetzt wieder, das ist die Aura des Volkes. Er sieht darin
Zeichen einer unheilbaren Dekadenz - er hatte gewiinscht, dass es
anders ware. Oft gibt ihm dies sogar ein tragischen Aussehen. Er
sagt, die wunderbare Entfaltung Italiens sei ein Ergebnis gewesen
des Zusammenwirkens der schon erschopften lateinischen Elemen-
ts mit den germanischen, und es sei wie eine hochste und letzte
Bliite, erzeugt durch den Genius des alten und die Kraft des neuen
Volkselements, aber jetzt sei die Lebenskraft versiegt. Es brauchte
ein ganz anderes Volk, um aus dem Boden Italiens eine neue Kultur
zu erschaffen, die jetzige sei in VerfalL Ich, die ich nicht so tief sehe,
kann mir allerdings sagen, dass es ein Ungliick fur ein Land ist, in
solchem Mafie von fremden Touristen iiberlaufen zu sein; dies ent-
wiirdigt das Volk und nimmt dem Land seine Physiognomie, indem
es ihm das Ansehen eines Museums gibt. Alles was jetzt auf den
Ruinen gebaut wird, ist, obwohl prunkvoll, parasitisch und kiinst-
lich (ein Hotel neben dem andern) - und vielleicht braucht es kein
Jahrhundert, bis alles englisch ist, wie es jetzt schon in der Tendenz
und im Ursprung ist. Wenn ich Italienerin ware, wiirde ich mich
vor Traurigkeit verzehren; und selbst so betriibt es mich.
Herr Steiner hat mir gesagt, class er glucklich gewesen ware,
wenn er die Zustande hatte anders antreffen konnen. Dies ist fast
der Moment, wo ich Ihnen gerne von seiner vorhergehenden Per-
sonlichkeit sprechen wiirde. Ich hatte dazu gewiss kein Recht, wenn
er es mir selbst mitgeteilt hatte. Und ich finde es aufierst ge-
schmacklos, von diesen Dingen so zu sprechen, wie es gewisse
Theosophen tun, oberflachlich und als Unterhaltung. Man erzahlt
diese Dinge nicht, aber in bestimmten Augenblicken und zu in-
timen Freunden kann man sie sagen, die Last einer grofien Verant-
wortung empfindend, wie ich sie empfinde. Ich weifi, dass ein
unangebrachtes Vertrauen in diesem Punkt sehr unheilvoll sein
wiirde. Es ist mir wie eine Offenbarung gegeben worden, mit einer
Sicherheit und einem Licht, die jeden Zweifel ausschliefien, und
ohne dass ich es gesucht hatte, in einem Moment, wo ich nicht
darauf gefasst war, wahrend der Lektiire des Buches «Esoterisches
Christentum» von Mrs. Besant. Es hat zu mir gesprochen und es
war so blendend, dass ich sogar die Hand vor die Augen halten
musste. Mrs. Besant, die ich befragte, sagte mir, dass es «the Master
Jesus » gewesen sein musste, denn das Buch ist nicht von ihr ge-
schrieben worden, sondern durch Inspiration. Sie musste es schrei-
ben, und ich glaube, dass sie ein unzureichendes Medium gewesen
ist, denn, wie sie mir mehrmals gestanden hat - (ich habe insistiert):
«Christianity is not my line». Und wirklich, sie ist es durchaus
nicht. Es ist als ob sie nicht mehr klar sehen wiirde, wenn es sich
um die gro£en Wahrheiten des Christentums, um seine Sendung
und um seine einzigartige Rolle handelt. Und wenn sie mitten in
ihren Vortragen grofte, lapidare Worte iiber das Christentum sagt,
Worte die einen Widerhall finden, so ist es als ob sie dazu getrieben
ware und sie sich hinterher nicht mehr daran erinnerte. So hat sie
auf unserem Kongress von dem Christus gesagt: «The Master to
whom the masters look up, the Teacher from whom the teachers
learn ...», aber in den Einzelheiten zieht sie nicht die Folgerungen
aus diesen Worten, - und mit einem seltsamen Schauder, der mir
psychologisch hochinteressant war, sagte sie mir: «You know, when
I have been born into Christianity it was only to fight against it ...
and to be killed! » - Nun aber, der groflte Lehrer in der Wissen-
schaft vom Christentum ist unter uns; es ist Herr Steiner, und es ist
St. Thomas von Aquin, dessen universelles Wissen vermehrt wurde
um die Wissenschaft der Reinkarnation, zwar friiher schon be-
sessen, aber fur eine gewisse Zeit verhiillt wegen der besonderen
Mission des Christentums.
Was ich so intim erfahren habe, ist mir bestatigt worden, sowohl
durch Herrn Steiner, der ganz erschrocken war, - (es war im ersten
Jahr unserer gemeinsamen Arbeit, und ausgenommen einige wenige
Worte, die er mir bei dieser Gelegenheit sagte, spricht er niemals
von diesen Dingen, die ihn betreffen, und niemals frage ich danach)
- als auch durch tausend Einzelheiten. Ein Zweifel ware gewiss
zerstorend gewesen, aber niemals konnte mir der Schatten eines
Zweifels kommen.
25 Aout
So wenig leicht ist es mir, dieses Stuck aus der Seele zu reiEen, dass
ich bis jetzt gezogert habe, den Brief abzusenden. Und doch fuhle
ich, dass ich es Ihnen sagen soil. Aber es ist, wie wenn man sich ein
Glied ausreiften wurde. Es muss wohl verstanden sein, dass dies
nur fiir Sie gesagt ist. Und ich bitte Sie sogar, diesen Brief zu ver-
nichten. Einmal, wie nebenbei, haben Sie mich auf einem Spazier-
gang danach gefragt und da konnte ich Ihnen nicht antworten.
Schon aufierlich ist der Zeitpunkt am ungiinstigsten, um den
Wert dieser Inkarnation zu verstehen. In protestantischen Landern
konnten sich absurde Spekulationen daran anschliefien. Und die
Theosophen, zu sehr indisch, wtirden das Gespenst des Katholi-
zismus wittern.
Was die Grofie dieses spirituellen Schrittes bedeutet, wer ist denn
da, um es zu verstehen? Wenn Sie es nicht sind, vielleicht.
Die vollkommene Synthese aller Wissenschaften zu sein, ver-
standesmaftig alles zu umfassen, was vom Verstand erfasst werden
kann, es dann in die reinste Spiritualitat zu erheben, es dort nieder-
zulegen wie in einen edlen Kelch, es ist dies ein Ton, der in dieser
Vollkommenheit auch nur einmal angeschlagen werden kann.
Und davor, vor dem 13. Jahrhundert, noch ungetriibt, ist da
Alexandria, da ist Philo als Lehrer und dann Johannes der Evange-
list, - da ist das Rom der Casaren, das Rom, das erschaudern
macht, - aber nicht wie bei Mrs. Besant mit einem noch person-
lichen Schaudern - es ist in keiner Weise aufierlich, aber es ver-
schliefk das Gesicht, und auf dem Grunde der Seele geschieht
etwas, was die Vision unzahlbarer Schmerzen und namenloser
Grausamkeiten sein muss.
Wir besuchen einige Male die Kirchen mit dem Namen eines
Heiligen des ersten Jahrhunderts, von dem ich nie zu sprechen
wage, und dessen Legende sehr vermischt wurde mit der anderer
Heiliger desselben Namens. Aber ich rede drumherum und ver-
lange in diese Kirchen zu gehen.
[neuer Briefbogen]
Ich will diese Briefe nicht wieder lesen, und wenn ich sie nicht
sofort absende, so vermute ich, dass ich sie nicht mehr schicken
werde. Wir werden doch nicht alles sehen konnen, wovon Sie uns
gesprochen haben. Die Villen sind zum grofSen Teil geschlossen im
Monat August, und die Aussichten sind oft durch Dunst verschlei-
ert. Und dann, in zwei Wochen ist es unmoglich viel zu sehen, die
Eindriicke sind zu stark, - aufterdem muss gearbeitet werden! und
die Hitze! Ich arbeite nicht, aber Herr Steiner wohl. Wir fahren am
fruhen Morgen des 27. ab, iiber Pisa, Genua und Mailand, wo wir
jeweils einen Tag bleiben. Dann kommen Luzern und Bern. Am 3.
und 4. September sind offentliche Vortrage in Bern. Am 5. also
werden wir uns auf den Weg nach Barr machen, und ich denke,
wenn wir morgens abfahren, konnen wir abends dort sein, wenn es
in Strafiburg einen Zug gibt, der uns im Laufe des Abends nach
Barr bringt. Unsere nachste Adresse ist Luzern, postlagernd.
Tausend gute Wiinsche und Griifie, und auf Wiedersehen!
M. Sivers
dass dies nur fiir Sie gesagt ist: Schure hat Wort gehalten, dieser Brief ist fast 100
Jahre ganzlich unbekannt geblieben.
60 An Marie von Sivers in Berlin
Mittwoch, 6. November 1907
Wien, 6. November 1907
Mein Liebling!
Viele dumme Theosophen gibt es; doch der Theosophen dummste
scheinen die Haupter der Wiener Loge zu sein. Man kann nur
hoffen, dass allmahlich sich - wie in andern Stadten - etwas aus
dem Bestehenden herausschalt. Vorlaufig ist nur zu ersehen, dass
ein Fraulein v. Tachauer mehr verspricht. Sie ist gebildet, in einer
gewissen Weise strebsam - nur behaftet mit der allgemeinen oster-
reichischen inneren Flatterhaftigkeit. Ich habe sie an die Miinche-
ner Damen angeschlossen, und so ist vielleicht eine Moglichkeit,
dass sie ein bisschen etwas aufnimmt. Gestern nach dem internen
Abend musste man mit den Hauptern noch etwas beisammen sein.
Es war eine «schone» Sache zu sehen, wie mit dem Stumpfsinn
insbesondere da die Arroganz wachst - trostlos. Wie die Dinge hier
stehen, wird Dir wohl hinlanglich die Tatsache veranschaulichen,
dass die «Mitglieder» der Loge zu einem groften Teil gar nicht in
die offentlichen Vortrage zu gehen fur notig halten, weil sie das
«alles schon wissen». So sagen sie. Gestern im «Internen» habe ich
ihnen schon einige Worte dariiber gesagt, und morgen werde ich
nochmals darauf zuriickkommen mussen. Denn der sonst vor-
handene Wissensdiinkel wird bei alien diesen «alten» Theosophen
geradezu zum Skandal.
Prag ist da wirklich schon viel besser. Und der jetzige Aufent-
halt dort scheint in einer gewissen Beziehung sehr erfolgreich zu
sein. Wien ist ja auch sonst eine in jeder Beziehung zuriickgeblie-
bene Stadt; und die Theosophie nimmt sich hier aus wie die Essenz
der Zuruckgebliebenheit. In Graz werde ich doch nun 8. und 9., in
Klagenfurt am 10. und 11. sein. So wenigstens habe ich die Sachen
jetzt telegraphisch geordnet.
Es wird vielleicht nicht gut sein, jetzt nach Dresden zu gehen.
Doch will ich noch sehen. Lieber ware mir im Dezember. Ich
mochte gerne doch Dienstag in Berlin sein. Denn es scheint mir aus
Griinden notwendig, die ich Dir noch sagen werde, dass ich mit
dem Moltke eine Unterredung gerade jetzt haben konnte. Es berei-
tet sich namlich durch die jiingsten Ereignisse eine grassliche Stim-
mung gegen die Theosophie vor; und es ware doch schade, wenn
gerade jetzt ein «Elementar-Ereignis» eintrate. Doch wollen wir
vorlaufig ganz schweigen iiber alles das. Aufierdem wird es wirk-
lich diesmal notwendig sein, einen Tag «Pause» in bezug auf Vor-
trage gerade vor stumpfsinnigen Zuhorern zu haben. Dies namlich
allein strengt an. Du kannst Dir keinen Begriff machen, wie alles
zuriickprallt, wenn man zu solchen Kopfen spricht, wie es vielfach
der Fall ist. Und dann nach Wien - noch Dresden. Aber wie gesagt,
ich will noch sehen.
Bitte schicke von mir als Geschenk an Frau Pauline Specht in
Wien IX Berggasse 21: Die «Saulen und Siegel», dann «Erziehung
des Kindes», «Blut ist ein besonderer Saft» und «Vater Unser».
Aber es soli nicht etwa Boese wieder Nachnahme nehmen.
Umsonst soli dies geschickt werden.
Sei mir ganz herzlichst gegriifit von Deinem Rdlf.
Graz will ich wohnen: Grand Hotel Elefant
Klagenfurt: Hotel Moser.
Wiener Loge: Es handelt sich nicht urn einen Zweig der deutschen Sektion, denn
der Empedokles Zweig in Wien wurde erst im Marz 1910 gegriindet. Ebenso sind
die anderen Zweige der deutschen Sektion in Osterreich erst 1910/11 gegriindet
worden: Graz, Klagenfurt, Linz. - Der Vorsitzende der Wiener Loge, die in einem
mehr oder weniger losen Zusammenhange mit der Hartmann-Bohme Gesellschaft
stand, war am Anfang des Jahrhunderts Ludwig Last. Mit den «Hauptern der
Wiener Loge» von 1907 ist also nicht etwa der Vorstand des Zweiges von 1910,
Dr. Alfred Zeifiig u. a., gemeint.
Frl. v. Tachauer: Hedwig v. Tachauer; ihre Mutter Clara wurde 1912 Mitglied.
Prag: Im Mai 1906 schloss sich eine schon existierende theosophische Gruppe der
deutschen Sektion an, nachdem ihr Leiter Jan Bedrnicek-Chlumsky schon im
Oktober 1905 Mitglied in Berlin geworden war. Diese im Register als Unterab-
teilung des Berliner Zweiges gefuhrte Gruppe wurde zum Ausgangspunkt der im
Januar 1909 mit Rudolf Steiners Hilfe gegriindeten Bohmischen Sektion der T.G.
Als 1911 die Auseinandersetzungen ura den «Stern des Ostens» begannen, traten
im Marz 1912 die meisten alten Mitglieder wieder aus der bohmischen Sektion aus
und kamen zusammen mit vielen neuen Mitgliedern in den Berliner Zweig
zuriick.
Moltke: Helmuth v. Moltke (1848-1916), Chef des deutschen Generalstabs, seine
Frau Eliza war Mitglied im Berliner Zweig der T.G. seit November 1905.
eine grdsslicbe Stimmung gegen die Theosophie: Es liefi sich nicht feststellen,
worauf Rudolf Steiner hier hindeutet.
Und dann nach Wien - noch Dresden: Im September 1904 entstand in Dresden ein
immer klein gebliebener Zweig unter der Leitung von Hermann Ahner, der
Rudolf Steiner stets verstandnislos gegeniiber stand, und der 1913 nicht mit in die
Anthroposophische Gesellschaft wechselte. Wie Lauweriks wurde auch Ahner
eine Weile Generalsekretar der neuen, Adyar-abhangigen deutschen Sektion.
Frau Pauline Specht (1846-1916), in ihrem Hause wirkte Rudolf Steiner 1884-
1890 als Hauslehrer, vor allem fur ihren behinderten zweiten Sohn Otto, der dann
im Weltkrieg als Sanitats-Offizier in Polen an Typhus starb. Naheres findet man
im Heft Nr. 112 der «Beitrage zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe».
61 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 10. November 1907
Graz, 10.. November 1907
Mein Liebling!
Wenigstens einige Zeilen sollst Du von hier aus erhalten. Wie es
weiter gegangen ist, werde ich Dir erzahlen. Habe herzlichsten
Dank fur Deine Briefe, die so viel Schones enthalten und auch
erzahlen. Wenn ich nun auch in Klagenfurt um 12 Uhr 9 Nachts
am Montag, das ist morgen, abfahre, dann werde ich bei direkter
Fahrt doch nicht vor 11 Uhr abends Dienstag in Berlin sein. Und
das wird mit einem Zug sein, der gar nicht iiber Dresden, sondern
durch Schlesien geht. Mit dem schnellsten Zuge konnte ich fahr-
planmafSig friihestens am Dienstag 7 Uhr in Dresden sein. Und das
ist gar nicht vorauszusehen. Denn es diirfen zwischen Prag und
Bodenbach die Zuge nicht mehr fahrplanmaflig fahren, weil die
Strecke an 6 Stellen aufgeweicht ist und die samtlichen Ziige mit
1 - 1 V2 stiindigen Verspatungen ankommen. Auch in Prag bin ich
ja mit solcher Verspatung angekommen.
Die Munchener Damen sind auch hier und gehen auch nach
Klagenfurt.
Jetzt ist 7 Uhr morgens. 8 Uhr 15 muss man abfahren, wenn
man noch zu annehmbarer Zeit nach dem Alpennest Klagenfurt -
Hauptstadt von Karnten - kommen will.
O ware doch mein guter Liebling da. Die Natur zu beiden Sei-
ten der Eisenbahn ist groft und schon; aber die Menschen
Alles herzliche seinem Liebling Rdlf.
Die Munchener Damen: Grafin Kalckreuth und Sophie Stinde.
62 An Marie von Sivers in Berlin
Freitag, 6. Dezember 1907, aus Miinchen
Mein Liebling!
Den allerherzlichsten Grufi vor allem. In Niirnberg und hier ging
alles gut. Die beiden Vortrage «Krankheitswahn» und «Gesund-
heitsfieber» scheinen in einer gewissen Beziehung klarend auf das
theosophische Feld zu wirken. - Und wir werden Klarung brau-
chen. Das zeigt der Fall Wolfram, der wahrhaft symptomatisch ist.
Wolfram findet, dass es bedauerlich ist, dass jetzt aufier Vollrath
auch noch Zawadzki eine Zeitschrift (zusammen mit einem gewis-
sen Fiedler) begriindet. Und da kam sie denn auf einen «geniali-
schen» Gedanken: «Lucifer» miisse regelma£ig erscheinen, und zu
dem Ende schlage sie mir vor, ihr Herausgeberschaft und Redak-
tion des «Lucifer» abzutreten. Das sollte «recht schnell» gemacht
werden. Nun lag wieder so was vor, wo man «grob, grob, grob»
werden musste. Das wurde ich denn telegraphisch, denn sie ver-
langte telegraphische Antwort. Das Telegramm war entsprechend.
Und eben erhalte ich ihre brief liche Antwort: «Sie weisen meinen
Vorschlag in einer Weise zuriick, wie sie schroffer nicht gedacht
werden kann. Was ich vorschlug, ist Unsinn.» Dann kommt De-
und Wehmiitiges, und weiter: «Und wenn ich mich nun frage,
weshalb Sie - der Sie sonst die Giite selbst sind gegen solche, denen
Verstandnis mangelt - jetzt mich in gleichem Falle so schroff anfas-
sen, so sage ich mir, dass Sie dafur gewiss Ihre Griinde haben
werden. Und weil ich das einsehe, ist mir auch nicht einen Augen-
blick zweifelhaft gewesen, dass Sie es als Erzieher gut mit mir
meinen ». -
Liebling, Grobheit selbst ist gut, wenn sie wegen des Andern
angewendet wird. Die Lektion hat vorl'dufig geholfen. Natiirlich
sind aber die Leipziger Dummheiten damit nicht zu Ende. Und es
ware in vieler Beziehung besser, wenn wir dieses «Leipzigern» gar
nicht zu konsumieren brauchten. Die Farbe der Leipziger haftet
den Leuten - eben auch der Wolfram - noch lange an, wenn sie
auch zu uns kommen. Und besser sind aufter uns Leipziger Gesell-
schaften, als bei uns Mitglieder mit den idiotischen Methoden der
Leipziger Praxis.
Dass Unger in Berlin vorgetragen hat, ist mir lieb. Hier sind in
F.M. eingetreten: Frl. Michels und Grafin Fugger.
Morgen fruh reise ich nach Stuttgart.
Nochmals herzlichstes Dein Rdlf.
Munchen, 6. Dez. 1907
Die beiden Vortrdge «Krankkeitswahn» und «Gesundheitsfieber»: Zwei offentli-
che Miinchner Vortrage vom 3. und 5. Dezember 1907, neu in: «Die Erkenntnis
der Seele und des Geistes», GA 56.
Zawadzki: Casimir Zawadzki, Leipzig, Mitglied im Juli 1906, wieder ausgetreten
1908/09, gab 1908-12 eine Zeitschrift heraus, zuerst im Verlag Fiedler, dann
Vollrath, und bestritt seine Artikei durch Plagiate aus den Werken Rudolf Steiners
und Annie Besants. - Vgl. Mathilde Scholl, «Literarisches Parasitentum, Plagiate
und falsche Zitate», Berlin 1914.
Farbe der Leipziger ... Leipziger Geselhchaften: die Hartmann-Bohme Gesell-
schaft mit Sitz in Leipzig.
Unger: Dr. Ing. h.c. Carl Unger (1878-1929), Industrieller, Schwiegersohn von
Adolf Arenson, Mitglied in Stuttgart seit 1903, 1913-23 im Zentralvorstand der
Anthroposophischen Gesellschaft (mit Marie v. Sivers und Michael Bauer), und in
vielen anderen Positionen der anthroposophischen Bewegung leitend tatig. Auf
dem Wege zu seinem Vortrag «Was ist Anthroposophie?» am 4. Januar 1929 in
Niimberg von einem Geisteskranken erschossen.
Frl Michels: Clara Michels (1880-1944), Mitglied in Munchen seit Mai 1907,
spater Lehrerin an der Waldorfschule.
Grafin Fugger: Amelie Fugger von Glott, geb. v. Thewalt (1858-1915), in Traun-
stein/Bayern, Mitglied seit Januar 1905.
1908
Als eine Folge der Vortragszyklen in Paris im Mai/Juni 1906 und in
Miinchen im Mai 1907, im Anschluss an den Kongress, erscheinen immer
mehr Auslander bei den Zyklen in Deutschland. Diese drangen darauf,
dass Rudolf Steiner auch in ihren Landern spricht. Sie erwirken offizielle
Einladungen des hollandischen Generalsekretars fur eine Vortragsreise
durch Holland Anfang Marz und des skandinavischen Generalsekretars
fur eine Reise durch dessen Lander Ende Marz. - Im Mai findet in
Hamburg der Zyklus iiber das Johannes-Evangelium (GA 103) statt, im
Juni in Niirnberg der Zyklus iiber die Apokalypse (GA 104), und im Juli
in Oslo ein Zyklus iiber das Johannes-Evangelium. In den folgenden
Jahren wird Rudolf Steiner jedes Jahr mindestens einmal die skandinavi-
schen Lander besuchen. Im August folgt in Stuttgart der Zyklus «Welt,
Erde und Mensch» (GA 106) und im September in Leipzig «Agyptische
Mythen und Mysterien» (GA 106), anschliefiend eine 14-tagige <Versen-
kung> in Italien, u. a. nach Neapel und Paestum. - Marie v. Sivers begleitet
Rudolf Steiner jetzt nicht nur fur die Zyklen, sondern bei fast alien Reisen,
daher liegen fur dieses Jahr nur zwei Briefe vor.
Am 1. August wird der von Marie v. Sivers seit langerem geplante und
vorbereitete eigene «Philosophisch-Theosophische Verlag» begriindet, um
Rudolf Steiner von dem Zeitdruck seitens seiner Verleger zu befreien. Als
Geschaftsfiihrerin wird nun Johanna Miicke zur engen Mitarbeiterin.
Bei der Generalversammlung am 26. Oktober berichtet Marie von
Sivers, dass durch 9 neue Zweige: Bern, Eisenach, Mannheim, Wiesbaden,
Pforzheim, Strafiburg, Zurich, Bielefeld, Malsch zur Sektion nunmehr
37 Zweige gehoren, mit insgesamt 1150 Mitgliedern gegen 872 im Vorjahr.
63 An Marie von Sivers in Berlin
Freitag, 17. Januar 1908, aus Miinchen
Mein Liebling!
Auch heute kann es leider iiber ein paar Zeilen nicht hinauskom-
men. Warum nur wirst Du mir gar nicht wieder ganz frisch? Die
Korrektur der Mitteilungen kann ich nun wohl doch nur machen
auf dem Weg nach Budapest. Denn der Expresszug, der von Leip-
zig nach St. Gallen ging, machte mir viel Schererei. Er machte
Verspatung. Anschluss wurde in Miinchen versaumt, und mit
Knappheit kam ich eben noch kurz vor dem offentlichen Vortrag
in St. Gallen an. Hier aber ist diesmal viel zu tun gewesen.
Heut abend geht's also nach Budapest. Vielleicht sind dort doch
ein paar Zeilen von meinem Liebling. Das ware doch besser als
blofi die naive Handschrift des guten Wiesels.
Wenn es doch nur durch Wollisch moglich ware, Dich zu ent-
lasten. Unsere Miinchener Damen sehen die Sache doch ganz gut
an, ohne irgend unsachliche Gefiihle. Sie haben wohl auch ganz gut
auf Wollisch hier gewirkt. Ich selbst konnte nur wenig mit dieser
selbst sprechen, fand das auch schlieElich nicht notwendig. Aber
mit den Damen habe ich doch auch deren Aper^us durchgespro-
chen, und werde diesbeziiglich Dir alles sagen, was jetzt doch
schriftlich nicht recht geht.
Vorlaufig nur allerherzlichste Griifie Dein Rudolf
Korrektur der Mitteilungen: Bezieht sich auf Nr. VI der Scholl-Mitteilungen,
welche im Februar 1908 erschien.
Frl. Wollisch: Vittoria Wollisch, Mitglied seit 1906 in Stuttgart, spater in Florenz.
Die in diesem Brief angesprochene Mitarbeit in Berlin kam nicht zustande.
64 An Marie von Si vers in Berlin
Sonntag, 23. Februar 1908, aus Bielefeld
Mein Liebling! Bielefeld ist nun erreicht. Von Kassel hieher sind 4
Stunden Eisenbahnfahrt mit dreimaligem Umsteigen. - In Weimar
ging es ma$ig, in Kassel gut. Du weifit, dass in Kassel - zu meiner
Verwunderung - Frl. Wollisch plotzlich auftauchte. Sie sagte, Du
hattest ihr geschrieben, Du verreisest auf 3 Tage und daraus schloss
sie, dass sie Dich in Kassel treffen werde. Da sie nun einmal da war,
beniitzte ich die Gelegenheit, um ihr eindringlich iiber ihr Verhalt-
nis zu Bredow zu sprechen. Ich muss das fur gut halten. Ich sagte
ihr, dass nicht daran zu denken sei, irgend forderliche Arbeit zu
leisten, wenn dieses Verhaltnis einen sentimentalen Charakter an-
nehmen sollte. Es schien mir auch gut, darauf ganz genau hinzu-
weisen, was durch sie Frau v. Bredow bei uns nicht tun solle, wenn
sie selbst brauchbar sein wolle. Hoffentlich ist mein Liebling ein-
verstanden mit dieser Rede, die ich Frl. Wollisch gehalten habe.
Vorlaufig hat ja diese versichert, dass sie ihrerseits bisher nicht
einmal auf einen Briefwechsel mit Bredow eingegangen sei, und
dass sie z. B. von deren gegenwartiger Erkrankung gar nichts wisse.
So weit war ich, da kamen die Bielefelder, mir zu sagen, dass
wir eine grofie Schwierigkeit mit dem Vortrag haben werden, da in
den letzten Tagen hier zwei oder drei Spiritisten gesprochen und
ganz Bielefeld wiitend gemacht haben. Uberall werde gefragt: ist
denn das wieder was Spiritistisches. Traurig ist nur, dass man sol-
cher Zusammenstellung mit offenbaren Schadlingen - denn nach
allem sind es Schadlinge, die auch dumm sind - ausgesetzt sein
muss. Zu all dem haben die Leute hier als Lokal das evangelische
Vereinshaus als Vortragssaal genommen. Nun, wir wollen sehen,
was da herauskommt. -
M. 1. M. Haben wir die Zeiteinteilung fur Berlin festgesetzt?
Wenn nicht, so soli sein: Mittwoch 8 E.S., Freitag 8 F.M. Ist schon
andres festgesetzt, so miisste es dabei bleiben.
An Schure habe ich Brief fast vollendet. Geht wohl morgen ab.
An Perrin musst Du Mittwoch morgens iibersetzen.
Ankommen mochte ich - wenn ich nicht noch andres schreibe
- in Berlin Mittwoch morgens 7 Uhr 8 Zoologischer Garten. Hoffe
dann eine gesunde gute Maus zu finden.
Herzlichstes Dein Rdlf.
Bielefeld, V2 8 Uhr Sonntag.
E. S.: Abkurzung fiir <Esoterische Stunde> bzw. <Esoterische Schulo.
F. M.: (Freimaurer), Abkurzung fiir die erkenntniskultische Abteilung der Esote-
rischen Schule.
64a Rudolf Steiner an Edouard Schure
Donnerstag, 26. Marz 1908
Berlin, 26. Marz 1908
Hochverehrter Freund!
Den von mir unterzeichneten Vertrag habe ich am 16. Marz an
Perrin gesandt. Es waren wirklich nur in gewisser Beziehung tech-
nische Schwierigkeiten, welche die Sache verzogert haben. In den
letzten Wochen war ich im Ganzen nur wenige Tage in Berlin.
Nun musste ich aber erst mit mir selbst zur Klarheit kommen, wie
die Verlagsangelegenheit mit meinem deutschen Verleger steht. Das
Buch ist namlich zuerst bei einem andern Verleger erschienen und
nachtraglich durch Verkauf an den jetzigen iibergegangen. Nun ist
aber alles klar. Ich habe mir seinerzeit alle Ubersetzungsrechte an
diesem Buch personlich vorbehalten. Daher habe ich auch allein
das Ubersetzungsrecht abzutreten, und es ist juridisch die Unter-
schrift meines deutschen Verlegers nicht notwendig. Ich habe aber
der Vorsicht halber doch die Ubersetzung dem jetzigen Verleger
angezeigt, und er hat die Anzeige zur Kenntnis genommen.
Also Sie sehen, hochverehrter Freund, es waren einige rein juri-
stische Formalitaten gegeniiber dem deutschen Verleger, die mich
aufgehalten haben. Jetzt ist alles erledigt.
Es ist mir im hochsten Mafie befriedigend, dass dieses Buch von
Ihnen in franzosischer Sprache erscheint. Und es darf wohl gesagt
werden, dass dieses Buch ein in hochstem Mafie gliickliches Karma
hat, indem es von dem Autor der «grofien Eingeweihten» dem
franzosischen Leserkreis vorgelegt wird.
Wie schon war es doch, dass wir Sie in Basel unter uns hatten.
Dass dies auch in Bezug auf unsere Esoterik und F.M. sein konnte.
Vieles von all dem muss ja unter den gegenwartigen Zeitumstanden
aufierlich in Andeutungen des Ceremoniells bleiben. Aber diese
Anfange werden zu dem weiteren fuhren. Dass Sie, hochverehrter
Freund, an diesen Anfangen teilnahmen, ist eine wichtige Sache.
Und aus tiefstem Herzen nicht nur war es mir gesprochen, was ich
in Basel sagte, dass durch Ihre Teilnahme die Sache im herrlichsten
Sinne gefordert ist, sondern ich wusste mich, indem ich dies aus-
sprach, in vollem Einklange mit den leitenden spirituellen Machten
des R+.
Die esoterischen Ubungen, welche wir in Barr besprachen, sol-
len noch einige Zeit die Ihrigen bleiben. Sie enthalten vieles, was
sich durch die Meditation ergeben soil. Nach einiger Zeit werden
wir weitere besprechen.
In 2 Stunden reisen wir nach Skandinavien ab. Vortrage sollen
sein in Lund, Stockholm, Upsala, Goteborg, Christiania, Malmo
und Kopenhagen. Heute abend habe ich hier gesprochen iiber
«Sonne, Mond und Sterne» und am 9. April ist bereits wieder hier
in Berlin Vortrag iiber «Erdenanfang und Erdenende».
Fur heute nur noch herzlichste Griifie an Madame Schure von
mir und Frl. v. Sivers; ebenso an Sie selbst von der letzteren und
Ihrem treuen Dr. Rudolf Steiner
Vertrag ... an Perrin: Erteilung des Ubersetzungsrechtes fur «Das Christentum
als mystische Tatsache». Perrin war Schure's Verleger.
in Bezug auf unsere Esoterik und F.M.: Von Marie v. Sivers eingeladen, war
Schure im November 1907 beim Zyklus in Basel anwesend. Bei dieser Gelegenheit
wurde er in den 1., 2. und 3. Grad der F.M. aufgenommen.
Stuttgart 1908
Auch aus diesem Jahr liegen nur wenige Briefe vor, weil - mit Ausnahme
von drei Reisen in verschiedene deutsche Stadte - Marie v. Sivers alle
Reisen mitmacht, insbesondere zu den Vortragszyklen: im Marz erstmals
ein Zyklus in Italien, in Rom auf Einladung der Fiirstin del Drago, gleich
anschliefiend geht es nach Malsch bei Karlsruhe zur Grundsteinlegung des
von dortigen Freunden nach den Intentionen des Miinchner Kongresses
geplanten Modellbaues. Im April folgt in Diisseldorf der Zyklus «Geistige
Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt» (GA 110),
im Mai in Oslo «Theosophie an der Hand der Apokalypse» (in GA 104a).
Ende Mai findet in Budapest der 5. Kongress der Foderation Europai-
scher Sektionen statt. Im Anschluss daran halt Rudolf Steiner dort den
Zyklus «Theosophie und Okkultismus des Rosenkreuzers» (in GA 109).
Nach dem Kasseler Zyklus «Das Johannes -Evangelium im Verhaltnis
zu den drei anderen Evangelien» (GA 112) ist die Zeit der zweiten Julihalf-
te bis Ende August der Vorbereitung und Durchfuhrung der Festveran-
staltung in Miinchen gewidmet. Am 22. August findet im Schauspielhaus
die Auffuhrung des von Marie v. Sivers iibersetzten und von Rudolf
Steiner in freie Rhythmen gebrachten Dramas von Edouard Schure «Die
Kinder des Luzifer» statt. Regie fiihrt - wie schon 1907 - Rudolf Steiner,
Hauptdarsteller sind die Initianten der Auffuhrung: Marie v. Sivers und
Mieta Waller, die als Freundin und Mitarbeiterin in den Briefen der
Folgezeit immer wieder envahnt wird. Zu der Festveranstaltung gehort der
Zyklus «Der Orient im Lichte des Occidents. Die Kinder des Lucifer und
die Briider Christi» (GA113). Im September folgt in Basel der Zyklus
iiber das Lukas-Evangelium (GA 114).
Eigentlich wiinschte Rudolf Steiner nicht, dass seine Vortrage mitge-
schrieben wiirden. Es geschah aber trotzdem, und Mitschriften zirkulier-
ten unter den Mitgliedern, die viele Fehler enthielten. Daher sah man sich
genotigt fur einigermafien authentische Nachschriften zu sorgen. Marie
v. Sivers iibernimmt auch diese Aufgabe, organisiert die Stenographen und
betreut die Vervielfaltigung der Nachschriften, die durch den Philoso-
phisch-Anthroposophischen Verlag ausgegeben werden.
Bei der Generalversammlung im Oktober gibt Marie v. Sivers den
Bericht iiber das Wachsen der Bewegung. 7 neue Zweige: Breslau, Ko-
blenz, Essen, Miihlhausen im Elsass, Strafiburg II, Dresden II, Miinchen
IV, erhohen die Zahl der Zweige auf 44. Die Anzahl der Mitglieder betragt
1500, gegen 1150 im Vorjahr. Rudolf Steiner weist darauf hin, dass
inzwischen 20 Mitglieder nicht nur in ihren Zweigen, sondern in der
ganzen Sektion durch Vortrage aktiv mitwirken.
65 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 7. Februar 1909
Stuttgart, 7. Februar 1909
M. 1. M. Erst von hier aus kann ich Dir einige Nachricht senden.
Es war wirklich recht viel zu tun. Und eigentHch iiberall wenig
Zeit. Es ist aber bisher alles gut gegangen, was den theosophischen
Inhalt der Reise betrifft. Doch dariiber werden wir wohl fast alles
auf die miindliche Mitteilung aufsparen miissen. In StraEburg ist
Oehler sehr eifrig. Und er konnte nichts dafiir, dass der Vortrags-
saal so schlecht geheizt war, dass Maud sich so griindlich erkaltete
(zu allem andern), dass sie dort liegen bleiben musste. Nun hat
Scholl sie hieher gebracht. Da haben sich die beiden durch irgend-
ein Essen, das man ihnen gestern vorgesetzt hat, so verdorben, dass
Maud auch hier wieder im Bette liegt. Es ist wirklich fur Scholl
schade, dass sie so Krankenwarterin sein muss. Nach Strafiburg
kam dann Freiburg. Nicht besonders gut besucht; aber dafiir dies-
mal viel Teilnahme. Dann Miilhausen. Gut. Es fehlt noch einer zur
Loge. Aufnahmegesuche bringe ich mit. Die Mitglieder der dorti-
gen franzosischen Loge waren iibrigens ganz dabei. In Basel fand
ich Bredows Brief wegen der Theatermiete. Wir konnen die Sache
besprechen, sobald ich zuriickkomme. Doch wird es wohl mit dem
Kiinstlertheater nichts werden und gut ware es, wenn K. [Kalck-
reuth] sich nach einem andern Theater umsahe. Deine Berliner
Lokalfrage konnen wir doch auch erst nach meiner Ankunft ent-
scheiden. Die Basler Krisen sind unerfreulich, da es gerade dort
theosophisch so gut gegangen ist. Eigentlich spielen da doch
Gefiihlsuntergriinde eine grofiere Rolle als die Tatsachen, die vor-
gekommen sind.
In Miilhausen tauchte fiir einen Tag Ostermann auf. Er sagte
mir: er werde nie untreu werden. In Bern hatten wir doch den
Grofiratssaal. Es war diesmal sehr gut besucht. Franzosen waren
da, und keine M. zum Ubersetzen. So musste ich diesmal bis zur
Neige ausprobieren, wie weit ich mit dem Franzosisch-Verstan-
digen komme. Notwendigkeit tut viel in solchen Dingen. Doch
schneller geht es mit M. In Bern war Miss Bright. Eigentlich weifi
sie nicht viel von alien Vorgangen in England; und ist optimistisch.
Ihr eigentliches Ratsel ist Miss Ward, auf deren Schwenkung sie
immer wieder zuruckkommt, was auch sachlich im Gesprach ge-
wendet werden mag. Sie hat den offentlichen Vortrag in Bern, eine
E.S. und einen Logenvortrag mitgemacht. Und es ist wohl gerade
Bern gut gewesen fiir ihr Dabeisein. Zu Mittag war sie gestern mit
bei Frau Haefliger eingeladen, was ich fiir notwendig hielt, wenn
ich die Mittagseinladung annahm. Sie sagte: sie ware sehr froh iiber
alles gewesen.
Nun ist bald Logenvortrag hier. Bern-Stuttgart ist scheufiliche
Reise. Abends musste ich 8 Uhr 37 von Bern nach Zurich fahren;
dann gab es Schlafwagen bis Stuttgart, wo man 5 Uhr 50 ankam.
11 Uhr war E.S. Der gestrige Tag war sehr besetzt. In Basel und
Bern waren Schweizer von alien Seiten.
Herzlichst Rudolf
Uber Deine Empfindungen gegeniiber dem grofien Stoff der Apo-
kalypse bin ich sehr froh, es ist wie ein Nachklang meiner eigenen,
wenn ich iiber diese gewaltigen Dinge vortragen muss. Das, wie Du
empfindest, zeigt nur, dass Du es recht machst.
Oehler: Paul Oehler, Vorsitzender des im Marz 1908 gegriindeten Goethe-Schiller
Zweiges in Strafiburg.
Maud: Maud Kunstler aus Koln.
Es fehlt noch einer zur Loge: Zu einer Logen- oder Zweiggriindung waren 7
Mitglieder notwendig. Im Juli 1909 wurde dann der deutsche Paulus Zweig
begriindet.
Mitglieder der ... franzdsischen Loge: In Miihlhausen existierte bereits ein franzo-
sisch-sprachiger Zweig, der der franzdsischen Sektion der T.G. angeschlossen war.
Theatermiete . . . Kiinstler theater: Die Urauffuhrung von Edouard Schures Drama
«Die Kinder des Luzifer» am 22. August 1909 fand im Miinchner Schauspielhaus
statt.
Deine Berliner Lokalfrage: Diirfte sich auf die Verlegung des Berliner Zweiglokals
von MotzstrafSe 17 nach Geisbergstrafte 2 beziehen. Das neue Lokal wurde nach
Angaben Rudolf Steiners kunstlerisch gestaltet und am 5. Mai 1909 eingeweiht
(GA 284).
Miss Bright: Esther Bright aus London (geb. 1868), treueste Freundin von
A. Besant, aber auch mit Rudolf Steiner und Marie v. Sivers befreundet. Rudolf
Steiner gedenkt ihrer und ihrer Mutter Ursula in «Mein Lebensgang». - Aufter
ihnen hatte sich damals fast die gesamte englische Prominenz, darunter auch Miss
Edith Ward, von A. Besant abgewandt, weil diese die Wiederaufnahme Lead-
beaters in die T.G. forciert hatte.
Frau Haefliger: Anna Haefliger (gest. 1935), Mitglied seit Sep. 1906, bei der Be-
griindung des Berner Johannes-Zweiges 1907 Schriftfuhrerin, spater Vorsitzende.
66 An Marie von Sivers in Berlin
Mittwoch, 24. Februar 1909, aus Eisenach
M. 1. M. Einen herzlichsten Grufi von der Wartburgstadt, die in
tiefem Schnee liegt.
Bisher ist theosophisch alles gut gegangen. In Leipzig war es
eben wie immer. Z. [Zawadzki] hat der Loge seinen Austritt er-
klart. Alles andere will ich Dir mundlich erzahlen. Erfurt ist theo-
sophisch noch recht im Anfang. In Weimar war - Faschingdiens-
tag. Der kleine Saal war zwar voll, aber die Menschen, die fruher
ein gewisses Interesse hatten, waren alle mit dem Fasching beschaf-
tigt. Und mein Patenkind - jetzt hatte ich ein Recht, mir einen
12jahrigen Jungen vorzustellen -, trat mir entgegen als ein - Mad-
chen. In Weimar verwandelt jetzt der Fasching die Buben in Ma-
deln, und die Madel in Buben. Der Vater des Jungen hat doch vor
zwei Jahren so schon erzahlt, wie der Junge sich nicht wie die
andern eine Gymnasiastenmiitze aufsetzen wollte: «Bin ich denn
ein Herdenvieh?» Die Schullehrer hatten also diese «Individualitat»
nicht zu beugen vermocht. Die Gruppenseele der Menschennarr-
heit aber hat das vermocht, ganz in der «Herde» lief der «Starr-
kopf» zum Madchen verwandelt in den tollen Ziigen, welche da
durch Weimars «klassische» Strafien zogen. Und als Henning
meinen Vortrag «Mann und Weib» gehort hatte, gestand er auch:
«meine beiden Jiingsten» liefen heute abend im Zuge in ihren
Atherleibern herum. 1st so denn nicht Weimar eigentlich grandios
«voran»? Der Geist «Karneval» illustrierte auf alien Straften, dass
das Ubersinnliche im Weib Mann und im Mann Weib ist. Und so
war denn mein Vortrag eine sonderbare Kommentierung zu den
Ereignissen auf der Strafie. - Ein anderes Zeitsymptom leg ich Dir
bei auf einem Zeitungsblatt. Bewahr es doch auf, bis ich zuriick-
komme.
Dr. CI. L. ist auch noch nicht gescheiter geworden; seine Frau
hort auch noch nicht auf, jeden moglichen Augenblick zu sagen:
Seht ihr nicht, wie CI. jeden Tag vollkommener wird?
Verzeih, dass ich Dir heute nur diese Neben-tollheiten schreibe,
aber es ist hier im «Fiirstenhof», der im Sommer ein so schones
Hotel ist, eisig kalt, und ich mochte so schnell als moglich nach
Kassel kommen.
Nun nochmals herzlichsten Grufi und nur noch die Nachricht,
dass Tschirschky da ist.
Dein Rdlf
Patenkind: Wilfried v. Henning.
mein Vortrag «Mann und Weib»: Weimar 22. Februar 1909. Keine Nachschrift
vorhanden. - Vgl. iiber dasselbe Thema in dem Band «Die Erkenntnis der Seele
und des Geistes», GA 56.
Dr. CI. L.: Wohl Claus Langen in Eisenach.
seine Frau: Martha Langen, geb. Grafin Strachwitz (1865-1950), Mitglied seit Mai
1907, begriindete den Zweig Eisenach, der in Anwesenheit Rudolf Steiners am 13.
Juni 1908 eingeweiht wurde. Von 1915 an lebte sie in Dornach.
Kristiania (Oslo), Mai 1908
Rudolf Steiner mit Kind der Familie Reitan, daneben Marta Steinsvik;
dahinter: Livy Reitan, Clara Selling, Marie von Sivers
67 An Marie von Si vers in Berlin
Donnerstag, 18. November 1909
Briefkopf: Grand Hotel & Bernerhof, Berne
M. 1. M. Hab herzlichsten Dank fur die lieben Zeilen. Wenn es
doch moglich ware, Deine Uberburdung etwas zu lindern! Aber
woher sollte man gerade in diesem Stadium unserer Arbeit die
Moglichkeit nehmen? Es ist ja recht schwer, Dich so liberlastet zu
wissen. - Dass Du von mir schreibst, ich ware ermiidet, stimmt
aber nicht. Was mir etwas auf der Seele liegt, ist, dass der Sinn der
Sache, um welche es sich handelt, so leicht sich wandelt, wenn er
durch die Ohren und die Fassungsvermogen der andern Menschen
geht. In Stuttgart ist ailerdings ein Ort, wo die paar fuhrenden
Leute absolut gut auf alles eingehen konnen; aber dafur fiihlen sie
gerade wieder, wie schwer es wird, dass der rechte Sinn auch durch
die Adern der andern rinne. Aber sie verstehen gut, sowohl Aren-
son wie Unger, wie notwendig es ist, dass die Anfangsgriinde in
den Zweigen gepflegt werden. Damit man dann nicht z. B. iiber
CHR zu Leuten zu sprechen hat, welche nichts wissen von den
Gliedern der menschlichen Organisation. In Bremen hatte dagegen
Frau Wandrey auf ihrem Programm: die 10 Gebote als Vorberei-
tung zum Christentum, oder gar das Christentum in der Gegen-
wart. Das ist fur Menschen, zu denen ich iiber die Elemente des
Karma sprechen musste, um ihnen nicht trostlos Wertloses zu
sagen. So wird in den Zweigen zu Leuten, zu denen iiber Karma
erst gesprochen werden muss, von den schwierigsten Dingen ge-
sprochen von Vortragenden, welche sich dabei ausnehmen wie ein
fiinfjahriger Junge an einer Kanone. Gewiss, Du wirst sagen, es lage
an mir, diesen Leuten das zu sagen. Vorausgesetzt aber, dass dies
nur 50 ginge, dann konnte gleichzeitig nichts anderes gemacht
werden, als das Tor zu unserer ganzen Esoterik geschlossen [zu
schliessen]. Denn ich darf den inneren Widerspruch nicht realisie-
ren, die Menschen wie Kinder zu dressieren und gleichzeitig ihnen
das esoterisch geben, was so im Sinne unserer Gegenwart gegeben
werden soil und muss. Wie ich zu den Menschen sprechen soli, das
tue ich. Ich habe Frau Wandrey, bevor ich wollte, dass sie in Logen
vortragt, zu Dr. Unger geschickt, urn da sich anzueignen die
Form des Denkens. Sie kam zuriick, sagend, dass sie alles das, was
Dr. Unger sage, empfinde wie ein Klettern auf einer Kletterstange
von Begriffen, urn dahin zu gelangen, wo sie von vornherein stiin-
de. Wenn dann die Menschen also nur wollen, was sie fur richtig
halten, dann sind sie bereit, von mir zu horen, dass sie recht haben.
Vergessen haben sie dann langst, dass ich doch deutlich gesprochen
habe mit dem ersten Rat, und dass, wenn sie ihn so auffassen, wie
das im obigen Falle geschehen ist, es weiter nur noch moglich ist,
zu sagen: na ja!
In Stuttgart ging es gut; nur ist deutlich zu merken, dass es
gerade an den Orten, wo, wie dort, gut gearbeitet ist, es nicht rich-
tig ist, so selten hinzukommen, namentlich zu offentlichen Vortra-
gen. Die Zeit vom Februar bis zum November war fur Stuttgart zu
lang. Schon an der Hebung des Interesses vom 1. zum 2. Vortrag
vom Montag zum Dienstag konnte man das merken. Daneben hat
es kaum einen Sinn, viel vorzutragen an Orten, wo die Theosophen
selbst - ich meine die aktiven - so wenig giinstig wirken. Man muss
nicht vergessen, dass ein Vortrag den Leuten gar nichts sagt, gera-
de, wenn er gut ist.
Die Fahrt von Stuttgart nach Bern dauerte von morgens 8 Uhr
bis abends 6 Uhr 15. Die Ziige sind eingeschneit, versaumen die
Anschliisse usw. Bern ist wunderschon im Schnee. Gestern abend
in der Loge war es gut.
Ganz herzlichst Rdlf.
Nimm die Zeilen nicht zu schlimm; es muss irgend gehn!
Frau Wandrey: Camilla Wandrey, geb. Bahr (1859-1941), Mitglied in Berlin
Oktober 1904, Schriftfuhrerin bei der Griindung des Zweiges Dresden II im
Oktober 1909, auch in Hamburg tatig, spater in Dornach. Schrieb zahlreiche
Vortrage Rudolf Steiners mit.
67a Marie von Sivers an Sophie Stinde, Munchen
Anfang Dezember 1909, aus Berlin
Liebe Sophie,
ich hatte Dir so gern einen Zyklus zum Logenstudium geschickt,
aber wir stecken ganz im Anfang unserer Arbeit. Es ist eine heillose
Arbeit, erfordert Maschinen, Raumlichkeiten, Schranke, Tische,
Regale ... Arbeitskrafte in grofierer Anzahl ... eine ganze Kapital-
anlage. Natiirlich ware das Drucken einfacher und billiger, aber es
ist nicht moglich. Denn wenn Dr. Steiner alles das durchlesen soll-
te, konnten wir nie etwas erhalten, ... und nur in dieser Form ist
es moglich, Vortrage, die er nicht durchgesehen hat, herauszuge-
ben. Das ist ganz klar. Auch mit Massenabnahmen konnen wir es
bei diesem Stoff nicht machen; es muss eine beschrankte Zahl sein.
Lehmann und Miicke haben genau gerechnet und gezahlt und fin-
den, dass bei sorgsamer und guter Arbeit es unter zwei Mark pro
Vortrag nicht geht. Natiirlich ist auch das Honorar des Stenogra-
phen mit einbegriffen; sie meinen, man wiirde dann bei Herstellung
und Abnahme von 500 Stuck grad auf die Kosten kommen. Es sind
jetzt dazu angestellt Lehmann, Stofiinger und Annenkoff. Stoftin-
ger und Annenkoff lernen noch natiirlich erst die Sache und An-
nenkoff bekommt kein Honorar, fahrt aber nach drei Monaten weg.
Ich schicke Dir den ersten Vortrag vom Miinchner Zyklus; das
ist alles, was fertig ist. Denn erst Mitte November hat Lehmann
angefangen. Bis dahin musste sie mir helfen. Jetzt ist Waller an ihre
Stelle getreten.
Ich hatte Dir so gern eine Kopie der Kasseler- Vortrage in Vege-
lahnscher Nachschrift zum Logenstudium geschickt. Und bat
Klenk, der nach Munchen gezogen ist, sie Dir zu geben. Nun hat
aber auch Bauer, wie es scheint, ihn drum gebeten. Frag ihn doch.
Er hat von mir den Bescheid erhalten, sie nur Dir oder Bauer zu
geben. Im Fall Bauer sie genommen, bitte Klenk um seine Apoka-
lypse. - Arenson hat auch die Kasseler- Vortrage erhalten. Doch
habe ich ihn gebeten, sie zu korrigieren und mir dann fur die
Maschine zu schicken, weil ich unmoglich fertig werden kann mit
dem Durchlesen aller Vortrage. Jedenfalls schreib mir, ob Du was
erhaltst, weil ich sonst jemanden hier anstellen werde zum vorlau-
figen Abschreiben des Lukas-Evangeliums fiir Dich. Ich mochte
nicht, dass jemand anders vor Dir in Miinchen etwas erhalt. Klenk
gibt mir seine Stenogramme, so gab ich ihm die Kasseler, aber mit
der Bitte, sie Dir weiterzugeben.
Die Miinchner Vortrage werden im Abonnement erhaltlich sein,
nicht als Einzelvortrag; auch die andern Serien.
Herzlichen Dank fiir die Aufforderung Euch zu besuchen. Ich
tate es gern, und es gabe Wichtiges zu besprechen mit [Julius v.]
Rainer, der nach Miinchen kommt. Wien soil einen Cyklus bekom-
men vom 20. Marz (Palmsonntag) bis 2ten April. Ich dachte so:
20 -31. Marz - Kursus / 1. - off. Vortrag / 2. - Fragenbeant-
wortung / 3. - off. Vortrag
Bei Besprechung des Programms, falls der Dr. sein Blattchen
nicht zur Hand hat, erwahnt Ihr vielleicht diese Anordnung. Es
sollen auch Nicht-Mitglieder dran teilnehmen diirfen, die sich fiir
Theosophie interessieren. Es soil auf diese Weise ein guter Impuls
der Arbeit in Osterreich gegeben werden, und was etwa verkehrt
gemacht wird, wieder zurechtgeriickt werden. Ihr werdet Euch
gewiss auch dafiir interessieren. Alle Klassen- und Logenleiter unter
uns konnen dann wieder etwas dabei lernen.
Da nun Rainer nichts mit mir besprechen kann, ladet Ihr ihn
vielleicht zu einer Mahlzeit ein, damit er mit dem Doktor und
Euch einiges bespricht.
Ich hatte es nicht unwichtig gefunden selbst zu kommen, aber
ich kann die Massenarbeit hier unmoglich im Stich lassen.
Viel Herzliches Euch beiden Marie
Natiirlich ware das Drucken einfacher und billiger: Man musste dann aber doch
sehr bald dazu iibergehen, die Vortragsnachschriften zu drucken statt sie zu
hektographieren.
Lehmann: Frl. Berta Lehmann (1884-1967), Mitglied in Berlin seit Mai 1905, ab
1909 Sekretarin von Marie v. Sivers. Heiratete 1916 Otto Reebstein (1884-1944),
mit dem zusammen sie ab 1920 das Stuttgarter Zweighaus in der Landhausstr. 70
betreute. 1930 Ubersiedlung nach Dornach zur Mitarbeit ihres Mannes im Philo-
sophisch-anthroposophischen Verlag, dessen Geschaftsfiihrung er 1935 nach der
Pensionierung von Johanna Miicke iibernahm. Nach dem Tod ihres Mannes
wurde sie wieder als Sekretarin Marie Steiners tatig.
Miicke: Frl. Johanna Miicke (1864-1949), gehorte der sozialistischen gewerk-
schaftlichen Bewegung an und war im Vorstand der Arbeiter-Bildungsschule in
Berlin, wo sie Rudolf Steiner wahrend dessen Tatigkeit an dieser Schule (1899-
1904) kennenlernte. Mitglied im Berliner Zweig seit September 1903. Von 1908 bis
1935 war sie die Geschaftsfuhrerin des von Marie v. Sivers gegriindeten Philoso-
phisch-Anthroposophischen Verlags in Berlin, ab Januar 1924 in Dornach.
Stoflinger: Frl. Juliane Stdflinger (gest. 1936), Mitglied in Wiesbaden seit Februar
1909.
Annenkoff: Frl. Olga v. Annenkoff, Mitglied in Berlin seit Februar 1908, Russin,
spater bei ihrer Mutter Katharina in Paris, Mitglied seit Oktober 1909.
Waller: Marie Elisabeth Waller, genannt Mieta (1883-1954), Hollanderin, die 1907
am Miinchner Kongress teilnahm. Sie siedelte nach Berlin iiber und wurde im
Oktober 1907 Mitglied des Berliner Zweiges. Schon 1908 machte sie den Vor-
schlag «Rudolf Steiners Wort einen Tempel zu bauen» und war bereit dafiir eine
Summe Geldes zu stiften. Von 1909 an Freundin und kunstlerische Mitarbeiterin
von Marie v. Sivers und Rudolf Steiner, gehorte sie zum Haushalt in der Motz-
strafie. In den Mysteriendramen spielte sie den Johannes Thomasius, gehorte mit
zu den ersten Eurythmistinnen und Sprachgestaltern, sowie zu den Malern, von
denen die kleine Kuppel des Goetheanums ausgemalt wurde, bevor Rudolf Steiner
dies selbst iibernahm. 1924 heiratete sie den amerikanischen Maler William
Scott Pyle.
Vegelahnsche Nachschrift: Walter Vegelahn (1880-1959), Schauspieler, Mitglied in
Berlin seit Sommer 1904, hat viele Vortrage mitstenographiert.
Klenk: Georg Klenk (1877-1948), Lehrer, Mitglied seit Dezember 1904 in
Niirnberg, seit 1909 in Miinchen, hat ebenfalls viele Vortrage mitstenographiert.
Bauer: Michael Bauer (1871-1929), Lehrer, Mitglied der D.T.G. seit 1901, Vorsit-
zender bei der Griindung des Zweiges Niirnberg 1904, 1905 im Vorstand der
deutschen Sektion, 1913 im Zentralvorstand der Anthroposophischen Gesell-
schaft, 1921 Riicktritt aus Gesundheitsgriinden.
67b Marie von Sivers an Sophie Stinde, Miinchen
Montag, 27. Dezember 1909
27/XII 1909
Liebe Sophie,
[...] Die Kurse sind schon alle bestimmt bis auf den vom August
Monat. Gestern nun bat ich den Doktor sich zu entscheiden, weil
so viele Anfragen vorliegen. Da sagte er, er wiirde gern wieder
diesen Kursus mit Theater verbinden. Ja, nun meinte ich «die
Miinchner Damen werden an ihren Strapazen vom vorigen Jahr
noch zu tragen haben», und wo es denn sein sollte, ob in Karls-
ruhe, Stuttgart oder Frankfurt. Wenn z. B. Iphigenia auf Tauris
gespielt wiirde, konnte man es ja uberall machen. Da sagte der Dr.,
dass er doch gern das Marchen von Goethe stellen wiirde und eine
Wiederholung des Mysteriums von Eleusis. Das Marchen wird na-
tiirlich wieder so viele Dekorationen und Kostiime verlangen, dass
es schwer halten wiirde an einem anderen Ort sie fertigzustellen, -
und auch die schon bekannten technischen Hilfskrafte von Miin-
chen sind wertvoll. Aeschylos dagegen oder Iph. a. T. hatten an
aufierer Arbeit weniger starke Anforderungen gestellt und vielleicht
auch woanders gespielt werden konnen. Aber Aeschylos ist ver-
friiht and Iphigenie nicht mysterienhaft genug.
Nun miisst Ihr alle genau erwagen und Euch nicht opfern, wenn
Ihr nicht die Krafte habt. Denkt Ihr aber, dass es aus sachlichen
Griinden und auch in Hinbhck auf die neuen Schwierigkeiten, die
Ihr habt, gut ware, - dann konnte man vielleicht eine unserer Hilfs-
krafte, von denen wir ja jetzt durch die Vervielfaltigung mehrere
haben, bis zu unserer Ankunft in die untere Wohnung setzen, da-
mit sie alles Billetschreiben und Programm-Schicken erledigt, z. B.
Jaatinen oder Knispel.
Knispel ware gewiss sehr zuverlassig und konnte, da Ihr die
Loge im Sommer schlielk, mit ihrer Schreibmaschine nach Miin-
chen geschickt werden, in Frl. Sellings Kammer schlafen und die
Postarbeiten erledigen, - in der freien Zeit aber fur mich tippen.
Knispel ist iibrigens noch nicht bei mir angestellt, - ich denke nur
daran, dass es notig werden konnte.
Wir wiirden nach Miinchen kommen konnen wahrscheinlich
gegen oder vor Mitte Juli, und man miisste die Vorstellung eine
oder zwei Wochen fruher haben als im vorigen Jahr, da es Anfang
(1.) September in Bern losgeht. Es konnte auch sein, dass sich da-
durch der Kunstenthusiasmus unserer Mitglieder noch steigert und
man die Sammlung fur ein Theater wagt; Frl. Minzloff's Million
erweist sich doch als eine absolute Chimare, und Eure Munchner
Zustande werden vielleicht so erst haltbar gemacht. Aber vor allem
kommt es [darauf] an, dass Ihr nicht unter der Arbeit zusammen-
brecht, und deshalb miisst Ihr riickhaltlos Euch aussprechen.
Vielleicht lasst sich auch alles in Bern machen.
Euch schone Erholung wiinschend in herzl. Liebe
Marie
Knispel: Frl. Anna Knispel, Mitglied in Berlin seit Juni 1903, Mitarbeiterin im
Philosophisch-Anthroposophischen Verlag.
1910
Dieses Jahr gibt es einige Brief e mehr als 1909, da Rudolf Steiner vier
Reisen unternimmt ohne Marie v. Sivers, die durch die Herstellung der
Manuskriptdrucke der Zyklen in Berlin festgehalten ist. Bei alien anderen
ist sie mit unterwegs, insbesondere bei den groften Vortragszyklen: im
Januar in Stockholm «Das Johannesevangelium und die drei anderen
Evangelien», im Marz in Wien «Makrokosmos und Mikrokosmos»
(GA119), im Mai in Hamburg «Offenbarungen des Karma» (GA 120),
im Juni in Oslo «Die Mission einzelner Volksseelen ...» (GA 121), im
August bei den Festspielen in Miinchen «Die Geheimnisse der biblischen
Sch6pfungsgeschichte» (GA 122), im September in Bern iiber das Mat-
thaus-Evangelium (GA 123) und nach Weihnachten in Stuttgart «Okkulte
Geschichte» (GA 126). - Eine Reise im April zu Vortragen in Rom
und Palermo, wo die erste Gruppe esoterischer Schiiler Rudolf Steiners in
Italien entstanden war, fuhrte sie an den siidlichsten Punkt ihres
Wirkens.
Bei den Miinchner Festspielen wird am 15. August Rudolf Steiners
erstes Mysteriendrama «Die Pforte der Einweihung - Ein Rosenkreuzer-
mysterium» aufgefiihrt, das als eine Verwandlung des Goethe-Marchens
entstand. Marie v. Sivers verkorpert die Gestalt der <Maria> und ihre
Freundin Mieta Waller diejenige des Johannes Thomasius>. Zuvor wurde
die vorjahrige Auffiihrung von Schures «Kinder des Luzifer» wiederholt.
Zur Sicherstellung der Mysterienspiele wird der «Theosophisch-kunstleri-
sche Fond» begriindet und Marie v. Sivers in die Verantwortung gegeben.
Von den Organisatoren der Miinchner Veranstaltungen - Sophie Stinde,
Grafin Kalckreuth, Felix Peipers, Graf Lerchenfeld, Hermann Linde -
wird sie beauftragt, den versammelten Mitgliedern bekanntzugeben, dass
von ihnen beschlossen wurde, fur kiinftige Auffiihrungen der Mysterien-
spiele einen eigenen Bau zu errichten, was begeistert aufgenommen wird.
(Im April des nachsten Jahres wird dafiir von den Initianten der «Johan-
nesbau-Verein» gegriindet.)
Durch all diese Jahre liegt der Schwerpunkt von Rudolf Steiners Arbeit
in der Winterzeit in Berlin, inbesondere finden die grofien offentlichen
Vortragsreihen im Architektenhaus regelmafiig statt, so im Winter 1909/10
die Reihe, die Marie Steiner 1928 unter dem Titel «Metamorphosen des
Seelenlebens» veroffentlichen wird (GA 58/59).
Im Oktober bei der Generalversammlung berichtet Marie v. Sivers iiber
die Mitgliederbewegung. Drei neue Zweige (Wien, Klagenfurt, Gorlitz)
bringt die Zahl der Zweige auf 49 (und 3 Zentren). Die Sektion umfasst
nunmehr 1950 Mitglieder, gegen 1500 im Vorjahr.
68 An Marie von Sivers in Berlin
Mittwoch, 26. Januar 1910
Karlsruhe, 26. Januar 1910
M. 1. M. Hier den Vortrag iiber die Kunst. Er sollte in genau der-
selben Ausstattung wie «Goethe als Vater ...» gleichsam als eine
Fortsetzung gedruckt (nicht blofi wie die andern Vortrage verviel-
faltigt) werden. Ich habe beim Durchlesen gesehen, dass er ganz
aufierordentlich viel enthalt, was aufklarend wirken kann.
Die Sache mit der Wiener philosophischen Gesellschaft werde ich
bestimmt schnellstens durch einen Brief ordnen. Allein unsere Leute
iiberschatzen die Aufnahmefahigkeit solcher Gehirne, wie sie in der
philosophischen Gesellschaft sind. Diese Leute sind ganz dicht
umgeben von Hochmuts- und Diinkelschleiern. Und der Brief, der
an mich auf Veranlassung von Frl. Milek geschrieben war, besagte
durchaus nicht, dass ich etwa vortragen solle, wann ich kann, son-
dern wenn die hochsthochgeistigbedeutsame philosophische Gesell-
schaft einen freien Vortragsabend hat, fur den sich also kein andrer
gemeldet hat. Dazu sollte ich wohl besonders nach Wien fahren.
Nun aber mein Liebling: der Brief der Grafin Kalckreuth. Ich
habe doch zuletzt nicht mit dem Stollberg gesprochen iiber die
Aufbewahrung der Sachen, sondern die Grafin Kalckreuth selber.
Und sie sagte als Ergebnis ihres Gesprachs, dass die Direktion zwar
keine Verantwortung, auch keine Zahlung haben wollte, dass aber
die Sachen aufbewahrt werden sollten in dem Magazin des Thea-
ters. Anderes ist doch iiberhaupt nicht abgemacht worden. Das
Gescheiteste wird doch wohl sein, wenn wir nichts verkaufen, und
auch nichts verwenden lassen, sondern die Sachen aufbewahren zur
spateren eigenen Verwendung. Ein Gesprach, das ich ganz im
Anfang vor alien Proben mit Stollberg hatte, ist doch ganz belang-
los, da es nichts enthielt, als dass er sich die Sachen anschauen
konne. Dabei sagte er: wenn er davon etwas brauchen konne, so
konne er es ja vielleicht kaufen; ich sagte, dariiber konne man nicht
sprechen, weil wir nicht wiissten, was wir weiter mit den Sachen
tun. Dies Gesprach hat aber natiirlich nicht die geringste Bedeu-
tung gegeniiber der letzten Abmachung der Grafin, bei der ich aber
nicht anwesend war.
Fiir heute allerherzlichstes von Rdlf.
Vortrag iiber die Kunst ... Ausstattung wie «Goethe als Vater»: «Das Wesen der
Kiinste» (Vortrag Berlin 28. Oktober 1909) Berlin 1910; «Goethe als Vater einer
neuen Asthetik», Wien 1889, Berlin 1909. Beide neu in «Kunst und Kunsterkennt-
nis», GA 271.
Frl. Milek: Paula Milek (1880-1956), aus Wien, seit Dezember 1908 Mitglied im
Berliner Zweig. Spater mit dem Arzt Dr. Max Hermann verheiratet und in
Miinchen fiir den Vertrieb der durch Marie Ritter hergestellten Heilmittel tatig.
Aufbewahrung der Sachen ... in dem Magazin des Theaters: Bezieht sich auf die
Kulissen von der Auffiihrung von Schures «Die Kinder des Luzifer» im Miinch-
ner Schauspielhaus, dessen Direktor I.G. Stollberg war.
69 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 30. Januar 1910
Pforzheim, 30. Januar 1910
M. 1. M. Nun bin ich denn auch in Pforzheim eben fertig und fahre
schnell nach Horn. Dort kann ich trotzdem erst Dienstag friih sein.
Jedenfalls hoffe ich aber doch Mittwoch in Berlin anzukommen.
Dann aber will ich auch Mittwoch die Loge halten. Ich telegraphie-
re noch die Stunde meiner Ankunft. Zu mehr schreiben ist nicht
mehr Zeit; nur kann ich Dir, mein Liebling, noch senden
allerherzlichste Griifie Rdf.
Horn: Wohnort der Eltern und Geschwister Rudolf Steiners. Sein Vater Johann
Steiner war am 22. Januar 1910 gestorben.
70 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 13. Februar 1910
Frankfurt, 13. Februar 1910
M. 1. M. Es ist alles in Ordnung angekommen. Und auch hier ist
die Adresse «Russischer Hof» richtig.
Oh, ich begreife ganz, dass Du jammerst, nachdem Dich das
Jammerbild A. wieder belastet hat. Wenn sie wollte an sich arbei-
ten, um doch durch ihr Bewusstsein etwas an sich zu tun, so hatte
sie allerdings, nachdem ich ihr gesagt habe, was ich eben fur not-
wendig hielt, sich jetzt bei einer Begegnung mit Dir ganz anders
benehmen miissen. Ich habe allerdings ein zweites Mai noch nicht
mit ihr sprechen konnen; allein wie sie auch meine Worte verstan-
den oder missverstanden hat bei der Unterredung am Donnerstag:
sie hatten miissen ein starker Grund sein, sich diesmal Dir gegen-
iiber ganz anders zu verhalten. Nun ist also das, was nicht unter
der Macht ihres Bewusstseins steht, richtig so stark, dass sie sich
vorlaufig kaum bessern wird. Wenn ich immer wieder und wieder
diese Miss-Vorfalle innerhalb unserer Bewegung sehe, dann riickt
mir auch immer naher, die Grenzen der Aufnahme in ES und FM
ganz eng zu ziehen. Doch liegt die Sache ja so, dass man dann
wirklich das «eng» eben sehr, sehr eng machen muss. So aber
schickt uns die gegenwartige Unnatur in die Bewegung alles mog-
liche herein. Die Sache selbst ist ganz unschuldig, und auch, was
die Leute innerhalb der Sache erleben, ist unschuldig an solchen
Miss-Vorfallen. Der wahre Grund liegt doch immer neben der
Sache. Zieht man also die Grenzen eng, dann konnen auch die
Leute nicht hereinkommen, welche die Sache haben sollten, welche
aber nach einer gewissen Zeit straucheln wiirden, auch wenn sie
nicht hereinkamen. Sie wiirden es tatsachlich unter sonst gleichen
Verhaltnissen noch friiher, als mit Theosophie und Esoterik. Das
macht uns die Dinge schwierig.
In Dresden war Frau Reif (ohne Beatrix). Es ist also wirklich so,
dass ein Einverstandnis zwischen Rainer und Reif, aber auch zwi-
schen ersterm und den andern Wiener Mitgliedern nicht zu erzielen
ist. Um das Arrangement von Vortragen und Kursus hat sich doch
Rainer nicht bekiimmert. Dies hatte er aber tun mussen, da ich ihm
damals in Miinchen ausdrucklich gesagt habe: Also Herr von Rai-
ner, Sie sind der Ansicht, dass mit Lang gebrochen werden muss?
Er sagte: «Das halte ich fur selbstverstandlich». Ich sagte: «Dann
aber brauchen wir jemand, auf den wir nicht nur diesmal, sondern
fur alle Zukunft zahlen konnen. Kann ich da voll auf Sie bauen?»
Er sagte: ja, gewiss. So musste ich wirklich denken, dass er das
Arrangement in die Hande nimmt. Ich habe in Miinchen wirklich
nichts verabredet, was Mausens Abmachungen irgendwie tangiert
hatte. Ich wollte nur sozusagen Rainers Wort haben darauf, dass
er fur uns in Zukunft in Osterreich sorge.
Beziiglich der Wohnung ware es schon gut gewesen, wenn Ms
hatte mit Reif reden konnen. Sie wollte etwas recht Greuliches
machen. Ms sollte ein Zimmer haben neben ihrer (Reifs) Wohnung,
liber einen Korridor zu gehen, und Esszimmer, mein Zimmer etc.
sollte Reifens Wohnung bilden. Nun weifi ich nicht, ob ich ganz in
M'ens Sinn gesagt habe damit, dass ich zur Reif bemerkte: sie solle
vielleicht uns doch ihre Wohnung fur die Zeit raumen, aber die
Sache so machen, dass fur Dich ein Schlafzimmer neben dem Ess-
zimmer durch eine spanische Wand im Esszimmer eingerichtet
wiirde. Damit hatten wir wenig Raum; aber wenn es nicht gar zu
wenig ware, so hatten wir eine zwar kleine aber zusammenhangen-
de Wohnung. Das Extrawohnen von Dir sagte ich ginge eben auf
keinen Fall. Wenn der Raum nur unter dieser Bedingung reichte,
miissten wir eben auf diese ihre Wohnung bestimmt verzichten.
Die Sache mit der spanischen Wand gefiel ihr; sie war gar nicht
darauf gekommen, will jetzt nur noch sehen, ob sichs raumlich
machen lasst. Auf jeden Fall sagte ich ihr, musse sie Dir dariiber
schreiben. Verzeih, wenn Dir mein «spanischer Wand-Gedanke»
nicht gefallt; aber Reif ist so hilflos und ungeschickt.
Herzlichst Rudolf
Frau Reif: Martha Reif-Busse in Wien, am 6. Nov. 1909 registriert als Mitglied bei
<Berlin, Abteilung Wien>.
Rainer: Julius Ritter von Rainer, Schloss Mageregg bei Klagenfurt, seit August
1908 Mitglied im Berliner Zweig, Schriftftihrer bei der Griindung des Zweiges
Klagenfurt am 5. April 1910, seit 1911 im Vorstand der deutschen Sektion.
dass mit Lang gebrochen werden muss: Franz Lang, Schriftfuhrer der alten
theosophischen Loge in Wien.
Beziiglich der Wohnung: wahrend des Zyklus «Mikrokosmos und Makrokosmos»
in Wien, 21.-31. Marz 1910.
71 An Marie von Sivers in Berlin
Dienstag, 22. Februar 1910, aus Bonn
M. 1. M.
Man kann etwa wie beiliegend angegeben das Miinchner Programm
gestalten.
Hoffentlich miiht sich m. M. nicht noch mehr ab. Diisseldorf
und Bonn ist hinter mir; nun kommt Coblenz. In Coin muss ich
nun doch bei Kiinstlers wohnen. Man sieht es Scholl und Maud an,
dass es gemusst wird. Nun, so sei es. Du brauchst also nur noch die
Scholl-Adresse.
Allerherzlichsten Gruft Rdlf.
Bonn, 22. Februar 1910
72 An Marie von Sivers in Berlin
Freitag, 25. Februar 1910, aus Koln
M. 1. M. Nur dies wenige mochte ich Dir schreiben, dass Ihr wirk-
lich nicht gut tut, wenn Ihr Imme gegeniiber nicht fest bleibt. Ich
sagte Dir doch, dass ich mit ihr besprochen habe, sie solle nicht am
27. Februar, sondern am 6. Marz vortragen. Und dabei miisste es
bleiben. Auch sollte man sich gerade auf solche Sachen nicht ein-
lassen, wie das Nicht- Vortragen von zweien. Es sollten gerade um
dies aus der Welt zu schaffen ofters zwei an einem Sonntag vor-
tragen. Man kommt am besten zurecht mit Imme, wenn man
konsequent ihr gegeniiber, wenn auch nicksichtsvoll ist.
Hier musste ich bei Kiinstlers wohnen: viel lieber ware ich im
Hotel. Es ist doch das beste. Gestern abend z. B. kam der Wagen
nicht, den Scholl bestellt hatte, und man musste zum offentlichen
Vortrag gehen. Der Fehler in den «Mitteilungen» ist auf drollige
Art entstanden, ich werde Dir das in Berlin erklaren.
Herzlichst Rdlf.
Imme: Freiin Imma v. Eckhardtstein (1871-1930), seit Februar 1906 Mitglied im
Berliner Zweig, wirkte 1909-1913 bei den Miinchner Festspielen mit. Auf ihre
Initiative hin entstand der «Kalender 1912/13», fiir den sie nach Skizzen Rudolf
Steiners die Tierkreisbilder zeichnete und er den «Seelenkalender» schuf, (siehe
«Beitrage ...», Nr. 37). Sie war in Berlin, Miinchen und Dornach tatig.
73 Drittes Testament, vom 4. Juli 1910
Testament.
Hierdurch erklare ich, Endesunterzeichneter, dass nach meinem
Tode das folgende als mein Testament zu gelten hat.
1. Alle in meinem Besitz befindlichen Briefschaften, sowie alle
andern von mir geschriebenen, oder von andern geschriebenen und
an mich gerichteten oder mir iibergebenen Schriftstiicke und Briefe
gehen mit meinem Tode tiber in das Eigentum von Fraulein Marie
von Sivers z. Z. wohnhaft Berlin W Motzstrafte 17. Dieselbe hat
allein nach ihrem Ermessen und im Sinne meiner ihr bekannten
Absichten zu entscheiden, was mit dem charakterisierten zu ge-
schehen hat. Dasselbe gilt fiir alle in meinem Besitz befindlichen
Urkunden.
2. Fraulein Marie von Sivers hat nach meinem Tode als alleinige
Verwalterin meines schriftstellerischen Nachlasses zu gelten; ihr
steht zu die Entscheidung iiber Neu-Auflagen meiner Werke,
sowie dariiber, was von meinen Manuskripten, Reden u.s.w. ver-
offentlicht werden darf.
3. Von meinen Biichern und meinem in Bankguthaben oder Geld
vorhandenem sonstigen Besitztum sowie aus dem durch Fraulein
von Sivers verwalteten Erlos meiner Werke sollen durch Fraulein
von Sivers nach deren Ermessen meine in Horn in Niederosterreich
wohnenden Angehdrigen (Mutter und zwei Geschwister) bedacht
werden. Dagegen hat meine von mir getrennt lebende Gattin nur
den gesetzlichen Pflichtteil zu erhalten; dies bezieht sich auf alles,
was als mein Besitz zu gelten hat.
Fraulein von Sivers soli im Besitz meiner Biicher verbleiben und
lediglich den entsprechenden Wert dafur an meine genannten An-
gehorigen, sowie den Pflichtteil an meine Gattin abgeben.
Dr. Rudolf Steiner
Berlin, am 4. Juli 1910
Motzstrafie 17.
Nachtraglicher Vermerk von 1915:
Dieses Testament ist nunmehr nicht mehr bestehend, da es ersetzt
ist durch unser bei dem Notar Dr. Bischofswerder Rechtsanwalt
Charlottenburg Lutherstr. 13 errichtetes gemeinschaftliches Testa-
ment, das amtsgerichtlich hinterlegt wird.
74 An Marie von Sivers in Berlin
Montag, 21. November 1910, aus Leipzig
M. 1. M. Einen herzlichsten Grufi mochte ich Dir senden. Dresden
ist absolviert und die FM hier. Nachher ist hier die Logen-Ver-
sammlung. - In Dresden scheinen sich die Mitglieder schwer von
Frau Wandrey weg und zu Frl. Jacob hingewohnen zu wollen.
Doch scheint mir der jetzige Zustand sogar verheiftungsvoll zu sein.
Frl. Jacob hat viel Eifer und will den Verhaltnissen entsprechend
vorwarts arbeiten. Wenn sie ein Jahr mit den Leuten gearbeitet
haben wird, dann wird vielleicht aus der Loge etwas werden. Die
Baronin Locella findet sich doch eigentlich selbst zu schwer in der
Sache zurecht. Sie miisste noch vieles umdenken lernen. Wir wollen
sehen.
Herzlichsten Dank fur Deinen Brief mit «Ringen» usw. und mit
den schonen Nachrichten von Deinen «Taten».
Allerherzlichst Dein Rdlf.
Leipzig
Frl. Jacob: Sophie Jacob (1868-1935), November 1908 Mitglied in Berlin, dann in
Dresden.
Baronin Locella: Freifrau Marie von Locella, geb. v. Tiedemann (1855-1935),
Dresden, Mitglied im Berliner Zweig seit Januar 1909, im Oktober 1909 Vorsit-
zende bei der Griindung des zweiten Zweiges in Dresden, Dante-Zweig. Schrift-
fiihrerin war Camilla Wandrey, die aber dann Dresden verliefi.
171 1
Anfang Januar erkrankt Marie v. Sivers schwer, die Last der Arbeit war zu
viel geworden. Daher wird die Reisetatigkeit in diesem Jahr stark redu-
ziert. Allerdings absolviert Rudolf Steiner das in den Scholl-Mitteilungen
angekiindigte Programm fur die Monate Januar bis Marz dennoch, wobei
er ihr fast jeden Tag wenigstens ein kleines Briefchen schreibt. - Mitte
Marz ist sie zwar nicht gesund, aber soweit wieder hergestellt, dass sie zur
Erholung an die Adria reisen kann. In Portorose bei Triest wurde durch
Imma v. Eckhardtstein Quartier gemacht. Die Hinreise in Begleitung von
Rudolf Steiner und Mieta Waller geht uber Prag zu dem fur den 20.-28.
Marz festgelegten Vortragszyklus «Eine okkulte Physiologie» (GA 128). -
Von Portorose aus fahrt Rudolf Steiner nach Bologna, wo er am 8. April
auf dem 4. Internationalen Philosophenkongress den groften Vortrag «Die
psychologischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der
Theosophie» halt (in GA 35). Marie v. Sivers begleitet ihn; die Riickreise
mit zwei oder drei Tagen in Padua bringt sie etwa am 16. April wieder
nach Portorose, wo auch Rudolf Steiner die meiste Zeit bleibt. - Ende Mai
fahrt er iiber Linz-Munchen-Berlin zur Generalversammlung der skandi-
navischen Sektion nach Kopenhagen, wo er drei Vortrage iiber «Die
geistige Fiihrung des Menschen und der Menschheit» halt, die er gleich
darauf zu einem Buch umarbeitet (GA 15). - Um einen nicht zu anstren-
genden Ubergang von der Adria nach Miinchen zu schaffen, geht es am 21.
Juni fur gute zwei Wochen nach Veldes, einem kleinen Kurort in den
Bergen der Oberkrain (heute Bled, Slowenien).
Im Juli und August werden die Miinchner Festspiele vorbereitet und
durchgefiihrt. Nach der Wiederholung von Schure's «Das Heilige Drama
von Eleusis» und «Die Pforte der Einweihung» kommt am 17. August
Rudolf Steiners zweites Mysteriendrama «Die Priifung der Seele» zur
Urauffiihrung. Daran anschlieflend halt er den Vortragszyklus «Welten-
wunder, Seelenpriifungen, Geistesoffenbarungen» (GA 129).
Noch zwei weitere Vortragszyklen finden dieses Jahr statt: im Oktober
in Karlsruhe «Von Jesus zu Christus» (GA 131) und nach Weihnachten in
Hannover «Die Welt der Sinne und die Welt des Geistes» (GA 134).
Der 6. Kongress der Foderation Europaischer Sektion hatte am 17. Sep-
tember in Genua beginnen sollen. Allgemein war eine Aussprache iiber die
bestehenden Differenzen zwischen Rudolf Steiner und Annie Besant er-
wartet worden. Sie weicht dem aus und sagt eine Woche vor Beginn ihre
Tellnahme ab; da sie aber Rudolf Steiner das Feld nicht iiberlassen will,
veranlasst sie den italienischen Generals ekretar den Kongress zu annulieren.
Bei der Generalversammlung der deutschen Sektion am 10. Dezember
wird berichtet, dass 6 neue Zweige begriindet wurden: Bochum, Graz,
Heidenheim, Linz, Neuchatel, Tubingen. Die Zahl der Zweige betragt 53
(und 5 Zentren), der groftte ist Berlin mit 440 Mitgliedern, gefolgt von
Miinchen I mit 165 Mitgliedern. Die Gesamtzahl der Mitglieder ist von
1950 auf 2318 gestiegen. Bei der am 12. Dezember ebenfalls in Berlin
stattfindenden Generalversammlung des Munchner Bauvereins werden die
ersten Entwurfe fur den Johannesbau vorgefuhrt.
75 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 21. Januar 1911
Briefkopf: Hotel Germania, Karlsruhe
Karlsruhe, 21. Januar 1911
M. 1. M. Eben angekommen, sitz ich ganz allein im «Germania».
So ist's auch recht, wenn M. nicht da ist. Ich mochte Dir nur die
schonsten Gedanken und herzlichsten Grtifie senden.
Herzlichst Rdlf.
76 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 22. Januar 1911
Briefkopf: Hotel Germania, Karlsruhe
Karlsruhe, 22. Januar 1911
M. 1. M. Trotzdem schon hochste Zeit ist, zum Logenabend zu
gehen und bis jetzt Leute da waren, muss ich Dir doch noch herz-
lichste Gedanken und Griifie senden. Hoffentlich darf ich Mitt-
woch die 1. M. besser finden. Ich komme mit dem friihsten Zug,
mit dem es geht, nach Hause. Aber ich schreib es noch morgen.
Herzlichst Rdf
77 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 28. Januar 1911
Briefkopf: Hotel Royal, Dusseldorf
M. 1. M. Zwischen der F.M. und dem Abendvortrag schreib ich Dir
herzlichste Gedanken und Grii&e. Wie geht es der 1. M.?
In den 3. Grad habe ich nur aufgenommem: Tyberg, Justmann,
Jacob, Bovermann und Hilverkus. Die andern vorgeschlagenen
konnen wirklich noch warten. Schmeling ist in den 2. Grad auch
aufgenommen worden. Bei ihr spielte sich die Niedlichkeit ab, dass
sie auf ScholPs Anfrage, welchen Grad sie habe, antwortete den 3.
Da stellte sich denn heraus, dass sie geglaubt hat, man zahle die
Grade verkehrt und steige vom 3. zum 2. und dann zum ersten auf.
Altmann schreibt, dass ihm die Ubersetzung von Max Heindels
Buch angeboten worden ist. So muss ich denn dem die Sachlage
auseinandersetzen. Es ist wirklich manches, was man erlebt, zum
Empfinden nur so, dass dieses Empfinden man lieber vermeidet.
Mein Telegramm nach Dusseldorf, das ich am Freitag abends ab-
sandte, kam bei Smit's Sonnabend 5 Uhr nachmittags an. Ich selbst
eine Stunde vorher in Dusseldorf. Sie hatten den Vortrag iiber
«Menschenseele und Tierseele» angesetzt, so dass das Malheur da-
bei kein allzugrofSes war.
Allerherzlichst Rdlf.
Tyberg: Johann Friedrich Tiberg aus Hammerfest, Norwegen.
Justmann: Jacob Justman (gest. 1935/36), aus Holland.
Jacob: Sophie Jacob aus Dresden.
Bovermann: Frl. Helene Bovermann (gest. 1917), Mitglied seit Januar 1907 in
Koln.
Hilverkus: Emilie Hilverkus, geb. Schaefer (gest. 1953), Mitglied seit November
1906 in Bonn, spater in Dornach.
Schmeling: Dorothee Blecken v. Schmeling (1860-1937), Mitglied seit Oktober
1908, 1909 Vorsitzende des im Februar 1908 gegriindeten Zweiges Wiesbaden.
Max Heindels Buch ... Sachlage: Max Heindel, «The Rosicrucian Cosmo-Con-
ception or Christian Occult Science», Chigaco 1909. Die «Sachlage» bestand
darin, class Max Heindel, ein nach Amerika ausgewanderter Dane, in Berlin sich
unter dem Namen Grashoff Zugang zu alien Vortragen Rudolf Steiners verschaff-
te, sich von Mitgliedern alle Vortragsnachschriften auslieh und aus all dem, nach
Amerika zuriickgekehrt, sein Buch verfasste. Die deutsche Ubersetzung desselben
erschien dann nicht bei Altmann, sondern im Theosophischen Verlagshaus Leip-
zig von Hugo Vollrath. Siehe auch Scholl-Mitteilungen Marz 1913, Nr. 1/1, S. 23f,
und Vortrag Stuttgart, 11. Mai 1917, GA 174b.
78 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 29. Januar 1911, aus Koln
Briefkopf: Hotel Royal, Diisseldorf
M. 1. M. Die herzlichsten Griifie und Gedanken sende ich Dir.
Bitte, halte nur ja recht viele Ruhe und schreibe mir, wenn eben
auch nur durch eine Zeile, wie es Dir jeweilig geht.
Nun zu gehen scheint es eben hier, wie immer am Rhein. Das
Briefpapier gibt nicht den Ort richtig an. Ich schreibe schon in
Coin. Deine lieben Zeilen habe ich schon erhalten.
Herzlichst Rdlf
79 An Marie von Sivers in Berlin
Dienstag, 31. Januar 1911, aus Koln
M. 1. M. Herzlichst danke ich Dir fur Deine Zeilen, die heute sogar
mir sagen, dass Du Dich besser fuhltest. Liebe Wiinsche und herz-
liche Gedanken sende ich Dir. Schone Dich; ermiide Dich nicht;
halte Deine Krafte zusammen.
Hier ist eine grofte Zahl von Hollandern.
In aller Herzlichkeit Rdlf.
31. Jan. 1911
80 An Marie von Sivers in Berlin
Mittwoch, 1. Februar 1911
Bonn, 1. Februar 1911
M. 1. M. Eben habe ich hier Deine lieben Zeilen erhalten. Es ist mir
so tief befriedigend, von Dir zu horen, dass Du Dich etwas besser
fiihlst. Aber gib Acht auf Dich. Herzlichste Griifte und schonstes
Gedenken sende ich Dir.
Wenn der Mangold Argernis gibt, so ware es doch am besten,
ihn links liegen zu lassen. Es ist bei den Stimmungen, welche die
gegenwartige Kunstbetatigung in den Leuten erzeugt, schwierig,
mit diesen Leuten etwas anzufangen. Es ist die Atmosphare, welche
diese Art, Kunst aufzufassen, erzeugt.
Doser kann erst mit 1. Juni abkommen. Ich konnte bei dem
Ansturm wenig nur mit ihm reden; doch schien's mir, wie wenn er
mit Freuden auf uns zahlte.
Allerherzlichst Rdlf.
Griift Waller!
Bis morgen Donnerstag 4 Uhr bin ich hier in Bonn: Hotel Stern.
Also: morgen und Freitag Coblenz: Hotel Monopol; Sonnabend
1 1 Uhr 7 Min. reise ich von Coblenz nach Elberfeld, wohne da:
Hotel Weidenhof . Sonntag abends fahr ich Diisseldorf: Hotel Royal.
Mangold: Paul Mangold, Mitglied seit Oktober 1909 in Berlin, Schauspieler.
Doser: Otto Doser (1875-1949), Schauspieler, Mitglied in Koln seit Marz 1907,
spielte in Miinchen 1910-13 in den Mysteriendramen den Capesius.
81 An Marie von Sivers in Berlin
Donnerstag, 2. Februar 1911
M. 1. M. Auf der Fahrt von Bonn nach Coblenz sende ich Dir die
herzlichsten Gedanken und GriiEe. Ich werde sehr froh sein, Dich
wieder zu sehn.
Gleich nach der Ankunft in Coblenz ist dort die Zweigversamm-
lung.
Allerherzlichstes Rdlf
82 An Marie von Sivers in Berlin
Freitag, 3. Februar 1911
Coblenz
M. I. M. Allerherzlichste Griifte und bestes Gedenken sende ich
Dir. Wie geht es Dir? Es wird mir so lieb sein, wieder bei Dir zu
sein.
Herzlichst Rdlf
Morgen Sonnabend fahre ich von hier nach Elberfeld 11 Uhr 7
Min. vormittags und wohne dort: Hotel Weidenhof. Von Sonntag
nachts an bin ich dann wieder Dusseldorf Hotel Royal.
82a Marie von Sivers an Eduard Selander, Helsinki
Freitag, 3. Februar 1911
Handschrift Mieta Waller,
nur Unterschrift und Zusatz eigenhandig
3. Februar 1911, Berlin
Sehr geehrter Herr Dr. Selander,
Es steht recht schlimm um die Aussichten fur den Kursus in Hel-
singfors. Ich bin infolge des bestandig gehetzten Lebens und der
fortwahrenden Reisen doch nun ernstlich erkrankt und muss eine
lange Pause in der Arbeit machen. Da ich hier das Zimmer hiiten
muss, findet es Dr. Steiner notwendig, dass ich das Friihjahr im
Suden zubringe. Nun wird er ja Anfang April auf dem philosophi-
schen Kongress in Bologna die Theosophie vertreten.
Eine Reise von dort wieder in den hohen Norden hinauf, ware
fur mich ausgeschlossen. Und ohne mich ist es fur Dr. Steiner
unmoglich, alles zu bewaltigen, was die Reisen und Kurse in frem-
den Landern mit sich bringen. Er wiirde nach Finnland nicht ohne
mich reisen und halt es aufierdem flir seine Pflicht, mir zur Gene-
sung zu verhelfen, da ich mich schliefilich in der Arbeit fiir die
theosophische Gesellschaft aufgerieben habe.
Ich habe Ihren Brief nicht gleich beantwortet, da wir natiirlich
hofften, dass schnellere Besserungssymptome eintreten wiirden.
Doch ist dies keineswegs der Fall und es scheint ziemhch klar, dass
ich nur durch einen langeren Aufenthalt im Siiden zu Kraften kom-
men kann. Es fragt sich nun, ob Sie den Kursus im Sommer haben
konnten oder lieber bis zum nachsten Jahr warten. Sicherer ware es
schon, bis zum nachsten Jahr zu warten. Dass Sie keinen Saal be-
kommen konnen, scheint in sonderbarem karmischen Zusammen-
hang mit meinem «Malheur» zu stehen. Denn schliefilich ist es
unmoglich, die Einladungen zu versenden, wenn Sie keinen Saal
bekommen konnen. An dem Programm ware sonst nichts auszu-
setzen, aber es ist unmoglich, Dr. Steiner zum Kommen zu veran-
lassen, wenn nicht die Gewissheit vorliegt, dass ein guter Saal ge-
mietet ist.
Es konnte bei diesen Schwierigkeiten auch manches mitspielen,
was Sie nicht klar iiberschauen konnen. Der Mangel eines Saales ist
ja eine Sache fiir sich und hat mit meiner Krankheit nichts zu tun,
ware aber auch ein Abhaltungsgrund. Ich kann ganz verstehen, wie
schwierig Ihre Situation gegeniiber den Mitgliedern ist und wollte
darauf hinweisen, dass Sie diesen Grund auch fiir sich geltend
machen miissen. - Es tut mir herzlich leid, dass Sie diese Schwie-
rigkeiten haben, - auch die Deutschen werden auf einiges verzich-
ten miissen. Es ist auch wirklich etwas zu viel an Arbeit gefordert
worden. Mit aufrichtigem Bedauern und verbindlichem Grufi Ihrer
Frau Gemahlin und Ihnen, Ihren Nachrichten entgegensehend
M. v. Sivers
Frl. Waller hat die Giite den Brief unter Diktat zu schreiben.
Eduard Selander, ab 1913 Leiter einer anthroposophischen Arbeitsgruppe in
Helsinki.
Kursus in Helsingfors: Fiir die Zeit vom 3. bis 15. Mai 1911 war in den Scholl-
Mitteilungen ein Vortragszyklus Rudolf Steiners in Helsinki angezeigt: «Die
geistigen Wesenheiten in den Himmelskorpern und Naturreichen», der nicht
stattfinden konnte. Er wurde im April 1912 nachgeholt.
83 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 4. Februar 1911
M. 1. M. Auf der Fahrt von Coblenz nach Elberfeld. Senden will
ich Dir die schonsten Gedanken und herzlichsten Empfindungen.
Sehr, sehr lieb wird es mir sein, wieder bei Dir zu sein.
In aller Herzlichkeit Rdlf.
Heut abends ist Elberfelder Zweigabend; dann noch Elberfelder
und Diisseldorfer offentlicher und Dusseldorfer Zweigvortrag.
84 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 5. Februar 1911
Elberfeld
M. 1. M. Nun werde ich Dich also wieder bald begriifien konnen.
Ich werde mit dem Zug am Dienstag in Berlin ankommen, der erst
gegen 9 Uhr morgens dort eintrifft. Dann ist die 1. M. am wenigsten
gestort.
Voraus sende ich Dir heute noch schonstes Gedenken und aller-
herzlichste GrirEe. Rdlf.
85 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 12. Februar 1911, aus Miinchen
M. 1. M. Sonntag gegen abend. Allerherzlichstes Gedenken und
GriifSe Dir!
Dank fur Deine Zeilen. Die Briefe der Selanders hast Du aber
nicht mitgeschickt.
Hier in Miinchen ist es wohl wie immer. Einige sind aus den
alten Koterieen ausgetreten und haben sich zu andern zugesellt
usw. Sprengel hat das Signum fertig gehabt; ich habe es gestern in
Deinem Namen der Grafin K. [Kalckreuth] gegeben. -
Allerherzlichst Rdlf.
Vergiss Dienstag die Ameisensaure nicht!
Sprengel: Alice Sprengel, schon vor 1902 Mitglied der T.G., lebte dann in
Miinchen. Fertigte nach Ratschlagen Rudolf Steiners symbolischen Schmuck u. a.
fur Mitglieder der Gesellschaft an. Im Jahre 1915 loste sie aufgrund ihres labilen
Charakters eine Krise aus, Naheres in GA 253.
86 An Marie von Sivers in Berlin
Samstag, 18. Februar 1911
Strafiburg
M. 1. M. Bis morgen werden diese Zeilen wohl nicht mehr zu Dir
dringen, in denen ich Dir allerherzlichste Gedanken und Gru&e
schicke.
Heute abends habe ich hier den offentlichen Vortrag. Bis jetzt
waren Menschen da. Der Novaliszweig will, wie scheint, nicht recht
gedeihen. Seine Mitglieder klagen, dass der Vorsitzende ihnen nicht
genug geben kann. Der Vorsitzende sagt, dass es ihm noch schwer
werde, meine «Theosophie»* zu verstehen, «Deshalb» «erkldre» er
seinen Mitgliedern das Joh. Ev.
Wohl hore ich morgen, wie es m. 1. M. geht.
Allerherzlichst Rdlf
* Er glaubt in 1-2 Jahren so weit zu sein.
Vorsitzende: Carl Schneider, Mitglied seit Februar 1908, griindete im Oktober
1909 den Zweig Strafiburg II.
87 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 19. Februar 1911
Freiburg i. B.
M. 1. M. Deine lieben Zeilen mit Schlegels Brief finde ich hier vor.
Ich hoffe wirklich, dass eine Beschleunigung der Besserung durch
die Wiederaufnahme des Phosphormittels kommen werde. Was ScL
iiber das Aufmachen schreibt, ist natiirlich ganz meiner Auffassung
entsprechend. Und das Ins-Auge-fassen dieses Aufmachens ging
aus der Empfindung hervor, dass nichts unterlassen werden sollte,
was meiner lieben guten M. baldigst zur Gesundung verhelfen
konnte. Nur schildert Schl. die eventuellen Folgen des Aufmachens
etwas zu schwarz. Wenn Schlegel ohne dieses auf Beschleunigung
der Gesundung rechnet, so bin ich froh. Ich hoffe, dass der Phos-
phor auch die in Deinen Zeilen beschriebenen Schmerzen in den
nachsten Tagen lindern werde.
Es wird ja auch Deiner Meinung entsprechen, Dr. Gisevius nur
in dem Falle zuzuziehen, wenn Du eine Verschlechterung merken
solltest. Nicht wahr, wenn dies der Fall sein sollte, bekomme ich
augenblicklich Nachricht!! Ich hoffe aber, dass ich meine 1. M. doch
etwas gebessert nach den Reisetagen finden werde. Ich zahle immer
wieder die Resttage, die von den 9 noch bleiben, bis ich wieder bei
Dir sein kann. Ich bin nun hier in der Stadt, in welcher man
das Pulver erfunden hat, bis morgen 11 Uhr 49, fahre dann nach
Miilhausen i. E. (man muss zu Miilhausen hinzufiigen i. Elsass),
dort wohne ich im Grand Hotel National. Dienstag nachts fahre
ich nach Basel (Hotel Viktoria). Dann folgen nach Basel Freitag,
Sonnabend Zurich (Pelikan); dann St. Gallen.
Die Strafiburger Novalis-Loge wird wohl schlafen gehen miis-
sen; die Mitglieder wollen wieder zu Oehler zuriick. Sie sagen, sie
wiissten eigentlich nicht recht, warum sie sich abgesondert haben,
und der Vorsitzende Schneider glaubt, dass er es in 2 Jahren dahin
bringen werde, meine «Theosophie» verstehn zu konnen. Nicht
wahr: ein schoner Aspekt! Bis dahin interpretiert er die Zyklen
iiber das Joh. Ev.
Die herzlichsten Gedanken und Grille Rdlf.
Bitte 1. M. vermeide nicht, Dich gut zu nahren. Es ist das keine
Pedanterie. Es gehort wirklich jetzt zu Deinem Besserwerden!
Schlegel: Der bekannte homoopathische Arzt Emil Schlegel in Tubingen, (1852-
1934). Mit Rudolf Steiner seit 1905 personlich bekannt, aber nicht Mitglied der
Gesellschaft, wurde er 1911 bei Marie v. Sivers' Krankeit konsultiert.
Gisevius: Dr. med. Gisevius, Arzt in Berlin.
88 An Marie von Sivers in Berlin
Mittwoch, 22. Februar 1911
Briefkopf: Grand Hotel Victoria & National, Basel
Mein Liebling, den Brief nach Miilhausen habe ich leider erst spat
abends vor der Abreise erhalten und so wiirde ein noch gestern
abgesandtes Telegramm wohl mitten in der Nacht angekommen
sein. Ich konnte erst heute morgens von hier aus telegraphieren. Es
hat aber wohl nichts geschadet, wenn Du heute mit dem Phosphor
begonnen hast. Die Wirkung wird bei diesem Mittel wahrend des
Abflutens des Unw. [Unwohlseins] kaum geandert. Jedenfalls war
es nicht notwendig, das begonnene Einnehmen etwa zu unter-
brechen.
M. 1. M. In Deinem eben angekommenen Briefchen, fur das ich
Dir allerherzlichst danke, schreibst Du, Du wollest zum Zahnarzt
gehen. Bitte, wenn Du es noch aufschieben kannst, so schiebe das
doch auf. Es ist wirklich nicht gut, wenn Du gerade jetzt diese
Prozedur durchmachst. Schone Dich und schreibe mir auch weiter
ein paar Worte iiber Dein Befinden. Empfange herzlichstes Ge-
denken und schonste Griifie Rdlf
89 An Marie von Sivers in Berlin
Donnerstag, 23. Februar 1911
Basel, 7 Uhr abends
M. 1. M. Dein liebes Briefchen ist angekommen; ich bin Dir dank-
bar dafiir und sende Dir herzlichstes Gedenken und schonste
Griifie.
Ich will schon sehen, dass ich zur rechten Zeit das Schlafcoupe
erhalte. Nun habe ich auEer heute noch 3 Tage.
Fur heute nur noch allerherzlichste Grii&e; es ist gleich offent-
licher Vortrag Rdlf .
90 An Marie von Sivers in Berlin
Freitag, 24. Februar 1911
Zurich, abends 3 A 7 Uhr, Freitag
M. 1. M. Herzlichste Gedanken und Griifte und auch schonsten
Dank fur Deine Briefchen nach Basel und Zurich. Wegen der
Schlafwagenkarte werde ich ja suchen, dass es geht. Aber nun spiefk
sich die Sache durch anderes. Ich hatte so gerne Montag abends
vorgetragen in Berlin. Aber ich kann ja am fruhesten erst um 6 Uhr
42 abends in Berlin ankommen. Nun wird es kaum gehen, denn ich
will auch mit meiner 1. M. doch etwas zusammensein. So weilS ich
wirklich nicht; soli man einen ganz kurzen Logenabend doch
Montag abends halten; soli man Dienstag fur mich einrichten?
Dieses St. Gallen ist wirklich recht ungiinstig gelegen; man fahrt
von 1 Uhr Nachts bis eben 6 Uhr 40 abends nach Berlin. Heute
habe ich nun noch offentl. Vortrag hier in Zurich, dann sind noch
2 Tage und eigentlich fast noch der ganze Montag.
Ganz herzlich Rdlf.
90a Rudolf Steiner an Eduard Selander, Helsinki
wahrscheinlich Anfang Marz 1911
Verehrter lieber Herr Doktor!
Es ist mir recht leid, dass Ihnen durch die Verzogerung dieser Brief -
Unterredung mit Ihnen manche Schwierigkeiten erwachsen muss-
ten, und es ware mir so lieb, wenn solches nicht zu sein brauchte.
Ich mochte so gerne alles tun, was fiir unsere Theosophen von mir
getan werden kann. Dass ich Ihnen erst heute schreiben kann, hat
seinen Grund in der Tatsache, dass ich eine so voll ausgefullte
Reisezeit hinter mir habe wie nie zuvor. Selbst in Berlin konnte ich
diesen Winter nur knapp zu den Vortragen sein. Wenn man die
Gesetze der hoheren Welten unmittelbar auf den physischen Plan
iibertragen konnte, dann ginge alles leichter. Aber dieser physische
Plan hat insbesondere in bezug auf die Zeit seine so festen Gesetze.
In dieser Beziehung wird oft iibersehen, dass derjenige, welcher
unter voller Verantwortlichkeit gegeniiber der spirituellen Welt sich
fiihlen muss, die strenge Pflicht hat, alles, was er auf dem phy-
sischen Plan als theosophische Wissenschaft auszusprechen hat, in
allergenauester Weise zu pragen. Und es darf nicht iibersehen wer-
den, dass die Zeit, welche notwendig ist, die theosophischen Wahr-
heiten im Vortrage auszusprechen, die allergeringste ist im Verhalt-
nis zu derjenigen, welche gebraucht wird, um die Erkenntnisse der
hoheren Welten in die Formen umzusetzen, welche fiir das Aus-
sprechen auf dem physischen Plane gelten. Man hat da die doppelte
Last der Verantwortung: erstens den hoheren Welten gegeniiber: es
darf nichts gesagt werden, was nicht vor ihnen gelten kann; zwei-
tehs der physischen Welt gegeniiber: es muss alles so gepragt wer-
den, wie es moglich ist, um die voile Congruenz des physischen
Wortes mit den Tatsachen der hohern Welt zu erzielen. Das muss
in Betracht gezogen werden zur Beurteilung der Zeit, welche fiir
theosophisches Wirken erforderlich ist. So ist es z. B. gekommen,
dass meine «Anthroposophie» seit November halb gedruckt vor-
liegt und nicht einmal seit jener Zeit beriihrt werden konnte, weil
es unmoglich war, die Wahrheiten, die spirituell vor mir stehen,
den Weg durch die Feder auf das Papier nehmen zu lassen. Dabei
weift ich aus der spirituellen Welt, dass die Arbeit so bald wie
moglich vorgelegt werden soil. Es ist wirklich nicht aus geringen
Griinden heraus, wenn Fraulein v. Sivers Ihnen die nochmalige
Verschiebung der Helsingforser Vortrage zur Erwagung gegeben
hat. Sie wiirden Fraulein v. Sivers ganz missverstehen, wenn Sie
glaubten, es handelt sich nur im gewohnlichen Sinne darum, die
Reise aufzuschieben, weil sie nicht mitkommen kann. Es war
gemeint, dass in ihrer Erkrankung zugleich ein karmischer Wink
(Fingerzeig) gesehen werden sollte, die Reisearbeit ein wenig zu
unterbrechen, weil deren Unausgesetztheit die innere Gediegenheit
der theosophischen Arbeit auf die Dauer doch beeintrachtigen
muss. So ist es Ihnen zur Erwagung gegeben, ob Sie nicht freiwillig
mit uns im vollen Einklange diesem karmischen Wink Rechnung
tragen wollen. Es ware ja am allerbesten fur die theosophische
Bewegung, wenn nicht allein die Bedingungen des physischen Pla-
nes, sondern auch die Fingerzeige der hohern Welten bei unseren
Mafinahmen beriicksichtigt wiirden. Geglaubt wurde, dass Sie es
mit uns fur das Beste hielten, die Sache zu verschieben. Das Aufier-
liche miisste ja iiberwunden werden, wenn es gar nicht anders
ginge. Wenn ich alle mit obigem ein wenig charakterisierten Bedin-
gungen erfiillen will und die Theosophen wirklich das Rechte
bekommen sollen, dann konnen mir bei einem langern Aufenthalt
irgendwo die ganz notwendigen Anforderungen nur erfiillt wer-
den, wenn Fraulein v. Sivers dafiir sorgt. Ich muss ja in Deutsch-
land fiir kurze Aufenthalte allein reisen; es ist wahrlich nicht ohne
die grofken spirituellen Kraftaufwendungen moglich, wenn nicht
mit jeder Reise ein gut Teil meiner physischen Krafte zu Grunde
gehen soli. Ersetzt werden kann ja Fraulein v. Sivers durch nie-
mand, wenn das auch nicht ganz fiir Aufienstehende leicht einzu-
sehen ist. Wenn ich dennoch schon im Mai die Reise nach Helsing-
fors machen sollte, so ware es mir erstens unmoglich, fiir Fraulein
v. Sivers' Wiederherstellung die notigen Sorgen zu tragen. Denn
wie wenig bis jetzt geschehen konnte, da kein Tag frei war, ist
begreiflich. Und das kommt viel mehr in Betracht, als dass Fraulein
v. Sivers die Reise nicht nritmachen kann. Das wird sie ja hochst-
wahrscheinlich auch spater noch nicht konnen, da die Krankheits-
attacke eine recht schwere ist und die notwendige Schonung lange
Zeit in Anspruch nehmen wird. - Wenn Sie aber freiwillig eine
Verschiebung billigten, die ja nur so gro£ zu sein brauchte als
notwendig, so ware es mir moglich, an den Philosophen-Kongress
in Bologna, bei dem ich iiber Theosophie sprechen soil, anzuschlie-
fien eine Zeit, in welcher ich solche Arbeiten in aller Ruhe ausfiih-
ren konnte, die fiir die Theosophie jetzt fast unerlasslich sind,
wahrend sie durch die Helsingforser Reise auf unbestimmte Zeit
hinausgeriickt wiirden. So miisste z. B. der Prager Zyklus, den ich
vom 18. bis 28. Marz halte, sogleich im Druck erscheinen. Denn es
liegen wirkliche Gefahren vor, wenn das nicht geschehen kann. Ich
erwahne von diesen Gefahren nur, dass in letzter Zeit von betrieb-
samer amerikanischer Seite ein grower Teil meiner theosophischen
Mitteilungen einfach in unerhort unbefugter Weise gedruckt wor-
den ist. Das ist nicht deshalb schlimm, weil es doch ein Plagiat ist.
Daran lage nichts, meinethalben konnten die Menschen noch so
viel plagiieren. Auf dem Felde der Theosophie kommt das nicht im
geringsten in Betracht. Was aber in Betracht kommt, das ist, dass
meine Mitteilungen in einer ganz entstellten Weise so gedruckt
werden und die Entstellung schadlich ist. Wenn ich nun nicht in
die Lage komme, die Dinge so zu drucken, wie sie sein sollen, so
wird endlich wirklich grower Schaden entstehen. Es zeigt sich ja
auch das recht Bedenkliche, dass unsere Theosophen gar nicht alle
unterscheiden konnen und dass in Westeuropa es Theosophen gibt,
welche die entstellten, unrichtigen Wiedergaben fiir echt halten.
Sie sehen, lieber verehrter Herr Doktor, dass wirkliche theo-
sophische Notwendigkeiten vorliegen. Deshalb darf ich Ihnen
anheimstellen, freiwillig noch einmal in eine Verschiebung zu
willigen und die Sache unsern finnlandischen Freunden genau so zu
motivieren, wie ich sie selbst mit der Notwendigkeit gewisser
schriftlicher Arbeiten fiir motiviert halten muss. Wir konnen dabei
die Krankheit von Fraulein v. Sivers ganz aus dem Spiele lassen; sie
ist ein karmischer Fingerzeig. Wollten Sie aber dennoch, dass ich
komme schon im Mai, so miisste ich eben gegen diese Motivierung
es tun; das Personliche der Anstrengung nehme ich ja gerne auf
mich, obwohl ich dann nicht weift, wie ich fur die Wiederherstel-
lung der Gesundheit von Fraulein v. Sivers geniigende Sorge tragen
kann. Das Reisen macht mir ja gewiss nichts aus. Ich bitte Sie also,
die Sache in der geschilderten Weise anzusehen, und wenn wir in
dieser Angelegenheit einer Meinung sein konnen, dies als ein echtes
theosophisches Zusammenwirken zu betrachten. Ich mochte nicht,
dass ich einfach sagen soli: ich komme nicht, sondern mir ware es
lieb, wenn wir zusammendenken konnten.
Wenn Sie [es] aber durch die Verhaltnisse in Finnland fur not-
wendig oder besser halten, dass ich im Mai komme, dann komme
ich. Sie wissen, ich komme gerne; und ich mochte unter alien
Umstanden, dass die Sache in volliger liebevoller Harmonie sich
abspielte. Da die Vortrage einmal festgesetzt sind, so konnte es fur
Sie ja wohl auch Griinde geben, nicht mehr an eine Verschiebung
zu denken. Deshalb habe ich Ihnen ausfuhrlich gesagt, wie die
Dinge liegen. Ich mochte aber nicht, dass durch mein Nicht-
kommen Ihre Plane etwa ganz durchkreuzt wiirden, trotzdem mir
die grofiten Schwierigkeiten erwachsen wiirden, wenn die Reise
gemacht werden miisste.
Und nun bitte ich Sie, mir zu sagen, wie Sie meinen und was
nach den dortigen Verhaltnissen getan werden kann.
In theosophischen Treuen Ihr Dr. Rudolf Steiner
Berlin W, MotzstraEe 17
meine «Anthroposophie» sett November halb gedruckt: wurde nicht vollendet;
siehe «Anthroposophie. Ein Fragment*, GA 45.
91 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 5. Marz 1911, aus Hannover
M. 1. M. Trotzdem ich durch endlose Besuche am rechtzeitigen
Schreiben gehindert worden bin, mochte ich doch, dass Du noch
heme von mir die herzlichsten Gru&e und die Mitteilung erhaltst,
dass ich Deiner in Liebe gedenke.
Rdlf.
Eben ist der offend. Vortrag zu Ende; morgen friih fahre ich nach
Bielefeld.
Hannover. —
92 Fur Marie von Sivers zum Geburtstag, Faksimile nachste Seite.
Zu ihrem Geburtstagsdatum: Sie wurde am 14. Marz 1867 im damals russischen
Polen geboren. Fur den alten, in Russland gebrauchten Julianischen Kalender
war dies der 2. Marz, da die orthodoxe Kirche die Kalenderreform des Papstes
Gregor XIII von 1582 nicht mitgemacht hatte. Sie wuchs in St. Petersburg auf
und feierte ihren Geburtstag somit am 2. Marz (alten Stils). Als sie nach der
Jahrhundertwende nach Deutschland kam, entsprach aber dem 2. Marz alten
Stils der 15. Marz neuen Stils, weil das Jahr 1900 fiir den Julianischen Kalender
ein Schaltjahr war, nicht aber fiir den Gregorianischen Kalender. Spater kam sie
auf den 14. Marz zuriick.
> die CuJ*> jfocuux, vm* StvtA&
Jrt *Jtc cc~t A x *w
U) a. 4 r A a it o. c n
93 Testaments-Bestimmung vom 20. April 1911,
nach dem Tode von Anna Steiner, gest. am 19. Marz 1911
Testaments-Bestimmung.
Hierdurch bitte ich Marie von Sivers, Berlin W Motzstrafie 17,
nach meinem Ableben die entsprechenden sofortigen Mitteilungen
an meine Angehorigen in Horn in Niederosterreich zu machen (Nr.
179) und ihnen ohne Zogern zuzuwenden, was zu deren Lebensun-
terhalte notwendig ist, sowie zu sorgen, dass mein Bruder Gustav
versorgt ist. M. v. Sivers selbst ist im Sinne des in Berlin erliegen-
den Testaments als Erbin meiner literarischen Arbeiten u.s.w. ein-
gesetzt. Uberhaupt gilt dies Testament mit Ausnahme des Passus
der auf meine Gattin sich bezieht, die seither verstorben ist.
Portorose bei Pirana, Istrien, 20. April 1911
Dr. Rudolf Steiner
Aufter dem auf Marie v. Sivers und meinen Namen hinterlegten
Gelde befindet sich eine Summe bloft auf meinen Namen auf der
Deutschen Bank, Berlin, M. Lutherstrafie.
94 An Marie von Sivers in Portorose/Istrien
vermutlich Juni 1911, aus Berlin
M. 1. M. Mit diesen 12 Blattern - mehr waren nicht in der Mappe
- wird wohl der Druck noch nicht beginnen konnen. Ubersetze
doch, wenn Du es ohne Dich aufzureiben kannst, noch einiges
hinzu, um das dann zu schicken. Altmann aber schreibe, dass Du
anfangen wolltest jetzt Manuskript zu senden, und etwa bis
wirst fertig sein konnen. Es darf dieses Buch nicht andern zum
Ubersetzen ausgeliefert werden. Es ware wirklich siindhaft. Die
Menschen ubersetzen drauf los. Und was da geleistet wird - was
die Menschen glauben, leisten zu diirfen: es ist eben schreck-
lich. Das Buch schicke ich morgen friih sogleich nach. Jetzt kann
1AA
ich nur diesen Brief senden. Es ist spat, und ich kann kein
X-[Kreuz]band mehr absenden.
Allerherzlichst Rdlf.
Mit diesen 12 Blattern ... Ubersetze doch ... noch einiges hinzu: Marie v. Sivers
ubersetzte zu dieser Zeit Edouard Schure, «Die Heiligtiimer des Orients (Agyp-
ten - Griechenland - Palastina)», Leipzig 1912 im Verlag von Max Altmann.
95 An Marie von Sivers in Portorose/Istrien
Samstag, 3. Juni 1911, aus Berlin
M. 1. M. Nach den beiden Nachten Triest-Linz und Linz-Triest
[Linz-Mtinchen] wollte ich nicht noch eine dritte auf der Eisen-
bahn zubringen, und so fuhr ich erst gestern von Miinchen hieher
und fahre heute abend nach Kopenhagen.
Hoffentlich geht es m. 1. M. entsprechend gut. Wenn Du nur
nicht vergessen wolltest, auch Silicia fest zu nehmen. Es ist das
letzte, woran Du nun gegangen bist.
Von dem Schrank in meinem Zimmer habe ich keinen Schliissel.
Zum Geldschrank darinnen habe ich ihn. Allein wegen des Zuge-
schlossenseins des Schrankes kann ich an den Geldkasten ja nicht
heran. Ist's moglich, so sende bitte den Schliissel hieher, dass ich
ihn bei der Ruckkehr finde. Doch ist's dann ja nicht so notwendig.
Zur Bank kann ich ja auch so gehen und die noch restierende
Summe mir bestimmen lassen. Soli ich sie dann einfach auf viertel-
jahrliche Kiindigung legen?
Aller-Herzlichst Rdlf.
Datum: Am 2. Juni schrieb Johanna Miicke an Marie v. Sivers: «Eben habe ich
Herm Doktor am Bahnhof abgeholt».
96 An Rudolf Steiner in Kopenhagen
ca. Samstag, 3. Juni 1911, aus Portorose
L. E. '
bei der Sellin-Schrift muss man noch iiberlegen, ob nicht Frl. Miicke
noch grofiere Schwierigkeiten dadurch entstehen, dass sie wieder
separate Abrechnung dafur zu fiihren hat. Sie hat sich ja so stark
geweigert die Sintenis-Gedichte auf ihren Tisch zu nehmen. Die
Miinchner Gelegenheit ist fur alle Theos. eine so verlockende Ge-
legenheit um ihre Biicher los zu werden, dass wir mit der Ware
uberflutet werden konnen. Falls Du Donnerstag dariiber zu ver-
handeln hast, ware es vielleicht gut, wenn Du Dir das entscheiden-
de Wort nach Riicksprache mit Frl. Miicke reserviertest. Frag doch
die Damen, ob das etwas so glanzendes war.
Heute Morgen fand sich auf unserer Treppe eine Schlange. Da-
durch grofies Gequietsch der Madchen um 7 Uhr. Jetzt war eben
ein Wolkenbruch, so dass durch doppelten Turverschluss das Was-
ser hineinstromte in Seen. - Eben habe ich von Schallert folgenden
Brief bekommen. Ich lege ihn bei, damit Du orientiert bist, falls die
eine oder andere was sagt. Miicke hat nichts dariiber geschrieben.
Ich werde versuchen, das Vortragsprogramm fur nachsten Win-
ter in Berlin um ein oder zwei Wochen zu verschieben, im Fall Du
anders Selander nicht befriedigen kannst.
Heute bin ich in Arnika gewickelt. Ich denke diese dreimal
tagliche Wickelei wird mir mehr Frieden schaffen.
Viel Herzliches von M.
Bitte wenn moglich Schlafwagen besorgen, sonst Luftkissen kaufen
lassen. Das ist wieder vergessen.
Sellin-Schrift: A. W. Sellin, «Origenes» (Vortrag gehalten in der theosophischen
Loge I zu Miinchen am 24. Marz 1911), Miinchen 1911, Kommissions-Verlag von
Carl Kuhn.
Sintenis-Gedichte: Elsbeth v. Sintenis-Fahrow, Mitglied in Berlin seit 1906, Mut-
ter der spateren Frau Felicia Schwebsch, Waldorflehrerin.
Frage doch die Damen: Gemeint sind Grafm Kalckreuth und Sophie Stinde,
Leiterinnen des Munchner Zweiges, die gewiss Sellins Vortrag gehort hatten und
auch nach Kopenhagen gekommen waren.
Schallert: Katharina Schallert, Deutsch-Russin, Mitglied seit Mai 1906, 1911
Assistentin von Johanna Miicke im Verlag.
97 An Marie von Sivers in Portorose/Istrien
Pfingstmontag, 5. Juni 1911, aus Kopenhagen
Briefkopf: Hotel Dagmar, Copenhague
5. Juni 1911
M. 1. M. Herzlichsten Dank fur den lieben Brief, der mir die neuen
«Uberraschungen» Portorose's meldet. Ich kann wirklich nur
sagen, dass es mir gar nicht recht ist, wenn ich hier heroben bin,
die 1. M. diesen fortwahrenden «Uberraschungen» ausgesetzt zu
wissen. Zu der Raupeninvasion noch eine Schlangeninvasion.
Was das andre betrifft: gewiss werde ich nichts iiber die
Sellin'sche Sache mit Kuhn bezw. Sellin ausmachen, ohne mit
Frl. Miicke gesprochen zu haben. Doch scheint mir aus den paar
Worten, die ich Sonnabend mit ihr sprach, durchaus ihr voiles Ein-
verstandnis mit dem Auslegen hervorzugehen.
In bezug auf Schallert wurde gar nichts mit niemand erwahnt.
Frl. Schallert selbst sprach nur froh davon, dass ihre Hand besser
ist. Und Frl. Miicke sagte kein irgendwie konfliktbedeutendes
Wort.
Deine Mutter und Schwester waren Freitag, Sonnabend nicht
mehr in Berlin, sondern schon nach Socking abgereist; aber auch in
Miinchen selbst sind sie nur durchgefahren, ohne dass sie daselbst
jemand gesehen hat.
Hier in Kopenhagen sind ziemlich viele der nordischen Theoso-
phen. Die Versammlungszeit wurde Sonntag und Montag viel mit
reinen Verwaltungsangelegenheiten, Neuwahlen etc. und viel mit
gemeinsamen Mahlzeiten zugebracht. Gesprochen haben Eriksen
und Walleen in groEeren Vortragen. Ich sprach dann gestern nach-
mittag um 4 Uhr auf der General-Versammlung. Heute, morgen
und iibermorgen sind dann die 3 Vortrage. Eriksen hat sich also
mit einer Vidar-Loge von dem Dummchen Blytt abgelost. Die
Mitglieder dieser Vidar-Loge scheinen alle recht froh iiber die Tren-
nung zu sein. Es scheint ja tatsachlich ganz unmoglich gewesen zu
sein, gegen die ubermachtige Dummheit der Blytt irgend etwas zu
machen. Zumal doch derlei gar so beschrankte Menschen auch in
unbegrenzter Weise hochmiitig sind.
Mit Dr. Selander soli ich nun in den nachsten Tagen die Hel-
singfors Frage besprechen. Wir wollen sehen.
Hoffentlich finde ich m. 1. M. nicht gar zu schlecht wieder vor.
Ich warte immer recht sehnsuchtig auf die Nachrichten von Dei-
nem Befinden. Es ware eigentlich gut, die Arnikabehandlung so
lange fortzusetzen, bis ich wieder in Portorose sein kann. Dabei
vergiss nicht Silicia einzunehmen.
Ich hoffe nun schon am Freitag wieder in Berlin zuriick sein zu
konnen und dann so schnell als moglich bei der lieben M. zu sein.
Fur heute allerherzlichst Rdlf.
Kuhn: Carl Kuhn, Drucker und Verleger in Munchen, Mitglied seit Mai 1906,
dort sind u. a. die Mysteriendramen und der Kalender 1912/13 gedruckt worden.
Mutter und Schwester ... schon nach Socking abgereist: In Socking bei Starnberg,
in der Nahe Miinchens, befand sich eine von Mitgliedern gefuhrte vegetarische
Pension. Auch Rudolf Steiner und Marie v. Sivers haben sich dort im Sommer
1910 oder 1911 kurz aufgehalten.
Eriksen: Dr. philos. Richard Eriksen (1869-1941), bis 1911 in Oslo Vorsitzender
der Kristiania Loge, dann der Vidar-Loge bei deren Griindung im Mai 1911,
lernte Rudolf Steiner 1907 kennen, besuchte ihn in Berlin im Oktober 1907, und
erwirkte beim Generalsekretar der skandinavischen Sektion Arvid Knos in Stock-
holm die Einladung zu der ersten Vortragsreise durch die skandinavischen Lander
im April 1908. Rudolf Steiner war dann jedes Jahr mindestens einmal im Norden,
auch zu den Generalversammlungen der skandinavischen Sektion.
Walleen: Baron Alfons Walleen-Bornemann aus Schweden (1863-1941), seit etwa
1910 vor allem in England tatig als Vortragender, der dann auch recht drastisch
gegen den Unsinn des «Sterns im Osten» und Annie Besant Front machte. Seine
Ausfuhrungen im Anschluss an die Generalversammlung der deutschen Sektion
im Dezember 1911 iiber seine «Erfahrungen auf Vortragsreisen in Skandinavien
und England* fiihrten zu der Griindung eines von der T.G. «unabhangigen
Bundes, der alle wahren Freunde dieser Arbeit [im Sinne der rosenkreuzerischen
Geisteswissenschaft] innerhalb und aufierhalb Deutschlands umfasst.» Scholl-
Mitteilungen XIII, Marz 1912, S. 35f. Dieser Bund wurde in einem gewissen Sinne
der Vorlaufer der Ende 1912 begriindeten Anthroposophischen Gesellschaft.
die 3 Vortrdge: Im Anschluss an die Generalversammlung der skandinavischen
Sektion, von Rudolf Steiner unmittelbar darauf (August) als Buch herausgegeben:
«Die geistige Fiihrung des Menschen und der Menschheit», jetzt GA 15.
Blytt: Eva Blytt, 1910 Schriftfuhrerin der im Oktober 1905 gegriindeten Kristiania
Loge, seit 1911 deren Vorsitzende, nachdem sich die Vidar-Loge abgespalten
hatte. Aufierdem gab es in Oslo noch die alte, im September 1893 gegriindete
Loge «Norwegian T.S.».
98 jetzt Nr. 104a (Neudatierung)
99 Testaments-Erganzung vom 7. September 1911
Erganzung zu meinem Testament
Ich habe zu diesem Testamente hinzuzufiigen, dass die Bestim-
mung beziiglich meiner Gattin nunmehr wegfallt, da dieselbe in-
zwischen gestorben ist. Es besteht also nach dieser Richtung kein
Anspruch auf Erbschaft.
Dagegen verbleiben die andern Bestimmungen in voller Kraft.
Dr. Rudolf Steiner
Berlin, 7. September 1911
Motzstrafte 17.
100 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 5. November 1911, aus Leipzig
M. 1. M. Herzlichsten Gruft sende ich Dir vor allem andern. Hof-
fentlich finde ich iibermorgen eine den Verhaltnissen entsprechen-
de gesunde M. Ich weift nicht, ob ich morgen nach dem Vortrage
in der Nacht fahren kann. Es scheint mir fast, als ob es nicht ginge,
da der Zug ganz unbequem ist; und ich mich augenblicklich nicht
gerade ohne alle Ermiidung fiihle. Ich werde deshalb vielleicht so
fahren, dass ich erst Dienstag um 2 Uhr 52 in Berlin ankomme.
Doch will ich dariiber noch morgen telegraphieren. Jedenfalls aber
mochte ich Dich bitten, Frau v. Reden sagen zu lassen, dass sie
nicht, wie abgemacht Dienstag sondern erst Mittwoch 3 Uhr zu
mir kommen moge.
Fiir Hannover mochte ich als Thema fur die Zyklusvortrage:
Die Welt der Sinne und die Welt des Geistes. Fiir den offentlichen
Vortrag hat in einem seiner Briefe an M. [v. S.] Eggers vorgeschla-
gen: Das Wesen der Ewigkeit und die Natur der Menschenseele im
Lichte der Geisteswissenschaft. So glaube ich im Voriiberhuschen
in dem Briefe bemerkt zu haben, den Du wohl noch haben wirst;
und ich bin damit einverstanden.
Nochmals allerherzlichsten Grufi R.
Es geht hier alles gut. Eben komme ich von FM und in V4 Stunde
ist Zweigversammlung.
Frau v. Reden: Thekla v. Reden, geb. v. Schack (1857-1944), lernte Rudolf Steiner
schon um 1900 in Berlin kennen, wurde aber erst im Januar 1908 Mitglied. Von
da an tatige Mitarbeiterin durch Vortrage, und auch durch Berichte in den Scholl-
Mitteilungen. Wahrend der Angriffe von Hiibbe-Schleiden 1912 verfasste sie die
Broschiire «Was Theosophie uns bedeutet. Ein Wort zur Klarung».
Hannover ... Zyklusvortrage: 27. Dezember bis 1. Januar 1912, jetzt GA 134.
Eggers: Wilhelm Eggers (1868-1946), Mitglied der T.G. seit Januar 1901, als
Sekretar des Zweiges Hannover 1902 Mitbegriinder der deutschen Sektion, etwa
ab 1903 Vorsitzender, leitete er durch Jahrzehnte die Zweigarbeit in Hannover. -
Sein erwahnter Brief ist nicht erhalten, wohl aber sein Brief vom 9. November, in
dem er sich fiir die Zusage bedankt.
101 An Rudolf Steiner in Hamburg
Freitag, 10. November 1911, aus Berlin
Freitag
Einliegend schicke ich Dir den Brief des Herrn, liber den wir ein-
mal gesprochen haben. Ich dachte erst zu antworten und gleich
energisch die Vermutung abzuweisen. Aber da nun der Herr
Miiller in der E.S. ist, mochte ich nicht dreinpatzen. Vielleicht ist
ja auch der herausgetriebene Ausschlag ein Beweis, dass er recht
hat. Miiller soil in Karlshorst einen Kursus iiber «Theosophie» vor
36 Menschen halten. Vielleicht hat er nur gesagt, dass er das bei Dir
gelernt hat und nicht das Magnetisieren. Wenn Du aber meinst,
dass mein Ton nicht zu sehr anti-Miiller ist, wiirde ich fortfahren,
falls Du mir den Wisch zuriickschickst.
Vielleicht ist es besser, keine geschriebenen Dokumente zu
liefern, und wenn Du es wiinschest, schreibe ich dann dem Herrn,
dass er Mittwoch um 10 Uhr erscheinen moge.
L. E. was mach ich nur, wenn ich dich so mude weifi!
Herzlichst M.
Herr Miiller: Emil Miiller, in Karlshorst bei Berlin, Mitglied seit Mai 1907.
102 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 12. November 1911
Briefkopf: Hotel Continental, Hamburg
M. 1. M. Herzlichsten Gruft zuvor. Die Magnetiseure sind naturlich
ganz dazu geeignet, viel Unfug zu machen; doch liegt mit dem
Miiller doch wohl die Sache so, dass er mehr eine Torheit begangen
hat. Deshalb ware es gut, wenn Du dem Herrn Felix Steidelmiiller
(Karlshorst bei Berlin, Prinz Heinrichstr. 6) schriebest, dass er,
wenn es ihm moglich ware, zu mir nachsten Mittwoch oder Don-
nerstag V2 12 kame. Wenn es ihm unmoglich ware, so wiirde ich
ihm schreiben. Besser aber ware es, wenn er kame.
Ich muss diese paar Zeilen an Dich schreiben in grofier Eile.
Dein Brief an den Steidelmiiller ware vielleicht ganz gut gewesen,
doch wenn der Mann kommt, ist er vielleicht nicht notig.
Gerade vor der Abreise nach Bremen. Zur Korrektur der
«Mitteilungen» hoffe ich noch heute zu kommen.
Allerherzlichst Rdlf.
Korrektur der «Mitteilungen»: Nr. XII (November 1911) der Scholl-Mitteilungen.
Auch in diesem Jahr geht es zu vielen Einzelvortragen und mehreren
Vortragszyklen kreuz und quer in verschiedene deutsche, osterreichische
und schweizerische Stadte, auch nach Skandinavien und Italien, meistens
in Begleitung von Marie v. Sivers, die sich von ihrer Krankheit erholt hat.
Im April wird der im letzten Jahre abgesagte Zyklus in Helsinki «Die
geistigen Wesenheiten in den Himmelskorpern und Naturreichen» nach-
geholt (GA 136). Ende Mai geht es noch einmal in den Norden: zunachst
zwei Vortrage «Uber den Sinn des Lebens» in Kopenhagen und in Norr-
koping «Theosophische Moral» (beides in GA 155), sodann in Oslo der
Zyklus «Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philo-
sophie» (GA 137).
Die Monate Juli und August sind wieder den Miinchner Festspielen
gewidmet, zu denen iiber tausend Menschen erscheinen, darunter viele
Auslander. Es entsteht das dritte Mysteriendrama «Der Htiter der Schwel-
le», das am 24. August uraufgefiihrt wird, nach den Wiederholungen von
Schure's Eleusis-Drama und Rudolf Steiners beiden ersten Dramen. An-
schliefiend folgt der Vortragszyklus «Von der Initiation. Von Ewigkeit
und Augenblick. Von Geisteslicht und Lebensdunkel» (GA 138).
An den Vormittagen der Kurstage finden Beratungen iiber den
«Bund» statt, der im Anschluss an die Generalversammlung der deut-
schen Sektion im Dezember 1911 in Berlin beschlossen worden war. -
Dieser Bund beruhte auf einer Initiative der damals in Berlin anwesenden
auslandischen Mitglieder, die nach einer Moglichkeit suchten sich der
Arbeit Rudolf Steiners anzuschlielSen, ohne Mitglieder in der T.G. blei-
ben zu rmissen, wo ihnen in ihren Heimatlandern Schwierigkeiten berei-
tet wurden. Rudolf Steiner wurde gefragt, ob er das Lehramt in einem
solchen Bunde zu iibernehmen bereit sei, und ob dessen Mitgliedern der
Zutritt zu den internen Veranstaltungen innerhalb der deutschen Bewe-
gung gestattet wurde, zu denen bisher nur Mitglieder der T.G. zugelassen
waren. Beide Fragen bejahte er, falls der Bund positiv begriindet wurde.
In der Folge geschah aber nichts Konkretes. - Inzwischen hat sich die
Lage in der T.G. verscharft und die faktische Begriindung des «Bundes»
ist umso dringender. Gegen Ende der Verhandlungen taucht der Gedanke
auf, dass es auch fur die Deutschen notig sein konnte, eine Organisation
bereit zu haben fur den Fall, dass man aus der T.G. ausgeschlossen
wiirde. Als Namen fiir den Bund schlagt Rudolf Steiner «Anthroposophi-
sche Gesellschaft» vor.
Wahrend des im September in Basel stattfindenden Zyklus iiber das
Markus-Evangelium (GA 139) gibt Rudolf Steiner der jungen Lory Smits
die ersten Kursstunden fiir eine neue Bewegungskunst. Auch Marie v. Sivers
ist anwesend und schlagt den Namen «Eurythmie» vor. Nach dem Zyklus
ziehen sie sich in eine Ferienwohnung von Baseler Freunden auf dem
Dornacher Hiigel zuriick und lernen dadurch den Boden kennen, auf dem
ein Jahr spater der Grundstein fiir das Goetheanum gelegt werden wird.
Die Schwierigkeiten mit der Zentralleitung der T.G. kommen zur
Krisis: wahrend am 27. Dezember in Adyar Annie Besant ihren General-
Rat den Auschluss der gesamten deutschen Sektion beschliefien liisst,
versammeln sich in Koln die Teilnehmer zum Vortrags zyklus «Die Bhaga-
vad Gita und die Paulusbriefe» (GA 142), mit dem die Arbeit der Anthro-
posophischen Gesellschaft begriindet wird.
Bei der Zusammenkunft am 2. Februar 1913 in Berlin, an Stelle der
angekiindigten Generalversammlung, gibt Marie v. Sivers den letzten Be-
richt iiber die Mitgliederbewegung der deutschen Sektion. Neu gegriindet
wurden 3 Zweige: Augsburg, Erfurt, Hamburg II. Die Zahl der Mitglieder
betragt 2489 gegen 2318 im Vorjahr. - Bei der ersten Generalversammlung
der Anthroposophischen Gesellschaft am folgenden Tage berichtet sie, dass
bereits 2557 Mitglieder registriert wurden, dass aber noch nicht alle Antrage
angekommen sind. (Im Januar 1914 werden es 3647 Mitglieder sein.)
103 An Marie von Sivers in Berlin
Mittwoch, 10. Januar 1912
Miinchen, 10. Januar 1912
Mein liebes Mausichen, herzlichsten Grufi sende ich Dir zuerst und
schonsten Dank fiir Deine lieben Zeilen. Morgen bin ich also noch
hier in Miinchen; die Adressen in St. Gallen und Winterthur muss
ich telegraphieren, weil ich augenblicklich kein Adressenbuch habe.
Das Manuskript fiir die «Mitteilungen» wird morgen abgehen kon-
nen. Ebenso Deine Ubersetzung. Nun steht auf meinem Verzeich-
nisse fiir Februar fiir Stuttgart als Vortragstage angemerkt: 19. 20.
21. u. 22. Februar (auch Frau Kinkel sagt, dass dieses stimmt), dann
ware der 23. Februar frei und fur Munchen habe ich in dem hek-
tographierten Verzeichnis 24. Februar: Munchen off., 25.: Loge,
26.: Munchen off., 27.: Grundsteinlegung. Und so sei es auch ab-
gemacht, behauptet Fraulein Stinde. Vom Marz kann dann fiir
Munchen nichts in Betracht kommen. Aber bei den Februartagen
wird es wohl bleiben miissen. Die beiden Damen freuen sich dar-
auf, Dich, mein liebes Mausichen, bei der Grundsteinlegung wieder
hier zu haben.
In Basel scheint nun Suter ein wenig Unsinn zu machen; er
hat mit einigen seiner Freunde eine besondere Loge «auf hoheren
geistigen Auftrag» gegriindet. So sind nun dort gleich 3 Logen.
Was ich ausdenken kann wegen kommender Vortrage, werde
ich Dir morgen schreiben. Jetzt kommt gleich ein Ansturm von
Leuten; und ich mochte, dass Du morgen friih diesen meinen Grufi
hast. Lasse mich wissen, wie es Dir geht.
Allerherzlichst Rdlf.
Manuskript fiir die «Mitteilungen»: Protokoll der Generalversammlung vom 10.
Dezember 1911.
Miinchen, Grundsteinlegung: Fand nicht statt. Durch langwierige Verzogerungen
seitens der Behorden wurde der fiir Munchen geplante Zentralbau ein Jahr spater
nach Dornach bei Basel verlegt.
Die beiden Damen: Grafin Kalckreuth und Sophie Stinde, Munchen.
Suter: Eduard Suter (1875-1963), Mitglied in Basel seit September 1906.
3 Logen: Basel I, Paracelsus-Zweig, gegriindet Oktober 1906; der Zweig Basel II
wurde im Dezember 1911 von Dr. Emil Grosheintz pro forma gegriindet, um die
Zahl der Zweige in der deutschen Schweiz auf 7 zu bringen, da von Adyar
verlangt wurde, dass die deutsch-schweizer Zweige eine eigene Sektion begriin-
den, wozu 7 Zweige notig waren. Der Zweig Basel III wurde am 6. Januar 1912
zwar beantragt, scheint aber nicht wirklich zustande gekommen zu sein.
104 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 11. Februar 1912
Briefkopf: Hotel Moser, Klagenfurt
11. Februar 1912
Mein liebes Mausichen, so komme ich also wahrhaftig erst heute
dazu, Dir diesen herzlichen Grufi zu senden; Breslau und Wien
waren etwas stark angefiillt; und der Tag zwischen den beiden
Orten ging ja auf die Reise auf. Es ist nur gut, dass die Schneestiir-
me vorlaufig wieder vorbei sind; dadurch ist Aussicht, dass die
Reise von Graz nach Berlin ohne Hemmnisse vor sich gehen wer-
de. Der erste Wiener Tag war geradezu ein Witterungsphanomen;
den ganzen Tag iiber voile Nacht; man trat in absolute Finsternis,
wenn man auf die StrajRen kam; die Vogel sogar verliefien nicht ihre
Schlafstatten auf den Baumen; und in den Zimmern lebte man den
Tag iiber bei Licht wie in der Nacht. Die Vortrage haben sich
sowohl in Breslau wie in Wien gut abgespielt; es war eine Steige-
rung der Aufmerksamkeit der offentlichen Zuhorerschaft entschie-
den vorhanden; die Wiener Loge muss nun eine Weile auf sich
selbst gestellt sein; Reif muss, da sie absolut kaputt ist, und eigent-
lich nicht mehr auf den Beinen stehen kann, eine Zeitlang weg.
Vielleicht wird Scholl alle 14 Tage von Graz nach Wien fahren;
auch hat sich in Julius Breitenstein ein recht gutes Talent entpuppt;
er erklart den Leuten die «Geheimwissenschaft», und alle sind
entziickt von seiner ernsten und verstandnisvollen Art. Milek
scheint nun wieder in Wien hangen zu bleiben; sie ist nicht hier,
und ob sie iiberhaupt den Entschluss fasst, nach Graz zu gehen, ist
noch gar nicht klar. Es ist wirklich wenig mit ihr zu machen. Talent
hatte sie schon; aber einen ganz wienerischen Willen; der aber ist
negativ. Jetzt wird mich Rainer abholen zu sich; dann sollen alle
hier anwesenden Theosophen nachkommen und bei ihm Kaffee
trinken und seine Miihlen besehen. Deshalb nur noch
allerallerherzlichsten Grufi von Rudolf.
Julius Breitenstein (1870-1950), aus Siebenbiirgen, Mitglied seit Mai 1910, kurz
nach Begriindung des Zweiges Wien im Marz.
Rainer ... Miihlen: Julius Fitter v. Rainer betrieb auf seinem Schlossgut Mageregg
bei Klagenfurt auch Miihlen und stellte einige Zeit Brot her nach den Angaben
Rudolf Steiners.
104a An Marie von Sivers in Miinchen
Mittwoch, 28. (oder 29.) Februar 1912, aus Berlin
L'g: hier ScholPs Brief; mir scheint, dass sie gar nicht in Wien
bleiben kann; zwischen Milek und ihr ist ein gespanntes Verhaltnis
geworden, sodass auch deshalb das Hiniiberfahren von Wien nach
Graz erschwert sein wird: wenn aber die Sache blofi damit endet,
dass Scholl von Osterreich fortgeht, dann ist die Sache wohl sehr
fatal. Willst Du ihr schreiben, so ist's vorlaufig am besten, ihr auch
nur vorlaufig Deine Meinung ohne Verhaltungsregel zu sagen: wir
besprechen dann die Sache Sonnabend oder Sonntag.
Ich kam heute morgen an; das gestrige Telegramm, das meine
Ankunft melden sollte, ist nicht angekommen - dagegen bin ich
herzlich dankbar fur das heutige, das sagt: alles in Ordnung.
Herzlichst Dein Rudolf
Datum: dies ergibt sich aus dem Brief von Mathilde Scholl an Marie v. Sivers vom
27.2.1912 aus Wien. Sie war zur Unterstiitzung der Arbeit nach Osterreich
gegangen, gab zuerst in Graz, dann in Wien Kurse, fiihlte sich aber elend und
verlassen.
105 An Rudolf Steiner in Berlin
ca. Montag, 4. Marz 1912
Briefkopf: Miinchen, Adalbertstr. 55
Mieta Waller teilt mir mit, dass dies Nudelchen, Frau Vollrath sich
bei uns einzuschleichen versucht. «Eine Nudel» war der Ausdruck,
den Frau Wolfram fur sie brauchte und ich glaube, er ist sehr tref-
fend. Sie weifi schon, womit sie die Manner riihrt und sich ein-
degelt. (Martyrertum und Scheinheiligkeit, die unfehlbaren Mit-
tel!). Ich wiirde nun, wenn ich nur wiisste, dass E. nichts Gegen-
teiliges anbefohlen hat, nach Berlin mitteilen, dass solange ich
2. Vorsitzende des Besant-Zweiges bin, sie nicht iiber die Schwelle
der Loge darf. Sie soli ihre Kiinste anderswo betreiben. - Wenn wir
die Biicher von Vollrath nicht fiihren, durfen wir auch seine Ehe-
halfte nicht protegieren. Ich hoffe, dass E. sich nicht hat rumkrie-
gen lassen und ihr schon seinen Schutz hat angedeihen lassen und
wiirde das gern erfahren.
Frau Vollrath: Clara Vollrath, geb. Ortlepp, Frau von Hugo Vollrath, der 1908
aus der deutschen Sektion ausgeschlossen wurde. - Inzwischen von Vollrath
geschieden, fand sie im Juni 1920 als Frau Alwes in Breslau wieder den Weg in die
anthroposophische Gesellschaft.
eindegeln: Osterreichisch-suddeutscher Dialektausdruck fiir «einschmeicheln».
Die folgenden Briefe beriihren die Schwierigkeiten, die in zunehmendem
Ma£e seit etwa 1909 dadurch entstanden, dass die bekanntermafien ebenso
stolze wie ehrgeizige Prasidentin Annie Besant ihre Autoritat in der T.G.
durch Rudolf Steiners Tatigkeit gefahrdet sah, obwohl er sich in men-
schen-moglichster Weise ihr gegeniiber loyal verhielt. Dazu beigetragen
hat, neben dem starken Wachstum der deutschen Sektion, sicher auch die
Tatsache, dass viele Mitglieder aus anderen europaischen Landern nach
Deutschland kamen, um seine Vortrage zu horen, sogar in die deutsche
Esoterische Schule wechselten, und dass er gebeten wurde, auch in ihren
Landern vorzutragen. - 1909 «entdeckte» C. W. Leadbeater, die graue
Eminenz hinter A. Besant, den Hindu-Knaben Krishnamurti und lieft fiir
ihn den Orden «Stern des Ostens» griinden, in dem die zu erwartende
Wiederkehr des Weltheilandes propagiert wurde, und den Edouard Schure
fiir «die Antwort Adyars auf die Wiedergeburt der christlichen Esoterik
im Abendland» hielt (GA 264). Jedenfalls wurde er zum Instrument, um
Rudolf Steiner loszuwerden. Dann mehrten sich tendenziose abfallige
Bemerkungen A. Besants in den theosophischen Zeitschriften iiber die
Arbeit und Lehre in der deutschen Sektion, bis hin zu unwahren Behaup-
tungen. - Ende 1910 versuchte sie, allerdings vergeblich, durch einen
Handstreich die schweizerischen Logen aus der deutschen Sektion heraus-
zulosen: Durch eine kleine Gruppe von Mitgliedern in Genf, die zur
franzosischen Sektion gehorten, wurde eine Schweizer Sektion hinter dem
Riicken der existierenden 5 deutsch-sprechenden Zweige organisiert, mit
einer Verfassung, die die Vorherrschaft der kiinstlichen 7 Genfer Zweige
auf alle Zeiten sichern sollte. Und dann wurde von jenen 5 Zweigen
verlangt, sich der neuen Sektion anzuschliefien, was diese aber strikt
ablehnten; allenfalls waren sie bereit eine zweite Schweizer Sektion zu
bilden. (Es war in der Theosophischen Gesellschaft Usus, dass Vortrage im
Rahmen der T.G. im Ausland nur mit Genehmigung des zustandigen
Generalsekretars gehalten werden durften. Ware das Manover gegliickt, so
hatte die Genfer Leitung die Tatigkeit Rudolf Steiners in der Schweiz
blockieren konnen.) - SchlielSlich begann A. Besant 1911 durch Hiibbe-
Schleiden, ihren Vertreter fiir den Sternen-Orden, und einen gewissen
Cordes in Deutschland eine feindliche Opposition gegen Rudolf Steiners
Tatigkeit zu organisieren, begleitet von endlosen Lippenbekenntnissen zu
Toleranz, briiderlicher Liebe und Freiheit der Lehre. Zu all dem schwieg
Rudolf Steiner konsequent so lange es irgend ging, versuchte nur in
wenigen Briefen an A. Besant falsche Behauptungen richtig zu stellen,
anscheinend anfanglich in dem Glauben, dass dies etwas mitzen konnte.
Als das Mafi voll war, beschloss der Vorstand der deutschen Sektion -
ohne Rudolf Steiner - am 8. Dezember 1912 vom General-Rat der T.G.
den Riicktritt der Prasidentin wegen Amtsmissbrauches offiziell zu verlan-
gen. Die Intitiative zu einem «augenblicklichen Protestieren gegen die Art
und Weise, wie die Prasidentin unserer Arbeit entgegenwirkt» ging nicht
von Rudolf Steiner, sondern von Mathilde Scholl aus. Die Antwort darauf
war der Ausschluss der deutschen Sektion, der drittgrofiten nach Indien
und Amerika, aus der Theosophischen Gesellschaft Ende Dezember 1912,
ohne dass auf die Beschwerden eingetreten wurde.
106 An Marie von Sivers in Munchen
Donnerstag, 7. Marz 1912, aus Berlin
M. 1. M. Telegramme und Brief sind angekommen; das gestrige
Telegramm war mir gar nicht ganz recht, denn es meldet von einer
neuerlichen Anschwellung, die mir eigentlich nicht recht begreif-
Kch ist. Bis jetzt habe ich vor, Dienstag vormittag in Munchen
einzutreffen und unsere Uberfuhrung nach Berlin am Mittwoch
abends zu bewirken. Und sicher wird es das beste sein, wenn wir
die Sache so machen konnen. Es blieb mir nun doch leider nicht die
Zeit, in diesen Tagen in Berlin den projektierten Brief an Mrs.
Besant zu fabrizieren, den ich Dir zur Ubersetzung habe schicken
wollen. Hoffentlich kann ich ihn in den nachsten Tagen machen.
Notwendig ist es schon sehr. Denn wenn nicht irgend «etwas ge-
schieht», und ware es auch nur die Klarstellung durch einen Brief,
so kommen wir aus der Dreherei um einen Punkt, der noch dazu
keiner ist, nicht hinaus. Ich kann iiberall nichts sehen als die reinste
Rede-Dreherei mit aller Anlage zur Ausartung der Sache in per-
sonliche Balgereien.
Gestern hatten wir hier F.M. zu Gunther Wagners Geburtstag.
Es wurde eine merkwiirdige Sache, wie wir sie noch nie hatten.
Wagners italienische Tochter und Frau Knoch waren auch dabei.
Beztiglich der erstern sagte ich sowohl Wagner wie der Tochter
selbst, dass die Zulassung zu diesem Feste auf keinen Fall verbind-
lich macht zu weitern Zulassungen zu unsern F.M. Versammlungen.
Beziiglich der Vollrath-Frau gab es gar keine Moglichkeit, sich
den Fall weiter zu iiberlegen. Ich habe stets scharf betont, dass zu
Zweigversammlungen, an denen ich spreche, alle in die T.G. einge-
schriebenen Mitglieder zugelassen werden. Vollrath-Frau ist Mit-
glied: also konnte sie nicht abgewiesen werden. Sie kann es natiir-
lich stets bei Logenversammlungen an alien Orten, in denen ich
nicht spreche. Das ist wieder ganz selbstverstandlich. Ich liefi des-
halb der Vollrath-Frau auf eine Anfrage, die sie per Rohrpostbrief
getan hat, schreiben: aus dem Grunde, weil es einmal Prinzip ge-
worden ist, keine Mitglieder abzuweisen, wenn ich in einer Loge
spreche, konnen wir sie nicht abweisen. Eine solche Formulierung
fur eine Einladung und nicht fur eine Abweisung zu halten, steht
ganz im Takte des Empfangers. Die Vollrath-Frau aber - kam. So
war also nichts zu machen. Dass wir uns so verhalten, halte ich
aber nebenbei auch noch fur gut. M. 1. M., wir haben wahrhaftig
schon genug mit dem einen Fall Vollrath. Ich sehe gar nicht ein,
warum wir auf uns auch nur den Schein des Unrechts haften
machen sollen. Frau Wolfram fand zuerst die Vollrath-Frau als ein
treffliches Mitglied, gerade so wie den Miiller. Dann nannte sie sie
«Nudel». Das mag alles sein. Aber es ist auch noch manches andre.
Und wir haben keinen Grund, uns just als die Hausknechte der
T.G. verschreien zu lassen. Ich bin mir ganz klar, wenn ich Dir
auch noch den Unfug im «Fall Miiller» auseinandersetze und man-
ches andre, was damit zusammenhangt, Du nicht mehr sagen wirst,
ich sei schwach geworden der Anforderung der Vollrath-Frau ge-
geniiber, sondern einsehen wirst, dass es starker ist, ein Prinzip in
einem solchen Fall (man braucht dabei kein Prinzipienreiter zu
sein) nicht zu durchbrechen, als in jedem einzelnen Fall, sich ein
besondres Urteil zu bilden fur eine Handlungsweise.
Nun kann ich nicht weiter schreiben; ich muss packen, heute
Donnerstag 10 Uhr muss ich nach Mannheim abfahren, da dort
morgen der offentliche Vortrag ist. So muss ich denn den ganzen
Tag den gar nicht leichten Pfarrer haben.
Allerherzlichst Rdlf.
projektierte Brief an Mrs. Besant: Als Antwort auf deren Briefe vom 4. und 25.
Januar 1912 aus Indien. Der Brief kam aber erst am 30. Marz zustande.
F.M. zu Giinther Wagners Geburtstag: er war am 6. Marz 70 Jahre alt geworden.
Wagners italienische Tochter: Gretchen Boggiani (geb. 1877), Mitglied in der
italienischen Sektion der T.G.
Frau Knock: Ida Knoch, geb. Wagner (1871-1946), Mitglied seit Marz 1906 in
Hannover.
Vollrath-Frau ist Mitglied: Sie war aber 1910 aus den Listen der Sektion gestri-
chen worden, was Rudolf Steiner anscheinend nicht wusste.
MUller: Curt Richard Miiller, Mitglied in Leipzig seit Mai 1911, stellte im
Dezember 1911 einen Antrag auf Wiederaufnahme von Hugo Vollrath, 1912 aus
der Sektion ausgetreten.
den gar nicht leichten Pfarrer: Paul Klein (1871-1957), Mitglied seit Mai 1910,
Vorsitzender des im Februar 1908 gegriindeten Mannheimer Zweiges. Siehe
«Beitrage zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr. 120.
107 Entwurf Rudolf Steiners fur ein Testament von Marie von Sivers,
10. Juli 1912.
Letztwillige Bestimmung
Hierdurch erklare ich durch meine eigenhandige Unterschrift, dass
nach meinem Tode alle Eigentums- und Besitzrechte auf den auf
meinen Namen gerichtlich eingetragenen Philosophisch-Theosophi-
schen Verlag, Berlin W Motzstrafie 17 an Dr. Rudolf Steiner, wohn-
haft Berlin W Motzstrafte 17 iibergehen sollen.
Geschrieben Miinchen 10. Juli 1912
108 An Rudolf Steiner in Miinchen
Dienstag, 26. November 1912, aus Berlin
Dienstag
Lieber E.
Hier die Post, - den Bericht hast Du wohl noch nicht schreiben
konnen; - Scholl hat aber alles iibrige erhalten. Vielleicht ist es
besser, dass Du noch den Freitag fur Audienzen in Miinchen zu-
gibst, als Dich in diesen Tagen so sehr abzuhetzen. Ich sehe schon
im Geiste die Bausitzungen, die Peiperskranken-Sitzungen und alle
Angereisten, und mache mich deshalb darauf gefasst, dass Du erst
Sonnabend friih hier bist. Sag nur bitte dem Polman-Mooy, wenn
er wieder fragt, dass ich keine Arbeit fur ihn habe, - aufier, wenn
er tippen will und im Lesezimmer sitzen. Viele Griifie an Sophie,
Pauline und Oda.
In Gedanken stets bei Dir M.
Bericht: Fur die Nr. XIV der Scholl-Mitteilungen, Dezember 1912.
Bausitzungen: Sitzungen des Johannes-Bau-Vereins.
Peiperskranken: Dr. Felix Peipers hatte in Miinchen eine Klinik eingerichtet und
bat Rudolf Steiner um Rat bei der Behandlung seiner Patienten.
Polman-Mooy: J. Polman-Mooy, Bankier, im Februar 1909 aus der hollandischen
Sektion in den Berliner Zweig iibergetreten.
Sophie, Pauline und Oda: Sophie Stinde, Grafin Kalckreuth, Oda Waller.
Oda Waller (gest. 1913), Schwester von Mieta Waller, seit Oktober 1910 Mitglied
im Berliner Zweig.
109 An Marie von Sivers in Berlin
Donnertag, 28. November 1912, aus Miinchen
Beifolgend den Bericht-Schluss fur die «Mitteilungen». Diese Nacht
habe ich ihn fertig geschrieben. Es ist furchtbar, diese Dinge immer
wieder in Gedanken walzen zu miissen.
Penzig schreibt einen Brief: wahrhaft Schulbeispiel, wie diese
«oriental. Methode(!)» selbst einen Prof, um die Moglichkeit brin-
gen kann, Satze seiner Muttersprache auch nur zu lesen.
Briefe, die Hiibbe-Schleiden an Sellin und Deinhard geschrieben
hat, ubersteigen selbst das noch alles, was er bisher geleistet hat.
Hier ist so ziemlich alles in heller Aufregung iiber die Dinge,
welche ich am Dienstag im Zweige gleichlautend mit den Berliner-,
Hamburger- und Hannovrischen Mitteilungen gemacht habe.
Heut abend scheint es wohl recht bewegt zu werden!
Herzlichst Rdf.
Ankomme ich Sonnabend morgens.
Bericht-Schluss fur die « Mitteilungen »: «Ein Brief Mrs. Besant's und Dr. Steiners
Erwiderung darauf» in Scholl-Mitteilungen Nr. XIV, Dezember 1912. Es ist dies
Rudolf Steiners erste quasi offentliche schriftliche Stellungnahme zu den Angrif-
fen A. Besants.
Es ist furchtbar, diese Dinge immer wieder: Mit Datum 14. November 1912 hatte
er dies schon einmal gegeniiber den Mitgliedern des General-Rats tun miissen, als
Antwort auf eine an den Rat gerichtete Anklageschrift von A. Besant.
Penzig schreibt einen Brief: Otto Penzig aus Deutschland, Professor fur Botanik
an der Universitat Genua, Generalsekretar fur Italien und damit Mitglied des
General-Rats, antwortete am 23. November auf Rudolf Steiners Schreiben vom
14. November, siehe Nr. XV der Scholl-Mitteilungen, Januar 1913.
Berliner etc. Mitteilungen: Sind nicht mitgeschrieben worden, werden aber doch
wohl z. T. den Inhalt der «Erwiderung» in den Scholl-Mitteilungen wiedergege-
ben haben.
109a Marie von Sivers an Anna Wager Gunnarsson, Norrkoping
Montag, 9. Dezember 1912
9/XII 1912
Liebe Frau Gunnarsson,
ich hatte Ihnen gar zu gern schon friiher geschrieben, - da Ihr Brief
aber einiges Eingehen verlangte, musste ich ihn zunachst zu den
Akten legen, und leider ist er dort zu lange verblieben. Man hofft
immer auf bessere Zeit, hofft, dass man einige ungestorte Augen-
blicke zur Verfiigung haben wird; aber die kommen nicht, beson-
ders wenn man nach vielmonatlicher Abwesenheit zur Winterar-
beit nach Berlin ZUruckkehrt. [... Antwort auf die Fragen des Brief es]
Gestern abend sind die Regeln und Aufnahmegesuche der an-
throp. Ges. niedergeschrieben worden und sollen morgen in den
Druck gehen, - sie warteten heute nur noch auf das Siegel. Es ist
alles kurz und pragnant, - wir werden die alte Arbeit in derselben
Weise fortsetzen, auch nachdem man uns «cancelled» haben wird.
Was vermutlich zur «convention» in Adyar geschieht. Vom 28.
Dez. bis zum 2. Januar wird Dr. St. einen Kursus in Coin halten
iiber «die Bhagavad Ghita und die Epistel St. Pauli» fur die Mit-
glieder der Anthropos. Ges. - Dass der Dr. nicht mehr General-
sekretar sein wiirde und ahnliche Dinge sind Phantasien, die sich an
seine letzten ernste Worte in Miinchen kniipfen. Diese hat man in
verschiedener Weise gedeutet.
Wir haben schwere Zeiten hinter uns. Die Einsicht, dass die
Hypnose und der Rausch, in dem sich die Anhanger Mrs. Besants
befinden, immer wachsen, - die Infamie im Vorgehen der Helfers-
helfer, die sie sich hier hereingesetzt hat, - das Greifbare ihrer
Absicht unsere Arbeit hier zu zerstoren, ohne irgendein Mittel zu
scheuen, das Groteske in der Unlogik und den Widerspriichen, in
die sie wie blind hineinlauft, hatte etwas Erdriickendes. Frl. Scholl
und ich haben uns der Arbeit unterzogen, das Beweismaterial zu
sammeln und zu ordnen. Dr. St. musste leider so viel Kraft hin-
geben, um die von ihm verlangte Entgegnung zu geben. Es ist ihm
nichts grasslicher, als sich mit einem solchen Zeug zu befassen.
Aber Mrs. Besant hat ihm nicht erlaubt, sie durch Schweigen zu
schonen und nun werden wir mit dem notigen Nachdruck reden.
Wir hatten Sonntag eine aufterordentliche Vorstandssitzung und
konnten auf Grund alles vorhandenen Materials zu keinem anderen
Resultat kommen, als dass wir die Prasidentin fur unfahig erklaren
rmissten, ihren Posten zu erfullen, und ihr Zuriicktreten verlangen.
Dieses werden wir in einem langen mit alien Vorstandsnamen ver-
sehenen Telegramm dem General Council und der Convention
melden.
Herr Ortengren wird, wenn er wiinscht, aufgenommen werden
[in die F.M.]. Herr Danielson miisste wohl zunachst E.S. werden.
Die Weihnachtsvortrage konnen Sie auch an Mitglieder verkau-
fen. Nur nicht der Offentlichkeit preisgeben.
Fiir heute schliefie ich, damit der Brief nicht liegen bleibt. Viel
herzl. Grufie an Sie und Herrn Danielson.
Ihre ergeb. M. Sivers
Gunnarsson: Anna Gunnarsson, geb. Wager (1873-1957), geboren in Norwegen,
aufgewachsen in Schweden, 1904 Mitglied der T.G. in Sundsvall, 1909 esoterische
Schiilerin Rudolf Steiners, 1913 im Vorstand der Schwedischen Abteilung der
Anthroposophischen Gesellschaft. Arbeitete seit September 1912 in Norrkoping
an einer von Frau Frida Danielson (gest. Januar 1912), begonnenen Ubersetzung
der «Pforte der Einweihung» ins Schwedische und wandte sich mit Fragen dazu
an Marie v. Sivers.
Gestern abend sind die Regeln ... niedergeschrieben warden: Gemeint ist der
«Entwurf der Grundsatze einer Anthroposophischen Gesellschaft», die bis 1923
giiltigen Regeln der Gesellschaft, die Rudolf Steiner also sofort nach der entschei-
denden Vorstandssitzung vom 8. Dezember niedergeschrieben hat.
in einem langen Telegramm: Abgesendet am 11. Dezember.
Herr Ortengren: Helmer Ortengren (gest. 1922), wohnhaft bei Ekestad in
Schonen, Siidschweden, war 1912 zu den Festpielen in Miinchen, im Januar 1913
in die Anthroposophische Gesellschaft iibergetreten, grofiziigiger Spender fiir den
Goetheanumbau.
Danielson: Daniel Danielson (gest. 1940), Gastgeber auf seinem Gut Stathoga bei
Norrkoping fiir Rudolf Steiner und Marie v. Sivers wahrend der Jahresversamm-
lung der Skandinavischen Sektion Ende Mai 1912, bei der Rudolf Steiner die drei
Vortrage iiber «Theosophische Moral» hielt. Ebenfalls im Januar in die Anthro-
posophische Gesellschaft iibergetreten.
1£A
110 An Rudolf Steiner, wahrscheinlich nach Bern
Samstag, 14. (oder 15.) Dezember 1912, aus Berlin
10/XII [!] 1912
L. E.
Heute kam ein Brief von Mrs. Besant, und da bei dem kurzen
Aufenthalt und den von Dir geschilderten osterreichischen Post-
verhaltnissen man dieses wertvolle Dokument nicht der Gefahr des
Verloren-Gehens aussetzen sollte, schicke ich Dir blofi die Ab-
schrift und verwahre das Dokument. Es geht uns gut, bis auf die
Mtidigkeit, aber Frl. Muckers Mutter ist gestorben. Sie teilte es mir
Freitag friih mit. Sie war Donnerstag zur Mittagstunde zuriick-
gekehrt, nachdem sie die Nacht bei der Mutter verbracht hatte und
diese sie selbst am Morgen zuriickgeschickt hatte, weil sie sich
besser fuhlte. Freitag friih aber erhielt Frl. Miicke das Telegramm.
Sie war doch recht gefasst, bat, es Dir mitzuteilen.
Viel Schones und Liebes dem Besten und Edelsten in dieser
Jammerwelt. Nun werden wir bald von der wahrheitsliebenden
Prasidentin herausgesetzt.
Das arme Lugano-infringement! Dabei hat sie selbst bei der
Griindung der Sektion mitgesessen, wo dies infringement begangen
wurde. Lacherlich!
Herzlichsten Grufi M.
Datum: Marie v. Sivers datierte mit 10. Dezember 1912, was jedoch ein Versehen
sein muss, da Rudolf Steiner am 10. und 12. Dezember 1912 in Berlin Vortrage
hielt.
kurzer Aufenthalt. . . osterreichische Postverhaltnisse: Vermutlich war Rudolf Stei-
ner in der Nacht vom 12. zum 13. Dezember 1912 nach Osterreich zum Besuch
seiner Mutter und Geschwister gereist und von da aus nach Bern, wo er am 15.
einen Vortrag hielt und sich mit den dort versammelten Vertretern der Schweizer
Zweige beriet.
Brief von Mrs. Besant: Es ist nicht sicher, worum es sich handelt. Der einzige im
Archiv erhaltene Original-Brief, der hierfur allenfalls in Betracht kame, ist vom
18. 11. 1912 aus Adyar: «Dear Dr. Steiner, Ich erlaube mir, Ihnen mitzuteilen,
dass ich einen Antrag auf Genehmigung der Besant Loge in Berlin erhalten habe.
Ich habe Ihnen bereits die Antrage zweier weiterer Logen in Berlin angezeigt.
Sincerely Annie Besant». Es handelt sich um Logen aufierhalb der deutschen
Sektion, mit direktem Anschluss an Adyar. In diesem Jahr 1912 schossen solche
Mini-Logen plotzlich wie Pilze aus dem Boden, im Falle der neuen Besant Loge
mit den Unterschriften von nur zwei echten Mitgliedern, Alice v. Sonklar und
Adelgunde Dunkhase; die 5 weiteren Mitglieder, die zur Begriindung eines
Zweiges notig waren, gehorten auslandischen Sektionen an.
Inhaltlich besser passen wiirde eine im Archiv vorliegende Abschrift von Marie
v. Sivers' Hand aus dem «Theosophist» fur Dezember 1912. Sie lautet in Uberset-
zung so: «Presidential Notice. Mit grofier Freude teile ich der Theosophischen
Gesellschaft mit, dass eine osterreichische Landesgesellschaft gegriindet worden
ist mit Zentrum in Wien. Herr John Cordes ist zum Generalsekretar gewahlt
worden. Wir haben seit langem gewiinscht, eine Landesgesellschaft in Osterreich
zu sehen. Ungarn und Bohmen haben ihre eigenen Gesellschaften, und wir hoffen
solche auch in Bayern und Sachsen zu bilden. [...] Annie Besant». Trotz dem
Misserfolg in der Schweiz hat A. Besant ihre Operation in Osterreich fortgesetzt:
wieder wurden in Wien 7 Kleinst-Logen und damit eine Sektion gegriindet. Aber
die Logen Wien, Klagenfurt, Linz und Graz, die der deutschen Sektion ange-
schlossen waren, weigerten sich mit Herrn Cordes irgend etwas zu tun zu haben.
(S. Scholl-Mitteilungen Nr. XV, Januar 1913). Durch den Ausschluss der deut-
schen Sektion regelte sich die Sache dann von selbst.
Lugano-infringement: In ihrem Brief vom 25.1.1912 schrieb Annie Besant an
Rudolf Steiner: «The Centre attached to Germany in Lugano is an infringement
of the territory of the Italian Section. [...] Do you think, my dear Brother, that
it is wise to antagonise all the rest of Europe, by these aggressions on National
Societies?*. Lugano war aber einer der zehn Zweige, die 1902 die deutsche
Sektion begrundeten. (<National Society> war der von A. Besant eingefuhrte neue
Name fur das, was vorher <Sektion> genannt wurde.)
Ill An Rudolf Steiner, wahrscheinlich nach Zurich
Montag, 16. Dezember 1912, aus Berlin
16/XII 1912
L. E.
Hast Du meinen Brief in Bern erhalten? Dahin ist einer gesandt
worden. Heute kam etwas «To the General Secretary of the Ger-
man Section» aus England. Was ich offnete - und beantworten
muss. Es ist ihr natiirlich aufgefallen im «Theosophist», dass sie
gesagt haben soil: H.P.B. hatte geschrieben, dass der Christus im
Fleische nicht wiederkommen wiirde. Sie verneint, dass sie es ge-
sagt hat, und mochte wissen, wo das steht. Das ist wieder so ein
Beispiel der Folgen von Mrs. Besant's ganzlichem Mangel an Ver-
antwortlichkeitsgefuhl.
Viel herzliche Griifie von M.
Mieta W.[aller] schreibt auch Mordsgeschichten iiber die Schrau-
dolfstr.-Angelegenheiten.
Schraudolfstr.-Angelegenheiten: In der Schraudolfstrafte in Miinchen fiihrte die
Baltin Hariet v. Vacano von ca. 1906 bis Ende 1912 eine vegetarische Pension.
Der Konflikt mit der Zentrale in Adyar beeintrachtigt nicht im geringsten
die Stetigkeit der Arbeit. Die offentlichen Architektenhausvortrage in
Berlin wahrend des Winterhalbjahres werden programmgemafi durchge-
fiihrt, die Berliner Zweigvortrage behandeln kontinuierlich das Thema
«Das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt im Verhaltnis zu
den kosmischen Tatsachen» (GA 141). - Am 2. Februar ist der Ausschluss
der deutschen Sektion vollzogen. Rudolf Steiner schreibt dazu in den
Scholl-Mitteilungen fiir April: «Die Arbeit, welche bisher durch mich in
der deutschen Sektion versucht worden ist, und an welcher auch weitere
Kreise der theosophischen Bewegung teilgenommen haben, ist sachlich
iibergegangen an die <Anthroposophische Gesellscha£t>. In keiner objektiv
in Betracht kommenden Richtung ist die geringste Unterbrechung einge-
treten in diesem Arbeitsversuch, der seit Jahren einen solchen Charakter
tragen wollte, dass durch ihn zum Ausdruck kommen sollte, was nach den
Bedingungen der Gegenwart die theosophische Bewegung sein kann.»
Die Anthroposophische Gesellschaft formiert sich rasch. Bereits in der
April-Nummer der Scholl-Mitteilungen kann eine erste Adress-Liste der
Zweige gedruckt werden. Mit Ausnahme von Dresden I (Ahner) und
Diisseldorf II (Lauweriks) haben sich samtliche Zweige in Deutschland, in
der Schweiz und in Osterreich angeschlossen, dazu kommen noch 36
Zweige in Belgien, Bohmen, Danemark, England, Finnland, Frankreich,
Holland, Italien, Norwegen, Polen, Russland, Schweden, und sogar der
Markus-Zweig in New York. Die Leitung hat der Zentralvorstand inne:
Carl Unger, Michael Bauer, Marie v. Sivers. Rudolf Steiner iibernimmt
kein Verwaltungsamt, er beschrankt sich ganz auf die Lehre und hofft,
dass die Gesellschaft aus sich bestehen kann.
Rudolf Steiner besucht im Laufe des Jahres viele dieser neuen Zweige:
im Marz Den Haag fiir den Zyklus «Welche Bedeutung hat die okkulte
Entwickelung des Menschen fiir seine Hiillen ... und sein Selbst?»
(GA 145), vom 1.-7. Mai halt er Vortrage in London, am 8./9. Mai in Paris,
Ende Mai in Helsinki den Zyklus «Die okkulten Grundlagen der Bhaga-
vad Gita» (GA 146) (zugleich fiir russische Mitglieder), anschliefiend eini-
ge Vortrage in Stockholm.
Wegen endloser Schwierigkeiten, die dem Johannes-Bau Projekt in
Miinchen gemacht werden, wird im Mai beschlossen, das Projekt nach
268
Dornach zu verlegen, und die neuen Plane werden sofort ausgearbeitet.
Juli und August sind wieder den Miinchner Festspielen gewidmet. Zur
Auffiihrung kommt wieder «Der Hiiter der Schwelle», und das neue
Drama «Der Seelen Erwachen» hat am 22. August seine Urauffuhrung. Es
kommen so viele Mitglieder, dass beide Dramen zweimal gespielt werden
miissen. Auch die Vortrage des anschliefienden Zyklus «Die Geheimnisse
der Schwelle» werden zweimal gehalten, morgens und abends (GA 147).
Am 28. August, wahrend des Zyklus, ist die erste Eurythmie-Auffuhrung.
Am 20. September abends findet die feierliche Grundsteinlegung des
Dornacher Baues statt, mit einer Ansprache Rudolf Steiners (in GA 268).
Am 1. Oktober beginnt in Oslo der Zyklus «Aus der Akasha Forschung.
Das funfte Evangelium» (GA 148), daran schlieften sich Vortrage in Ber-
gen und Kopenhagen. Den Abschluss des Jahres bildet in Leipzig der
Zyklus «Christus und die geistige Welt» (GA 149).
Bei der Generalversammlung am 18. Januar 1914 besteht die Gesell-
schaft aus 107 Zweigen (davon 47 in Deutschland) mit 3647 Mitgliedern.
112 An Rudolf Steiner in Wien
Sonntag, 19. Januar 1913, aus Berlin
19/1 1913
Lieber E.
Heute friih kam Frl. Vreede mit einem Briefe ihres Bruders, der die
Adyar-Convention mitgemacht hat. Er enthielt die Nachricht, dass
wir «cancelled» seien, und Frl. Vreede meinte, die offizielle Ankiin-
digung wiirde wohl erst eine Woche spater, mit dem nachsten Schiff
kommen konnen.
Sie diktierte mir folgendermafien den Passus aus dem Brief:
«Eines der wichtigsten Dinge, die die soeben abgelaufene Jahres-
versammlung gebracht hat, ist der Entschluss, die deutsche Sektion
zu <cancel> und das Charter dem Dr. Hiibbe-Schleiden zu tiberge-
ben. AuEer dass dieser Entschluss von dem General Council ge-
fasst ist, ist Mrs. Besant zwei oder drei Tage nachher mit einer
Beschuldigung gekommen, die nichts mehr oder weniger enthalt,
als dass Dr. Steiner unter dem Einfluss der Jesuiten stehe.»
Ich hoffe nun, dass dieses offizielle Dokument wirklich mit dem
nachsten Schiff eintrifft, damit wir nicht brauchen die 11. theoso-
phische Generalversammlung abzuhalten, und uns auf die anthro-
posophische beschranken konnen. In jedem Falle, da man nicht
wissen kann, ob sie uns nicht zuerst noch zanken lassen wollen,
mochte ich doch noch eine Sache ausfiihren, die wir gestern mit
Frl. Scholl besprachen, namlich ein Rundschreiben an den Vor-
stand richten, durch welches den Sternbiindlern, vor allem ihrem
Reprasentanten Dr. Hiibbe-Schleiden nochmals erklart wird, dass
sie keinen Zutritt zur Generalversammlung haben. Was meinst
Du dariiber?
Die Adresse des Logenlokals in Graz ist «Albergasse 12, Par-
terre». (Der erste Buchstabe A ist sehr unleserlich, konnte auch U
sein.) Frl. Milek wohnt in der Goldenen Birne.
Der Saal in Klagenfurt ist mir nicht genannt.
Viel Allerherzlichstes. Werd nur nicht noch diinner. Marie
Die Wiener werden wohl wieder urn den Kursus bitten zu Ostern.
Es ware zu bedenken, ob nicht doch nach der «Cancel»ung Hol-
land wichtig ware, da dort so viele zu uns streben. Frau Vreede
bittet so sehr und sagt, Ostern sei die einzig mogliche Zeit, weil
dann die Menschen frei sind.
Aufterdem ware es vielleicht wichtig, die Gemuter in Stuttgart doch
wieder zur Ordnung zu bringen?
Frl Vreede: Dr. Elisabeth Vreede (1879-1943), Mitglied der T.G. in Holland seit
1902. Von 1914 an Mitarbeiterin am Goetheanum, wo sie 1919 das Vortragsarchiv
einrichtete. 1920 Griindungsmitglied und spater Sekretarin des Zweiges am Goe-
theanum, 1922-1923 im engeren Arbeitsausschuss des Goetheanums, von Weih-
nachten 1923 bis 1935 im Griindungsvorstand der Allgemeinen Anthroposophi-
schen Gesellschaft und Leiterin der mathematisch-astronomischen Sektion.
Adyar- Convention: Jahresversammlung der Theosophical Society in Adyar Ende
Dezember 1912 mit dem Beschluss, «to cancel the charter of the German Section»,
d. h. die Stiftungsurkunde der deutschen Sektion zu annullieren.
Einfluss der Jesuiten: Gemafi dem offiziellen Bericht im «General Report» fur
1912 liber die Jahresversammlung sagte A. Besant in ihrer vorher niedergeschrie-
benen Eroffnungsansprache am 27. Dezember 1912 mittags (die auch im «Adyar
Bulletin*, Januar 1913, abgedruckt ist): «The German General Secretary, educated
by the Jesuits, has not been able to shake himself sufficiently clear of that fatal
influence to allow liberty of opinion within his section. [...] The only thing left
for me to do, as President, in face of this unprecedented outrage of opinion within
the T.S., is to cancel the charter of the National Society in Germany. » Nachdem
dieser Beschluss der Prasidentin durch ihren General-Rat am Vormittag des
selben Tages mit alien gegen eine Stimme ratifiziert wurde, war der Ausschluss
der deutschen Sektion so gut wie geschehen.
Rudolf Steiner fiigte nach Verlesung dieses Wortlautes bei der Versammlung in
Berlin am 2. Februar 1913 noch an: «... Unwahrer kann kaum ein Vorwurf
ausgesprochen werden, der doch geeignet ist, in Deutschland und auch in anderen
Gegenden eine Rolle zu spielen, wenn man uns verdachtigen will. Weil das so ist,
und da sich hier wirklich Sachliches mit Personlichem verkniipft, so frage ich jetzt
bei Ihnen um etwas an. Ich kann jetzt nicht alles mitteilen, das Ihnen zeigen
konnte, wie aus der Luft gegriffen, wie unwahr und toricht dieser Vorwurf ist. Ich
frage Sie, ob Sie anhoren wollen in den nachsten Tagen eine kurze Skizze, einen
kurzen Auszug meines Lebensweges? Ich kann Ihnen nicht auf eine andere Weise
den Beweis liefern, wie toricht und unwahr eine solche Behauptung von Mrs.
Besant ist. Ich mochte Ihnen aber auch nicht diesen Bericht aufdrangen, deshalb
bitte ich Sie mir zu sagen, ob Sie zu einer geeigneteren Zeit in diesen Tagen
anhoren wollen meine so kurz wie moglich zusammengedrangten Memoiren?»
Rudolf Steiner sprach zwei Tage darauf, am 4. Februar 1913 iiber seinen Lebens-
gang, abgedruckt in «Briefe I», Dornach 1948 und 1955, sowie in «Beitrage zu
Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr. 83/84, Ostern 1984.
Rundschreiben ... durch welches den Sternbiindlern ... nochmals erkldrt wird, dass
sie keinen Zutritt zur Generalversammlung haben: Schon am 8. Dezember 1912
hatte der Vorstand der deutschen Sektion den Beschluss gefasst, «die Zugehorig-
keit zum Orden des Star of the East (Stern des Ostens) als unvereinbar mit der
Mitgliedschaft der Theosophischen Gesellschaft» zu betrachten (abgedruckt in
Nr. XV der Scholl-Mitteilungen), nochmals verlesen bei der als Generalversamm-
lung einberufenen Versammlung am 2. Februar 1913, in welcher Rudolf Steiner
noch folgendes ausfiihrte: «Es muss schon einmal betont werden, dass wir ja vor
der Tatsache standen, aus spirituellen Reinlichkeitsgninden eine Bewegung nicht
mitmachen zu konnen, wie etwa die Krishnamurti-Bewegung. Und den Stern des
Ostens muss man schon so betrachten, dass, da ein kleiner Junge als Vorstand
dieses Sternes des Ostens figuriert, wir uns, wenn wir mit diesem Stern des Ostens
etwas zu tun haben wollten, an der gegenwartigen Geistesstromung unserer Zeit
versiindigen wiirden. Der Vater der beiden Jungen hat einen Prozess gegen Mrs.
Besant angestrengt, um seine Sonne wieder zu bekommen. Derjenige, der weifi,
um welche Dinge es sich handelt, und der aus seinem Wahrheitsgefuhl heraus
nichts zu tun haben darf mit dem, was sich betitelt <Stern des Ostens>, der darf
auch einfach sagen in einem solchen Falle: Es werden unsinnige Forderungen
direkt zu unmoglichen Forderungen. Denn ich mochte kennen den Menschen, der
ohne Verblendung die ganze Krishnamurti-Affare ernsthaft gepriift hat, und dann
noch Mitglied dieses Sterns des Ostens sein kann. Dass man diesen Bund dulden
konne in einer Wahrheit suchenden Gesellschaft, ist unmoglich. Unmoglich ist
aber auch, wenn man in diesem Falle noch spricht von Toleranz oder ahnlichem.»
(Scholl-Mitteilungen Marz 1913, Nr. I erster Teil.)
Frau Vreede: Jacoba Elisabeth Vreede-Schill, Mitglied der T.G. in Holland, 1913
Leiterin des Zweiges Den Haag in der Anthroposophischen Gesellschaft, spater
lebte sie bei ihrer Tochter Elisabeth in Dornach.
113 An Marie von Sivers in Berlin
Sonntag, 26. Januar 1913
Linz, 26. Januar 1913
M. 1. M. Einen herzlichen Gruft sende ich Dir voraus; die Zeit war
wirklich recht besetzt.
Nach Erhalt Deines Briefes gestern in Klagenfurt setzte ich mich
auch noch telephonisch in Verbindung mit dem Hotel de France in
Wien. Es ist dort ein Brief nach meiner Abreise (eingeschrieben)
angekommen; es war - wie ich dem Couvert entnehme - der von der
Kellenberg; dieser ist richtig nach Klagenfurt nachgeschickt und von
mir erhalten worden. Dann habe ich noch in Klagenfurt den Ein-
schreibebrief von Dr. Bachem (dies ganz verdrehte Zeug) erhalten -
weiter aber, aufter Deinen Nachsendebriefen nichts. Die letztern
aber sind alle - so weit ich sehe - richtig angekommen. Die Hotels
waren alle gut verstandigt und auch - gut betrinkgeldt - fiir meine
weiteren Adressen. Und ich glaube nicht, dass da irgendeine Unre-
gelmafiigkeit vorgekommen sein kann. Sollte also wirklich noch ein
dritter Einschreibebrief nachgeschickt worden sein und sollte dies
der von Adyar sein, so miisste er ja allerdings durch irgend welche
Umstande bis jetzt nicht in meine Hande gelangt sein. Der am Mon-
tag nach Wien nachgeschickte war es aber nicht; denn der ist — wie
gesagt - nach dem telefonischen Gesprach und auch nach den Noti-
zen am Couvert der nach Klagenfurt nachgekommene. Es ware nun
notwendig, von Frl. Lehmann zu erfahren, ob wirklich zwei Briefe
(eingeschrieben) nach Hotel Moser nachgeschickt worden sind.
Machen konnen wir nichts, bevor wir den offiziellen Brief von
Adyar haben. Denn was wir zu machen haben, das hangt ganz von
dem Wortlaute ab. Und meiner Vermutung nach wird der Wort-
laut sehr verschmitzt sein. Selbst fur die Gestaltung der General-
versammlung hangt alles von dem Wortlaute ab. Denn wie, wenn
der aufiere Wortlaut dem von Adyar ernannten General-Sekretar
das Recht gibt, schon diese Generalversammlung zu fiihren? Wie,
wenn die Entziehung des Charters an verschmitzte Bedingungen
gekniipft ist? Jedenfalls wird notwendig sein, dass falls der Brief
von Adyar eintrifft: er mir sorgfaltig aufgehoben werde, wenn er
nach Erhalt dieses Briefes noch eintrifft. Denn sonst konnte es
geschehen, dass der Brief noch in der Welt herumwandert, wenn
ich in Berlin schon angekommen bin und dort vielleicht gleich die
entsprechenden MafSnahmen treffen miisste.
Gegen die Absendung des Vorstandbriefes an Dr. Hiibbe-Schlei-
den habe ich nichts; mein Name braucht auch darauf nicht zu sein.
Aber 1. M. beachte, dass alles, was beziiglich der General-Ver-
sammlung zu tun ist, ganz nach dem Wortlaut des Adyar-Briefes
getan werden muss. Von uns ist richtig, dass wir bis zur Ankunft
des Wortlautes die Cancellung ignorieren. Dann nach Ankunft
muss naturlich moghchst schnell das Richtige gemacht werden.
Dass ich ftir das beste halte, Ostern auf Holland zu verwenden,
habe ich schon telegraphiert. - Auch Deine Sendung hieher nach
Erzherzog Carl habe ich schon erhalten.
In Prag bleibt es bei «Hotel zum blauen Stern». Leider hast Du
mir Fanta's Adresse nicht geschickt. Ich kann also dorthin mich
nicht ankiindigen. Ich muss von hier Dienstag friih 9 Uhr 9 abfah-
ren und bin dann 2 Uhr 35 Nachmittag in Prag.
Die Altmann-Sendung des Collins-Buches bitte ich in Berlin
liegen zu lassen, bis ich zuruckkomme.
Es hat sich auf dieser Reise ja so mancherlei ergeben; doch lasst
sich dieses alles nicht gut jetzt in der Geschwindigkeit schreiben.
So fange ich lieber gar nicht an, sondern verspare mir die Mit-
teilung fur die Ankunft.
Ich sende m. 1. M. nochmals herzlichsten Grufi Rdlf.
Mittag Sonntag 1 V4 Uhr. Linz, Hotel Erzherzog Carl.
Kellenberg: Lina Kellenberg-Gerber (gest. 1918), Mitglied in Bern seit Oktober
1907.
Einschreibebrief von Dr. Bachem: Max Bachem (gest. 1944), praktischer Arzt in
Frankfurt, Mitglied seit 1910, ab 1911 zweiter Vorsitzender des dortigen Zweiges.
Er verlangte eine Entschadigung seitens der deutschen Sektion fur einen Schaden,
der ihm durch Beteiligung an einer wirtschaftlichen Griindung einer Theosophin
entstanden war. - Vgl. Scholl-Mitteilungen, Marz 1913, Nr. I, erster Teil.
Selbstfiir die Gestaltung der Generalversammlung htingt alles von dem Wortlaute
ab: Der offizielle Brief Annie Besants an Rudolf Steiner, datiert 14. Januar 1913
aus Adyar, durch den der Charter (Griindungscharta) der deutschen Sektion
zuriickgezogen wurde, traf in Berlin am 1. Februar ein. Er hatte die Form eines
Ultimatums, das in einem Antwortbrief zuriickgewiesen wurde, der am 1. Februar
in einer Sitzung des Vorstandes der Sektion formuliert und am nachsten Tag von
der auf den 2. Februar einberufenen Generalversammlung mit alien gegen zwei
Stimmen ratifiziert wurde. Darin heilk es: «Niemals hat die Deutsche Sektion, ihr
Vorstand oder Generals ekretar in irgendeiner Weise die Konstitution der Theo-
sophischen Gesellschaft verletzt. [...] Die Deutsche Sektion hat nichts zu wider-
rufen und nichts zuriickzunehmen. Es bleibt ihr daher nichts anderes iibrig, als
die ihr von Frau Besant gestellte Alternative als einen Akt des Ausschlusses zu
betrachten, der nur deshalb vollzogen wurde, weil die Deutsche Sektion es
unternommen hat, fur Wahrheit und Wahrhaftigkeit [in] der Theosophischen
Gesellschaft einzutreten.» (Scholl-Mitteilungen, Koln, Marz 1913, Nr. 1/1).
Vorstandsbrief an Dr. Hiibbe-Schleiden: Mit Brief vom 21. Januar 1913 des
Vorstandes der deutschen Sektion wurde W. Hiibbe-Schleiden als nationalem
Vertreter vom Orden des Sterns im Osten der Zutritt zur XL Generalversamm-
lung am 2. Februar untersagt.
Ostern auf Holland zu verwenden: Kursus von 10 Vortragen in Den Haag
«Welche Bedeutung hat die okkulte Entwicklung des Menschen fur seine Hiillen
(physischen Leib, Atherleib, Astralleib) und sein Selbst?» (GA 145).
Fanta: Max Fanta und seine Frau Berta, geb. Sohr (1866-1918), in Prag, traten im
Marz 1912 mit vielen anderen aus der tschechischen Sektion in den Berliner Zweig
iiber. Im Herbst 1912 griindeten die Prager den Bolzano Zweig fur die anthropo-
sophische Gesellschaft, mit Berta Fanta als Vorsitzende. Siehe «Beitrage ...»
Nr. 109, «Rudolf Steiner in Prag».
Altmann-Sendung des Collins- Buches: Mabel Collins schrieb zahlreiche Werke.
Es liefi sich nicht feststellen, welches hier gemeint ist.
113a Marie von Sivers an Mieta Waller in Mannheim
Montag, 24. Februar 1913, aus Berlin
24/11 1913
Liebe Mieta,
vielen Dank, dass Du Dich entschlossen hast zu reisen. Es war
wirklich aus den bekannten zwei Griinden fur mich keine Moglich-
keit. Die Arbeit konnte absolut nicht bewaltigt werden, und es
ware alles ins Stocken geraten, wenn ich gefahren ware, - aber auch
die tagliche Aufsicht ist jetzt dringend notig nach den verschieden-
sten Richtungen. Die Gesundheit hatte es mir auch nicht erlaubt
und hatte nur zu einer Erschwerung des Dr.'s gefuhrt. Sonnabend
hatte ich eine furchtbare Migrane und musste liegen bleiben. Und
das hatte sich wiederholt bei den Strapazen.
Der Dr. will nun keineswegs im Automobil nach anderen Stad-
ten fahren; das findet er viel anstrengender. Du musstest also dies
ganz dezidiert ablehnen, falls Frau Rochling es anbote, und in den
Hotels warme Zimmer bestellen und fiir das Essen sorgen. Doch
wird es vielleicht gar nicht angeboten werden. Pfarrers hatten nur
mich so freundlich eingeladen zu bleiben, - so zog ich auch die
andere Moglichkeit in Betracht.
Es kam auch ein sehr freundliches Telegramm von Frau Pfarrer,
wo sie Dich willkommen hiefi. Ich hoffe nur, ich habe nicht ge-
krankt, indem ich um mdfiige Warme in den Ofen des Dr.'s bat.
Ich musste das noch in aller Eile schreiben, weil ich mich erinnerte,
wie Frau Kinkels Beschreibungen von der fiir den Dr. notigen
Hitze manchmal zu Glutaufwand gefuhrt hatte. Und fiihlte mich
dabei ungeschickt. Hoffentlich erlebst Du auch viel Schones auf
dieser Reise und harrst bis zum Ende aus.
Wie schon, dass Oda noch munter sein kann bei ihrer Schwache.
Jetzt wird ihr auch die Aussicht auf Sonne - Sonne in die Seele
giefien.
Grii£e und danke auch noch in meinem Namen Pfarrers und
griilSe den Dr.
Viel Liebes von Marie
zu reisen: Auf dieser Reise vom 16. Februar bis zum 3. Marz durch Siiddeutsch-
land hatte Mieta Waller an Stelle von Marie v. Sivers die Reisebetreuung iiber-
nommen.
Fran Rocbling: Helene Rochling, geb. Lanz (1866-1945), Mitglied in Mannheim
seit Mai 1910, sehr verbunden mit Rudolf und Marie Steiner leistete sie der
anthroposophischen Bewegung und dem Goetheanum-Bau grofie Hilfe, insbeson-
dere auch finanziell.
Pfarrers: Paul Klein und seine Frau Emma in Mannheim.
Oda: Mieta Wallers Schwester.
114 An Rudolf Steiner in Berlin
Mittwoch, 9. April 1913, aus Meran-Obermais
(erster Brief fehlt)
9/IV zweiter Brief
Lieber E.
Eben las ich durch, was Herr v. Rainer mir fur die «Mitteilungen»
gegeben hatte, falls Du es genehmigst. Er hat nachgeschrieben (ste-
nographiert) sagte er, glaube ich, was Du beziiglich der Schroder-
schen Handelsgesellschaft gesagt hast. Es scheint mir ja recht sehr
korrekturbediirftig. Fur diese «Mitteilungen» ist wohl weder Zeit
noch Raum da, um es hineinzubringen. Vielleicht in die nachsten?
Nun fahr ich bald zur Bahn, um Pauline und Sophie abzuholen.
In Gedanken bin ich ganz bei Dir. M.
was Du beziiglich der Schrdderschen Handelsgesellschaft gesagt hast: Bezieht sich
auf Ausfiihrungen Rudolf Steiners am 6. Februar 1913 wahrend der Generalver-
sammlungszeit in Berlin iiber eine von J.G.W. Schroder und Ritter v. Rainer
gewiinschte Griindung einer Handelsgesellschaft «Ceres». Letzterer betrieb auf
seinem Schloss Mageregg bei Klagenfurt eine Miihle mit Backerei, in der ein unter
dem Namen Rainer-Brot bekantes Qualitatsbrot hergestellt wurde. Im Januar
1913 war man mit einem entsprechenden Aufruf an die anthroposophischen
Freunde herangetreten, woruber am 6. Februar gesprochen wurde. Die erwahnten
Notizen sind in den Scholl-Mitteilungen nicht erschienen. Aus den sehr fragmen-
tarischen Notizen von Rudolf Steiners Ausfiihrungen geht hervor, dass er diesem
Vorhaben zuriickhaltend gegentiberstand.
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:262 Seite:276
Johannes Gottfried William Schroder (1870-1942), Bremer Kaufmann, seit
Dezember 1906 Mitglied der deutschen Sektion, Leiter des Bremer Zweiges.
115 An Rudolf Steiner in Berlin
Sonntag, 20. April 1913, aus Meran-Obermais
20/IV 13
L. E.
Sehr freut es mich, class wir ein Theater bekommen haben, aber da
es schon fur den 16. August ist, werden wir wohl lieber Christiania
und Bergen fiir den 1. Oktober oder 20. September ansetzen. Was
meinst Du? Bei den zwei Stiicken, zwei neuen, die erst geschrieben
werden miissen, und die wir doch endlos werden proben miissen,
damit es gelingt. Das Schure'sche wird wirklich sehr schwer zum
Einstudieren sein.
Ach, mein armer E., wie betragt sich denn der Racker? Sie hat
sich hier recht schauerlich benommen - und miisste es als eine
moralische Niederlage betrachten, die sie zur Besserung zwingt.
Aber ich furchte, sie ist jetzt nicht auf diesem Wege, weil sie ver-
schiedenes durchsetzen will.
Altmann ist frech. Ich geh drauf ein, weil Du es willst und weil
ich die Hoffnung habe, wenn er verkracht und wir seine Schuldner
[Glaubiger] sind, dass er dann keine Anspriiche auf weitere Aufla-
gen Deiner Werke hat, - und vor allem auch kein Recht hat, seine
Verlegerrechte weiter zu verkaufen. So etwas muss man vor allem
sichern; es muss dann alles von Dir in unsere Hande kommen.
Wenn er ein zweites Mai pumpt, so gebe ich nur unter der Bedin-
gung, dass wir Deine Biicher zuriickkriegen, mit alien Rechten
drauf. Es ist doch schon Schwetschke Dein Schuldner. Felber war
es. Nun Altmann. Sollen sie uns denn alle prellen? (Kuhn auch).
Bitte versaume nichts bei der nachsten Auflage der «Geheimwis-
senschaft», damit wir Beweise haben, wenn Du wieder geprellt
wirst. - Es ware wirklich gut, wenn ich wieder Deine Biicher aus
dem Schiffbruch herausretten konnte. Schau nur zu, dass sie nicht
in Vollraths Hande kommen. Bitte sichre Dich. Einen Schuldschein
will ich auch haben.
Frau Frobe hat auch wieder einen melodramatischen Bettelbrief
geschrieben, - dem Stil traue ich nicht mehr.
Die indische Depesche wurde verschiedentlich bestatigt und
hatte noch als Anhang «Judgement for Plaintiff. Leadb eater's
teachings immoral. Highly dangerous associate boys. Restoration
ordered.»
Besant wird doch wohl kaum in Stockholm erscheinen?
Tausend herzlichste Griifie M.
Auch einen herzlichen GruE dem Racker.
ein Theater bekommen haben: Da das fur die jahrlichen Mysterienspiele in den
Vorjahren benutzte Miinchner Gartnerplatz-Theater umgebaut wurde und die
anderen Miinchner Theater entweder zu klein oder anderweitig in Anspruch
genommen waren, hatte man schon befiirchtet, in diesem Sommer (1913) entwe-
der gar nicht oder an einem anderen Ort spielen zu rmissen. Dann konnte aber
doch noch das Volkstheater mit 1200 Platzen vom 16.-22. August 1913 gemietet
werden.
Bet den zwei Stiicken, zwei neuen, die erst geschrieben werden miissen: Bezieht
sich auf das vierte Mysteriendrama Rudolf Steiners «Der Seelen Erwachen» sowie
das Drama von Edouard Schure «Die Seelenhiiterin» («Sceur Gardienne»). Fur
dieses angekundigte Drama wurde von Marie v. Sivers und Rudolf Steiner ein
neuer Text geschaffen, der im Manuskript vorliegt. Die Ubersetzung bricht
jedoch mit dem dritten Akt ab, da infolge des zu starken Andranges die Auf-
fuhrung nicht zustande kam.
der Racker: Mieta Waller.
wenn ich wieder Deine Biicher aus dem Schiffbruch herausretten konnte: Marie
v. Sivers griindete 1908 fur Rudolf Steiners Werke einen eigenen Verlag: «Philo-
sophisch-Theosophischer Verlag», ab 1913 «Philosophisch-Anthroposophischer
Verlag», und kaufte von dem in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Verleger
Felber die aus dem Buchhandel verschwundenen Restbestande von «Philosophie
der Freiheit», «Wahrheit und Wissenschaft» und «Goethes Weltanschauung* auf.
Frau Frobe: Irma Frobe, Witwe des Dr. Robert Frobe in Wien, der die «Secret
Doctrine» von H. P. Blavatsky auf Veranlassung von Dr. Franz Hartmann ins
Deutsche iibersetzte. Im Archiv gibt es einen Bettelbrief von ihr vom 19. 7. 1912
und den entsprechenden Dankesbrief vom 22. 7. 1912, aber der hier angesproche-
ne neue Brief ist nicht erhalten.
indische Depesche ... Leadbeater: Bezieht sich auf das am 15. April 1913 in
Madras gefallte Gerichtsurteil in dem ersten der Prozesse, die der Vater Krish-
namurtis gegen Annie Besant fiihrte. Er forderte seine ihr zur Erziehung iiberlas-
senen beiden Sonne Krishnamurti und Nitya zuriick, da sie dieselben C.W.
Leadbeater zur Erziehung iibergeben hatte, dessen Einfluss auf die Knaben er fur
schadlich hielt.
Besant wird wohl kaum in Stockholm erscheinen: Rudolf Steiner und Marie
v. Sivers waren auf der Riickreise von Helsinki vom 8.-10. Juni 1913 zu Vortragen
in Stockholm, wo seitens der Theosophischen Gesellschaft der 7. Kongress der
«Federation of the National Societies in Europe» abgehalten wurde.
1914 (1)
Die Arbeit konzentriert sich jetzt auf die Errichtung des Dornacher Baues.
Rudolf Steiner, der vor allem die kiinstlerische Gestaltung bis in die letzten
Details entwirft, drangt zur Eile. Dennoch werden mehrere Reisen unter-
nommen, nun meistens von Dornach aus, wo sie einen festen zweiten
Wohnsitz haben. So geht es mehrmals fur kurze Zeit nach Berlin, auch um
das Programm der offentlichen Architektenhausvortrage durchzufuhren.
Im April findet in Wien der Zyklus «Inneres Wesen des Menschen und
Leben zwischen Tod und neuer Geburt» statt (GA 153), und im Juli in
Norrkoping «Christus und die menschliche Seele» (GA 155). - Am 1.
April ist Richtfest und Ende Juli sind die Kuppeln mit dem norwegischen
Schiefer gedeckt.
Am 1. August bricht der Krieg aus.
115a Marie von Sivers an Mieta Waller in Berlin
Montag, 2. Februar 1914, aus Dornach
2/II
Liebe Maus,
Dein Eurythmie-Bild ist sehr schon, entspricht ganz dem Rhyth-
mus der Sache, und wir konnten uns lebhaft versetzen in Eure
Tanzbewegungen. Es wiirde mich freuen, wenn ich einmal Zeit
fande mich von Dir belehren zu lassen. Jetzt muss ich Inspiratrice
sein, wie es der Dr. nennt, d. h. stumme Figur neben ihm wenn
er schafft. Ich kann nicht gut meine Schreibereien mitnehmen an
all die entlegenen Orte, - Korrekturen konnte ich diesmal in der
Eile mir nicht schaffen, so muss ich mich eben mit der Rolle der
stummen Inspiratice bescheiden. Es war schon hubsch, die paar
Stunden, in denen man alleine safi, aber meistens ist's doch ein
Geschwirre in der Werkstatt, dass einem der Kopf mitschwirrt,
und eine D amp fheizungs glut, die recht unertraglich ist. Die ande-
ren Inspirationsstunden verbringe ich im Modell drin; da ist's wie
in einem Keller. Unter der einen Kuppel schafft der Dr. emsig. In
Wachs verdichtete Lebenswellen gehen aus einer Form in die an-
dere iiber; unter der anderen Kuppel sitze ich recht unbequem mit
Hamerlings Hymnen und inspiriere bis ich steif werde. Heute habe
ich mich etwas davon emanzipiert und einige Briefe geschrieben.
Gestern safien wir unter den Kuppeln bis 12 Uhr nachts. Sonst
haben wir jeden Abend schrecklich langweilige Bureausitzungen;
heute auch wieder.
DraufSen ist den Tag iiber wunderschone Sonne und blendend
weifier Schnee. Ich finde das Wetter reizend; der Dr. bleibt dabei,
dass hier das Klima sehr anstrengend ist und das Arbeiten er-
schwert. Das mag sein. Man mochte eben faul sein und die Luft
verarbeiten; das Steigen ist hier immer schwer, aber sehr hubsch im
Schnee. Nur muss man richtiges Schuhzeug haben. Sag Olia, dass
sie uns durchaus bei ihrer nachsten Ankunft aus Petersburg «valen-
ki» bringen muss; das ist das beste um im Schnee zu waten, trok-
kene Fiifte zu behalten und nicht auszurutschen. Mir zwei Paar,
hohe, eines direkt auf Striimpfe anzuziehen, ein anderes auf Stiefel.
Damit werden wir sehr glucklich sein, wenn wir wandern. Auch
der Dr. muss welche haben.
Ich werd schon sehr froh sein, wenn Du nach Hannover fahrst;
ich kann hier gar nicht meine Arbeiten verrichten und brauche eini-
ge Tage fur mich. Der Dr. trifft Freitag in den Morgenstunden ein.
3/II
Eben habe ich ihn veranlasst im Kursbuch nachzuschlagen. Wir
fahren zusammen bis Cassel, wo wir 9.37 morgens (Freitag) ein-
treffen. 9.46 fahrt der Dr. weiter und trifft 12.23 in Hannover ein.
Fur Dich gehen aus Berlin zwei Morgenziige ab, einer um 7.44 - ist
in Hannover um 11.25; der andere um 7.53, ist in Hannover um
12.17. Verspatest Du also den einen, kannst Du immer noch den
anderen erreichen. Es ist wohl besser, dass Du friih schlafen gehst
und friih aufstehst, als eine Nacht im Hotel allein zuzubringen. Mit
Frl. Miiller hast Du wohl korrespondiert wie Du beabsichtigtest
wegen des Hotels, aber nun miisste der Dr. wohl telegraphisch den
Namen des Hotels erhalten, oder Du miisstest am Bahnhof in
Hannover ihn mit Sicherheit abfangen, sonst geht er wohl in sein
altes Hotel, von dem ich nur glaube, dass es Reichspost heifit, aber
nicht sicher weifi.
Im Kunstzimmer dachte ich am Sonntag die in Leipzig vorgetra-
genen Gedichte von Morgenstern zu sprechen. Hier habe ich nicht
die Moglichkeit irgend etwas laut zu sprechen und kann daher
nichts neues nehmen.
Wegen des Hotels erwarte ich noch irgend eine Nachricht; den
Mittag kann ja Frl. Miiller vielleicht schon im voraus bestellen.
Nach dem Mittag musst Du sorgen, dass der Dr. seine absolute
Ruhe bis zum offentlichen Vortrag hat.
Viel Liebes und Allen schonste GriiEe Marie
Olia: Olga v. Sivers, Schwester von Marie v. Sivers.
Frl. Miiller: Martha Miiller, Mitglied in Hannover seit Januar 1906.
Im Kunstzimmer: Marie Steiner berichtete spater dartiber: «Diese Kunstzimmer,
von denen das eine in Berlin-Charlottenburg, das andere in Berlin-Ost eingerich-
tet wurde (zwei andere gab es in Munchen), verdienen es, in der Erinnerung
festgehalten zu werden. Denn sie gehen durchaus auf den inspirierenden Einfluss
zuriick, den das soziale Wirken und die Menschenachtung Dr. Steiners ausiibte -
wenn auch die unmittelbare Initiative dieser einzelnen Tat dem warmen Herzen
der zwei die anthroposophische Arbeit in Munchen leitenden Kiinstlerinnen,
Fraulein Stinde und Grafin Kalckreuth entsprang, und dann von Fraulein v. Sivers
und Fraulein M. Waller auch in Berlin durchgefuhrt wurde. Diese Kunstzimmer
waren furs breite Volk gedacht, als gastfreie Statten, die nicht nur Warme und
Behaglichkeit, sondern auch Schonheit, Asthetik und geistige Anregung bieten
sollten. Die Wande waren mit farbigen Rupfen bespannt, alles bis auf die Bestuh-
lung dem gewahlten Tone angepasst; Bilder-Ausstellungen wechselten jeden
Monat: gute Reproduktionen klassischer Kunstwerke und Gemalde zeitgenossi-
scher Kunstler; Abendveranstaltungen gab es mit musikalischen und rezitatori-
schen Darbietungen, einen Einfuhrungskurs in Geisteswissenschaft, auch in an-
dere Wissensgebiete - kleine dramatische Darstellungen, wie zum Beispiel die
«Geschwister» von Goethe und ahnliches. Hier war es auch, wo in Berlin die
Weihnachtsspiele aus altem Volkstum eingefiihrt wurden, die dann von Mitspie-
lern nach anderen Statten gebracht werden konnten. Es darf vielleicht erwahnt
werden, dass es nach den Anstrengungen des Tages nicht immer leicht war, bei
Nacht und Nebel die weiten Wege in den Osten Berlins mit Untergrundbahn
oder Tram zuriickzulegen und zuletzt in abgelegenen dunklen Strafien im Schnee
zu stapfen. Doch das tagliche Beispiel des unermiidlichen Schaffens Dr. Steiners
wirkte anfeuernd. Und man lernte aus eigener Erfahrung die Bedeutung des
Kontrastes kennen, wenn man aus der trostlos steinernen Umgebung oder Arbei-
terquartiere in die warme Umhiillung eines in gedampftem Rot erstrahlenden
Raumes trat und das Auge auf Kunstwerke fiel, die den Blick fesselten und das
Herz erfrischten, so dass es in Sammlung dem Gebotenen in Wort und Ton folgen
und sich von der Last des Alltags einigermafien befreien konnte. In bescheidenem
und kleinem Rahmen war es doch Nahrung fur die Seelen der Geistsuchenden
aus der arbeitenden Bevolkerung. In diesem Sinne war ja so manches in Briefen
zum Ausdruck gekommen, die Rudolf Steiner erhalten hatte, als er noch in der
Arbeiterbildungsschule Berlins wirkte. Ihm wurde dafiir gedankt, dass er den
Glauben habe, der Arbeiter brauche auch das geistige Brot, nicht nur das phy-
sische.
Der Weltkrieg brachte Veranderungen auch in diesen Betrieb. Das grofie Kunst-
zimmer in der Motzstrafie mit seinen Nebenraumen wurde in einen Kinderhort
umgewandelt, in dem das aus dem bolschewistischen Russland gefliichtete Frau-
lein Samweber eine hingebungsvolle Tatigkeit entfaltete, opferfreudig unterstiitzt
in der auf Spenden beruhenden Verpflegung und Hiitung der Kinder durch
Damen der Anthroposophischen Gesellschaft. Licht, Luft und Freude hatten sie
in den schonen Raumen des Vorderhauses; Dr. Steiner begniigte sich mit den viel
bescheideneren Zimmern des Hinterhauses. Das ist nebensachlich, doch fur ihn
symptomatisch.» (Marie Steiner, «Die Kunstzimmer» in «Gesammelte Schriften»,
Band II, S. 312)
die in Leipzig vorgetragenen Gedichte von Morgenstern: Beim Zyklus «Christus
und die geistige Welt. Von der Suche nach dem heiligen Gral» im Dezember 1913,
an dem der todkranke Christian Morgenstern noch teilnehmen konnte, fand fur
diesen eine Matinee statt, bei der Rudolf Steiner fur den Dichter sprach und Marie
v. Sivers einige seiner Gedichte rezitierte.
Gedichte von Morgenstern: Christian Morgenstern (1871-1914), Mitglied im
Berliner Zweig seit April 1909. Vgl. das Heft «Christian Morgensterns Lebens-
begegnung mit Rudolf Steiner», «Beitrage ...», Nr. 33.
11 5b Marie von Sivers an Johanna Miicke, Berlin
Montag, 3. August 1914, aus Dornach
3. Aug. 1914
Liebes Fraulein Miicke,
heute fahrt Herr Seefeld nach Berlin und ich bin gliicklich, die
Gelegenheit benutzen zu konnen, um Ihnen zu schreiben. Zu-
nachst das Wichtigste, falls er gleich erscheint und ich nicht Zeit
habe mehr zu berichten. Versorgen Sie sich zunachst mit Geld
durch die bewussten 10 000, die Sie auf der Dresdner Bank depo-
niert haben, da wird man Ihnen hoffentlich keine Schwierigkeiten
machen. Also nehmen Sie reichlich Geld, damit Sie alien Eventua-
litaten begegnen [konnen]. Der Doktor sagt, dass, wenn irgend-
welche besonderen Steuern wieder fallig wiirden durch den Krieg,
Sie so gut sein sollten sie zu zahlen, damit wir keine Schwierigkei-
ten kriegen. - Das andere, aufier der Verproviantierung durch
Geld, ware, dass Sie nicht durch schlechtes Essen leiden. Da nun
jetzt Sladecek wirklich nicht viel zu arbeiten hat, bitte ich, dass sie,
wahrend Frl. Rathey hier ist, auch fur Sie und Frl. [Elisabeth]
Keller das Mittagsmahl kocht. Sie tut es fur Frl. [Berta] Lehmann
und es ist mir eine Beruhigung, wenn ich weifi, dass auch Sie beide
ein ordentliches warmes Mahl oben haben. Sie drei konnen ja Ihre
Wiinsche bezuglich des Essens geltend machen und werden ja
wohl konform darin gehen; naturlich konnen Sie das blaue Es-
szimmer benutzen, da es der Kiiche am nachsten ist und auch,
soweit es das Kochen erlaubt, Sladecek mit Ihnen bei Tisch essen
lassen, damit sie freundlich bleibt und sich nicht zu einsam fiihlt.
Frl. Lehmann oder Keller konnen ihr ja auch Ratschlage geben,
wie weit sie Vorrat an trockenen Lebensmitteln anschaffen soli,
falls es in Berlin wie hier in Kriegszeiten Schwierigkeiten mit der
Verproviantierung gibt, und in welch vernunftiger und umsichtiger
Weise sie damit wirtschaften soil; denn auf solche Dinge ist ihr
Denken nicht ganz eingestellt, das Unerwartete macht sie konfus.
Ich schreibe das Ihnen, falls ich nicht Zeit hatte Frl. Lehmann zu
schreiben.
Frl. Lehmann kann naturlich jetzt nicht nach Miinchen gehen;
aber der Doktor sagt selbst: Man weift nicht, wie sich die Sachen
wenden. Vielleicht gibt es nach einer Woche ein anderes Bild der
Situation. Wir bestellen also noch nicht den Saal in Miinchen ab.
Aber wir verharren wartend.
Nun will ich noch schnell versuchen mitzuteilen, wie es uns
ging. Zunachst nach der Ankunft wie gewohnlich viel dringende
und manche unerwartete Arbeit und Abhaltung durch die vielen
no a
Menschen. Der Dr. so erschopft, dass es furchtbar war, ihn anzu-
sehen. Nun waren die Bayreuther Tage herangeriickt, und Frau
Rdchling hatte noch nicht ihre Absage durch den Dr. erhalten. Der
Tag des «Fliegenden Hollanders» war dann vorbeigegangen, und
ich hatte noch kein Nein fur den «Parsifal» zum 1. August erhalten.
Ich sagte dem Dr., dass ich in letzter Stunde auch schwer Frl. Sla-
decek «zeitig» da haben konnte. Er sagte, das ware iiberhaupt nicht
notig fur einen Tag, und er wiirde nur im allerletzten Augenblick
wissen, auch wegen der Moglichkeit des Krieges, ob er reisen konn-
te. So kam es, dass er im letzten Augenblick sagte: «Nun, wenn wir
jetzt fahren, konnen wir noch zuriick.» Aber es war doch unerwar-
tet schnell gekommen; denn wie wir ankamen, war der Kriegszu-
stand erklart. Wir sahen noch «Parsifal», jagten gleich nach der
Vorstellung im offenen Auto der Frau Rochling die Nacht durch
von Niirnberg nach Stuttgart; dann mit vielen Schwierigkeiten und
Umsteigen mit Ziigen weiter, und sind heute da. Heute hatten wir
nicht mehr iiber die Grenze konnen.
Es ist notwendig wegen des Baues, und doch sind wir jetzt von
Berlin abgeschnitten. Hoffentlich nicht auf lange, aber was kann
man in solchen Zeiten wissen.
Ich habe nie den Dr. so deprimiert gesehen wie anlasslich dieses
Krieges. Ich glaube, er wollte sich auch durchaus noch Deutschland
ansehen. Es war merkwurdig, dies Sausen durch die stille Nacht,
mit dem Aufgehaltenwerden bei Eisenbahniibergangen und
Briicken durch die Patrouillen. Aber ich muss sagen, es war etwas
Groftes und Starkes, Wiirdiges und Vornehmes in der Stimmung
des Volkes. Man fiihlte ganz den feierlichen Ernst der Stunde. Und
in den Massenanhaufungen der Menschen den Willen eines Volkes
wie den eines Mannes.
Hier ist mehr Unruhe und Nervositat.
Nun schliefie ich, damit der Brief wegkommt. Vielleicht kann
ich morgen durch Frl. Winkler Korrekturen schicken. Ihre letzten
Brief e habe ich im Koffer und nicht Zeit sie jetzt herauszuholen.
Lupschewitz werde ich vornehmen.
Viel, viel werde ich an Sie denken und an die andern Lieben in
Berlin. Wie werden trotz der Trennung uns stark vereinigt fiihlen,
das ist sicher, und die Gedanken werden wirken.
Allzu lange kann es ja auch nicht dauern, - wenn nicht gerade
die Volkerscharen auch aus Asien iiber uns kommen.
Hoffentlich funktioniert die Post dennoch und bringt uns Nach-
richt von Ihnen; heute hatten wir die Sendung aus Berlin.
Aller-allerherzlichstes Ihnen und den andern Freunden. Griifien
Sie Walthers, Bertha, Slad, Frl. Keller, Knispel. Stark werden Sie ja
sein,
Ihre M. v. Sivers
4./VIII
Herr Seefeld ist nicht gekommen; er war uberhaupt schon abge-
reist; Frl. Winkler will ihre Ferien ausnutzen und erst nach einigen
Tagen reisen. Ich werde ihr dann verschiedenes mitgeben. Heute
wird Dr. Unger versuchen nach Stuttgart zu reisen und will dort
den Brief in den Kasten werfen. Hoffentlich gelangt er in Ihre
Hande.
Herr Seefeld: Wilhelm Seefeld (gest. 1954), Mitglied in Basel seit Juli 1913.
Sladecek: Frl. Antonie Sladetschek oder Sladeczek, Mitglied in Berlin seit Okto-
ber 1907, spater im Haushalt von Marie v. Sivers tatig.
Frl. Rathey: Hedwig Rathey, Mitglied seit Oktober 1907 in Berlin, eine Zeit lang
ebenfalls im Haushalt von Marie v. Sivers tatig. Spater lebte sie in Stuttgart.
Saal in Miinchen: Anstelle der iiblichen Festspiele war ein Vortragszyklus in
Miinchen «Okkultes Horen und okkultes Lesen» im Prinzensaal des Cafe Luit-
pold vom 18.-27. August angekiindigt, der aber nicht stattfinden konnte.
Frl Winkler: Elisabeth Winkler (gest. 1937), Mitglied in Berlin seit Juni 1905.
Lupschewitz: Martin Lupschewitz, 1907 Mitglied in Hamburg, betreute 1914 in
Dornach den Biicherverkauf.
Waltber: Kurt Walther (1874-1940), Mitglied in Hamburg seit 1904, Postbeamter,
wurde ca. 1908 nach Fiirstenwalde/ Spree versetzt, heiratete 1910 Clara Selling.
Als er 1913 nach Berlin versetzt wurde, zogen sie in die Motzstrafie. War als
Vortragender tatig, 1916 trat er im Zentralvorstand an die Stelle von Marie
Steiner.
ZWISCHENBETRACHTUNG DER HERAUSGEBER
Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Kunst,
insbesondere der Sprache
Da dieser von Anfang an intensiv gepflegte Bereich der Zusammenarbeit in
den Brief en - ausgenommen denen der Jahre 1923/25 - kaum beriihrt
wird, soil er hier kurz einbezogen werden.
Zuriickschauend auf die Anfangszeit der Zusammenarbeit mit Marie
von Sivers schildert Rudolf Steiner in seiner Autobiographic «Mein
Lebensgang», dass sie bald tief befreundet wurden und dass sich auf der
Grundlage dieser Freundschaft ein Zusammenarbeiten auf den verschie-
densten geistigen Gebieten im weitesten Umkreis entfaltete: «Anthroposo-
phie, aber auch dichterische und rezitatorische Kunst gemeinsam zu pfle-
gen, war uns bald Lebensinhalt geworden.» (31. Kap.). «In der Theosophi-
schen Gesellschaft war kaum irgend etwas von Pflege kiinstlerischer Inter-
essen vorhanden. ... Marie v. Sivers und mir kam es darauf an, auch das
Kunstlerische in der Gesellschaft lebendig zu machen. ... Wir wuchsen
dadurch, dass wir mit der Geist-Erkenntnis Kunst entfalten durften,
immer mehr in die Wahrheit des modernen Geist-Erlebens hinein.»
(34. Kap.). Zu diesen Aussagen sei noch eine weitere angefiihrt, die fur die
personliche Arbeitsbiographie beider bedeutsam ist. In dem Dornacher
Vortrag vom 6. Januar 1924 (in GA 316), gehalten unmittelbar nach der bei
der Weihnachtstagung 1923/24 erfolgten Neugestaltung der Anthroposo-
phischen Gesellschaft, fiel die Bemerkung, dass in der anthroposophischen
Bewegung, dadurch dass die innerlichen Bedingungen des esoterischen
Lebens nicht griindlich genug beachtet worden sind, es bisher eigentlich
nur auf zwei Gebieten zu dem gebracht werden konnte, was notwendig ist:
«namlich auf dem Gebiete der allgemeinen Anthroposophie und auf dem
Gebiete der eurythmischen und der Redekunst» - also seinem eigenen
Arbeitsgebiet und demjenigen Marie Steiners.
Schon vor ihrer Begegnung waren beide an Dichtung, Biihnenkunst
und kunstlerischem Sprechen zutiefst interessiert. Rudolf Steiner war seit
seiner Wiener, Weimarer und Berliner Zeit mit der Welt des Theaters
bestens vertraut, hatte auch eigene Inszenierungserfahrungen gemacht
und viele Theaterkritiken geschrieben. In den von ihm herausgegebenen
«Dramaturgischen Blattern» (Beiblatt des «Magazins fur Literatur» und
zugleich Organ des deutschen Biihnenvereins) hatte er Probleme der
Biihnenkunst erortert. In einem Aufsatz vom 12. Marz 1898 «Von der
Vortragskunst» machte er deutlich, dass er naturalistisches Sprechen auf
der Biihne fiir verfehlt halte und bedaure, dass es nicht bessere Rhapsoden
gebe als man sie heute im allgemeinen habe: «Die Leute, die verstehen, ob
ein Vers richtig gesprochen wird oder nicht, werden immer seltener. ...
Man halt kiinstlerisches Sprechen heute fiir verfehlten Idealismus. ... Dazu
hatte man nie kommen konnen, wenn man sich der kiinstlerischen Ausbil-
dungsfahigkeit der Sprache besser bewusst ware.» Was ihm damals vor-
schwebte, hat erst viel spater mit Hilfe von Marie v. Sivers in der Anthro-
posophischen Gesellschaft eine Art Verwirklichung finden konnen. Denn
sie, in kunstlerischem Sprechen und dramatischer Darstellung in Paris,
Petersburg und Berlin bestens ausgebildet, brachte ihr ganzes Konnen mit
vollem Enthusiasmus seinen Intentionen entgegen und so ist es dann
moglich geworden, in gemeinsamen Kursen fur Sprachgestaltung und
dramatische Darstellung «fiir Erhebung dieses Gebietes zur wahren Kunst
zu wirken.» (29. Kap.)
Von der gesellschafts-offentlichen Zusammenarbeit bis bin zu den
MUnchner Mysterien-Festspielen
Ausgangspunkt fiir den kiinstlerischen Einschlag in die anthroposophische
Bewegung wurden Marie v. Sivers' «Rezitationsbeigaben» bei anthroposo-
phischen Veranstaltungen. Deren erste erfolgte im Berliner Zweig am 7.
Mai 1906 anlasslich einer Feierstunde zum Gedenken des Todestages der
Griinderin der Theosophischen Gesellschaft, H. P. Blavatsky (8. Mai
1891). Rudolf Steiner sprach, ankniipfend an die Bedeutung der Tat
Blavatskys, von der Synthese von Wissenschaft, Kunst und Religion, wie
sie in den alten Mysterien, insbesondere in Eleusis bestanden habe; Marie
v. Sivers rezitierte die Dichtung «Eleusis» des Philosophen Hegel - seinem
Freunde Holderlin gewidmet. Viele Jahre spater, als Rudolf Steiner von
seinem Krankenlager aus die Eurythmieformen fiir diese Dichtung schuf,
schrieb er, dass damals durch Marie v. Sivers auf seine Anregung hin
«unsere Rezitationskunst inauguriert» worden sei. Diese Dichtung war
offenbar deshalb gewahlt worden, weil es unmittelbar darauf nach Paris
zum Jahreskongress der Foderation europaischer Sektionen ging und man
Edouard Schure bitten wollte, das von ihm rekonstruierte «Heilige Drama
von Eleusis» auffiihren zu diirfen. Anscheinend stand schon im Hinter-
grund, dass in Paris beschlossen werden soilte, den nachsten Jahreskon-
gress durch die deutsche Sektion zu veranstalten. Und so wurde Schure
gleich in Paris (Mai/Juni) urn das Auffiihrungsrecht angesprochen und
nochmals im September, als sie ihn auf seinem Sommersitz in Barr im
Elsass besuchten. (Siehe Briefe Nr. 49a und 52a).
Als Ort fur die Kongressveranstaltung durch die deutsche Sektion
wurde das kunstlerisch orientierte Miinchen gewahlt, als Zeitpunkt die
Pfingsttage. In sechswochiger pausenloser Arbeit brachte Rudolf Steiner
die von Marie v. Sivers besorgte Prosaiibersetzung in freie Rhythmen,
dichtete einzelne Strophen um, verteilte die Rollen, fuhrte Regie. Auch die
Kulissen und Kostiime wurden nach seinen Angaben hergestellt und der
Saal mit Bildern okkulter Siegel und Saulen nach seinen Entwiirfen und
Angaben zu einem Mysterienraum ausgestaltet. Am Pfingstsonntag, dem
19. Mai, nachmittags konnte das grofie Ereignis der Urauffuhrung des
Eleusis-Dramas mit Marie v. Sivers in der Rolle der Gottin Demeter
stattfinden. Die Auffiihrung, wie der ganze Kongress, wurde von den
meisten der rund 600 Teilnehmer als groftes Ereignis erlebt. So war der
erste Schritt in dem groften Anliegen, fur die erstrebte neue Mysterien-
kunst an alte Mysterienkunst anzukniipfen, realisiert worden.
Der nachste Schritt in diese Richtung wurde veranlasst durch eine vom
Munchner Kongress tief beeindruckte junge und begiiterte Hollanderin.
Sie trat im Sommer 1908, gelegentlich von Vortragen Rudolf Steiners in
Kristiania (Oslo), an Marie v. Sivers heran mit dem Angebot, dazu helfen
zu wollen, dem Wort Rudolf Steiners einen Tempel zu bauen. Es war die
junge Malerin Mieta Waller. Nachdem ihr Marie v. Sivers klargemacht
hatte, dass es dazu um vieles mehr bediirfe, verstandigten sie sich dahin-
gehend, vorlaufig kunstlerisch auf dramatischem Gebiet zusammen-
zuarbeiten. Mit Rudolf Steiners Zustimmung beschlossen sie fur Sommer
nachsten Jahres (1909) die Auffiihrung von Edouard Schures Drama «Die
Kinder des Luzifer», das in der Ubersetzung von Marie v. Sivers seit 1905
vorlag. So kam es, dass auch dieses Drama Schures in Miinchen zur
Urauffuhrung kam. Von Rudolf Steiner wurde es in freie Rhythmen
gebracht und wie schon 1907 fuhrte er wieder Regie. Hauptdarsteller
waren Marie v. Sivers und Mieta Waller.
In den Sommern der folgenden Jahre kamen Rudolf Steiners eigene
moderne Mysteriendramen zur Urauffuhrung: 1910 «Die Pforte der Ein-
weihung», 1911 «Die Priifung der Seele», 1912 «Der Hiiter der Schwelle»,
1913 «Der Seelen Erwachen». Marie v. Sivers verkorperte die Gestalt der
«Maria» und Mieta Waller diejenige des Malers «Johannes Thomasius».
Der seit 1907 im Hintergrund bestehende Plan, fur die Mysterienspiele
einen eigenen Bau zu errichten, war 1910 definitiv beschlossen worden.
Aufbau eines Eurythmie-Ensembles
Ausbildung der Eurythmie-Rezitation
Eurythmie-Gastspielreisen
Diese neue Aufgabe hatte sich dadurch ergeben, dass Rudolf Steiner von
der Mutter eines jungen Madchens, Lory Smits, gebeten worden war, bei
dessen Berufsabsichten, die in Richtung Mensendiecksche Gymnastik oder
Tanzkunst gingen, zu raten. Rudolf Steiner habe geantwortet: «Man kann
naturlich ein guter Theosoph sein und nebenbei Mensendiecksche Gymna-
stik machen, aber das hat nichts miteinander zu tun! Aber man konnte
auch eine ganz neue Bewegungskunst inaugurieren, die auf geisteswissen-
schaftlicher Grundlage aufgebaut ist.» «Es wird sich aber um das Wort,
nicht um Musik handeln.» Das fuhrte im Herbst 1912 zu ersten Unter-
weisungen, die Bewegungsgesetze des gesprochenen Wortes sichtbar zu
machen. Marie v. Sivers, die daran teilgenommen hatte, verfolgte mit In-
teresse, wie die Angaben von dem jungen Madchen, dem sich einige andere
angeschlossen hatten, ausgearbeitet wurden und gab der jungen Kunst den
Namen <Eurythmie> (GA277a). Und als diese Anfange durch den im
Sommer 1914 ausgebrochenen Weltkrieg zu erliegen drohten, weil fur
diese scheinbar unzeitgemafie Arbeit niemand Raume zur Verfugung stel-
len wollte, sorgte sie sowohl in Berlin wie in Dornach fur Raume. Selbst
mitarbeitend, nahm sie diesen neuen Arbeitszweig tatkraftig in die Hand.
In Dornach veranlasste sie, dass in der Schreinerei des Goetheanums ein
Buhnenpodium erstellt wurde, um Proben der Arbeiten zeigen zu konnen.
Da Rudolf Steiner immer bereit war weiterzuhelfen, konnte die eurythmi-
sche Arbeit sehr rasch weiter entwickelt werden. Und schon bald wurden
mit dem herangeschulten Ensemble die Eurythmieauffuhrungen am Sonn-
tagnachmittag zu einer festen Dornacher Einrichtung. Rudolf Steiner soil
einmal geaufiert haben, dass er selbst dariiber staunen miisse, was durch
die tatkraftige Begeisterung Marie Steiners in so kurzer Zeit hatte erreicht
werden konnen.
Sehr bald war ihr bewusst geworden, dass die Eurythmie eine ihre
Bewegungen tragende Rezitation verlange. So suchte sie dazu die Wege zu
finden und begann die Eurythmie-Rezitation auszuarbeiten. Da sie auch
erkannt hatte, dass in der Eurythmie ein wunderbares Instrument gegeben
ist, um im Drama erscheinendem Ubersinnlichen Ausdruck verleihen zu
konnen, ging sie mit Rudolf Steiners Hilfe daran, Szenen aus Goethes
«Faust» I und II und aus den Mysteriendramen, in denen Ubersinnliches
hereinspielt, eurythmisch-dramatisch zu gestalten. Zahlreiche Faust-
Szenen konnten so erarbeitet werden, an deren Vorfuhrung Rudolf Steiner
geisteswissenschaftliche Erlauterungen anschloss. Der grofien Arbeitsbe-
geisterung Marie Steiners sind auch die meisten der sogenannten Euryth-
mieformen Rudolf Steiners, eine seiner besonderen kiinstlerischen Schop-
fungen, zu verdanken.
Als die Eurythmie so weit ausgebildet war, dass mit ihr auch an die
Offentlichkeit getreten werden konnte - es war um die Jahreswende
1918/19, der Krieg war gerade zu Ende organisierte Marie Steiner mit
der Dornacher Gruppe mehr und mehr Eurythmie-Gastspielreisen. Fast
iiberall, wo grofiere anthroposophische Veranstaltungen stattfanden, gab
es nunmehr auch Eurythmie-Vorstellungen, vor denen meist Rudolf
Steiner einleitend sprach, um in das Wesen dieser neuen Kunst einzufiih-
ren. Marie Steiner oblag nicht nur die aufiere Organisation, sondern auch
die Rezitation. Dadurch war sie so manchen Angriffen ausgesetzt.
Von Rudolf Steiner, der die Eurythmie als ein Mittel zur Kulturthera-
pie wertete, wurde sie von Anfang an als obligatorisches Lehrfach dem
Lehrplan der 1919 in Stuttgart entstandenen «Freien Waldorf schule» ein-
gefiigt. Dadurch gehorte Marie Steiner als Lekerin der gesamten eurythmi-
schen Arbeit auch zum Lehrerkollegium. Und als ein Jahr darauf (1920)
ihre Initiative, in Stuttgart eine Eurythmieschule einzurichten, verwirk-
licht werden konnte, unterstand diese wie auch die spater in Dornach und
in anderen Orten entstandenen ihrer Leitung.
Aufbau eines Schauspieler-Ensembles fur eine neue Mysterienbiihne
Nach dem Kriegsende, im Beginn der 20er Jahre, schlossen sich immer
mehr junge Menschen, darunter auch Schauspieler, der Anthroposophi-
schen Gesellschaft an. Das fuhrte zu den sogenannten anthroposophischen
Hochschulkursen, bei denen es nun zu einem offentlichen Zusammenwir-
ken von Rudolf und Marie Steiner fur kunstlerisches Sprechen kam. Zu
Rudolf Steiners theoretischen Ausfiihrungen gab sie die praktischen Bei-
spiele. Und als Antwort auf die Frage junger Schauspieler nach einer
moglichen Belebung ihres Berufes aus der Anthroposophie heraus, gaben
sie ihnen im Sommer 1922 gemeinsam einen Kurs iiber kiinstlerische
Sprachgestaltung. Dieses Interesse zeitigte bei Rudolf und Marie Steiner
offenbar den Entschluss, nun wieder an die Auffuhrung der Mysteriendra-
men zu gehen. Im Sommer 1923 sollten alle vier Dramen im Goetheanum-
bau - der ja in erster Linie dafur entstanden war - aufgefiihrt werden. Der
Brand in der Silvesternacht 1922/23 machte diesen Plan jedoch zunichte.
Gleichwohl baten die jungen Schauspieler immer wieder um einen «Dra-
matischen Kurs». Rudolf Steiner sagte fur September 1924 zu. Dieser Kurs
iiber Sprachgestaltung und dramatische Kunst wurde zur letzten gemein-
samen Aktivitat auf diesem Gebiet. Wenige Tage spater brach Rudolf
Steiners schon schwer geschadigte Gesundheit vollig zusammen. Die wei-
tere Entwicklung der Goetheanum-Buhne musste von Marie Steiner nach
seinem Tode allein geleistet werden.
1914 (2)
Als Rudolf Steiner Ende August nach Deutschland reisen muss und es
Marie v. Sivers aufgrund ihrer russischen Staatsangehorigkeit nicht mog-
lich ist mitzukommen, verstandigt er sich mit ihr infolge der erschwerten
postalischen Verhaltnisse (Verzogerungen, Zensur) telegraphisch. Sie
nimmt sich inzwischen tatkraftig der Eurythmie an. Die Arbeiten am Bau
jedoch gehen immer langsamer voran, da nicht nur viele Mitarbeiter zum
Militar eingezogen werden, sondern durch die Kriegsverhaltnisse auch die
notwendigen Finanzen fehlen. An Weihnachten erfolgt in Dornach die
schon lang geplante Eheschliefiung Rudolf Steiners mit Marie v. Sivers, fur
die bisher die Zeit und die Notwendigkeit gefehlt hatte.
116 Viertes Testament, vom 22. August 1914.
Die folgenden drei testamentarischen Bestimmungen wurden nieder-
geschrieben an dem neuen Wohnort Dornach, kurz vor der ersten
Reise nach Deutschland nach dem Ausbruch des Weltkrieges.
Testament
Hierdurch setzt der Endesunterzeichnete fiir den Fall seines Todes
fest, dass Fraulein Marie von Sivers, Berlin W Motzstrafte 17, (zur
Zeit Dornach Kanton Solothurn, Schweiz wohnhaft) seine literari-
sche Testamentsvollstreckerin sein solle, das heifit, dass die Eigen-
tumsrechte seiner samtlichen gedruckten, hektographierten, ander-
weitig vervielfachten, oder im Manuskript vorhandenen Biicher und
Schriften an Fraulein von Sivers iibergehen. Dieselbe soli das Recht
haben, Neu-Auflagen zu veranstalten, Unveroffentlichtes nach
ihrem Ermessen zu veroffentlichen und die sich ergebenden
Honorare zu beziehen.
Die auf gemeinsames Konto von Dr. Rudolf Steiner und Frau-
lein Marie von Sivers geschriebenen Kapitalien (Disconto Gesell-
schaft, Berlin Potsdamerstrafie 99, Deutsche Bank, Berlin Martin-
Lutherstrafie, Deutsche Bank Munchen) gehen nach meinem Tode
in das Eigentum von Frl. Marie von Sivers, Berlin W Motzstrafie 17
iiber, doch so, dass meine in Horn in Niederosterreich lebende
Mutter, Schwester und Bruder bis zum Tode der Mutter entweder
monatlich 110 Mark ausbezahlt bekommen, oder dass ihnen eine
Summe iiberwiesen werde, welche ihnen diese Monatsrate als Zin-
sen sichert. Nach dem Tode meiner Mutter ist an meine Schwester
monatlich 60 Mark zu zahlten, oder eine Summe zu iiberweisen,
welche ihr diese Monatsrate als Zinsen sichert. Mein Bruder ist, da
er nicht vollsinnig ist, nach dem Tode meiner Mutter in einer
entsprechenden Anstalt unterzubringen und die Kosten sind aus
meinem oben bezeichneten Nachlass zu zahlen.
Die Kapitalsumme, welche auf meinen eigenen Namen, Deut-
sche Bank, Berlin Martin-Lutherstrafie, erliegt geht iiber an meine
Mutter, Schwester und Bruder zu gleichen Teilen.
Als Testament geschrieben
Dornach im Kanton Solothurn (Schweiz), 22. August 1914
Dr. Rudolf Steiner
standiger Wohnort: Berlin Motzstrafte 17
zur Zeit wohnend: Dornach (Canton Solothurn, Schweiz) Villa
Hansi.
117 Testamentarische Verfiigung, Faksimile nachste Seite
Es ist mein Wille, dass die Fortfuhrung der mir obliegenden Pflich-
ten gegeniiber der Anthroposophischen Gesellschaft nach meinem
Tode durch Fraulein Marie von Sivers geschieht, so dass diese sich
frei die ihr zur Seite stehenden Vertrauenspersonen bestimmt.
Dr. Rudolf Steiner
Dornach bei Basel, 22. August 1914
118 Testament von Marie von Sivers (Vorlage)
Handschrift Rudolf Steiners
Testament
Hierdurch setze ich Endesunterzeichnete fur den Fall meines
Todes fest, dass mein auf meinen Namen auf der Disconto-Gesell-
^ iy{ m-e^tsy, TozJl/ju j then cAaju 3~tyi4^**. t^-n ^ c/lt>r <m-cV C^6-£ce^&v*-dli~-isi
id
22- Cu^U )0 ■
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:262 Seite:295
schaft, Berlin Potsdamerstra$e 99 erliegender Kapitalbesitz mit
alien Rechten iibergeht in den Besitz von Dr. Rudolf Steiner, Berlin
W Motzstrafie 17. Derselbe ist als mein Universalerbe anzusehen.
Nur wenn Dr. Rudolf Steiner durch sein eigenes Ableben ver-
hindert sein sollte, den Besitz anzutreten, so verfiige ich, dass meine
gesetzlichen Erben zwei Drittel des oben bezeichneten Kapitalbe-
sitzes mit Abrechnung von 1 1 000 Mark ausbezahlen an Frl. Johan-
na Miicke, Frl. Berta Lehmann und Frl. Helene Lehmann, alle drei
wohnhaft Berlin W Motzstrafie 17; dieselben erhalten je ein Drittel
der bezeichneten Summe. Von den abgerechneten 11 000 Mark
sollen erhalten: Frl. Elisabeth Keller, Berlin W Motzstrafie 17 fiinf-
tausend Mark; Frl. Antonie Knispel, Berlin, Postdamerstr. 61 funf-
tausend Mark; Frl. Antonie Sladeczek, Berlin W Motzstrafte 17
eintausend Mark.
Der auf meinen Namen eingetragene Theosophisch-Philosophi-
sche Verlag geht nach meinem Ableben mit alien Rechten an Dr.
Rudolf Steiner, Berlin W Motzstrafte 17 iiber; nur wenn dieser
durch sein eigenes Ableben denselben nicht sollte ubernehmen
konnen, geht er uber in den Besitz von Frl. Johanna Miicke, Berlin
W Motzstrafte 17.
Dies als letztwillige Verfiigung geschrieben
Marie v. Sivers
Dornach, Kanton Solothurn 22. August 1914
119-125 Telegramme an Marie von Sivers in Dornach
119 Montag, 24. August 1914, aus Stuttgart
Bin gut angekommen. Heute reise noch weiter. Gruft Steiner
120 Dienstag, 25. August 1914, aus Mannheim
Wir fahren soeben nach Bestimmungsort weiter. Letzte Nacht
Mannheim verbracht. Autofahren durchaus jetzt ungefahrlich. Wir
wurden gestern nirgends aufgehalten. Herzliche Grtifte Geheimrat
Rochling
121 Mittwoch, 26. August 1914, aus Niederlahnstein
Bin gesund angekommen, erbitte hierher Drahtantwort ob Ihr
gesund. Grufi Steiner
122 Freitag, 28. August 1914, aus Berlin
Bin Berlin gut angekommen, erbitte hieher Nachricht. Gruft
Steiner
123 Samstag, 29. August 1914, aus Berlin
Fraulein Ehmek angekommen, hier geht es gut. Herzliche Grirfie
Steiner
124 Montag, 31. August 1914, aus Berlin
Mein Buch heute fertig geschrieben, letzte Korrekturen sind mir
fur morgen versprochen. Andere Bucher morgen fertig. Warte noch
hier einige Tage dann reise ich. Gebe aber noch Nachricht, erbitte
von dort Nachricht. Grufi Steiner
mein Buch heute fertig geschrieben: Band II von «Die Ratsel der Philosophic
in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt».
andere Bucher morgen fertig: 6. Auflage von «Theosophie» und 5.-7. Auf-
lage von «Wie erlangt man Erkenntnisse der hoheren Welten?».
125 Mittwoch, 2. September 1914, aus Berlin
Warum von dort keine Nachricht. Herzliche Griifie Steiner
126 An Marie von Sivers in Dornach
Donnerstag, 3. September 1914, aus Berlin
L. M. In aller Eile mochte ich Frl. Ehmek, die morgen nach Dorn-
ach zuriickreisen will, die herzlichsten Griifie mitgeben und sagen,
dass es mir sehr leid ist, jetzt so lange von Dornach und unserer
dortigen Arbeit abwesend sein zu miissen. Ich muss aber hier noch
einige Tage verbleiben. Dann will ich sehen, ob die Reise zu mei-
nen Angehorigen nach Horn ausfiihrbar ist. Wenn sie es ist, konnte
ich dadurch unsere Angelegenheiten doch vielleicht rascher vor-
warts bringen. Ich weifi aber noch nicht, ob man dahin fahren
kann. Den Geburtsschein habe ich aufgefunden.
Fraulein Mucke will nach Dornach reisen; wann, das wird davon
abhangen, wie es mit meiner Reise stehen wird. Es konnte fur mich
doch immerhin alles noch eine Woche in Anspruch nehmen. Mit
guten Reiseverbindungen habe ich nattirlich durchaus nicht zu
rechnen.
Sollte m. 1. M. Befinden nicht gut sein, dann bitte ich um treu-
liche Nachricht. Wirkliche Sorge machte mir jetzt doch nur dieses;
ich hatte doch, wenn ich zuhause gewesen ware, in diesen Tagen
wieder [die] Wunde zu verbinden gehabt. Dass ich auf Nachrichten
iiber dieses Befinden zweimal habe so lange warten miissen, hat
mich gar nicht beruhigt.
Also in Hoffnung auf baldiges Wiedersehen - mit besten
GriifSen an Waller und die andern dortigen Freunde
allerherzlichst Dr. Rudolf Steiner
Berlin, 3. September 1914
Frl. Ehmek: Emmy Ehmek, Mitglied in Bremen seit April 1909, 1911 nach Berlin
umgezogen.
unsere Angelegenheiten: Die geplante Eheschliefiung, die an Weihnachten erfol-
gen wird.
127-144 Telegramme an Marie von Sivers in Dornach
127 Freitag, 4. September 1914, aus Berlin
Vor Sonntag kann ich nicht abreisen, alles gut. Herzlichste Griifie,
erbitte schnell Nachricht hierher Steiner
128 Sonntag, 6. September 1914, aus Berlin
Wahrscheinlich reise ich morgen Montag abend iiber Horn. Erbitte
hieher noch Nachricht. Herzliche Griifie Steiner
129 Dienstag, 8. September 1914, aus Berlin
Fahre heute Dienstag Horn, werde von dort telegraphieren. Griifie
Steiner
130 Mittwoch, 9. September 1914, aus Horn
Bin hier, muss morgen bleiben wenn etwas erreichen will. Adresse
bei Franziska Steiner Horn Niederosterreich 179. Herzliche GriilSe
Steiner
131 Freitag, 11. September 1914, aus Wien
Kann morgen Sonnabend friih abreisen Francehotel Wien. GruE
Steiner
132 Montag, 14. September 1914, aus Munchen
Bin heute 5 Uhr Zurich dann weiterreise. Steiner
133 Samstag, 26. September 1914, aus Mannheim
Gut angekommen. Grufi Rudolf Steiner
134 Montag, 28. September 1914, aus Niederlahnstein
Hoffe morgen zuriickreisen. Adresse Peelen Niederlahnstein. Grufi
Dr. Steiner Niederlahnstein
Peelen: Johanna Peelen, geb. Schneider (gest. 1920), Mitglied seit Februar
1905, Mai 1906 Vorsitzende bei der Griindung des Beethoven-Zweiges in
Bonn, ebenso im April 1909 bei der Griindung des Cusanus-Zweiges in
Koblenz.
Peelen: Jan Hendrik Peelen (gest. 1934), Ingenieur aus Holland, Mitglied seit
Marz 1904 im Zweig Berlin, 1909 Schriftfuhrer des Cusanus-Zweiges, wohn-
haft in Niederlahnstein bei Koblenz.
135 Mittwoch, 30. September 1914, aus Mannheim
Werde morgen Dornach ankommen. Grufi Rudolf Steiner
136 Mittwoch, 30. September 1914, aus Stuttgart
Ankomme morgen Donnerstag 4 Uhr 25 nachmittag Basel. Steiner
137 Samstag, 17. Oktober 1914, aus Stuttgart
Ankomme heute Sonnabend 4 Uhr 25 Basel. GrufS Steiner
138 Donnerstag, 29. Oktober 1914, aus Berlin
Gut angekommen, herzliche Griifte. Steiner
139 Sonntag, 1. November 1914, aus Berlin
Alles gut, herzliche Griifie. Steiner
140 Donnerstag, 5. November 1914, aus Berlin
Hier geht es gut, wie dort. Grufi Steiner
inn
141 Freitag, 6. November 1914, aus Berlin
Warum hore ich nichts von dort, bin bis heute abends hier. Steiner
142 Samstag, 7. November 1914, aus Frankfurt am Main
Ankomme morgen Sonntag 4 Uhr 25. Heute Nacht Stuttgart
Marquardt. GrufS Steiner
143 Donnerstag, 3. Dezember 1914, aus Miinchen
Geht gut, komme etwa Montag nach Dornach. Muss nochmals
Berlin. Griifte Rudolf Steiner
144 Mittwoch, 9. Dezember 1914, aus Miinchen
Ankommen Basel heute 4 Uhr 25. Steiner
1915 - 1921
Aus den weiteren Kriegsjahren liegen keine Briefe vor, da Marie Steiner
seit Weihnachten osterreichische Staatsbiirgerin ist und sie nun wieder
gemeinsam reisen konnen. Die Arbeit am Bau in Dornach schreitet lang-
sam voran; Ende September 1920 ist er soweit benutzbar, dass das Goe-
theanum, die Freie Hochschule fur Geisteswissenschaft, mit dem ersten
Hochschulkurs vorlaufig eroffnet werden kann.
Wahrend des Krieges ist Rudolf Steiner zumeist in Dornach, aber auch
zu Vortragen in den deutsch-sprachigen Landern. Er bemiiht sich Verstand-
nis fiir die Aufgabe Mitteleuropas zu wecken und fasst das in seinen Vortra-
gen Ausgefiihrte zusammen in der im Sommer 1915 erscheinenden kleinen
Schrift «Gedanken wahrend der Zeit des Krieges. Fiir Deutsche und die-
jenigen, die nicht glauben sie hassen zu miissen» (in GA 24). Das fuhrt zu
einigen wenigen Austritten aus der Gesellschaft in England und Frankreich.
Besonders schmerzlich wurden fiir Marie und Rudolf Steiner die vollig aus
der Luft gegriffenen chauvinistischen Beschuldigungen, die von Edouard
Schure gegen sie erhoben wurden. Nach dem Kriege versuchte er zwar das
Geschehene riickgangig zu machen, aber fiir Marie Steiner war der Bruch
definitiv. Im Groften und Ganzen jedoch bleibt die Gesellschaft auch in den
westlichen Landern intakt, die Postverbindung in die neutrale Schweiz
besteht, und eine Reihe Englander und Franzosen arbeiten friedlich mit
am Bau, zusammen mit den Angehorigen weiterer 15 Nationen.
In Dornach macht die Eurythmie groEe Fortschritte, Szenen aus dem
Faust und den Mysteriendramen werden einstudiert, und nach vielen
internen Auffuhrungen finden im Februar 1919 auch die ersten offent-
lichen Auffuhrungen in Zurich und Winterthur statt.
Im Friihsommer 1917 ersucht der bayrische Reichsrat Graf Otto
v. Lerchenfeld Rudolf Steiner um Rat, wie Mitteleuropa aus der hoff-
nungslosen Lage zu retten sei, da dessen Regierungen keine Ideen zur
Gestaltung der Zukunft zeigten. Wahrend drei Wochen entwickelt er dem
Grafen die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus und verfasst
schlieftlich zwei Memoranden fiir Verhandlungen mit mafigebenden Per-
sonlichkeiten der deutschen und der ostereichischen Regierung. Die Ver-
mittelung nach Osterreich-Ungarn iibernimmt Graf Ludwig Polzer-Ho-
ditz, dessen Bruder Arthur der Kabinettchef des Kaisers Karl ist. Dieser
Versuch, vor dem Zusammenbruch eine Wende durch Einwirken auf die
Regierungen herbeizufuhren, scheitert. So wird nach Kriegsende versucht,
eine breite Volksbewegung fiir die Dreigliederung zu entfachen. Im Febru-
ar 1919 verfasst Rudolf Steiner den «Aufruf an das deutsche Volk und die
Kulturwelt», der von vielen Personlichkeiten des offentlichen Lebens un-
terschrieben wird, sowie das Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage».
In zahllosen Vortragen, zunachst in der Schweiz, dann im Raum Stuttgart,
setzt er zumeist vor den Arbeitern der grofien Firmen, dem sogenannten
Proletariat, die Grundideen auseinander. Es entsteht der «Bund fur die
Dreigliederung des sozialen Organismus» mit vielen Mitarbeitern und
Ortsgruppen. Nach anfanglichen, betrachtlichen Erfolgen scheitert die ei-
gentliche Aktion vor allem am Widerstand der «Fiihrer» der Arbeiter, der
linken Parteien. Aber eine ganze Reihe von Institutionen gehen aus der
Dreigliederungsbewegung hervor. Dazu gehort vor allem als Einrichtung
des freien Geisteslebens die im September 1919 von Emil Molt fiir die
Kinder der Arbeiter seiner Zigarettenfabrik gegriindete «Freie Waldorf-
schule», deren padagogische Leitung Rudolf Steiner selber innehat. Es
entsteht der anthroposophische Hochschulbund; durch Zeitschriften, an-
throposophische Hochschulkurse und Seminare sollen die anthroposophi-
schen Erkenntnisse in das offentliche Leben hineingetragen werden. -
Weitere Griindungen sind die Aktiengesellschaften «Kommende Tag AG»
in Stuttgart und «Futurum AG» in der Schweiz. Mit diesen <Musterinsti-
tutionen>, assoziativen Unternehmungen zur Forderung wirtschaftlicher
und geistiger Werte, mit Fabriken, Forschungslaboratorien, Kliniken und
Heilmittelherstellung soli die Fruchtbarkeit der Dreigliederungsidee prak-
tisch demonstriert werden. Die Initiative dafiir ging von einigen Industri-
ellen aus, insbesondere von Emil Molt, nicht von Rudolf Steiner. Obwohl
er diese Griindungen eigentlich nicht billigte, vor allem wegen des Fehlens
geniigend fahiger Mitarbeiter, versagte er ihnen seine Unterstiitzung nicht.
Wahrend all dieser mit unbeschreiblicher Intensitat von Rudolf Steiner
gefiihrten Tatigkeit steht Marie Steiner immer begleitend an seiner Seite.
«Stuttgart ist das Tollste, was es je innerhalb unserer Arbeit gegeben hat
[...] Mit dem Doktor kann ich iiberhaupt kaum mehr ein Wort sprechen,
er wird buchstablich zerrissen» schreibt sie zu Beginn des Jahres 1921 an
Johanna Miicke, wahrend einer der Stuttgarter Dreigliederungs-Mitarbei-
ter, Walter Kuhne, iiber sie aufierte: «Die grolke Lebensleistung von Frau
Doktor war, dass sie von 1902 bis 1924/25 das Arbeitstempo Rudolf
Steines ausgehalten hat, das uns andere nach ein paar Wochen schon
zermiirbte.»
Von 1921 an kann Rudolf Steiner seine Offentlichkeitsarbeit auch
wieder im Ausland aufnehmen. 2u Beginn des Jahres in mehreren hollan-
dischen Stadten; im November in Oslo. Gleichzeitig werden unter Marie
Steiners Leitung auch immer Eurythmieauffuhrungen organisiert, bei
denen Rudolf Steiner stets eine einleitende Ansprache halt.
Das eigentliche Gesellschaftsleben war in den Jahren des Krieges und
den ersten Nachkriegsjahren im Hintergrund geblieben. Die erste Mitglie-
derversammlung seit Ausbruch des Krieges findet erst im September 1921
statt und zwar in Stuttgart, wohin der Sitz der Gesellschaft inzwischen
verlegt worden war. Als neu gebildeter Zentralvorstand amtieren nun Carl
Unger, Emil Leinhas, Ernst Uehli. Marie Steiner hatte sich auf Veranlas-
sung Rudolf Steiners schon 1916 aus dem Zentralvorstand zuriickgezogen.
Die Zahl der Mkglieder betragt 8238.
145 Fiinftes Testament, vom 18. Marz 1915
hinterlegt auf dem Amtsgericht Berlin-Charlottenburg
Dieses letzte und daher giiltige, gegenseitige Testament wurde erstellt,
nachdem Weihnachten 1914 die Eheschliefiung erfolgt war.
Verhandelt zu Charlottenburg am 18. Marz 1915
Vor dem unterzeicfineten, zu Charlottenburg, Lutherstrafte 13
wohnhaften Notar im Bezirke des Koniglichen Kammergerichts zu
Berlin, Justizrat Leopold Bischofswerder, und den zu diesem Akte
zugezogenen beiden Zeugen, namlich:
a) dem Portier Emil Miiller aus Charlottenburg, Lutherstrafte 13,
b) der Portiersfrau Anna Miiller, geborenen Tonsor, ebendaher,
welche ebenso wie der Notar wahrend der ganzen Verhandlung
zugegen waren, erscheinen heute, dem Notar bekannt:
1. Herr Schriftsteller Doktor Rudolf Steiner aus Charlottenburg,
Motzstrafie 17,
2. dessen Ehefrau Marie Steiner, geborene v. Sivers, ebendaher.
Die Erschienenen geben an, dass sie ein gemeinschaftliches Testa-
ment errichten wollen. Nach naherer Besprechung der Einzelheiten
erklaren beide Eheleute Steiner dem Notar das Folgende miindlich
als ihren gemeinschaftlichen letzten Willen
1. ) Wir setzen uns gegenseitig zu unseren Erben ein.
2. ) Ich, Doktor Rudolf Steiner, bitte meine Ehefrau, falls sie mich
iiberlebt, meine Mutter Franziska Steiner zu Horn in Nieder-Oster-
reich, meine Schwester Leopoldine Steiner und meinen Bruder
Gustav Steiner daselbst, in derselben Weise zu unterstiitzen, wie
ich meine genannten Angehorigen bisher unterstiitzt habe. Eine
Verpflichtung lege ich ihr in dieser Hinsicht nicht auf, ich erwarte
dies aber von meiner Ehefrau.
3. ) Fur den Fall, dass wir gleichzeitig versterben sollten, bestimmen
wir folgendes:
A. Zu unserer gemeinschaftlichen Erbin setzen wir fiir den Fall
unseres gleichzeitigen Todes unsere Mitarbeiterin Fraulein Marie
Elisabeth Waller zu Charlottenburg, Motzstrafie 17, ein. Unserer
genannten Erbin werden folgende Vermachtnisse auferlegt:
a. Der Philosophisch-Anthroposophische Verlag geht mit alien
Rechten, aber auch mit der Pflicht, ihn im Sinne der Erblasser fort-
zufiihren, an unsere Mitarbeiterin Fraulein Johanna Miicke zu
Charlottenburg, Motzstrafie 17, iiber. Fraulein Johanna Miicke wird
Eigentiimerin des Verlages und bezieht hiernach alle Einkiinfte aus
demselben.
b. Frau Franziska Steiner zu Horn in Nieder-Osterreich, Frau-
lein Leopoldine Steiner daselbst und Herr Gustav Steiner daselbst,
die oben unter 2.) genannt sind, erhalten zusammen ein Vermacht-
nis in barem Gelde, welches dem sechsten Teile unseres beidersei-
tigen Vermogens gleichkommt. Der Verlag wird hierbei jedoch
nicht mit zum Vermogen gerechnet, sodass nur der sechste Teil des
Vermogens abziiglich des Verlages, in Betracht kommt. Bei Fortfall
eines der drei genannten Vermachtnisnehmer werden ihm seine
Erben substituiert.
c. Die Schwester der Erblasserin, das Fraulein Olga von Sivers
zu Petersburg, erhalt als Vermachtnis gleichfalls eine Geldsumme,
die dem sechsten Teile des gemeinschaftlichen Vermogens der bei-
den Erblasser gleichkommt. Die Berechnung erfolgt in derselben
Weise wie im Falle zu b. Falls die Vermachtnisnehmerin den Anfall
nicht erlebt, werden ihre gesetzlichen Erben substituiert.
d. Fraulein Johanna Miicke zu Charlottenburg, Motzstrafie 17,
erhalt aufter dem Verlage noch ein bares Vermachtnis von fiinftau-
send Mark.
e. Unsere Mitarbeiterinnen, Fraulein Berta Lehmann und Frau-
lein Helene Lehmann zu Charlottenburg, Motzstrafie 17, erhalten
jede ein bares Vermachtnis von je funfzehntausend Mark.
f. Unsere Mitarbeiterin Fraulein Elisabeth Keller zu Charlotten-
burg, Motzstrafie 17, erhalt achttausend Mark, unsere Mitarbeiterin
Fraulein Anna Knispel erhalt funftausend Mark (Anna Knispel
wohnt ebenfalls zu Charlottenburg, Motzstrafie 17); unsere Mitar-
beiterin Frau Klara Walther daselbst erhalt ein Vermachtnis von
funfzehntausend Mark und Fraulein Antonie Sladeczek ebenda,
erhalt ein Vermachtnis von zweitausend Mark.
g. Unsere Erbin Marie Elisabeth Waller soil aufierdem die von
uns gefiihrte anthroposophische Bewegung aus unserm Vermogen
nach ihrem Ermessen unterstiitzen. Eine Rechtspflicht soil dies aber
nicht sein.
h. Zum Testamentsvollstrecker ernennen wir den Schriftsteller
und Fabrikbesitzer Doktor Karl Unger zu Stuttgart. Derselbe soli
lediglich iiber die Veroffentlichung unseres hands chriftlichen, noch
nicht gedruckten Nachlasses Bestimmungen treffen und im iibrigen
dem Fraulein Marie Elisabeth Waller ein Berater in literarischen
Dingen sein. Uber Neuauflagen bereits gedruckter Werke soil er
keine Bestimmungen treffen. Eine Vermogensverwaltung hat er
nicht zu fiihren.
4.) Nach dem Tode beider Erblasser erhalt die Schwester der Erb-
lasserin, das Fraulein Olga von Sivers in jedem Falle das bare Ver-
machtnis nach Mafigabe der Bestimmungen zu 3.) c, ebenso erhal-
ten Frau Franziska Steiner, Fraulein Leopoldine Steiner und Herr
Gustav Steiner das Vermachtnis nach Mafigabe der Bestimmungen
zu 3.) b in jedem Falle nach dem Tode beider Erblasser. Die libri-
gen Bestimmungen zu 3.) sind nur fur den Fall des gleichzeitigen
Todes beider Erblasser getroffen.
Uberlebt ein Ehegatte den andern, so ist er unbeschrankter Erbe
und kann frei iiber den gesamten Nachlass testieren; nur die beiden
Vermachtnisse, die in dieser Ziffer 4.) zu Gunsten der beiderseiti-
gen Verwandten verfugt sind, kann er nicht aufheben; oder viel-
mehr er kann, wie nachtraglich berichtigend bemerkt wird, die
Vermachtnisse, die zu Gunsten der Verwandten des anderen Teils
in dieser Ziffer 4.) bestimmt sind, nicht aufheben. Das Vermacht-
nis, das zu Gunsten seiner eigenen Verwandten in dieser Ziffer 4.)
bestimmt ist, kann er aufheben.
5.) Fiir den Fall, dass der iiberlebende Ehegatte verstirbt, ohne eine
Verfiigung von Todes wegen errichtet zu haben, sollen alle Bestim-
mungen zu 3.) gelten. Wenn er eine Verfiigung von Todes wegen
errichtet, so gelten die Bestimmungen zu 3.), soweit sie durch seine
Verfiigung von Todes wegen nicht ausgeschlossen werden.
Ein weiteres haben wir nicht zu bestimmen. Wir sind kinderlos.
Hierauf ist das Protokoll vorgelesen, von beiden Erblassern geneh-
migt und von ihnen, wie folgt, eigenhandig unterschrieben worden.
gez. Dr. Rudolf Steiner gez. Marie Steiner geb. v. Sivers
gez. Emil Miiller gez. Anna Miiller geb. Tonsor
gez. Leopold Bischofswerder, Notar
Zusatz zum obigen Testament
Verhandelt zu Charlottenburg am 12. Juni 1915
Vor dem unterzeichneten, zu Charlottenburg, LutherstraEe 13,
wohnhaften Notar im Bezirke des Koniglichen Kammergerichts zu
Berlin, Justizrat Leopold Bischofswerder, und den zu diesem Akte
zugezogenen beiden Zeugen, namlich:
a) dem Portier Emil Miiller aus Charlottenburg, Lutherstrafte 13,
b) der Portiersfrau Anna Miiller, geborene Tonsor, ebendaher,
welche ebenso wie der Notar wahrend der ganzen Verhandlung
zugegen waren, erscheinen heute, dem Notar bekannt:
1. Herr Schriftsteller Doktor Rudolf Steiner aus Charlottenburg,
Motzstrafie 17,
2. dessen Ehefrau Marie Steiner geborene von Sivers, ebendaher.
Die Erschienenen geben an, dass sie einen gemeinschaftlichen Te-
stamentsnachtrag errichten wollen. Nach naherer Besprechung der
Einzelheiten erklaren beide Eheleute Steiner das Folgende miind-
lich als ihren gemeinschaftlichen letzten Willen dem Notar:
Zu unserem notariellen Testament vom 18. Marz 1915 errichten
wir folgenden Zusatz:
Falls das von uns zu unserer Erbin eingesetzte Fraulein Marie Eli-
sabeth Waller zu Charlottenburg, Motzstrafie 17, aus irgend einem
Grunde nicht Erbin werden sollte, substituieren wir ihr den Ober-
inspektor Kurt Walther zu Charlottenburg, Motzstrafte 17, und
dessen Ehefrau Clara Walther geborene Selling daselbst zu gleichen
Teilen. Die Eheleute Walther werden einander als Erben substi-
tuiert.
Aufier diesen Substitutionen wird an dem friiheren Testamente
nichts geandert. Wenn der Substitutionsfall nicht eintritt, ist Frau-
lein Waller nach Mafigabe des Testaments vom 18. Marz 1915
unsere Erbin, nicht die Eheleute Walther.
Hierauf ist das Protokoll vorgelesen, von den Erblassern genehmigt
und von ihnen, wie folgt eigenhandig unterschrieben worden.
gez. Dr. Rudolf Steiner gez. Marie Steiner geb. v. Sivers
gez. Emil Miiller gez. Anna Miiller geb. Tonsor
gez. Leopold Bischofswerder, Notar
145a Handscririftliche Notizen Rudolf Steiners fur die Besprechung
beim Notar zur Erstellung obigen Testamentes
Zu unseren Erben ernennen wir Endesunterzeichneten:
1. uns gegenseitig
2. Alle in unserem gemeinschaftlichen Besitz befindlichen Brief-
schaften, sowie alle anderen von uns geschriebenen, oder von an-
deren geschriebenen und an uns gerichteten oder uns iibergebenen
Schriftstiicke und Briefe gehen nach dem Tode des einen Ehegatten
in das Eigentum des anderen Ehegatten iiber. Jeder von beiden hat
allein und nach seinem Ermessen zu entscheiden, was mit dem
Charakterisierten weiter zu geschehen hat.
Insbesondere hat Frau Marie Steiner nach dem Tode des Ehegat-
ten als alleinige Eigentiimerin und Verwalterin seines schriftstelle-
rischen Nachlasses zu gelten; ihr steht die Entscheidung iiber Neu-
Auflagen seiner Werke, sowie diejenige iiber alle von ihm herriih-
rende Manuskripte, Nachschriften von Reden und Vortragen zu.
Sie kann nach freiem Ermessen dieselben veroffentlichen und wird
die Eigentiimerin der entsprechenden Honorare.
Der auf den Namen Frau Marie Steiner eingeschriebene philoso-
phisch-anthroposophische Verlag geht nach dem Tode von Marie
[Frau] Marie Steiner an deren Ehegatten als alleinigen Eigentiimer
iiber.
Alle aus den Biichern und sonstigen Druckschriften Dr. Rudolf
Steiners gezogenen Erlose sowie das gesamte Vermogen geht nach
dem Tode des einen Ehegatten an den andern iiber; doch soli nach
dem Tode Dr. Rudolf Steiners dessen Ehegattin aus diesem ihr
zufliefienden Einkommen die in Horn in Niederosterreich befind-
lichen Angehorigen des Ehegatten (Mutter und zwei Geschwister)
so unterstiitzen, dass die Hohe der Unterstiitzung zu dem nach-
herigen Einkommen in demselben Verhaltnisse steht wie die von
Dr. Rudolf Steiner seinen Angehorigen schon jetzt zukommende
Unterstiitzung. Insbesondere soil auch nach dem Tode der Mutter
Dr. Rudolf Steiners auch fur dessen Schwester und nicht vollsin-
nigen Bruder bis zu deren Tode angemessen gesorgt werden. Die
Bestimmung der Hohe dieser Zuwendung steht nur in dem Er-
messen von Frau Marie Steiner. Sie hat allein auch zu bestimmen,
in welcher Art die Zuwendung zu geschehen hat. Sie hat auch das
Recht, jederzeit die fortlaufende Zuwendung umzuwandeln, so
dass sie eine einmalige oder mehrmalige Gesamtsumme abgibt,
dessen Zinsenertrag der obigen fortlaufenden Zuwendung gleich-
kommt.
Sollten beide Ehegatten gleichzeitig sterben, so wird fiir diesen Fall
das folgende bestimmt:
a. ) Der oben genannte philosophisch-anthroposophische Verlag
geht mit alien Rechten aber auch der Pflicht, ihn im Sinne der
Erblasser fortzufiihren, an Fraulein Johanna Miicke iiber. Dieser
fallen auch alle Einkiinfte aus dem Verlage zu.
b. ) Von unserem Vermogen geht eine solche Summe an die oben
genannten Angehorigen Dr. Rudolf Steiners iiber, die als Zins-
ertragnis dem oben angefiihrten gleichkommt. Doch soil diese Sum-
me nicht weniger als ein Sechstel des Vermogens betragen. Im Falle
des Todes des einen oder aller Angehorigen Dr. Rudolf Steiners
geht dieser Erbteil auf deren Erben iiber.
c. ) Ein Sechstel unseres Vermogens geht als Eigentum iiber an
die Schwester Frau Marie Steiners Olga von Sivers oder im Falle
ihres Ablebens an deren Erben.
d. ) Unser iibriges Vermogen geht im Falle unseres gleichzeitig
erfolgenden Todes iiber in den Besitz von Fraulein Mieta Waller,
die verpflichtet ist aus demselben entsprechende Zuwendungen zu
machen [an] die von uns gefiihrte anthroposophische Bewegung, an
Frl. Johanna Miicke, Fraulein Berta Lehmann, Frl. Helene Leh-
mann, Frl. Elisabeth Keller und Frl. Antonie Sladeczek und an-
deren ihr notwendig erscheinenden in unseren Diensten arbeitende
Personlichkeiten. An Frau Clara Walter ist ein Zwanzigstel des
Vermogens auszubezahlen.
e. ) Zum Testamentsvollstrecker ernennen wir Dr. Carl Unger,
der auch im Falle unseres gleichzeitig erfolgenden Todes iiber den
schriftstellerischen Nachlass Dr. Rudolf Steiners zu verfiigen hat.
Neu-Auflagen der Biicher und Druckschriften Dr. Rudolf Steiners
hat Fraulein Johanna [... Rest fehlt].
Fur Marie Steiner zum 15. Marz 1916.
Faksimile aus dem Notizbuch NB 7 Rudolf Steiners, siehe nachste Seite.
Ein Atemzug aus der Geisterwelt ist
Was im Erwachen in den Leib
Was im Einschlafen aus dem Leib
Als Wesen des Ich erstromend
Erlebt sich im Wechselsinn des Daseins.
Im Atmen des Geisterwebens bin ich
Wie Luft ist im Lungenleibe.
Nicht Lunge bin ich, nein Atemluft.
Doch Lunge ist, was weift von mir:
Erfass ich dies - erkenne ich
Mich im Geist der Welt. -
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buoh:262 Seite:312
147 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Montag, 7. Marz 1921
Stuttgart, 7. Marz 1921
Meine Hebe Maus!
Bevor ich von Stuttgart abreise, sende ich noch schnell diesen Grufi.
Samstag vormittag sind wir angekommen; jetzt Montag abends will
ich abreisen. Wagner fahrt mit. In Freiburg will ich iibernachten
und morgen in Dornach sein. Hier war die kurze Zeit reichlich zu
tun. Und Ith fand sich schon hier ein.
Von dem elendesten Verleumdungsfeldzug, der von Gottingen
ausgeht und in der Frankfurter Zeitung den iiblen Artikel gebracht
hat, der natiirlich wieder iiberall erscheinen wird, hast Du wohl
vernommen. Es ist ganz greulich. Es ware mir lieb, wenn ich doch
noch am 15. wenigstens abends [wieder in Stuttgart] ankommen
konnte; aber es wird eben der 8. bis ich in Dornach bin, und dann
wird einem jeder Tag aufgerechnet.
Heute Mittag war hier die Verhandlung mit Marx wegen der
Ubernahme der Waldorf-Astoria. Ich habe mit diesem Marx einen
Marxismus verhandelt, der auch nicht gerade unmarxistisch ist.
Ubrigens lasst sich der Marx Dir empfehlen.
Sonst ging alles hier, wenn eben auch nicht gerade glatt. Nur die
Leute im Haus, Reebsteins und Olga sind sehr nett und freuen sich
auf Dich sichtlich.
Leider war ich so gedrangt, dass ich von del Monte nichts sehen
konnte. Hoffentlich geht das alles gut. Nun wartet das Auto und
ich noch auf Molt, der mir noch Nachricht von einem Fischer
bringen will, der auch mit Waldorf-Astoria zu tun hat.
Allerherzlichstes Dein Rudolf
Bevor ich von Stuttgart abreise: Nach Veranstaltungen in Holland (19. Februar bis
3. Marz) war Rudolf Steiner nach Stuttgart, Marie Steiner fur eine Eurythmie-
auffiihrung nach Koln gereist.
Wagner: Otto Wagner, Stuttgart, Sekretar bei Emil Molt.
Ith: Dr. Arnold Ith (1890-1979), 1920-1922 Direktor der Futurum AG. Spater
Verkehrsdirektor der Stadt Zurich.
Verleumdungsfeldzug, der von Gottingen ausgeht ... Frankfurter Zeitung ... iible
Artikel: Gottingen war einer der Schwerpunkte gegnerischer Aktivitat. Ziel der
Angriffe bildete nicht nur die Person Rudolf Steiners und die von ihm vertretene
Anthroposophie, sondern sie richteten sich auch gegen die Dreigliederungsbestre-
bungen. Als Hauptgegner tat sich Prof. Hugo Fuchs, Direktor des anatomischen
Instituts, hervor. Einerseits waren personliche Motive ausschlaggebend - seine
Frau Franziska war seit 1912 Mitglied -, andererseits gehorte er dem Dunstkreis
der volkisch orientierten Alldeutschen an, die Rudolf Steiner Vaterlandsverrat
vorwarfen. Im Januar 1921 hatten die oberschlesischen Ortsgruppen des Bundes
fur Dreigliederung im Hinblick auf die Volksabstimmung vom 20. Marz 1921
iiber die staatliche Zugehorigkeit einen Aufruf zur Rettung Oberschlesiens (bisher
in GA 24, neu in GA 255) veroffentlicht, der zur Hauptsache von Rudolf Steiner
verfasst worden war und in dem die Oberschlesier aufgerufen wurden, bis zur
Klarung der europaischen Verhaltnisse die Angliederung an einen angrenzenden
Staat vorlaufig abzulehnen und die soziale Dreigliederung in ihrem Territorium
zu verwirklichen. Am 25. Februar 1921 wurde von der Gottinger Ortsgruppe der
«Vereinigten Verbande heimattreuer Oberschlesier» eine Protestversammlung
einberufen, die eine Resolution verabschiedete, in der gegen den Inhalt des
Aufrufes protestiert wurde, da er die Abtrennung Oberschlesiens vom Deutschen
Reich befurworte. Treibende Kraft hinter dieser Versammlung und Entschliefiung
war Prof. Fuchs und seine Anhangerschaft. Sie konnten erreichen, dass eine vom
Dreigliederungsbund fiir den nachsten Tag geplante Gegenversammlung im «In-
teresse der offentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung» von den zustandigen
Behorden verboten wurde. Dem Dreigliederungsbund unter der Leitung von
Ernst Uehli blieb blofi iibrig, in der Dreigliederungszeitung vom 8. Marz (2. Jg.
Nr. 36) eine «Antwort auf die Protestversammlung* zu veroffentlichen. In der
«Frankfurter Zeitung» vom 4. Marz 1921 (65. Jg. Nr. 167) wurden die Vertreter
der Dreigliederungsidee trotzdem als «Verrater am Deutschtum» gebrandmarkt.
Der Vorwurf war so schwerwiegend, dass die «Frankfurter Zeitung» dem Bund
fiir Dreigliederung am 12. Marz 1921 (65. Jg. Nr. 188) die Moglichkeit zu einer
Gegendarstellung einraumen musste. Aufgrund dieser Stellungnahme, die unter
dem Titel «Dreigliederung des sozialen Organismus und Oberschlesien» erschien,
Hefi sich der Vorwurf des Landesverrates nicht aufrechterhalten, und die «Frank-
furter Zeitung» musste ihn am 15. Marz wieder zuriickziehen. (65. Jg. Nr. 196).
An der Gehassigkeit gegenuber den anthroposophischen Bestrebungen anderte
sich jedoch nichts.
am 15. wenigstens abends ankommen: zu seinem vom 16.-23. Marz stattfindenden
Kursus «Mathematik, wissenschaftliches Experiment, Beobachtung und Erkennt-
nisergebnisse vom Gesichtspunkte der Anthroposophie» (GA 324).
Ubernahme der Waldorf-Astoria: Die von Emil Molt geleitete Waldorf-Astoria
Zigarrettenfabrik in Stuttgart war eine Aktiengesellschaft. Molt war aber nur
Minderheitsaktionar und hing in seinen Entscheidungen von der Zustimmung
seiner iibrigen Geschaftspartner ab, deren wichtigster der Hamburger Kaufmann
Max Marx war. Als Mitbegriinder der Unternehmensassoziation «Der Kommende
Tag AG» sah es Emil Molt als wunschenswert an, auch sein Unternehmen in
diesen wirtschaftlichen Zusammenhang hineinzubringen. Das bedeutete eine
Ubernahme der Aktienmehrheit durch den Kommenden Tag. Entsprechende
Verhandlungen mit den Hamburger Aktionaren wurden im Oktober 1920 aufge-
nommen und fiihrten im Marz 1921 zu einem vorlaufigen Abschluss. Die notigen
Klarungen zogen sich aber bis Ende Mai hin. Die Ubernahme der Aktien erfolgte
riickwirkend auf den 1. Januar 1921. Der durch die Eingliederung der Waldorf-
Astoria erhoffte Gewinn blieb allerdings aus, so dass dem Kommenden Tag nichts
anderes iibrig blieb, als die Aktien der Waldorf-Astoria wieder zu verkaufen. Im
Marz 1922 wurde mit einem deutschen Bankenkonsortium ein entsprechender
Verkaufsvertrag abgeschlossen und die Aktien mit Wirkung ab 1. April 1922
wieder abgestossen. Fur Molt war diese Entwicklung tragisch, fiihrte sie doch
schliefilich 1929 zum Untergang seines Unternehmens.
Olga Zibell (1894-1961). Kam ca. 1912 aus Posen nach Berlin. Von 1913 an war
sie bis zu ihrer Verheiratung 1927 als Hausgehilfin im Steinerschen Haushalt,
zuerst in Berlin, dann in Dornach tatig.
Molt: Kommerzienrat Dr. h.c. Emil Molt (1876-1936), Industrieller, Chef der
Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik Stuttgart, Mitglied seit Oktober 1907. Aktiv
beteiligt am Zustandekommen der sozialen Dreigliederungsbewegung und in
diesem Zusammenhang Griinder der Freien Waldorfschule Stuttgart (1919). Mit-
begriinder der Kommenden Tag AG., Stuttgart, und der Futurum AG, Dornach.
148 An Marie Steiner in Berlin
Samstag, 24. September 1921
Dornach, 24. Sept. 1921
Meine Hebe Maus!
Die nach meiner Ankunft in Stuttgart vollzogenen Tatsachen moch-
te ich Dir mitteilen, damit Du nicht zuerst Ungenaues dariiber
horst, ehe Du nach Stuttgart kommst.
Zum General-Direktor des «Kommenden Tages» ist Emil Lein-
has ernannt. Die Sache war natiirlich nicht leicht, bis sie so weit
war, dass ich Donnerstag den 22. vorm. 1 1 Uhr Leinhas personlich
in Champignystr. 17 in sein Amt einfuhren konnte.
Benkendorffer, dem die Sache sehr schwer geworden ist, ist
wieder zu del Monte, der ja jetzt zum Kom. Tag als Teilbetrieb
gehort, zuruckgekehrt. Dort wird er amtieren als Aufsichtsrat (und
Delegierter des Verwaltungsrates) des Kom. Tages.
Die aufieren Modalitaten sind so gestaltet, dass del Monte
erklart hat: er brauche in seinem Unternehmen zur gedeihlichen
Weiterentwickelung des Betriebes Benkendorffer unbedingt. Und
so konnte man am Mittwoch Abend so weit sein, diese ganz tief-
gehende Frage zu ordnen.
Dann weiter, was auch die Weiterfiihrung der Eurythmie in
Stuttgart tangiert. Alfred Maier ist veranlasst worden, von der
Leitung der Guldesmiihle zuriickzutreten. Ich konnte nach Anho-
rung des Graf en Keyserlingk, der ja nach Stuttgart wahrend meiner
Anwesenheit zur Vorbringung seines Sachverstandigenurteils ge-
kommen war, nicht anders als diese Entscheidung treffen. Damit
aber verlasst - und zwar ist das schon im Gange - die ganze Familie
Alfred Maier die Guldesmiihle. Die provisorische Leitung bis zur
definitiven Ordnung besorgt Hauler in Guldesmiihle. Es war un-
moglich, bei Ordnung dieser Angelegenheit auf die in Guldesmiih-
le einzurichtende Eurythmie Riicksicht zu nehmen. Es darf eben
dort die Sache nicht wirtschaftlich zu Grunde gehen. Das ware
geschehen, wenn die Familie Maier dort belassen worden ware.
So also werden Maiers, also auch Lory Smits-Maier zukiinftig
wohl in Stuttgart Werfmershalde wohnen. Und ich bitte Dich bei
Deinen Eurythmie Dispositionen schon jetzt das in Rechnung zu
stellen. Ich glaube, man hat auf Maiers Seite darauf gerechnet, dass
von einer Radical-Trennung von der Guldesmiihle wegen der Ein-
richtung der Eurythmie dort Abstand genommen werde. Das ging,
nach Lage der Sache, aber absolut nicht.
Da Alfred Maier einen merkwiirdig versohnlichen Standpunkt
eingenommen hat, als er den Ernst sah, so ist zu erwarten, dass Du
in Lory Smits nicht Wut triffst - man kann ja allerdings nichts
Bestimmtes sagen - sondern Entgegenkommen, wenn Du sie, ganz
nach Deinem Willen und Ermessen, zu dem oder jenem in der
Eurythmie verwenden willst. Alfr. Maier hat geschrieben, dass er
jetzt erst einsehe, wie unmoglich er als Leiter der Guldesmiihle
war. Er hat uns also eigentlich Recht gegeben. Was das bedeutet,
wird natiirlich erst die Zukunft lehren. Ich habe den Brief Alfr.
Maiers in Stuttgart nicht mehr selbst gelesen, sondern durch Molt
erst auf der Herreise Donnerstag erfahren. Es wird also auch mog-
lich sein, Lory in Stuttgart, wenn Du willst, fiir die Eurythmie zu
verwenden.
Mit Molt und Frau Reebstein habe ich besprochen, dass Du
Samstag friih V2 8 in Stuttgart eintriffst, dann mit Auto nach Dei-
nem Ermessen iiber den Feldberg weiterfahrst. Molt wird fiir den
Bahnhof alles besorgen und will Dich dann nach Dornach selbst
begleiten. Ich kann also voraussetzen, dass das alles gut gehe. Hier
habe ich die Futurum-Sorgen jetzt auf der Seele. Ich kann nur
hoffen, dass jetzt in Stuttgart Leinhas 5 Fuhrung alles gut macht. Es
ist nicht leicht.
Molt war mit mir hieher gefahren; ist aber noch gestern Freitag
- nach allerlei Futurum-Verhandlungen, nach Stuttgart zuriick-
gereist.
An Frau Rochling, Waller, Miicke usw. herzlichste Griifie und
vor allem Dir selbst Herzlichstes von Deinem
Rudolf Steiner
ehe Du nach Stuttgart kommst: Marie Steiner war durch Eurythmieauffuhrungen
noch in Berlin und Dresden festgehalten und kehrte erst am 1. Oktober iiber
Stuttgart nach Dornach zuriick.
Zum General-Direktor des «Kommenden Tages» ist Emil Leinhas ernannt: Der
bisherige Generaldirektor des Kommenden Tages, Eugen Benkendoerfer, fuhlte
sich in seiner Stellung nicht glucklich und war froh, dass er in der Aufsichtsrats-
sitzung vom 21. September 1921, abends um 23 Uhr, mit sofortiger Wirkung von
seinem Amt entbunden wurde. Er wurde zum Delegierten des Verwaltungsrates
ernannt und nahm seine fruhere leitende Tatigkeit in den Kartonagenfabriken Jose
del Montes - eine Abteilung des Kommenden Tages - wieder auf. An seine Stelle
trat Emil Leinhas, bisher Direktor in der Waldorf-Astoria A.G. Am nachsten Tag
fiihrte Rudolf Steiner in seiner Eigenschaft als Prasident des Aufsichtsrates den
neuen Generaldirektor des Kommenden Tages in sein Amt ein. Anlasslich seiner
Ansprache vor den versammelten Mitarbeitern der Zentrale des Kommenden
Tages am 22. September 1921 betonte Rudolf Steiner (kiinftig in GA256b): «Wir
brauchen nur das richtige Gefuhl fur das Zusammenarbeiten, dann wird es gehen.
Mir selbst biirgt die Personlichkeit von Herrn Leinhas dafiir.»
Emil Leinhas (1878-1967), Kaufmann, Mitglied in Hamburg seit Dezember 1909.
Marz 1920 Mitbegriinder, dann Generaldirektor und schlieftlich Liquidator der
Kommenden Tag A.G. Von 1921 bis 1923 im Zentralvorstand der Anthroposo-
phischen Gesellschaft, ab Februar 1923 im Vorstand der Deutschen Landesgesell-
schaft, Stuttgart. Seit 1949 Mitglied der Rudolf Steiner-Nachlassverwaltung.
Champignystr. 17: In der Liegenschaft an der Champignystrafie 17 (heute Hein-
rich-Baumann-Strafie) - in unmittelbarer Nahe der Waldorf-Astoria Zigaretten-
fabrik - war nicht nur die Geschaftsstelle des Bundes fur Dreigliederung des
sozialen Organismus, sondern auch der Vorstand (Generaldirektion und Direk-
tion) des Kommenden Tages untergebracht.
Benkendorffer: Eugen Benkendoerfer (1878-1939), Mitglied seit Marz 1906, vor
dem Krieg Direktor der Waldorf-Astoria, spater Teilhaber der Firma del Monte,
Schwiegersohn von Adolf Arenson. Zusammen mit diesem und Carl Unger «einer
der treuesten Pioniere unserer Bewegung» (Marie Steiner).
Verwaltungsrat des Kom. Tages: Der geschaftsfuhrende engere Kreis im Auf-
sichtsrat.
Guldesmiihle: Die Kommende Tag AG hatte sich finanziell an der Guldesmuhle
in Dischingen (Wurttemberg) beteiligt, zu der auch ein Sagewerk sowie ein grofies
landwirtschaftliches Anwesen gehorte. Die Gutsverwaltung wurde Alfred Maier
anvertraut. Trotz seiner groEen kreativen Begabung erwies er sich als vollig
ungeeignet fur diese Aufgabe; das angerichtete finanzielle Chaos und die im
Widerspruch zu den Zielen des Kommenden Tages stehende Geschaitsiiihrung
veranlasste den Aufsichtsrat unter dem Vorsitz von Rudolf Steiner, am 21.
September 1921 ultimativ den sofortigen Riicktritt von Alfred Maier zu verlangen.
Maier sah keinen anderen Ausweg mehr, als sich dem Druck zu beugen und die
Guldesmuhle mit seiner Familie zu verlassen. Die vorlaufige Leitung der Guldes-
miihle ubernahm Konradin Haufier, einer der Direktoren des Kommenden Tages.
Nach dem Ausscheiden Maiers besserten sich die Verhaltnisse in Dischingen.
Alfred Maier (1889-1958), Kaufmann, Mitglied in Stuttgart I seit Februar 1909,
mit der Eurythmistin Lory Smits verheiratet.
Graf Keyserlingk: Carl Wilhelm v. Keyserlingk (1869-1928), Landwirt, Mitglied
seit 1918. Setzte sich besonders fur das Zustandekommen des Landwirtschaft-
lichen Kurses und fur die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise auf seinem
Schlossgut Koberwitz bei Breslau ein. Auf seine Initiative entstand auch der
«Versuchsring anthroposophischer Landwirte».
Haufier: Konradin HauEer (1883-1973), Kaufmann, Mitglied seit Januar 1920.
Einer der drei Direktoren der AG Der Kommende Tag von 1920 bis zu dessen
Liquidation 1925. Griindete mit seinem Vermogen 1960/61 die Konradin-Hau-
fier-Stiftung, die die weltweite Verbreitung von Rudolf Steiners Werk unterstiitzt.
Lory Smits-Maier: Lory Maier, geb. Smits (1893-1971), Mitglied seit Marz 1912,
Tochter von Clara Smits Mess'oud Bey. Als Ur-Eurythmistin empfing sie 1912
die ersten Anweisungen fur die Eurythmie. Ab 1913 gab sie in ihrem Hause in
Haus Meer bei Diisseldorf Kurse, wobei ihre Mutter den Unterricht in Anthro-
posophie erteilte. 1915 kam sie zum zweiten Eurythmiekurs nach Dornach und
nahm auch an den Faust-Szenen teil. 1917 heiratete sie Alfred Maier.
Hier habe ich die Futurum-Sorgen jetzt auf der Seele: Mit dem krankheitsbeding-
ten Ausfall von Roman Boos im Mai/Juni 1921 und dem im August 1921
angekiindigten Riicktritt von Johann Hirter sah sich Rudolf Steiner als President
des Verwaltungsrates in der Verantwortung fur die Futurum AG zunehmend
alleingelassen. Boos war nicht nur Vizeprasident gewesen, sondern hatte als
Delegierter des Verwaltungsrates die oberste geschaftliche Verantwortung fur das
Unternehmen wahrgenommen. Hirter war auf ausdriicklichen Wunsch von Ru-
dolf Steiner in den Verwaltungsrat eingetreten; er genoss als bekannter freisinni-
ger Politiker und als President des Verwaltungsrates der Schweizerischen Natio-
nalbank grofies offentliches Ansehen. Aber nicht nur das Zuschieben von immer
mehr geschaftlicher Verantwortung fur das Gesamtunternehmen musste Rudolf
Steiner bedriicken, sondern auch die zunehmend schwierige wirtschaftliche Lage
in einzelnen Abteilungen, wie zum Beispiel der «Filiale Bonigen Schirmgriff- und
Stockfabrik» oder der «Bureau A.G.» in Basel. Die ganze Situation veranlasste
Rudolf Steiner im November 1921, eine Lageanalyse in Form eines streng vertrau-
lichen Memorandums vorzunehmen (kiinftig in GA 256), in der er fur die Futu-
rum eine Neubesinnung auf ihre Aufgaben forderte. Gleichzeitig beauftragte er
Emil Molt, sich energisch um das Schicksal der Futurum zu kummern. In den
folgenden Monaten versuchte Emil Molt, als «beauftragter» Delegierter des Ver-
waltungsrates, die notwendigen Sanierungsschritte einzuleiten und durchzufuhren
- eine Aufgabe, die ihm grtindlich misslingen sollte.
i
Ca. 1920/21, vor dem Ersten Goetheanum in Dornach
JL7ZZ
Im Januar findet die erste von zwei offentlichen Vortragsreisen durch
Deutschland statt, die zu organisieren sich die Konzertagentur Wolff &c
Sachs erboten hatte. Marie Steiner begleitet diese Reise, in vier der zwolf
besuchten Stadte finden Eurythmie-Auffiihriingen statt. Das Thema der
Vortrage war «Das Wesen der Anthroposophie», nur in Stuttgart und
Berlin lautete es «Anthroposophie und die Ratsel der Seele».
Uber den Vortrag in Berlin am 26. Januar berichtet Friedrich Rittel-
meyer: «Ein Berliner Konzertbiiro hatte ihn zu einer groften Vortragsreise
durch Deutschland verpflichtet. Damals hatte Rudolf Steiner der Mann des
Tages werden konnen - wenn er gewollt hatte. Aber es kam anders. Ich
habe die Berliner Versammlung in der Philharmonie miterlebt. Der grofie
Saal voll bis auf den letzten Platz. Draufien rissen sich die Menschen um
die Eintrittskarten und zahlten Preise angeblich bis zu hundert Mark. Alles
in gespanntester Erwartung. Im Unbewussten wartete man auf den Pro-
pheten der Zeit. Rudolf Steiner erschien und erzahlte der atemlos lau-
schenden Menge von dreitausend Horern iiber eine Stunde unerbittlich
und grundlich von Imagination, Inspiration, Intuition. Immer wieder
fragte ich mich: Hat je ein Mensch die Gelegenheit, der Menschenmasse zu
imponieren, so souveran aus der Hand gegeben? Mir gegeniiber in der
Loge saft ein hoherer Offizier, ein Angesehener des Wagnerkreises. Ich
hatte ihn selbst fur Steiner interessiert. Gutwillig aufmerkend safi er da
und strengte sich an zu verstehen. Allmahlich wurde er hoffnungslos und
lehnte sich zuriick. Dann schiittelte er unwillig den Kopf, und lang vor
Schluss des Vortrags war er verschwunden. - Wusste Rudolf Steiner, was
er tat? Dass er diese seltene, fur Sensationen aufgeschlossene Versammlung
- langweilte? Kein Mensch, der Rudolf Steiner kannte, vermochte daran zu
zweifeln, dass er sich ganz bewusst war, was er tat. Verlegenheit vor der
grofien Versammlung? Unvermogen zum Volk zu sprechen? Das alles kam
gar nicht in Betracht fiir den, der wusste, wie donnernd zum Erbeben
Rudolf Steiner reden konnte. Fiir wen redete er eigentlich? Ich rechnete
mir wahrend des Vortrags damals aus, wie viele Menschen jetzt einigerma-
Een zu folgen fahig und geneigt sind. Die Anthroposophen abgerechnet,
schatzte ich fiinf bis zehn. Fiir diese redete er, vollkommen bewusst.
Geradezu grausam unterdruckte er alles, was ihn hatte zur Sensation des
Tages machen konnen. Kein Flackerschein des Imponierenwollens huschte
iiber die Versammlung hin. Den zehn, vielleicht zwanzig Menschen hoffte
er durch den sachlichen Ernst, durch die ausfiihrliche Griindlichkeit, mit
der er iiber Gebiete sprach, die den meisten Menschen fremd sind, das
geistige Interesse wachzurufen. [...] Ahnliche Situationen, nur nicht in
diesem Ausmafi, habe ich mehrmals erlebt. Es gehorte fiir den AuEenste-
henden wirklich etwas dazu, sich durch diese Zuriickhaltung nicht tau-
schen zu lassen. Selbst kluge und anscheinend aufgeschlossene Menschen
verstanden es nicht.» (aus «Meine Lebensbegegnung mit Rudolf Steiner»).
Bei der zweiten von Wolff & Sachs organisierten Reise kommt es am
15. Mai in Miinchen durch deutsch-nationale Rowdys zu einem versuchten
Attentat und zwei Tage spater in Elberfeld zu Storaktionen.
Im Marz findet in Berlin mit mehreren Rednern ein offentlicher an-
throposophischer Hochschulkurs statt, ebenso im April in Den Haag.
Anschliefiend fahrt Rudolf Steiner zur Festveranstaltung des Komitees
«New Ideals in Education* in Stratford-on-Avon. Er halt dort drei Vor-
trage und besucht die Auffuhrungen mehrerer Shakespeare-Dramen.
Anfang Juni findet in Wien der grofie West-Ost Kongress, der zweite
offentliche internationale Kongress der anthroposophischen Bewegung, im
vollen Saal des Musikvereins statt. Drei Eurythmie-Auffuhrungen in der
iiberfiillten Volksoper sind Teil des Kongresses. Uberhaupt tritt die Eu-
rythmie in diesem und den folgenden Jahren kraftig an die Offentlichkeit
und wird meistens sehr gut aufgenommen, besonders auch im Ausland.
Mitte August halt Rudolf Steiner einen padagogischen Kurs in Oxford
«Die geistig-seelischen Grundkrafte der Erziehungskunst» (GA 305). Im
November ist er zum zweiten Mai in diesem Jahr in Holland, und zum
dritten Mai in England, zu Vortragen und Eurythmie-Auffuhrungen.
Im September findet in Dornach ein Kurs vor allem fiir franzosische
Teilnehmer statt (Autoreferate in GA 25), gleichzeitig der 3. Theologen-
kurs, der zur Begriindung der «Christengemeinschaft», der Bewegung fur
religiose Erneuerung, fiihrt (GA 344). Die Initiative dazu ging nicht von
Rudolf Steiner aus, sondern von einer Reihe Theologen und Studenten, die
das Unbefriedigende der Konfessionen in innere Konflikte gefiihrt hatte,
und die ihn um Rat baten. Er hat stets betont, dass er diesen Rat als
«Privatmann» gegeben habe, und dass die Christengemeinschaft nicht eine
Griindung der anthroposophischen Bewegung sei.
Anfang Oktober findet in Stuttgart der Padagogische Jugendkurs statt
(GA 217), den Marie Steiner mit Kursstunden fiir Sprachgestaltung beglei-
tet. Viel Jugend war in die anthroposophische Gesellschaft gekommen, ein
Generationenkonflikt war entstanden, und das eigentliche Gesellschafts-
leben war in eine tiefe Krise gekommen.
Neben diesen markantetsten Ereignissen des Jahres gibt es noch eine
Fiille von Vortragen fur die Mitglieder, padagogische Vortrage, Vortrage
fiir die Arbeiter des Goetheanum-Baues, Konferenzen mit den Lehrern der
Waldorf schule, zeitraubende Besprechungen wegen des Nichtgelingens
der «Kommenden Tag AG» und der «Futurum AG».
Seit dem Ende des Krieges ist die Gegnerschaft gegen die Anthroposo-
phie und Rudolf Steiner immer mafiloser geworden. In der Sylversternacht
fallt der Goetheanum-Bau einer Brandstiftung zum Opfer.
149 An Rudolf Steiner in Dornach
Samstag, 25. Februar 1922, aus Stuttgart
Wir haben nun unsern ersten Probeabend hinter uns. Scheinbar ist
man begeistert. Ich weifi natiirlich nicht, wie viel auf Konto des
Wunsches kommt, uns wegen der letzten faux pas zu begiitigen.
Gestern war es sehr gut besucht, auch Stehplatze wurden vergeben.
Die «Natur» ist aber nicht gut gegangen; es ist iiberhaupt eine
Sache, wo man am wenigsten zum Erleben durchdringt, weil die
Gedachtnisspannung uberwiegt; die Biihne ist ja leider hier zu eng,
und nun kam durch den Temperaturunterschied vor und hinter den
Vorhangen eine solche Blahung der Vorhange, dass die Damen in
die Mitte zusammenriicken mussten und dadurch viel zu gedrangt
dastanden, um die Formen auswirken zu lassen. Ich war nur froh,
dass Kisseleff nicht in den Vorhangen hangen blieb, die ihr in die
Beine wehten. Das gab sich dann spater, als die Temperatur ausge-
glichener war. Aber es ist iiberhaupt zu kalt hinter den Vorhangen,
da es keine Heizkorper da gibt. Nun mtissen die Damen, erhitzt
vom Tanz, in den diinnen Schleiern dastehen und sich den Er-
kaltungen aussetzen.
Ubrigens sollen einige das wolkenartige Wehen grade sehr schon
gefunden haben.
Das iibrige ging ohne Malheur vor sich und wir horen nur Gutes.
Ich fiirchte aber doch, dass wir in Halle und Leipzig abgemurkst
werden.
Uehli hat die einleitenden Worte gesprochen und «die Biihne
ihrer Bestimmung iibergeben».
Da Rittelmeyer mir wegen einer zweiten Vorstellung in Berlin
geschrieben hat, werden wir morgen hier iiben und Montag reisen.
Grunelius erwartet uns, wir sind im Sedan-Hotel einquartiert.
Alles Herzlichste und Beste, ich freue mich sehr, dass wir ge-
stern und heute die Szenen aus den Mysterien geben durften und
dass man die Ergriffenheit spurte.
Marie
Die «Natur»: Hymnus an die Natur von Goethe, von Rudolf Steiner 1919 fur die
Eurythmie eingerichtet.
Kisseleff: Tatiana Kisseleff (1881-1970), Russin, Mitglied seit Marz 1912, gehorte
zu den ersten und besten Dornacher Biihneneurythmistinnen.
Uehli: Ernst Uehli (1875-1959), Mitglied in Zurich seit Oktober 1908, ab 1919
Schriftleiter der Wochenschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus» und ab
Oktober 1921 zusammen mit Dr. Kolisko Schriftleiter der Monatsschrift fur
Anthroposophie und Dreigliederung «Die Drei», sowie Mitglied im Zentralvor-
stand der Anthroposophischen Gesellschaft, Stuttgart.
Biihne ihrer Bestimmung ubergeben ... Szenen aus den Mysterien: Der Vortrags-
saal im Stuttgarter Zweighaus Landhausstrafie 70 war um eine Biihne mit Neben-
raumen vergrofiert worden. Zur Einweihung wurden in zwei Eurythmievorstel-
lungen (24. und 25. Februar 1922) verschiedene Szenen aus den Mysteriendramen
Rudolf Steiners dargestellt.
Rittelmeyer ... zweite Vorstellung in Berlin: Vom 5.-12. Marz 1922 fand in Berlin
ein Anthroposophischer Hochschulkurs statt, Leitung Dr. Friedrich Rittelmeyer.
Aufier der ins Programm aufgenommenen Eurythmievorstellung am 12. Marz
1922 im vollbesetzten Deutschen Theater wurde noch eine zweite kleinere Vor-
stellung am 9. Marz 1922 eingeschoben.
Dr. Friedrich Rittelmeyer (1872-1938), protestantischer Pfarrer und bekannter
Prediger in Niirnberg, ab 1916 an der «Neuen Kirche» in Berlin. Seit 1911
personliche Verbindung zu Rudolf Steiner. 1922 Mitbegriinder und erster Leiter
der «Christengemeinschaft». 1923 auch im Vorstand der deutschen Landesgesell-
schaft.
Grunelius: Andreas v. Grunelius (1900-1987), Mitglied seit September 1920, stu-
dierte zunachst Land wir tschaft in Hohenheim, promovierte dann zum Dr. rer.
pol. in Tubingen. Er begleitete Rudolf und Marie Steiner auf manchen Reisen zu
deren personlichem Schutz, so gehorte er am 15. Mai in Miinchen auch zu den
Verteidigern gegen den Attentatsversuch. 1931 wurde von ihm zusammen mit
anderen in Stuttgart die Waldorfspielzeug und Verlag GmbH gegriindet. Nach
dem 2. Weltkrieg leitete er zunachst die Landwirtschaft des heilpadagogischen
Heimes St. Barthelemy in der Nahe des Genfersees, 1953 kam er in die Admini-
stration der Ita-Wegman-Klinik in Arlesheim.
150 An Rudolf Steiner in Dornach zum 27. Februar 1922,
geschrieben Stuttgart, 26. Februar 1922.
^7 -dsWZ. *Lc* ^^^^^^^^
151 Bei den Briefen befindliches Blatt mit der Handschrift Marie Steiners
152 Fur Marie Steiner, zum 15. Marz 1922
<x*c<4 <A~c+ns $&6£t/* tu^JL£ ^
153 An Marie Steiner in Dornach
Freitag, 19. Mai 1922
Bremen, 19. Mai 1922
Meine liebe Maus!
So bin ich also hier in Bremen. Mannheim und Coin gingen gut. In
Elberfeld gabs Radau; doch ist auch dort der Vortrag bis zu Ende
gehalten worden. Die Agitation ist eben zu machtig. Hoffentlich
bist Du gut in Dornach angekommen.
Es ist ziemlich anstrengend, da man fast iiberall friih am Morgen
abreisen muss.
Von Coin hieher ist Frau Rochling mitgefahren; hier ist nun
auch wieder Grunelius, der vorausgefahren ist. Nun nur noch aller-
herzlichste GriiEe von
Deinem Rudolf Steiner
Gruft an Waller.
Bremen, Mannheim, Koln: Stationen auf der von der Konzertagentur Wolff &
Sachs organisierten Vortragsreise. Das Thema der Vortrage war «Anthroposophie
und Geisteserkenntnis».
In Elberfeld gabs Radau: Uber den Vortrag am 17. Mai in der Stadthalle Elberfeld
berichtete die «Barmer Zeitung» vom 18. Mai: «Am Eingang fielen schon zahlrei-
che verwegene Gestalten in Ballonmiitzen auf, und so war es keine Uberraschung,
dass es zu Storungen kam, die den Vortragenden notigten, so lange auszusetzen,
bis die Polizei fur die Sicherung des Vortrages gesorgt hatte.»
bist Du gut in Dornach angekommen: Marie Steiner war aus Stuttgart nach
Dornach zuriickgekehrt.
154 An Rudolf Steiner auf Vortragsreise
Montag, 22. Mai 1922, aus Dornach
22. Mai
L. E.
Wenn Du nur schon hier warst. Diese Reise ist morderisch. Und
Leipzig konnte auch eine schwere Nummer gewesen sein. Sachs
und Wolff hatten nicht so schnell wieder happig sein diirfen. Nun
ist die Opposition noch mehr aufgestachelt. Warst Du nur hier.
In Stuttgart wirst Du wohl iiber die neue Ordnung seufzen. Ich
habe jedes Fach im Regal genau so mit den Biichern dekoriert,
wie es das friihere Bild ergab, und deshalb nicht abgestaubt, bloft
die Facher selbst liegen nebeneinander in einer etwas andern Bild-
haftigkeit.
Es musste ja geschehen, damit das andere Zimmer gerichtet wird.
Hier hatte ich viel zu schuften. Die Reise war gut. Ich habe Halt
aufter Schussweite gehalten. Frl. Dubach war sehr konsterniert, als
ich ihr den Grund angab.
Danke herzlich fur die zugesandten Worte. Warst Du nur
schon hier.
Marie
Ich habe Halt aujler Schussweite: Herr Halt war Chauffeur in Stuttgart.
Frl. Dubach: Helene Dubach (1890-1960), Russlandschweizerin, Schwester des
Bildhauers Oswald Dubach. Von 1919 an mit im Dornacher Haushalt von Rudolf
und Marie Steiner.
155 An Rudolf Steiner in Dornach
Donnerstag, 19. Oktober 1922, aus Stuttgart
Donnerstag
L. E. Nur einige Worte des Grufies. Es wird mir freundlich ange-
boten, etwas nach Dornach hinuber zu nehmen. Gestern war die
Auffuhrung gut besucht und es klappte alles, trotzdem wir Ersatz
schaffen mussten wegen des Ausfalls von Frau Fels. Diese Miihe
werden wir in noch reicherem Mafie fur den Sonntag haben. Die
Kurse gebe ich, aber es ist wohl kaum richtig, dass ich mich so
ermiide vor der Reise in die Offentlichkeit, und bei der Erkaltung.
Hoffentlich kommen nicht iible Folgen. Es ist aber sonderbar,
dass man bei dem miserablen Stimmaterial schon Erfolge sieht nach
wenigen Stunden durch die Ubungen und das Horen lehren.
Ich habe mich fur die Szenen aus den Mysterienspielen ent-
schlossen fiir Coin. 1st es so recht?
Es ist doch nicht notig, dass wir fiir Den Haag die schwarzen
Vorhange fiir die Faustszene schleppen? Es ging doch auch hier mit
dem Blau ganz gut.
So schade, wenn Du nicht nach Coin kamst. Wir miissen also
Donnerstag reisen; ich versuche die Schlafwagenkarten fiir den 26.
zu bekommen. Wenn Du in Coin sprachest, miisstest Du Deine fiir
den 28. haben. Der Eilbrief ist gekommen. Kretschmar fragt an, ob
sie auf einen Vortrag von Dir hoffen diirfen, da muss ich wohl
absagen.
Wie grasslich, dass auch in Dornach die Unannehmlichkeiten
immer Dich erwarten. Fast denke ich, dass das Unerwartetste in
Bern die Kompensation sein miisste.
Allerherzlichstes Marie
Frau Fels: Alice Fels, geb. Linke (1884-1973), Mitglied seit September 1911,
gehorte zu den ersten Eurythmistinnen. 1922-1935 fuhrte sie die von Marie
Steiner begriindete und geleitete Eurythmieschule in Stuttgart.
Die Kurse gebe ich: Rudolf und Marie Steiner hatten wahrend des Padagogischen
Jugendkurses in Stuttgart (3.-15. Oktober) gemeinsam einen Dramatischen Kur-
sus abgehalten. Marie Steiner hat wohl im Anschluss daran noch weitere Sprach-
kurse gegeben. - Vgl. Rudolf Steiner/Marie Steiner, «Methodik und Wesen der
Sprachgestaltung» GA 280.
Reise in die Offentlichkeit: Zunachst Koln und dann Den Haag, wo vom 31.
Oktober bis 6. November offentliche Vortrage und zwei Eurythmie-Auffuhrun-
gen stattfanden.
Szenen aus den Mysterienspielen. . . fiir Koln: Im Kolner Schauspielhaus fand am
29. Oktober 1922 eine Eurythmieauffuhrung statt, bei welcher u. a. das 4. Bild aus
«Der Seelen Erwachen» und das 6. Bild aus «Der Hiiter der Schwelle» dargestellt
wurden. Rudolf Steiner war an diesem Tag noch in Dornach.
Kretschmar: Paul Arthur Kretschmar (1882-1964), Mitglied seit 1912, Kaufman-
nischer Unternehmer. Setzte sich fiir die Dreigliederung ein und griindete dafur
1922 die Tageszeitung « Kolner Mittagsblatt», die jedoch nur bis 1925 existieren
konnte. Unterstiitzte auch zahlreiche andere anthroposophische Unternehmun-
gen.
156 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Samstag, 25. November 1922
Stuttgart, 25. Nov. 1922
Meine liebe Maus!
Hoffentlich geht die Reise weiter gut von statten und Du kommst
gut in Berlin an. Ich hatte gleich nach Ankunft hier einen Schreck:
Dein Kofferschliissel war bei mir. Nun geb ich ihn zwar Clara
mit; aber Du wirst wohl den Koffer naturlich langst haben offnen
lassen.
Hier habe ich zu tun vom Morgen bis in die Nacht. Und jetzt,
wahrend ich dieses schreibe, telephonierte mich Husemann an, der
der eigentliche Urheber des Boykotts der Kolisko'schen Broschiire
ist. Ich musste ihm durchs Telephon sagen, da er mich noch heute
personlich sprechen wollte: von dem Arztekollegium ist eine kras-
sere Opposition ausgegangen als von irgend jemand in der Gesell-
schaft: Sie haben den Auftrag gegeben, wahrend der Arzte-Woche
eine Broschiire, die ich fur gut finde, zuzudecken, damit sie nie-
mand sieht: ich verzichte darauf, dariiber von Ihnen Erklarungen
entgegenzunehmen.
Gestern bei der Lehrerkonferenz brachte man es noch nicht zu
einer Regelung der Stundenplanfrage, weil die ohne mich abgehal-
tenen Vorkonferenzen wesenlos waren. Daneben musste das
Moltke-Buch in diesen Tagen mit Frau v. Moltke an dem ersten
Vor- und Nachmittage meines Hierseins besprochen werden. Jetzt
wahrend ich dieses schreibe, wartet unten Rittelmeyer; und alle
Vormittage musste ich in der Schule zubringen.
Nun ja: es ist hier wirklich recht schwer. Doch verzeih, dass ich
das alles schreibe. Aber es steht mir in diesem Augenblicke so vor
Augen, dass es eben aus der Feder floss.
Ich habe nun vor, doch zur letzten Euerer Vorstellungen nach
Berlin zu kommen und doch am Tage darauf einen Zweigvortrag
zu halten. Ich hoffe, dass sich das ermoglichen lasst, obwohl ich
vor allem viel Misere in Dornach finden werde.
Also hoffentlich geht alles dort gut; ich telegraphiere zur rechten
Zeit, ob ich gewiss komme.
Allerherzlichsten Graft Dein Rudolf.
Grufi an Waller.
Clara Zibell (gest. 1987), Schwester von Olga Zibell, Mitglied seit Mai 1921, im
Reebsteinschen Haushalt in Stuttgart tatig.
Husemann: Dr. med. Friedrich Husemann (1887-1959), Facharzt fiir Psychiatrie,
im Januar 1912 aus der franzosischen in die deutsche Sektion iibergetreten. 1921-
1924 Arzt am Klinisch-Therapeutischen Institut in Stuttgart. Griindete 1925 ein
Sanatorium, zunachst in Freiburg-Giinterstal, ab 1930 in Wiesneck bei Freiburg
im Breisgau.
Kolisko'scbe Broschiire: Lilly Kolisko, «Milzfunktion und Plattchenfrage», Stutt-
gart 1922.
Arzte-Wocbe: «Medizinische Woche» Stuttgart, veranstaltet vom Klinisch-Thera-
peutischen Institut der «Kommenden Tag AG». Rudolf Steiner hielt 4 Vortrage
(26.-28. Oktober 1922). Dieselben sind enthalten in dem Band «Physiologisch-
Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft», GA 314.
Lehrerkonferenz . . . Schule: Rudolf Steiner hielt mit dem Lehrerkollegium der von
ihm geleiteten Freien Waldorfschule in Stuttgart von 1919-1924 insgesamt 70
Konferenzen ab, GA 300.
Moltke-Buch: Die Besprechungen mit Frau v. Moltke bezogen sich auf die Publi-
kation «H. v. Moltke, Erinnerungen, Brief e, Dokumente 1877-1 9 16», Stuttgart
1922. Drei Jahre friiher (1919) sollten schon unter dem Titel «Die <Schuld> am
Kriege» Betrachtungen und Erinnerungen des Generalstabschefs H. v. Moltke
iiber die Vorgange vom Juli 1914 bis November 1914 erscheinen und zwar
«eingeleitet in Ubereinstimmung mit Frau Eliza v. Moltke durch Dr. Rudolf
Steiner». Diese Auflage gelangte jedoch nicht zur Auslieferung. Die damalige
Einleitung Rudolf Steiners ist abgedruckt in «Aufsatze iiber die Dreigliederung
des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1 921», GA 24.
Frau v. Moltke: Eliza v. Moltke, geb. Grafin Moltke-Huitfeldt (1859-1932), aus
Schweden, Gattin von Helmuth v. Moltke, Mitglied im Berliner Zweig seit
November 1905.
nach Berlin zu kommen und ... einen Zweigvortrag zu halten: Am 6. Dezember
1922 war in Berlin die letzte von einigen Eurythmievorstellungen. Rudolf Steiner
sprach die einleitenden Worte und hielt anderntags im Berliner Zweig den Vortrag
«Die Erlebnisse des Menschen im atherischen Kosmos», GA218.
157 Telegramm an Marie Steiner auf Eurythmiereise (Vorlage)
ca. Montag, 4. Dezember 1922, aus Stuttgart
Dank fiir Brief, eure Hamburgreise gut. Ich komme dennoch Mitt-
woch friih Berlin, bitte Zweigvortrag Donnerstag, und fiir Freitag
abends mir Schlafwagen Berlin Stuttgart bestellen lassen Herzlichst
Steiner
158 An Marie Steiner in Berlin
Montag, 11. Dezember 1922, aus Stuttgart
Meine liebe Maus!
Weil ich doch glaube, dass dieses noch in Berlin wahrend Deines
Dortseins ankommt, schreibe ich Dir ein paar Zeilen - erst herz-
lichsten GruE - dann dass ich leider erst jetzt Montag 8 Uhr mor-
gens von hier abfahren kann, da Halt gestern krank war und erklar-
te, nicht fahren zu konnen. Wenn ich nichts Gegenteiliges hore,
nehme ich an, dass Du Mittwoch abends - so sagtest Du in Berlin
- von Berlin abreisest. Frau Rochling, die Samstag zu meinem
Zweigvortrag da war, sagte, dass sie in Heidelberg zu Dir in den
Zug steigen und mit nach Dornach auf drei Tage fahren will.
Ich nehme nun doch Donath im Auto heute mit - sie will es
selbst - und es wird gehen. - Dr. Kolisko, der heute abends Vortrag
in Dornach halt, fahrt auch mit. Waller kam gestern abends 10 V2
hier an aus der Stuttgarter Oper, wohin sie gleich vom Bahnhof aus
gegangen war. Ich fragte, wie sie denn gleich vom Bahnhof aus,
wenn sie doch so lange gefahren ist, in die Oper geht. Da sagte sie:
Noll hat mich abgeholt. - Dass sie die Donath nicht auf dem Halse
hat, ist ihr, wie sie sagt, sehr recht. Es ist auch wirklich besser, wenn
ich diese mitpacke.
So also werden wir Dich in Dornach endlich erwarten konnen.
Hoffentlich geht es Dir bis dahin noch mit den Kraften ausrei-
chend.
Der Halt wartet schon unten.
Allerherzlichste Griifie Rudolf
Waller lasst griifien. Grufi an Miicke und die andern.
mein Zweigvortrag: in Stuttgart am 9. Dezember 1922, GA218.
Donath: Annemarie Donath (1895-1972), Mitglied seit Dezember 1913, ab 1915
Biihneneurythmistin in Dornach. Spater mit Oswald Dubach verheiratet.
Dr. Kolisko: Dr. med. Eugen Kolisko (1893-1939), Mitglied seit April 1914. Ab
1920 Lehrer und Schularzt an der Freien Waldorfschule in Stuttgart. 1923-1935
im Vorstand der deutschen Landesgesellschaft. Spater in England.
159 Fur Marie Steiner, 25. Dezember 1922
J&5*. (liAdot^ firing
In den Jahren seit dem Weltkrieg hatte sich die Gesellschaft immer mehr
als unfahig erwiesen, die anthroposophische Bewegung zu tragen. Die
Krafte in Deutschland waren in die vielen Griindungen und sonstigen
Aktivitaten zersplittert, in die auch Rudolf Steiner selber zu zeitraubenden
Sitzungen und Beratungen hineingezogen wurde. Insbesondere versagte
die Gesellschaft in der Abwehr der Gegnerschaft, die immer heftiger
wurde und in dem Brand des Goetheanum-Baues gipfelte. In dieser Lage
nimmt Rudolf Steiner seine offentliche Tatigkeit, die 1922 kulminierte, fast
ganz zuriick und versucht eine tiefgreifende Reform und Belebung der
Gesellschaft in Gang zu bringen. Anfang Dezember 1922, also schon vor
dem Brand, forderte er den Zentralvorstand in Stuttgart auf, Vorschlage
fur die Konsolidierung der Gesellschaft zu erarbeiten. Durch den Brand
wird dies noch viel dringender, denn ohne eine gesunde Gesellschaft ware
der von den Mitgliedern in der ganzen Welt gewiinschte Wiederaufbau des
Goetheanums nicht moglich. So kommt es zu Verhandlungen in Stuttgart,
vor allem mit dem sogenannten Dreiftigerkreis, in dem alle Institutionen
vertreten sind. Den ganzen Januar und Februar fahren Rudolf und Marie
Steiner jede Woche einmal von Dornach nach Stuttgart. Die Verhandlun-
gen finden einen vorlaufigen Abschluss in der dreitagigen Versammlung
der Delegierten der deutschen Zweige am 25. Februar. Da der Genera-
tionenkonflikt unlosbar ist, schlagt Rudolf Steiner vor in Deutschland
zwei Korperschaften zu haben, die alte, aber nunmehr auf Deutschland
beschrankte «Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland» und die
«Freie Anthroposophische Gesellschaft» fur die Jugend.
Auch fur die anderen Lander wunscht er die Errichtung von Landes-
gesellschaften, die sich dann an einer in Aussicht genommenen Tagung an
Weihnachten zu der allgemeinen Welt-Gesellschaft mit Zentrum in Dorn-
ach zusammenschlieEen sollen. Ansatze dazu gab es bereits: die Schweden
hatten sich schon 1913 zu der «Schwedischen Abteilung der A.G.» orga-
nisiert, die Englander hatten wahrend des Krieges ihre eigene Gesellschaft
konstituiert; in der Schweiz war die «Anthroposophische Gesellschaft in
der Schweiz» entstanden, zu deren Generalsekretar Albert Steffen im Mai
1922 ernannt worden war. An der Griindung der Landesgesellschaften
nimmt Rudolf Steiner tatigen Anteil, er besucht Prag im April, Oslo im
Mai, England im August/September, Wien im September/Oktober, Den
Haag im November. Die Griindungs-Verhandlungen sind Teil von Tagun-
gen mit Vortragen und Eurythmie-Auffiihrungen. Zu Generalsekretaren
werden ernannt: Karl Ingero fur Norwegen, Harry Collison fiir England,
Dr. Willem Zeylmans van Emmichhoven fiir Holland. In Osterreich gibt
es vorerst nur das Gremium des Vorstandes, und die tschechische Gesell-
schaft kommt erst im nachsten Jahr zustande. - Ohne Rudolf Steiners
Anwesenheit werden 1923 Landesgesellschaften in Amerika (Monges),
Belgien (Mme Munz), Danemark (Hohlenberg), Finnland (Donner) und
Frankreich (Mile Sauerwein) gegriindet.
Ende Juli findet in Dornach eine internationale Delegierten-Versamm-
lung statt, auf der der Wiederaufbau des Goetheanums beschlossen und
eine vorlaufige Minimal-Finanzierung garantiert wird. Ferner werden die
Delegierten iiber die an Weihnachten zu griindende allgemeine Gesell-
schaft orientiert und gebeten, die anstehenden Probleme mit den Mitglie-
dern zuhause zu beraten, sodass sie dann mit den notigen Vollmachten
versehen an Weihnachten wiederkommen konnen.
Offen bleibt die Frage, wer die Leitung der neuen Welt-Gesellschaft in
Dornach iibernehmen kann. Erst im November ringt sich Rudolf Steiner zu
dem Entschluss durch, dies selber zu tun. Seit 1913 hatte er ja offiziell nichts
mit der Verwaltung der Gesellschaft zu tun, von der er hoffte, dass sie selb-
standig in der Welt bestehen konne. Er erkannte aber, dass er der einzige ist,
der die einander widerstrebenden Gruppen zusammenhalten kann.
Im Anschluss an die Tagung in Den Haag im November fahrt Marie
Steiner nach Berlin, um den Umzug ihres gemeinsamen Haushaltes und
des Philosophisch-Anthroposophischen Verlages nach Dornach zu be-
werkstelligen. Die Inflation in Deutschland ist immer rapider geworden
und erreicht Ende des Jahres ihren Hohepunkt.
Am 24. Dezember beginnt in Dornach die Weihnachtstagung zur
Begriindung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, zu der
etwa 800 Delegierte und andere Mitglieder erscheinen. Dies Geschehen
und alles damit Zusammenhangende ist in den Banden «Das Schicksalsjahr
1923 in der Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft» (GA 259),
«Die Weihnachtstagung zur Begriindung der Allgemeinen Athroposphi-
schen Gesellschaft 1 923/1 924 » (GA 260) und «Die Konstitution der Allge-
meinen Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule fiir
Geisteswissenschaft» (GA 260a) in alien Einzelheiten dargestellt.
160 An Rudolf Steiner in Dornach
Montag, 12. Marz 1923, aus Berlin
12/111 23
Lieber E.
unsere Reise ging gut von statten, hoffentlich auch die Deine. Nur
das lange Warten am Bahnhof in der Kalte war recht unangenehm.
Hier ist alles ausverkauft, so dass wir gut einige Vorstellungen
hinzufiigen konnen. Der Grafin Keyserlingk habe ich fur den 24.
abgeschrieben, und gesagt, dass wir vielleicht Ende April oder An-
fang Mai im Anschluss an Prag Breslau besuchen konnten. Mit
Morike konnte ich mich schon anfreunden. Den richtigen Rhyth-
mus findet man ja am schnellsten durch die Eurythmie. Hier fiige
ich einige Gedichte bei, die mit eurythmischen Formen von Dir
entziickend sein wiirden. Darf ich sie als Geburtstagsgabe erbet-
teln? Wenn ich sie hier in Berlin bekame, konnten wir noch etwas
iiben. Ich denke, dass wir Mittwoch den 21. abreisen. Aber Frl.
Bauer wiirde wohl so gut sein, mir Kopien zu verfertigen; die
Originale hatte ich lieber bei Frl. Lehmann aufbewahrt gewusst.
Verzeih, dass ich schon so verfiige; das kommt, weil Du immer so
lieb drauf eingegangen bist. - Hoffentlich walzt sich nicht zu viel
Schweres wieder an Dich heran.
Mit herzlichstem Grufi Marie
Unsere Reise: Marie Steiner war mit der Eurythmiegruppe bis zum 21. Marz
in Berlin.
Grafin Keyserlingk: Johanna v. Keyserlingk (1879-1966), Mitglied seit 1918,
Gemahlin des Grafen Carl Wilhelm auf dem Gut Koberwitz bei Breslau.
Hier fiige ich einige Gedichte bei: Eduard Morike «Um Mitternacht», «Die
Geister am Mummelsee», «Zwei Liebchen», «Der Zauberleuchtturm».
Frl. Bauer: Sophie Bauer (1882-1958), ausgebildete Malerin, lernte 1905 Schriften
und Vortrage Rudolf Steiners kennen, Mitglied seit Januar 1914. Von ca. 1917/18
an in Dornach; vornehmlich im Zusammenhang mit der Eurythmie uberall
helfend tatig.
161 Telegramm an Marie Steiner in Berlin (Vorlage)
Mittwoch, 14. Marz 1923, aus Dornach
Allerherzlichste Geburtstagsgedanken. Brief nachfolgend.
Rudolf Steiner
162 An Marie Steiner in Berlin
Donnertag, 15. Marz 1923, aus Dornach
Meine liebe Maus!
Hoffentlich hat Dich das Geburtstagstelegramm erreicht. Ich sende
ihm auch hiemit noch die herzlichsten Geburtstagsgedanken nach.
Ich fiige diesen Gedanken bei die spruchartige Zusammenfassung
des Inhaltes meines Vortrages vom Sonntag hier:
BUjiC^ J*x/,<k(U jZr cAcc ZJotXl S<J~y« ;
Es ist mir lieb zu horen, dass es in Berlin gut geht. Dein Brief
ist erst heute friih angekommen. Ich habe mich nun gleich daran
gemacht, die vier Gedichte zu eurythmisieren. Ich denke, dass sie
gelungen sind. Ich iibersende sie mit diesem Briefe. Ich behalte also
die Originalien da und schicke die von Bauer gemachten Kopien.
Es war die Zeit hier sehr besetzt. Der Bucherexperte war noch
einmal einen halben Tag hier. Und man wird schon mit dem andern
alien schwer fertig. Unzufriedene, die allerlei kritisieren, gibt es viele.
Knauer bohrt weiter am Klinischen Institut. Das ist gerade jetzt recht
unangenehm, wo doch die Dinge in Ordnung kommen sollen.
Der Goetheanum-Brand war neulich wegen der Versicherung im
Solothurner Kantonsrat Gegenstand einer langen Verhandlung. Die
Anthroposophie wurde von klerikaler Seite scharf angegriffen; doch
gab es auf der andern Seite auch Verteidiger, die sogar recht wacker
fur das Goetheanum eintraten. - Ein Stuck Bericht aber mochte ich
Dir doch wortlich mitteilen: Regierungsrat Affolter: «Ein anderer
Bau hatte nur durch ein Baureglement von Dornach erzwungen
werden konnen. Kiirzlich ging das Genicht, die Anthroposophen
wollen wieder bauen und man horte schon wieder Geriichte, sie ver-
geben alle Arbeiten ins Ausland. Von alledem ist nichts wahr. Aber
es werden alle moglichen Geriichte iiber die Leute ausgestreut. Im
Johannesbau waren keine Kulissen, keine Vorhange und kein Btih-
nenbau. Sie brauchen das alles nicht fur ihre eurythmischen Bewe-
gungen (Heiterkeit, weil Affolter diese Bewegungen mit den Armen
vorzudemonstrieren versucht).» Also, was will man mehr: Euryth-
mie im Solothurner Kantonsrat! Und Walliser hat gesagt: «Dreivier-
tel der Bevolkerung Dornachs und des Schwarzbubenlandes steht
auf Seite der Anthroposophen.» Und Eckinger hat gesagt: «Steiner
und die iibrigen Anthroposophen haben sich nobel und korrekt be-
nommen. Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Hexenverbrennung
und haben Geistesfreiheit.» Da verzeichnet der Bericht: (Bravos). -
Im Ganzen ging es bei der Debatte scharf her.
Nun noch die allerherzlichsten Griifte von Rudolf Steiner
Dornach, 15. Marz 1923
Vortrag vom Sonntag: Dornach am 11. Marz 1923; enthalten in dem Band «Die
Impulsierung des weltgeschichtlichen Geschehens durch geistige Machte»,
GA 222.
Knauer: Dr. med. Sigfried Knauer (1894-1984), zeitweilig Mitarbeiter am Kli-
nisch-Therapeutischen Institut in Stuttgart. 1924 Arzt in Berlin, 1939 Uber-
siedlung nach Amerika.
Johannesbau: Urspriingliche Bezeichnung des Goetheanumbaues.
Schwarzbubenland: Bezeichnung fur das hinter Dornach liegende Jura-Bergland
des solothurnischen Bezirkes Dorneck-Thierstein, dessen Hauptort Dornach ist.
163 An Rudolf Steiner in Dornach
Sonntag, 7. Oktober 1923
Wien, 7, Okt.
Lieber E., bis jetzt ging alles gut; es war mir nur nicht moglich
Samstag einen Augenblick zum Schreiben zu finden, da ich immer
unterwegs war. Gestern friih wurde ich angelautet, es war eine
entsetzlich lange Prozedur mit Hallo von mir und dem Kellner und
Rufen und Fragen vom Fraulein vom Amt, aber weiter gedieh die
Geschichte nicht.
In Gmunden war alles sehr gut vorbereitet und hubsch. Zit-
kowsky war nach jeder Richtung vorsorglich und gescheit. Das
gemiitliche alte Theater war ganz zu unserer Verfugung, die Be-
leuchtung ausgezeichnet (wie in Stuttgart, er hat sich's 2 Millionen
kosten lassen), die Leute willig und nett. Das Hotel [Krone] dicht
am See biirgerlich sauber und gemiitlich, mit ausgezeichneter Kii-
che (osterreichischer - ich musste an Dich denken und seufzte nach
so einer Erholungszeit), die Wirtin und Magd menschlich liebens-
wiirdig und nett: sie hatte nicht geglaubt, dass es so etwas Schones
iiberhaupt gabe, hat die Wirtin nach der Vorstellung gesagt. - Das
Theater war ausverkauft und die koniglichen Herrschaften (Herzo-
gin von Cumberland) anwesend; die alte Hoheit soil sehr entzuckt
gewesen sein, blofi die Musik zu den vier Winden hat ihr nicht
gepasst.
Grunelius telegraphierte, dass er das Theater in Salzburg fur
Donnerstag Abend bekommen hatte; wir schickten ihm Frau
v. Molnar mit Programmen, die dann hierher gekommen ist und
berichtete, dass sich der Direktor interessiert und jeden Tag eine
Notiz in die Zeitung bringen wird. Hoffentlich geht alles gut.
Salzburg, 9. Okt.
Ich wollte ausfiihrlich schreiben, doch musste ich bald aufhoren, da
fortwahrend Menschen zu mir kamen. Die zweite Vorstellung
wurde ebenso warm aufgenommen wie die erste, der Besuch war
nicht ganz 3/4. Aber es war sehr schlecht plakatiert. Hier hat ja
Grunelius alles vorziiglich vorbereitet. Der Direktor rechnet auf
ein voiles Haus und schlagt eine zweite Vorstellung vor, oder bei
den Arbeitern in Hallein. Wir werden wohl den Verlauf der ersten
abwarten miissen, bevor wir uns zu einer zweiten entschliefien. Ich
iiberlege mir, ob ich auch die Talente von Grunelius fur Innsbruck
verwerten soli, damit wir uns eventuell bis St. Gallen herunterspie-
len. Aber iiberlege mir noch immer, ob es zu kiihn ist. Wenn wir's
nicht jetzt machen, machen wir es wohl kaum je, - konnten aber
auch sehr isoliert sein.
Danke fur die Telegramme, hoffentlich geht es Dir gut, - und
hoffentlich hat Dich Rietmann auch zu einem Vortrag nach
St. Gallen eingeladen; sonst tut er es ja doch zwei Monate spater;
die Probe am Sonntagmorgen hatten wir, aber ohne Vorhange! -
Pfeiffer muss heute Nacht reisen und nimmt den Brief.
Herzlichsten Grufi auch an Mieta und die 3 Fraulein Marie
bis jetzt ging alles gut: Nach der Herbstveranstaltung in Wien (26. September bis
1. Oktober) reiste Rudolf Steiner am 4./5. Oktober nach Dornach, Marie Steiner
mit der Eurythmiegruppe weiter nach Gmunden, Wien, Salzburg und St. Gallen.
Zitkowsky: Dr. Wilhelm von Zitkovszky (gest. 1942), in Gmunden am Traunsee,
Oberosterreich, Mitglied seit Januar 1913 im Zweig Linz.
Herzogin von Cumberland: Thyra, geb. 1853 als Prinzessin von Danemark,
vermahlt mit Ernst August, ehemals Kronprinz von Hannover, der sein Land
1866 an Preufien verlor, lebten in Gmunden im Exil, wo er am 14. November
1923 starb.
■I
1923
Frau v. Molnar: Helene (Ilona) v. Molnar (gest. 1945), aus Ungarn, Mitglied seit
Januar 1920, Eurythmistin. Sie gab in Gmunden Eurythmie-Kurse fur Laien.
Pfeiffer: Ehrenfried Pfeiffer (1899-1961), seit 1920 in Dornach, zunachst um eine
fur die Eurythmie geeignete Buhnenbeleuchtung zu entwickeln. In seinem kleinen
Forschungslabor in Dornach raachte er schon 1922 nach Angaben Rudolf Steiners
Versuche mit Praparaten fur die Landwirtschaft und entwickelte die Methode der
Kupferchlorid-Kristallisation zum Nachweis atherischer Bildekrafte. Seit 1938 in
USA.
die 3 Frdulein: Die 3 Haushalthelferinnen: Helene Lehmann, Helene Dubach,
Olga Zibell.
164 An Rudolf Steiner in Dornach
wahrscheinlich Mittwoch, 21. November 1923, aus Berlin
Es fehlen die ersten Briefblatter
... ohne Kontakt mit den Leuten bleiben. Freilich haben sie schon
ihre Proben fur die Weihnachtspiele und sind schon dadurch be-
schaftigt. Aber es wird sich kaum wieder eine Gelegenheit bieten.
Es ist mir freilich um jeden Tag leid, den ich nicht in Deiner Nahe
bin. Aber andrerseits bist Du mir hier sehr gegenwartig, da wir
ja hier zusammengelebt haben. Und so kann ich's noch einmal
riickerinnernd durchleben, bevor ich hier auflose. 21 Jahre sind's
gewesen, dass wir hier gearbeitet haben.
Es ist sehr gut fiir Waller, dass sie nicht hier ist. Zum Ausmisten
hatte sie nicht die Kraft, und sonst gabe es zunachst ja nichts zu
tun. Walthers sind erst seit einer Woche hier; hatten immer Vor-
tragsreisen bis dahin. Waus kocht und wir essen bei ihr unten.
Die Billionenwirtschaft ist ungeheuerlich, und Muck kann ein-
fach nicht weiter. Es ist [ihr] absolut iiber den Kopf gewachsen.
Nun hoffe ich bald zu horen, dass Dein Husten nicht andauert,
und dass Waller nett und beieinander ist.
Allerherzlichste GriiEe Marie
Datum: Wahrscheinlich ist dies der Brief, von dem in Nr. 165 und 169 die
Rede ist.
bevor ich hier auflose: Marie Steiner befand sich bis zum 17. Dezember in Berlin
um die Ubersiedlung des Philos.-Anthropos. Verlages nach Dornach vorzuberei-
ten und ihren Berliner Haushalt aufzulosen. Durch die Inflation war die Lage sehr
schwierig geworden, und Johanna Miicke war verzweifelt. Im September hatte
Rudolf Steiner erste Schritte unternommen, um die Verlegung des Verlags einzu-
leiten. Im Anschluss an die Tagung in Den Haag (13.-18. November) reiste Marie
Steiner direkt nach Berlin, begleitet von Elisabeth Vreede.
Wans: Clara Walther, geb. Selling, fruher auch Wiesel genannt.
Muck: Johanna Miicke, die Geschaftsfiihrerin des Verlages.
165 An Rudolf Steiner in Dornach
Freitag, 23. November 1923, aus Berlin
Freitag
Lieber E., mein Brief blieb leider einen Tag liegen, da Muck erklar-
te, am Bufi- und Bettag konne kein Brief abgehen. Gestern war ich
von 3 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags in der Unterwelt und
konnte dann erst mich so weit aufrappeln, dass auch der Brief
besorgt wurde. Am Abend hatte ich dann die Sprechstunde. Frl.
Vreede reist in zwei Stunden ab und ihr will ich diesen Brief geben.
Sie hat ausgemistet und bringt einiges mit nach Dornach, und de-
poniert einen Koffer in Stuttgart. - Wallers Telegramm bekam ich
heute, leider ganz ohne Nachricht von Dir; so muss ich nur hoffen,
dass es Dir gut geht. Den Preis fur den Umzug find ich exorbitant,
besonders, da der Umzug der Biicher nicht inbegriffen ist. Ich
wiirde es denn doch gern mit einem acht Meter langen Waggon
versuchen, - und den andern Waggon mit Mobeln fur Stuttgart
verfrachten. Dazu mochte ich mich aber noch nicht heute entschlie-
fien. Am 30. November halt Dr. Unger hier einen Vortrag und am
1. Dezember haben sie eine Versammlung. Vielleicht konnte ich
dann am besten mit Dr. Unger nach Stuttgart reisen, denn mein
Haus muss ich ja doch noch ansehen. Ich weifi nicht recht, ob ich
Wachsmuth abtelegraphieren soli. Ich sage mir, dass, wenn er
kommt, es hochstens dazu dienen konnte, wenn er spater statt unser
den Umzug dirigieren sollte. Sonst kann er mir kaum in irgend
etwas helfen. Die Hauptsache bestand ja doch darin hier gewesen
zu sein, und die Dinge, die sich abspielen, an sich herantreten zu
lassen. - Wenn ich noch eine Woche versaumen sollte, so konnte
Dziu. vielleicht ihre Herren noch einmal fur Eurythmie-Beklei-
dung auftreten lassen: zwei Esel, Lattenzaun, Nasobem, Monden-
dinge, zwei Wurzeln waren dankbare Aufgaben. Schlimm ist's, so
viele Vortrage zu versaumen.
Allerherzlichsten [Graft] von Marie
Buji- und Bettag: Mittwoch, 21. November 1923.
Mbbel nach Stuttgart verfrachten ... mein Haus ansehen: Bezieht sich auf den im
Gang befindlichen Ausbau der Wohnraume fiir Rudolf und Marie Steiner in der
Landhausstrafte 70.
Wachsmuth: Dr. Guenther Wachsmuth (1893-1963), Mitglied seit Januar 1920,
seit 1921 standig in Dornach. 1922-1923 im engeren Arbeitsausschuss am Goe-
theanum, seit Weihnachten 1923 im Vorstand der Allgemeinen Anthroposophi-
schen Gesellschaft als Sekretar und Schatzmeister, Leiter der naturwissenschaft-
lichen Sektion.
Dziu.: Ela Dziubaniuk (gest. 1944), in Lemberg ausgebildete Malerin, Mitglied
seit September 1911. Kam 1914/15 nach Dornach und arbeitete mit an der
Ausmalung der Kleinen Kuppel des ersten Goetheanums. Gehorte auch zu den
unter Marie Steiner tatigen Eurythmistinnen. Spater siedelte sie nach Paris iiber.
Herren ... Eurythmie-Bekleidung: Es waren damals erste Versuche, Eurythmie
auch durch Herren darzustellen. Die Einnahmen sollten fiir die Anschaffung von
Eurythmie-Bekleidung dienen.
zwei Esel, Lattenzaun, Nasobem, Mondendinge, zwei Wurzeln: Aus «Galgen-
lieder» von Christian Morgenstern.
166 An Rudolf Steiner in Dornach
Samstag, 24. November 1923, aus Berlin
Samstag
Lieber E. } nun gehen also die Schriftstiicke an Dich ab. Muck hatte
mir mitgeteilt, dass Frl. Knispel den brennenden Wunsch hat mit-
zukommen, wahrend Herr Wendel findet, dass er besser hier fort-
kommen kann. Frl. Tolch will natiirlich kommen, aber zugleich
schon allerhand Garantien haben, und erkundigt sich nach den
Schweizer Tarifen usw. - Es ist so grasslich, dass sie immer gleich
diese Note hereinbringt.
Es kommt gleich die Frau Stadtrat Jacoby zu mir, der man die
Wohnung zugesprochen hat. Auch bekam ich wieder ein Schrift-
stiick, in welchem steht, dass wenn ich nicht Einspruch gegen Be-
schlagnahme erhebe, die Wohnung innerhalb dreier Tage geraumt
werden miisste. Das war ein Schreckschuss. - Die andern sagen,
es seien nur Formalitaten. Zunachst habe ich also den Einspruch
erhoben.
Ich wundere mich, dass ich dies Mai gar kein Sterbenswortchen
von Dir hore, auch nicht telegraphisch, und weif$ nicht, ob ich
mich angstigen soil.
Alles Herzlichste Marie
Schriftstiicke: Gesuche der Mitarbeiter des Verlags um Aufenthaltsgenehmigung
in der Schweiz, mit beiliegenden Leumundszeugnissen etc.
Herr Wendel: Karl Wendel (gest. 1945), Mitglied ira Berliner Zweig seit Mai 1909.
Frl Tolch: Marie Tolch (gest. 1942), Mitglied seit Oktober 1910, Mitarbeiterin im
Verlag.
167 jetzt Nr. 185b (Neudatierung)
168 An Marie Steiner in Berlin
Freitag, 23. November 1923
Dornach, 23. November 1923
Meine liebe Maus!
Mit den herzlichen Griifien zuvor mochte ich nun schreiben, was
zunachst erkundet werden konnte. Nur bezuglich der Mobel wer-
de ich erst ganz endgultiges sagen konnen, wenn ich dafiir noch bei
der Zoll-Oberbehorde in Bern gesprochen habe, was wahrschein-
lich morgen geschieht. Ich muss dariiber noch einen telephonischen
Bescheid abwarten.
Es ist also in erster Linie notwendig das von der Berliner Poli-
zei-Behorde auszustellende Umzugsattest. Dasselbe muss enthalten
die Bescheinigung, dass alles Umzugsgut Dein Eigentum ist und
dass es wegen der Verlegung des Verlages nach Dornach zum
weiteren eigenen Gebmuch uberfuhrt werde. Dann muss darin
aufgefiihrt sein im einzelnen, was uberfuhrt wird.
Der Spediteur, der den Umzug fur 2 achtmetrige Mobelwagen
fur 2750 fr. besorgen will, sagt, dass die Biicher in Kisten verpackt
werden sollen, die dann in Eisenbahnwagen zu befordern sind. In
dem obigen Preis sind diese Biicherkisten nicht eingeschlossen. Das
kommt noch dazu.
Beziiglich des Zolls ist es so: die Biicher sind unter alien Um-
standen zu verzollen. Doch ist der Zoll daftir nicht groE: 6 fr. pro
100 Kilo. Das also ware in Ordnung. Aber nur fur die Biicher. Nun
aber hat das Schweizerische Gesetz auch fur diese Sachen nicht
den Begriff der juristischen, sondern nur der physischen Person.
Man hat mir nun eben bei der Basler Zollbehorde gesagt, dass die
Biicherregale etc. alles, was also an Mobeln im engern Sinne zum
Verlage gehort, zunachst nicht zollfrei ist, weil wir schon seit 1913
in der Schweiz wohnen. Derlei Dinge sind nur ein Jahr lang zoll-
frei, nachdem die physische Person umgezogen ist. Das gleiche gilt
dann fur die iibrigen Mobel.
Es ist nun die Frage, was man zu dieser Sache in Bern sagt.
Ich habe hier nur dadurch ganze Klarheit bekommen, und [wohl:
dass] man mir sagte, auf meine Frage, ob denn z. B. eine Ak-
tiengesellschaft, also eine juristische, nicht physische Person etwa
fur Fabrikgeratschaften (die kommen gleich unseren Regalen)
Zollfreiheit habe. Die hat sie nicht. Die muss auf jeden Fall
bezahlen. Also geht daraus hervor, dass es uns nichts hilft, den
Umzug des Verlages als solchen geltend zu machen. Denn der ist
eben eine juristische, keine physische Person. Zollfrei kann man
also die Regale etc. und die Mobel nur bekommen, wenn man sie
an unsere physische Personlichkeit bindet und dann geltend
macht, dass wir selbst diese Mobel erst jetzt, da der Verlag
umzieht, als unser nachtragliches Umzugsgut besorgen wollen.
1A O
Ob man uns das bewiliigt, werde ich eben erst bei der Ober-
behdrde in Bern erfahren.
Der Zoll, wenn er gezahlt werden miisste, wiirde fiir das Mobi-
liar 60 fr. pro 100 Kilo betragen.
Da wird man sich doch iiberlegen miissen, ob es nicht besser sei,
die Dinge nicht hieher zu bringen, oder wenigstens nur teilweise.
Denn, wie gesagt, der Zoll fiir die Biicher ist ja gering. Teuer wird
die Sache nur durch das Mobiliar. Wenn die Biicher allein einlan-
gen, sagt man mir, wird die Sache ganz leicht, sogar vielleicht ohne
besondere Einfuhrbewilligung gehen.
Alle andern Dokumente sind Formalien. Ich besorge sie und sie
werden dann ja nur hier beim Einlangen der Sachen vorzulegen
sein.
Ich schreibe wieder, sobald ich in Bern gewesen bin.
Es scheint mir nun doch wiinschenswert, dass ich bald das
Gesuch wegen der Angestellten bekomme; vielleicht lasst sich dann
noch etwas machen.
Waller hat nun doch noch ab und zu die Absicht geaufSert, die
Auskiinfte personlich nach Berlin zu bringen.
Nun, liebe Maus, mochte ich nur noch sagen, dass die Fahrt
hieher ganz ohne Storung verlaufen ist. Alle Anschlusse klappten.
Ich wiinschte nur, dass auch Deine Reise nach Berlin gut war. Hier
ist viel Arbeit und Sorge.
Die Einreiseerlaubnisse fiir Zaiser und Biichenbacher sind nicht
ohne Schwierigkeit. Dieselben sollen fiir die Visen in Stuttgart
Bescheinigungen vorbringen, dass sie sich in der Schweiz selbst
erhalten konnen. Die konnen sie natiirlich nicht beibringen, weil
sie ihnen ja niemand in Stuttgart ausstellt. Es handelt sich nun
darum, ob wir das vom Goetheanum aus tun sollen. Das kann ich
machen; aber ich mochte dafiir erst Deinen Wunsch horen, ob das
nach Deinen Intentionen geschehen soil. Denn selbstverstandlich
kann jetzt so etwas nicht allgemeine Regel sein, und man muss
vermeiden, dass sich die Leute, denen man von hier einen solchen
Schein gibt, dies als eine Anweisung betrachten, hier etwas fordern
zu konnen, oder etwa gar es andern sagen, die dann das gleiche
wollen. Wenn Du mir nur ein Wort schreibst, dass das Goethe-
anum den beiden den Schein geben soli, so wird es sogleich ge-
macht. Fiir die Kuxe ist das nicht notwendig; die bekommen den
Schein von ihrem Vater. Du siehst aber daraus, dass man mit dem
Schein eine Verpflichtung eingeht. Und er muss ja den Einreisen-
den ausgestellt werden. Die miissen dann das, was man ihnen be-
willigt, nicht als Recht ansehen. Es ist eben jetzt alles umstandlich.
Mir wird gesagt, dass die «gehiipfte Vorstellung» am Samstag
stiirmischen Beifall gefunden hat. Ich habe fast jetzt Angst davor,
dass die Sache etwas vom Ernst der Eurythmieveranstaltungen
abgekommen ist. Doch weift ich dariiber nichts zu sagen. Ich habe
nur von Vietinghoff und Kathe die Sache gehort.
Nun nur noch, dass ich herzlich wiinsche, dass es Dir, meine
liebe Maus, in Berlin nicht allzuschlecht gehen moge. Ich ware so
gerne dort. Doch es soli bei dem in Haag Besprochenen bleiben,
wenn der Fall eintritt.
Auf das allerherzlichste Dein Rudolf Steiner
Waller sagt mir noch: sie lasse griifien und sagen, dass sie sofort
komme, wenn Du sie brauchst. Der Basler Spediteur setzt sich von
sich aus in Verbindung mit dem Berliner; macht mit diesem alle
Abmachungen. Dem Berliner ist nichts zu bezahlen. Wegen der ev.
Trinkgelder bekommst Du noch Nachricht. Der Berliner Spediteur
wird sich prasentieren, wenn Du schreibst, dass der Umzug reali-
siert wird.
Zaiser: Gerlinde Zaiser (1899-1971), Mitglied seit 1919, eine der ersten Sprach-
gestaltungs-Schiilerinnen Marie Steiners, Schriftstellerin (dramatische Dichtun-
gen).
Buchenbacher: Dr. Hans Biichenbacher (1887-1977), Vortragstatigkeit fiir die
Dreigliederung des sozialen Organismus, 1923 im Komitee der Freien Anthropo-
sophischen Gesellschaft, 1931-35 Vorsitzender der Anthroposophischen Gesell-
schaft in Deutschland. Spater Leiter der Arbeitsgruppe fiir Philosophic und
Psychologie am Goetheanum.
Kux: Ralph Kux (1903-1965), Musiker und Eurythmist.
Kux: Willi Kux (1902-1976), studierte zusammen mit seinem Bruder Eurythmie
zuerst in Stuttgart, dann in Dornach. Nach mehreren Jahren ubernahm er das
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vaterliche Geschaft in Dortmund und setzte sich dort fiir die Zweigarbeit und die
Begriindung einer Waldorfschule ein.
die <gehupfte Vorstellung> am Samstag: Eurythmieauffuhrung in Dornach am 17.
November 1923 (in Abwesenheit von Rudolf und Marie Steiner), in welcher
franzosische Gedichte vorgefiihrt wurden.
Vietinghoff: Marie (Mischka) v. Vietinghoff-Scheel (ca. 1885-1949), aus Russland,
Mitglied seit Januar 1912, kam 1914 nach Dornach, wo sie als Gartnerin und
Wachterin am Goetheanum, auch fur den personlichen Wachterdienst fiir Rudolf
und Marie Steiner, mittatig war. Einige Zeit nach Rudolf Steiners Tod siedelte sie
nach Ascona iiber.
Kdthe: Kathe Mitscher (1892-1940), Tochter von Gertrud Noss, Mitglied seit Juli
1906, wirkte 1910/13 bei den Mysterienspielen mit, ab ca. 1914 Mitarbeiterin am
Dornacher Bau, spater vor allem organisierend fur die Eurythmie tatig.
169 An Marie Steiner in Berlin
Samstag, 24. November 1923
Dornach, 24. November 1923
Meine liebe Maus,
eben komme ich nun von Bern zuriick, wo ich mit Waller war. Der
Mann, den ich um Auskimft bat, ist derjenige, der auch dann als
Referent die Entscheidung hat, wenn es sich bei der Einfuhr darum
handeln wird, ob irgend etwas zollfrei sein konne. Man muss also
annehmen, dass ganz gewiss die letzte Entscheidung so ausfallen
wird, wie der Mann, der iibrigens sehr liebenswiirdig war, mir heute
gesagt hat. Darnach kann nun nichts von den Mobeln, auch nicht
die Biicherregale des Verlages zollfrei sein. Ich schrieb gestern von
60 fr. fiir 100 Kilo der Mobel. Der Mann in Bern erganzte diese im
iibrigen stimmende Angabe noch dadurch, dass rohe Mobeln 35,
einfache 45 fr. pr. 100 Kilo kosten. Als solche rohe Mobeln wurden
nun ja gewiss die Mobel des Verlages angesehen. Das gibt nun
einen Mafistab dafiir, wieviel oder ob iiberhaupt etwas man von
den Mobeln hieher befordern soli.
Waller wollte geltend machen, dass sie ja die Sachen frei bekom-
men habe. Der Mann sagte: das war kiirzer nach dem Kriege, jetzt
konne man das nicht mehr machen. Damals war man nachsichtiger.
Waller mochte nun, dass ich Dir noch schriebe, dass der Basler
Spediteur, der ganz sicher die Sache am besten macht, sich das
Berliner Spediteurgeschaft: Firma Josef J. Leinkauf Aktiengesell-
schaft, Berlin NW7, Dorotheenstrafte 77, engagiert. Mit diesem hat
man nichts anderes zu tun als dass man weifi, wenn man ihn gemel-
det erhalt, er der rechte ist. Wenn etwa in Berlin ein etwas billigerer
Preis angeboten wird, so musst Du wissen, dass dies blofi bis Basel
ist - so rechnen die Berliner Spediteure - wahrend der Basler das
Ganze bis Dornach rechnet. Im Ganzen kommt man beim Basler
eben viel billiger zu stehen.
Was Du in Deinem eben angekommenen Brief [wohl Nr. 164]
schreibst ist mir sehr, sehr lieb. Es sind schone Gedanken, die auf
den Anfang unserer Arbeit zuruckfiihren. Allerherzlichsten Dank
fiir den Brief.
Gerne ware ich dort; aber es geht eben nicht; doch, mochte ich
nochmals sagen, es bleibt wohl dabei, was in Haag besprochen
worden ist.
Hier ist viel Sorge; die Internationale Laboratorien Akt. Ges. hat
eben das schlimme Erbe des Futurum im Leibe; und alles hangt an
dem Buche, das entstehen soli. Unsere Geschaftsleute - aber bitte,
das ist Geschaftsgeheimnis - sind eben alle trostlos.
Das Bild der Staub- und Aufregungswolken dort ist ja «im
Stile»; hoffentlich gelingt es Dir, meine liebe Maus, Deine Taten in
der staub- und aufregungsfreien Entfernung zu tun.
Olga [Zibell] lasst sagen, dass sie die Reisetaschen-Entleerung
richtig besorgt hat; Rosshaarkissen und Ledertasche sind auch rich-
tig angekommen.
Helene Lehmann liegt noch im Bette; die Influenza ist vortiber;
allein jetzt ist dafur das andre, was sich geltend macht; Druck auf
die vom Cerebellum ausgehenden Nerven durch die Verfettung
ober dem Herzen; und ich habe ihr zunachst gesagt, dass sie jeden
Tag bis 11 fasten musse. Spater muss das Fasten auch auf die
Qualitat der Speisen ausgedehnt werden. So hoffe ich, dass sie in
2-3 Wochen arbeitsfahig werde.
Soeben bringt man ein Telegramm von Rihouet; ich lese: Dar-
stellung gelungen, voller Saal, senden Gefuhle der Dankbarkeit und
Ergebenheit.
Nun nur noch allerherzlichste Griifte von Rudolf Steiner
Waller lasst griifien, «weiter weift sie jetzt nichts» sagt sie.
Internationale Laboratorien Akt. Ges.: Die spatere Weleda AG. Aus der Futurum
AG hervorgegangen, Naheres siehe GA260a, Seite 723f, und «Beitrage ...» Heft
118/19, 1997.
und alles hangt an dem Buche das entstehen soil: Rudolf Steiner/Ita Wegman,
«Grundlegendes fur eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaft-
lichen Erkenntnissen» (1925), GA27.
Helene Lehmann (1886-1953), seit 1905 im Haushalt von Marie v. Sivers ange-
stellt, zuerst in Berlin, ab 1914 in Dornach, Mitglied seit 1907, Schwester der im
Sekretariat tatig gewesenen Bertha Lehmann (seit 1916 Frau Reebstein).
Telegramm von Rihouet: Auffiihrung der Dornacher Eurythmiegruppe in Paris
am 23. November 1923.
Simonne Rihouet (1892-1982), spatere Madame Coroze, Mitglied in Paris seit
September 1913. Begriindete 1921 die Pariser Eurythmieschule und die Zeitschrift
«Science spirituelle».
170 An Marie Steiner in Berlin
Sonntag, 25. November 1923
Dornach, 25. Nov. 1923
Meine liebe Maus,
Dank fur die Brief e. Den letzten [Nr. 165] hat Frl. Vreede gestern
gebracht. Hoffentlich bist Du bald aus dem Grobsten des Auf-
arbeitens heraus. Meine Briefe wirst Du mittlerweile nun auch
bekommen haben. Gestern abends sind die Eurythmiespieler an-
gekommen und berichten iiber Erfolge in ahnlicher Art wie es in
dem Telegramm stand, von dem ich geschrieben habe.
Nun besteht noch eine Unklarheit wegen der Weihnachtspiel-
auffiihrung in Schaffhausen. Ich habe geglaubt, dass das alles abge-
sagt sei. Nun aber sagt mir Kathe [Mitscher], dass Gnadinger nun
doch eine Auffiihrung fur den 16. Dezember in Schaffhausen an-
gesetzt haben will. Bitte schreibe mir ein Wort dariiber, ob ich fur
die Weihnachtspiele etwas Proben vorbereiten soil, bevor Du
kommst. Fiir die Auffiihrung, von der Du schreibst, fiir nachsten
Sonntag werde ich sorgen.
Nun ein recht Unangenehmes. Von Del Monte sind eben zwei
Briefe angekommen, einer an Dich, einer an Waller. Darin wird ge-
sagt, dass Du gebeten wirst, fiir das Eurythmeum in Stuttgart so-
gleich weitere 20 000 Fr. zur Verfiigung zu stellen; Waller fiir ihr
Haus 12 000 Fr. Waller ist wiitend, hat kategorisch erklart, dass sie
das nicht tue und hat telegraphiert, dass sie ihren Bau unter solchen
Umstanden nicht weiter fiihre. Heute ist sie zunachst nach Winter-
thur zur Schwester gefahren. Ich weiE nicht, ob sie morgen nach
Stuttgart fahrt. Sie hat Angst, weil dann Del Monte und Schmid sie
um das Weiterbauen besttirmen werden. Ubrigens haben die Leute
ohnehin schon die zur Verfiigung gestellten Mittel iiberschritten, und
bei Stammer auf Deinen und Wallers Namen Schulden gemacht.
Ich finde das alles emporend. Denn man konnte, wie ich beim
Beginne des Baues sagte, auf die Schmid'sche Berechnung keinen
Pfifferling geben. Wenn Du nach Stuttgart kommst, wird Dir das
«System Stuttgart» klar zu machen suchen, dass das alles so sein
muss, weil 1914 der Liter Milch 18 Pfennige gekostet hat und er
jetzt 32 Goldpfennige kostet. Doch ist das alles Unsinn; und alle
Projektierungen, die man dort macht, sind eben Wischiwaschi. -
Spiller hat um das Folgende gefragt: Goldacker will irgendwo in
Zurich ihre Gedichte vortragen und Spiller - ich weifi nicht, ob
noch wer - will sie dazu eurythmisierend begleiten. Sie sagt sogar,
dass sie dazu schon geiibt hat. Ich sagte ihr: ich miisse mich erst mit
Dir besprechen. Nun soli aber das Zeug schon Sonntag losgehen,
Wenn Du nichts Besonderes dagegen hast, so glaube ich, man lasst
die Spiller da machen, was sie will. Doch werde ich ihr nichts
sagen, bis ich von Dir ein Wort gehort habe.
Ich habe hier viel Sorge. Ich muss diese Tage mit dem Entschluss
fertig werden, in welchem Umfang das Goetheanum wieder gebaut
werden soil und das ist schwer, weil man so gar nicht sagen kann,
wie es mit den Mitteln stehen wird. Alles ist recht schwer.
. Gerne ware ich auch dort in Berlin. Nun werden wir sehen, was
Du schreibst iiber die nachsten Tage.
Allerherzlichst Rudolf Steiner
Gnadinger: Franz Gnadinger (1894-1971), ab 1928 als Priester der Christen-
gemeinschaft in der Schweiz tatig.
Schmid: Dr. Carl Schmid (gest. 1931), verheiratet mit Hilda Curtius, Mitglied seit
Oktober 1907, Architekt des ersten Stuttgarter Gesellschaftshauses, Landhausstr.
70, und von 1911-1914 erster Architekt des Bauprojektes Miinchen-Dornach.
Stammer: Hans Heinrich Carl Stammer (1886-1956), Leiter des Bankhauses H.
Stammer & Co., Stuttgart, das von 1922-1924 mit der «Kommende Tag AG.»
verbunden war.
System Stuttgart: Von Rudolf Steiner gebrauchte Bezeichnung fur die fiihrenden
Mitglieder in Stuttgart.
Goldpfennige: Die Goldmark war eine Rechnungseinheit wahrend der Inflations-
zeit in Deutschland, entsprach der Mark vor dem Kriege, definiert als der 2790.
Teil des Kilogramms Feingold, also 100 GM = 35,8423 g Feingold.
Spiller: Agnes Spiller, Eurythmistin in Dornach.
Goldacker: Dagmar v. Goldacker, Mitglied im Berliner Zweig seit Februar 1911.
171 An Rudolf Steiner in Dornach
Montag, 26. November 1923, aus Berlin
Montag Nacht, Nov. 23
Lieber E., es ist eigentlich sehr furchtbar, alles das was Du mitteilst
von den Zoll-Tarifen; denn sie lassen sich ja kaum erschwingen.
Schon der Transport ist unglaublich hoch. Wir haben an die 90 000
Biicher und 18 000 Zyklen und 19 000 Einzelvortrage. Wie soil man
das in Kisten packen? Ich glaube die Biicher werden 2 Mobelwagen
fast fiillen; wenn man dazu die Regale hatte legen konnen, ware die
Last wohl eine geringere gewesen als Biicher allein. Der Spediteur
stellt sich wohl nicht vor, dass es so viele Biicher sind. Er wird gar
nicht so viele Kisten auftreiben. Wachsmuth war auch ganz iiber-
rascht von der Menge. Er hatte sich vorgestellt, dass es 15 000
Biicher geben wiirde. Er wird Dir nun erzahlen, was er von der
Sache denkt, und meint, dem Spediteur erklarlich machen zu kon-
nen, dass man die Biicher direkt in einen Wagen tut, der nicht mehr
umgeladen, sondern direkt transportiert wird. Er kann sich auch
nicht vorstellen, dass man fur die Biicher Zoll zahlt, aber das wirst
Du ja besser wissen. Selbst bei einem so hohen Zoll kommen wir
noch besser dabei weg, als wenn wir hier die Steuern weiterzahlen.
Wir miissen nur sehen, dass wir so schnell als moglich wegkom-
men. Aber wenn wir noch aufterdem fiir die Mobel 3000 Fr. (denn
so viel wird's ja werden mit den Trinkgeldern) zahlen sollen, und
ebensoviel oder mehr an Zoll, so ist es wohl unsinnig. Das scheinst
Du ja auch zu meinen, da Du die Wendung gebrauchst: «Wenn
man iiberhaupt von den Mobeln etwas hierher bringen soll.» Es ist
wohl besser, man tut's nicht.
Wahrscheinlich konnten wir manches an Mitglieder verkaufen.
Aber ebenso wahrscheinlich ist, dass sie so billig als moglich wer-
den zahlen wollen. Heute haben wir schon mit Sommerfeld ver-
handelt, der als erster in Betracht kommt und wohl als einziger, der
mit Devisen zahlen wiirde. Er sagte, dass er sich grade sein Bureau
einrichten will. Was er wiirde nehmen wollen, sind Deine Mobel;
Dein schoner grofier Schrank hat's ihm natiirlich angetan. Den
grofien Tisch mit 8 bis 10 Stiihlen hatte er gern, den Sonnecken-
Schreibtisch aus dem lila Zimmer nebst Rollschrankchen. Aber das
grofie schone Regal fand er zu grofi und meinte, dass man es viel-
leicht anders herrichten konne. Daran habe ich nun meine Nuss zu
knacken. Es gefallt mir nicht, dass er nicht versteht, dass er nicht
dran riihren miisste: an etwas, was von Dir entworfen ist; die Pro-
portionen sind grade so schon. - Nun denke ich auch daran, ob
wir, statt sie zu verkaufen, sie in dem Zweigraum unterbringen
sollen? Wir haben da den Oberlichtsaal; er diente zu Eurythmie-
kursen. Die Menschen unten haben sich oft beschwert; jetzt wollen
sie mit dem Anwalt vorgehen. Es soil also nicht mehr moglich sein
da zu iiben. Das Podium dagegen soil so weit abdampfen, dass man
da drunter nicht klagt. Nun konnen aber die Berliner, des Berufs-
lebens wegen, nur abends Kurse haben. Und abends gibt's immer
Vortrage. Da aber nur Meyers Vortrage den grofien Saal fiillen,
schlug ich vor, die andern Vortrage im Oberlichtsaal zu halten, ihn
dazu herzurichten und die Kurse auf der Biihne zu haben. Walther
poiterte etwas, dass man da den Ofen herrichten miisse: es ware so
kalt, dass man den Leuten nicht zumuten konne da zu sitzen; der
Ofen ware verdorben und es ware kein Geld ihn herzurichten. Da
schlug ich vor, das Geld, das der Sprechkursus einbringen wiirde,
dazu zu verwenden. Es ist namlich nie Geld in der Kasse, da alles
Geld den Meyerschen Zwecken dient. Doch sind seine Vortrage
iiber Farbenlehre gut und sehr besucht. Es wurde gut plakatiert
und Zettel verteilt. Zwei Mai ist der Saal ausverkauft, am Samstag
und Donnerstag. Ich war Samstag da. Man hat ihm Apparate an-
geschafft, er beherrscht seinen Gegenstand und ist auch geistreich,
wenn er Goethes Lehre derjenigen Newtons gegeniiber stellt. Wir
warten nur noch darauf, wann er auf Dich zu sprechen kommen
wird in dies em Zusammenhang.
Es gibt doch eine Wiederkehr des Gleichen. Vor beinah 21 Jahren
(im Marz 1903) trugst Du mir in Schlachtensee Goethes Farbenlehre
vor und demonstriertest an einer Kerze blau und gelb. Jetzt seh ich
blau und gelb auf der Leinwand projiziert im groEen Steinersaal und
hore Meyer dariiber vortragen. Vor 23 Jahren kam ich nach Berlin,
um Sprechkunst zu lernen und meine kranke Kehle zu kurieren. Jetzt
endige ich meine Berliner Epoche mit einem Sprechkursus fur 35
junge Menschen, und muss taglich welche abweisen, - u. a. schickt
mir der Arzt eine mit kranker Kehle zum Kurieren; und eine Sange-
rin, die nicht Mitglied ist, wollte Stunden haben, usw. Es ist gar nicht
angekiindigt worden, da gleich so viele Teilnehmer da waren.
Wachsmuth fahrt nun morgen und wird seine Eindriicke berich-
ten. Mir bleibt nichts anderes iibrig als hier abzuwarten. Ich weifi
ja noch gar nicht, was geschehen soil. Und bin iiberzeugt, dass es
billiger sein wird die Regale in Dornach zu bestellen, als Mobel zu
transportieren. Und aufier Regalen brauchen wir hochstens einige
Betten, die man vielleicht doch zusammengeklappt zu den Biichern
dazu tun konnte. Dagegen konnte ich in Stuttgart manches brau-
chen fur das Haus. Auch von dort kam ein Kolbenschlag: exorbi-
tante Preiserhohung, die schwer sein wird zu tragen.
Soil ich nun die blauen Mobel verkaufen oder in den Oberlicht-
saal stellen, den man dann auch blau streichen miisste? (Was gut
ware, denn die Wande sind grade da grasslich verfleckt und ausge-
sogen.)
Es kommen in Frage: 1. das grofie schone Regal, 2. der grofie
schone Schrank, 3. der grofie Tisch, 4. ein kleiner Tischschrank, 5.
ein Sonnecken Schreibtisch, 6. vielleicht noch Dein blauer fester
Kleiderschrank und 7. Stiihle.
Doch diese letzten Sachen konnten eventuell nach Stuttgart.
Dienstag
Heute habe ich schon zu Selling dariiber gesprochen, dass ich an
das Zweiglokal fur die blauen Mobel denke. Er scheint unterdessen
an die Bibliothek gedacht zu haben, weil beide, Sommerfeld und er,
auch drauf gekommen waren, dass man das Regal nicht andern
solle. Sommerfeld mtisse beim Ankauf auch noch Riicksicht auf
seine Frau nehmen. - Wachsmuth hat sich heute erkundigt iiber die
Bedingungen eines Transports nach Stuttgart. Immerhin wiirde es
viel billiger werden. Ich sehe schon voraus, dass ich noch langer
werde hier sein miissen, um die Sachen in die richtigen Bahnen zu
bringen. Nach Stuttgart wiirde es ja auch moglich sein, die unzah-
ligen Brief- und Quittungspakete, die in den unteren Raumen
Deines grofien Regals liegen, zu verfrachten. Aber dafiir Zoll zu
zahlen, ware schlimm. Durchsehen kann ich sie doch nicht. So muss
es wohl hinuber? Wachsmuth sagt, er wiirde mich eventuell abho-
len. Vielleicht ware das ganz gut, wenn der osterreichische Schau-
spieler fur ihn einspringt. Doch kommt das Herodesspiel ja viel
spater. 1st etwas geworden aus Neuhausen [bei Schaffhausen] am
16. Dezember mit den Spielen? Die Programme der Eurythmie
miisste ich dann in grofien Ziigen zunachst von hier aus angeben.
Das schlimmste ist, so viele Vortrage zu versaumen, - Michael straft
mich gerechter Weise. -
Zaiser und Biichenbacher werden wohl verzichten miissen. Wir
konnen jetzt wohl kaum solche Verpflichtungen auf uns nehmen.
Fiir Waller ist es doch ein Gliick, dass sie nicht hergekommen
ist. Ich lass sie herzlich griifien. Fiir spater kann man ja noch sehen,
ob es geschickter ist, dass Wachsmuth kommt, der die Arbeiter
beaufsichtigen konnte, oder sie, oder ich mit Walthers fahre, die am
15. Dezember nach Dornach wollen, und eventuell auch friiher
iiber Stuttgart gingen.
Nun wirst Du ganz miide geworden sein von dem langen Brief.
Viel Liebes und Herzliches von Marie
Die Stinde- und Kalkreuth-Bilder waren wohl einem noch grofie-
ren Zoll unterworfen und gingen wohl auch besser nach Stuttgart?
Sommerfeld: Lothar Sommerfeld, in Berlin.
Mobel ... in dem Zweigraum unterbringen: Ab 1917 befand sich der Berliner
Zweig Potsdamerstrafie Nr. 98; vorher Geisbergstrafie 2. - Vgl. Hinweis zu Nr.
65.
Meyer: Dr. Rudolf Meyer (1877-1947), Mitglied des Berliner Zweiges seit 1908,
1919 von Rudolf Steiner zum stellvertretenden Leiter desselben bestimmt. Beim
ersten Goetheanum-Hochschulkurs Herbst 1920 hielt er drei Vortrage iiber den
Philosophen Herbart. 1925 zog er sich von seiner Tatigkeit in der Gesellschaft
vollig zuriick. 1946 griindete er das «Studienhaus Hammerberg» in Uchte und
entfaltete dort bis zu seinem Tod wieder eine rege Arbeit.
trugst Du mir in Schlachtensee Goetbes Farbenlehre vor: Notizen dazu von Marie
Steiners Hand sind in dem Band «Farbenerkenntnis», GA 291a, S. 53ff, wiederge-
geben.
172 jetzt Nr. 183b (Neudatierung)
173 jetzt Nr. 185a (Neudatierung)
174 An Marie Steiner in Berlin
Samstag, 1. Dezember 1923
Dornach, 1. Dezember 1923
Meine liebe Maus!
Nun ist endlich Dr. Wachsmuth hier angekommen und hat Deinen
Brief sowie die mundlich zu ubermittelnden Nachrichten gebracht.
Ich kann mir denken, dass Du auf diese Antwort ungeduldig war-
tetest. Allein ich wartete von Stunde zu Stunde auf Deine Nach-
richt. Es kam nur gestern ein Brief von Miicke, der eher angekom-
men ist als der von Wachsmuth personlich gebrachte.
Nun, was zunachst Wachsmuth gemeint hat, dass man durch die
Geltendmachung, wir hatten vorher die Umzugsmobel hier nicht
unterbringen konnen: Das geht nicht. Ich habe Dir geschrieben,
dass ich in Bern bei dem Manne war, der dann die Bewilligung
selbst zu machen hat. Er sagte mir, dass er nur nach dem gegenwar-
tigen Gesetz die Sache beurteilen konne und da gibt es eben nichts
anderes als den Zoll bezahlen. Der Mann war aufiergewohnlich
liebenswiirdig. Waller, die dabei sa£, brachte ihren Umzugsmodus
vor, der derselbe ist, den jetzt Wachsmuth geltend machen will.
Der Mann sagte: einige Jahre nach dem Kriege konnten wir solche
Dinge machen; jetzt sind sie nicht mehr moglich. Ich kann Dir nur
sagen: wir haben alles versucht, und etwas anderes, als ich schrieb,
kann nicht herauskommen.
So mache ich mir jetzt folgendes Bild. Nach Deinem Briefe und
nach dem, was Wachsmuth gesagt hat, werden die blauen Mobel,
die ich entworfen habe, verkauft. Wenn das so geschieht, dass sie
in anthroposophischen Raumen aufgestellt werden, so ist das ganz
gut. Diese Mobel sind aufierlich schon und gut; innerlich sind sie
so lotterig gemacht, dass es ganz gewiss nicht lohnt, sie nach Dorn-
ach zu bringen. Wachsmuth sagt, sie werden in Berlin aufgestellt.
Ich bin damit vollig einverstanden.
Die Bucher erreichen die exorbitante Zahl von 127 000. Die
konnen naturlich nur in Mobelwagen verpackt werden. Man kann
aber wegen der Schwere der Bucher nur die halben Mobelwagen
damit vollpacken. Dafiir muss naturlich der Zoll gezahlt werden.
Ist es Dir meine liebe Maus, nun wertvoll, Mobel hieher zu brin-
gen, so konnen diese auf die Bucher gelegt werden. Die Art der
Verpackung von alledem bestimmt ja am besten der Spediteur. Es
wird ja auch zu beachten sein, dass manche voluminose Dinge,
namentlich die nach Stuttgart gehenden, die nicht schwer sind,
besser als Stiickgut gesandt werden. Da wird das Gewicht, nicht
der Raum-Inhalt berechnet. Alles, was Dir recht erscheint: ob Du
das eine nach Stuttgart, das andre hieher dirigierst; ich bin damit
einverstanden. Der Zoll fur die Biicher ist ja nicht hoch; was das
andre betrifft, so wird man ihn zahlen fur alles, was man gerne hier
hat. Und ich glaube, meine liebe Maus, Du solltest da eben doch
mitnehmen, was Du gerne hier haben willst. Die Regale konnte
man zusammenlegen und vielleicht doch mitnehmen.
Die von Dir erwahnte Umlegung der Eurythmieiibungen vom
Oberlichtsaal in den Vortragsraum scheint mir auch das beste.
Ja, so ist es: wie Du mit der «Wiederkunft des Gleichen»
schreibst. Nur hatte ich bloE 2 Kerzen und Meyer einen Projek-
tionsapparat usw.
Traurig ist es, dass Du so lange in Berlin zu tun hast. Am lieb-
sten, wenn es ginge, machte ich mich auf, Dir zu helfen.
Nun werde ich dem Spediteur hier sagen, dass er seinem Ge-
wahrsmann in Berlin den Auftrag gibt, zu Dir zu kommen. Ich
hoffe, dass das alles zur rechten Zeit geschieht.
Nun Eins, woriiber ich gerne sogleich Deine Antwort hatte. Wir
haben hier ganz phantastisch viele Leute zu Weihnachten zu erwar-
ten. Und es erscheint heute so gut wie ausgeschlossen, alles unter-
zubringen. Ich wiirde Dich nun bitten, ob Du gestatten wiirdest,
dass - weibliche Gaste - in dem neuen Eurythmieraum im Brod-
beckhaus schlafen diirften. Man wiirde dann alles dafur besorgen
und auch sorgen, dass nichts an diesem Raum dadurch geschadigt
wird. Ich hatte an diese Sache nicht gedacht, wenn eben nicht ein
noch nie dagewesener Ausnahmefall vorlage. Und ich mochte doch
eben nicht, dass man Leute, die kommen wollen, abweist. Denn ich
setze fur die Gesellschaft gewissermaften letzte Hoffnungen auf die
Weihnachtszusammenkunft. Und es soil doch nicht allein Meyer
das Auditorium haben.
Jetzt muss ich gleich zu der Generalprobe der Vorstellung ge-
hen, die Du fur morgen angeordnet hast. Es werden von den jun-
gen Mannern alle die Sachen gegeben, die Du mir aufgeschrieben
hast [in Nr. 165]. Wieder wird die Vorstellung ein Teil von den
Damen, ein Teil von den jungen Mannern gegeben.
Die Weihnachtsspiele werde ich nun beginnen vorzubereiten.
Schaffhausen wird dann am 16. Dezember die Vorstellung sein.
Ich hatte noch die Bitte: Bringe mir personlich mein Original-
Doktordiplom. Es unterscheidet sich von den Abdrucken, von
denen 2 Wachsmuth mitgebracht hat, dadurch, dass es einen wirk-
lichen Stempel und wirkliche Unterschriften tragt. Es wird in der
roten Rolle sein. Du kannst es nach dieser Angabe leicht unter-
scheiden. Man bekommt immer bei diesen Dingen ein Original und
dann Abdrucke. Wachsmuth hat das, trotzdem er doppelter Dr. ist,
eben nicht gewusst.
Das Gesuch wegen der vier Angestellten habe ich personlich ein-
gereicht. Wollen nun warten, was wird. Waller ist augenblicklich in
Stuttgart. Sie will dort das Haus, fur das sie auf keinen Fall mehr
Geld geben will, sich abwimmeln. Ich habe Dir schon geschrieben
[Nr. 170], dass ich diese Sache ganz emporend finde. Alle Ausreden,
die so reichlich von den Herren des «Stuttgarter Systemes» gemacht
werden, sind naturlich eben die Ausreden, die man da immer hat.
Tatsache ist, dass es eine Narretei war, eine solche Berechnung zu
machen, wie sie Schmid unter Wissen der andern gemacht hat. Dazu
kommt die ekelhafte Anmaftung, die einem diese Herren zeigen,
wenn man ihnen iiber ihre «kaufmannische Sachverstandigkeit» in
berechtigter Weise ins Gesicht lachelt. Gestern telephonierte mich
Waller noch an nach ihrer Ankunft in Stuttgart, wann Du kommst.
Sie hatte Dich eventuell in Stuttgart erwarten wollen."" Sie fuhr aufs
Ungewisse ab, weil ja mit Deinem zur rechten Zeit geschriebenen
Brief mittlerweile Wachsmuth «herumbummelte» in der Welt.
Hier ist nun Vieles und Sorgenvolles zu tun. Wie ich von Flossy
hore, kommt zu allem noch, dass mich morgen noch einmal die
wieder wankend gewordene Frau Leinhas besuchen will. Das konn-
te noch eine saubere Geschichte geben!
Noch einmal: traurig, dass Du so lange in Berlin schuften musst.
Wenn Du mir die provisorischen Programme fur die Weihnachts-
auffuhrungen schicken willst, so werde ich alles vorbereiten.
Herzlich freue ich mich auf Dein Kommen. Ich glaube, ich habe
alles Notige geschrieben und fiige bei nur noch die allerherzlich-
sten Griifie
Rudolf Steiner
* Das wird sie nicht konnen wegen der Weihnachtsspielproben.
Soli sie Dich abholen, so miisste sie wieder hinfahren.
Die Stinde- und Kalckreuth-Bilder gehen wohl besser nach Stutt-
gart als hierher. -
was zun'dchst Wachsmuth gemeint bat: In einem Brief aus Berlin an Rudolf Steiner
vom 25. November 1923.
Eurythmieraum im Brodbeckhaus: Haus Brodbeck wurde im Mai 1921 Heinrich
Brodbeck abgekauft und 1923 um den Nordanbau (Eurythmeum) erweitert. Der
alte Teil war als Wohnung fiir Rudolf Steiner und Marie Steiner vorgesehen,
vorlaufig waren dort Eurythmistinnen untergebracht. Durch Verzogerungen im
Umbau, Krankheit und Tod Rudolf Steiners kam es zu seinen Lebzeiten nicht
mehr zum geplanten Umzug. Marie Steiner zog erst 1936 - nachdem 1935 der
Ostfliigel erstellt wurde - von Haus Hansi ins Haus Brodbeck, seither Rudolf
Steiner-Halde genannt.
Flossy von Sonklar (1893-1991), Mitglied seit Mai 1909, Eurythmistin in Dornach,
zweite Frau von Emil Leinhas seit 1923/24.
Frau Leinhas: Olga Leinhas, geb. Svardstrom (1883-1980), Mitglied in Hamburg
seit Dezember 1909, eine der vier Schwestern Svardstrom aus Schweden, die als
Sangerinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt waren. Im Dezember 1922
sangen sie auch im Goetheanum. 1908 lernte sie in Hamburg, wo ihre alteste
Schwester mit Louis Werbeck verheiratet war, Rudolf Steiner kennen.
175 An Rudolf Steiner in Dornach
Montag, 3. Dezember 1923
Berlin, 3. Dez. 1923
Lieber E. Das hatte ich von Wachsmuth nicht erwartet, dass er mit
einem eiligen Brief an Dich in der Welt herumbummelt. Er hatte
Donnerstag Abend in Deinen Handen sein sollen. Nun, unterdes-
sen habe ich die schweren Sorgen des Berliner Zweiges griindlich
miterlebt und getragen. Es war hier eine hochst merkwurdige Ta-
gung des regionalen Verbandes Berlin. Das sollte ein ganz privater
Meyer- Verband werden, der schon vor der Delegierten-Versamm-
lung in Stuttgart von Meyer hinbeordert war, zum Teil vergebens,
deshalb einen Tag friiher hingekommen war, und dann gegen Ende
der Delegierten-Versammlung mit Meyer zusammentraf. Man hat-
te durch irgendeinen Zufall etwas davon lauten gehort, und Stutt-
garter und Berliner Vertrauensleute beschlossen, auch dort zu er-
scheinen, wurden von Meyer abgewiesen, weil es etwas sei, das auf
seiner personlichen Arbeit beruhe. Sie erzwangen sich aber den
Eingang. Hier nun vor ungefahr zwei Wochen kriegte Walther
Wind von der Geschichte (scheinbar, ich weifi es nicht sicher) durch
irgendwelche Leute in Spremberg, einer kleinen Stadt, die er auch
besucht hat: am 1. und 2. Dezember ware in Berlin die Tagung des
regionalen Verbandes, der sich ausdehnen solle bis Hamburg, Han-
nover, Breslau, Dresden, Leipzig. Er regt sich auf, da er doch auch
die Nachbarstadte bereist, und erkundigt sich bei Munch. Munch
weifi nichts davon und verlangt Auskunft, da er zweiter Vorsitzen-
der ist; ist sehr ungehalten. Diese Sachlage finde ich hier vor. Man
ist sich ganz unklar, was das sein wird. Es kamen aber auch Unger,
Werbeck, Keyserlingk. Unger halt schon einen Zweig-Vortrag am
30. November. Er hat eine Geschaftsreise just auf den Zeitpunkt
verlegen konnen, wo diese Tagung stattfindet; alle Anti-Meyerianer
sind dadurch sehr erleichtert. Keiner versteht aber, warum Meyer,
der ein wiitender Unger-Verschimpfierer ist, ihn just offiziell ein-
geladen hat, wahrend Munch nichts von der ganzen Sache weifL
(Er scheint mal in irgendeine Patsche gekommen zu sein, hat sich
wohl in Stuttgart nicht anders herausreden konnen). Unterdessen
erlebe ich den Jammer der Sam [Samweber]. Meyer und Ganten-
bein haben sie furchtbar schlecht behandelt; sie hat wie ein Heilig-
tum, ohne in der Nacht ein Auge zudriicken zu wollen, die von Dir
empfangene Meditation nach Berlin getragen; sie wollte in einem
besonders vorbereiteten ernsten Moment mit einigen Worten der
Erklarung diese mitteilen. Meyer hat es nicht erlaubt, wollte es
selbst tun; es entstand Wortwechsel, Streit und ein Tranenstrom.
Vorher hatte sie Munch und mich gefragt, ob wir der Meinung
seien, dass sie das tun diirfe, und wir hatten ja gesagt. Jetzt riet ich
ihr, zunachst die Sache ruhen zu lassen. Aber es machte einen tief
traurigen Eindruck auf mich. Einige andere grassliche Zustande,
die im Zweigleben eingerissen waren, wirkten ebenso. Und die
Waldherr-Geschichte war so, dass nach der Nachtversammlung in
Stuttgart, Meyer hier der Waldherr das letzte Wort vergonnt hat,
indem er einen Brief von ihr vorlas, in dem sie greulich den Vor-
stand beschimpfte, - und andern, die sprechen wollten und «Mate-
rial» vorbringen, das Wort verbot. Sie hat also das letzte Wort
gehabt und sitzt siegessicher in alien Versammlungen. - Aus einem
Gesprach mit Rather, der mich besuchte, um zu fragen, ob die
Herrn des Vorstands zu mir kommen konnten, und in dem wir uns
ganz sachte zu einiger Aufrichtigkeit hindurchtasteten, entnahm
ich, wie sorgenbeladen und gedriickt er auch war. Herr Rath (Ju-
gendvorstand), der in einem erbetenen Gesprach zunachst einige
andere Punkte beriihrte, lieE sich dann am ergiebigsten aus iiber die
Sorgen, die ihm die unmoglichen Zustande im «alten» Zweig mach-
ten; sprach sehr weise und einsichtsvoll und man konnte nicht
anders als seiner Meinung sein. Dann kam Herr Munch. Den
musste ich eigentlich ja erst kennen lernen. Als wir nach 2 V2 Stun-
den fertig waren, hatten wir uns in manchen Punkten verstanden
und geeinigt. Er ist freilich Duzfreund von Meyer, tritt ihm aber
entgegen und durchschaut ihn auf 3/4. Dann riickten sie zu vieren
an: Meyer, Gantenbein, Rather, Munch. Das begann nun nach
Meyer-Art, als ob er blofi Sorgen fur die Eurythmie hat, bog um
in sein gewohnliches Ich-ich-ich Schwadronieren, und seine Ma-
rotte, sich als verfolgt hinzustellen. Nur kniipfte er da an einem so
dummen Punkt an: Stuttgart hatte ihm schon heimgeleuchtet, als er
Geld fur seine Apparate wollte, - dass ich ihm vorhalten konnte,
was alles fur ihn geschehen sei, in welch fertiges warmes Nest er
sich gesetzt habe, und dass er doch nicht verlangen konne, dass
au$er Berlin auch noch alles andere sich um ihn drehe: es gabe
schliefilich eine Waldorfschule, die auch noch der Muhe wert sei,
gehalten zu werden. Er hat dann nicht mehr recht ein und aus
gewusst, und nachdem er eine riihrende Rede versucht hat, den
Schwanz eingezogen. Dann tat er plotzlich fast bieder, indem er
Fehler zugab, und man konnte nicht weiter ran an ihn. Aber seine
Position war doch erschiittert. (Drei Stunden dauerte es). Am
selben Abend hielt Unger einen ausgezeichneten Vortrag, warm-
herzig, tief und von solcher Loyalitat getragen, immer wieder hin-
weisend auf das, was von Dr. Steiner der Welt gegeben sei, dass er
aufier den erbosten Meyerianern alle fiir sich hatte. Am andern
Morgen 10 Uhr war nun die Tagung, mehrere hatten abgesagt, u. a.
Keyserlingk. Anwesend waren: Vier Mitglieder aus Spremberg, ein
Mitglied aus Magdeburg, - das waren die neuen; auEerdem Mund
(Leipzig), Frl. Wagner (Quedlinburg), Frau Petersen (Hannover).
Damit Schluss, was Auswartige betrifft. Sonst: Meyer und seine
Sekretarin, Frl. Werner, Walther, Selling, Miicke, ich, Unger.
Munch und Rather kamen leider etwas spat. Diese grofte Gesell-
schaft safi nun in den vordern Stuhlreihen des groften kalten Saals
und zeigte sich die Riicken. Meyer eroffnete die Tagung; man sah,
er hatte das Heft aus der Hand verloren. Die einleitenden falschen
Worte, die er auf Dr. Steiner bezog, kippten gleich um; es kam
noch: «Sie sehen also, wir miissen seine Arbeit stiitzen und dazu
sind wir zusammengekommen. Vielleicht, Herr Dr. Unger, haben
Sie einiges dazu zu sagen.» Dr. Unger lachelte etwas: «Nun ja,
wenn es an mir ist, den Gang der Verhandlungen zu bestimmen, so
will ich einige Punkte vorschlagen: Vortragstatigkeit, Waldorfschu-
le, Kundgebung, Eurythmie, Gegner, usw. -» Meyer hatte gleich
die Fiihrung verloren. Den braven Sprembergern lag die Eurythmie
sehr am Herzen, und nachdem man sich klar war, dass man die
Waldorfschule in erster Reihe stiitzen miisse, schien die Eurythmie
die Hauptveranlassung dieser Tagung geworden zu sein. Die
Spremberger frugen, ob nicht der regionale Verband eine Lehrerin
anstellen konne, die die kleinen Stadte der Reihe nach bereisen
konne. Plotzlich erwachte Meyer aus seiner Erstarrung: «Da haben
wir's, der regionale Verband braucht also eine Kasse.» Damit sprang
er auf. «Was tun wir also, um eine Kasse zu begriinden?» Da legte
ich mein Veto ein. Der regionale Verband brauche nicht begriindet
zu werden, um eine Kasse fiir die Eurythmie zu begriinden. Die
wiirde weiter arbeiten, wie sie bis jetzt gearbeitet. - Der arme Meyer
gab die Sache auf. Seine Sekretarin ging hinaus und sagte draufien
zu Drescher: «Es kommt doch nichts dabei heraus.»
Herauskommen sollte natiirlich eine Kasse fiir Meyer und seine
Vortragsreisen oder seine Forschungen auf wissenschaftlichem
Gebiete; denn die Berliner konnen's kaum mehr leisten: aufter sei-
ner Auslosung und der Anschaffung der Goethe-Bibiiothek und
der Apparate, braucht er, wie man mir sagt: 100 Goldmark wo-
chentlich fur die Erhaltung der Apparate. Das scheint mir so unge-
heuerlich, dass ich doch annehme, es liegt irgendein Zahlen«dreh»
vor, wie es heut so oft passiert.
Die armen Spremberger; sie schienen doch nicht recht zu wis-
sen, weshalb man sie aus Spremberg nach Berlin berufen habe. Der
Herr aus Magdeburg und eine Zeit lang die Frau Petersen, schienen
anzunehmen, man miisse Meyer vor irgendwelchen dunklen Mach-
ten schiitzen, aber wussten nicht wie. Die Gegnerfrage wurde von
Meyer damit abgewimmelt, dass Werbeck abends kommen wiirde,
um Sonntag 10 Uhr morgens einen Privatvortrag iiber Leisegang zu
halten. Man ging auseinander.
Am Abend war Meyers offentlicher Vortrag. Ich blieb in den
Raumen, weil ich am Tag vorher die Eurythmisten gepriift hatte,
fand, dass man eine Schuler-Auffiihrung schon riskieren konnte,
sie schnell ansagte zu Sonntag 5 Uhr, weil gar nichts, trotz der
Tagung, fur den Nachmittag angesagt war, und wir auch dachten,
dass viele Auswartige kamen.
Wir hatten unsere Probe zwischen 3 und 7. Werbeck kam bald
darnach. «Ich versteh eigentlich nicht, warum ich keinen offent-
lichen Vortrag halte», sagte er. -
Dann stromte es zu Meyer's Vortrag; der war lange nicht so
geschickt wie das erste Mai; er wiederholte sich viel, drehte sich;
legte sich mit gar zu viel Nachdruck auf das Experimentieren. Da
er schon einiges von der Entriistung mancher Mitglieder gemerkt
hatte, erwahnte er so nebenbei Kiirschners Ausgabe und Rudolf
Steiner.
Sonntag Morgen: Werbecks Vortrag. Ungefahr fiinfzig Mitglie-
der. - Nicht mal die Religiosen mit ihrem Anhang hatten dabei sein
konnen, denn es war ja Sonntag Morgen; viele Mitglieder haben
nichts davon gewusst. Ich safi neben Gantenbein. Es dauerte etwas
lang, da Werbeck manches aus seinem Buche vorlas. Ich hatte die
Generalprobe urn 12 Uhr angesetzt. Gantenbein frug: «Soll ich
Werbeck die Uhr zeigen?» - «Nein, lassen Sie ihn enden.» Der
Vortrag war ausgezeichnet. - Gantenbein sagt diensteifrig, aber
falsch, weil er gehort hatte, wie ich einiges zu Miicke sagte iiber die
schlechte Bekanntmachung des Vortrags, so ungefahr: «Ich werde
dafiir sorgen, dass alle schnell herausgehen ...» «Lassen Sie» - sagte
ich - «das ist mir ganz gleich. Emporend ist es aber, dass ein sol-
cher Vortrag von so wenigen hat gehort werden konnen.» Unter-
dessen sprach Meyer in die vorderen Reihen hinein: «Um 5 Uhr
werden wir eine Eurythmie-Auffiihrung haben, zu der ich leider
nicht werde kommen konnen. Ich bitte mich zu entschuldigen, weil
ich eine Sitzung mit Wissenschaftlern haben werde, die seit lange
anberaumt ist.» Ich konnte nicht umhin zu sagen: «Gern», - aber
das war fur die besondere Erhebung Gantenbein's.
Die Eurythmie-Auffiihrung war ganz nett und manches, was
sich drankniipfte. Spater nahm ich Werbeck zum Tee in Sam's
[Samwebers] Stube. Er hat sich so radikal ausgesprochen iiber
Meyer, dass es gipfelte in den Satzen: Wenn ein Feind sich zur
Aufgabe machen wiirde, einen groften Zweig in unserer Gesell-
schaft zu sprengen, so wiirde er Meyer als Vorsitzenden hinein-
tun.» Er sprach aber ganz ruhig auf Grund seiner Erfahrungen.
Spater kam Munch dazu. Er riet ihm, weil ich kurz vorher von
meiner schweren Situation gesprochen hatte, dem Meyer klar zu
machen, dass er als Vortragender am besten wegkame, aber den
Vorsitz zu seinem eigenen Heile niederlegen solle. Ich hatte am
Morgen Munch gefragt, ob er bereit sein wiirde, erster Vorsitzen-
der zu werden, mit Rather als zweiten, falls Meyer kapierte, dass er
niederzulegen habe. In dem Falle hatte ich telegraphiert: Darf ich
auf Grund hiesiger Verhaltnisse Meyer nahelegen Vorsitz an Munch
abzutreten? - Erst hatte Munch noch Angst vor den Folgen, die
ihm bliihen wiirden; dann war er dafiir, dass wir noch so eine
Vorstandsitzung haben sollten, wie die vorige dreistiindige (Freitag
von 12-3), in der ich ihm alles sagen sollte, er wiirde sekundieren.
Vor Werbecks Vorschlag zuckte er zuriick; er wollte, dass ich
dabei sei. -
Um 8 Uhr Ungers zweiter Vortrag, sehr gut, immer an Dich
ankniipfend und die Oktober-November-Vortrage in Dornach. Es
wurde warm im Saal. Und als Unger geendet hatte, trat Rath auf
und hielt eine sehr innige und ergriffene Dankesrede, und erklarte,
dass so die Jugend zu haben ware, wenn man in dieser Weise zu
ihnen sprache. Worauf der Herr aus Spremberg auch dankte fur
das, was die Gaste mitnehmen wiirden; gestern hatte es nicht recht
gut ausgesehen; aber heute ware der Vortrag am Morgen so gewe-
sen, dass warmes Gemeinschaftsgefuhl ausstromte und zu den an-
dern iiberging und jetzt am Abend wieder; herrlich hatte Unger
gesprochen. Worauf Munch stimmungsvoll abschloss und sagte,
wie geruhrt er von Raths Worten gewesen. Einer hatte noch von
der schonen Adventskerze gesprochen, die angeziindet worden
ware. Aber es war wirklich alles echt, und nichts gemacht, und
nichts uberschwanglich. Aber so, als ob ein Alp genommen sei und
eine Hoffnung sich rege. Alte Mitglieder gingen hinaus und sagten
zu Miicke: Sehen Sie, es kann doch wieder warm werden, wenn nur
der Meyer nicht da ist.
Meyer war tatsachlich abwesend, und jeder war sich klar, dass
nur durch diesen gliicklichen Umstand, die so jammerlich begon-
nene Tagung harmonisch abschlieiRen konnte.
Er hat sich unglaublich blamiert; es haben's nur am Morgen
wenige erlebt, und spater blieb er weg. Diese Sache mit dem Privat-
verband ist ihm griindlich misslungen.
Biittner kam dann mit Munch zu mir in Sams Stube. Wir hatten
mit Munch iiber seine eventuelle Mitwirkung im Vorstand gespro-
chen. Er sagte, er wiirde es nur tun, wenn Herr und Frau Dr. es
wiinschten. Ich schlug nun Munch einen noch milderen Weg vor:
dass ich Meyer sagen wiirde, ich wiirde dem Dr. genau berichten
iiber meine Eindriicke hier, und ob er dasselbe tun wolle.
Zu Hause hat mir nun Miicke erzahlt, dass am Morgen nach
Werbecks Vortrag sie zu Frl. Winkler emport gesprochen hatte iiber
die unmogliche Regie, und Winkler wiitend geschimpf t hatte iiber den
Vortrag Ungers vom vorigen Abend; jeden Augenblick an Dr. St.
anzukniipfen ware fad, - man sei jetzt hier an anderes gewohnt, iibri-
gens wiirde Meyer sich zu Ostern vom Vorsitz wieder zuriickziehen
und seine Stellung wieder antreten. «Dann konnt Ihr euch ja einen
andern wahlen! » Auf das hin f rage ich mich: Sollen wir nun iiberhaupt
mit Meyer sprechen, oder warten, dass er von alleine geht. Auch
Miinch sagte mir als letztes, dass Meyer seine Stelle wieder annehmen
miisse, da von Ostern an das Geld nicht mehr aufzubringen sei.
Ich nehme an, dass Rather sich zuriickgezogen hat zu gleicher
Zeit, wie die Hoffnungen auf den Verband sich so griindlich zer-
schlagen haben.
Eine Episode Waldherr gab es auch am Sonntag, sie erwischte
einen Moment, um in mein Zimmer zu dringen und verlangte zu
sprechen, was ich abwies.
Es tut mir leid, dass ich Dir so ein Buch geschrieben habe; es
dauert auch schon einen halben Tag, da meine Hand so leicht lahm
wird. Aber ich habe wirklich schwere Sorgen gehabt. Die Sache
schien mir so verlogen und so gefahrlich und so traurig und hoff-
nungslos. Nun bist Du aber der Vorsitzende und so konnte ich ja
nur an das moralische Gefuhl von Meyer appellieren. Da ist er so
dickfeliig. - Da ich ja doch wohl langer als eine Woche hier bleiben
muss, schreibst Du mir vielleicht gleich eilbrieflich Deine Meinung.
Oder vielleicht sogar, wenn ich richtig gehandelt habe, telegra-
phierst Du: richtig. - Damit ich wei$, dass ich auch auf die Gefahr
hin, dass er gleich niederlegt, weiter aufrichtig sein kann. Hassen
tut er mich naturlich jetzt wie den Tod.
Die Sache mit dem Brodbeck-Haus ist recht schwierig. Eigent-
lich wollte ich zu dieser Zeit meine Damen herausgesetzt haben
und die Zimmer streichen lassen, denn wenn die Mobelwagen mit
den Biichern vor dem Hansihaus stehen, und wir sind noch drin,
was sollen wir denn tun? Hast Du einen Raum dafiir?
Der neue Saal dagegen wiirde ja unendlich notig sein fiir Proben,
und wie wird er verschmutzt werden durch ein Massenquartier.
Dafiir kann doch keiner garantieren.
Aber das schlimmste ist der Umzug, und wenn der Verlag nicht
vor Weihnachten umzieht, haben wir so ungeheuerliche Steuer-
lasten auf weitere Monate!
Natiirlich will ich Dir nichts in den Weg legen. Aber wir sind
wieder die Geprellten. Und mit den Steuern kommen wir gar nicht
mehr zurecht. Ich seh es jeden Tag. - Heute bloft die Kranken-
kassenmarken eines Monats: 42 Billionen.
Nun ist noch eines, woriiber ich Deine Ansicht horen muss.
Herr Rath und Herr Schmidt (aus Karlsruhe, der aber seit einem
halben Jahr, seit Vater Raths Tode, das Geschaft - Buchhandlung,
Antiquariat - fiihrt) kamen mit einem Blumenstrau£ und einer
wertbestandigen Summe fur den jetzt abgeschlossenen Sprechkur-
sus. Beides nette junge Leute. Sie bringen immer in schoner be-
dachtiger Reihenfolge ihre «Punkte» vor. Der wichtigste kam zu-
letzt. - Ob wir ihnen Biicherbestande uberlassen konnten fur den
Verkauf in Deutschland. Sie frugen, wie wir es mit dem Biicherver-
kauf in Deutschland zu machen gedachten. Es wiirde ein gewisses
Aufsehen erregen, da der Vater einen sehr guten Namen gehabt
habe und wiirde vielleicht gut gehen. Miicke hatte ja ein Frl. Hoff-
mann ausersehen, die schon im Verlag gearbeitet hat, um im Zwei-
ge Biicher zu verkaufen. Sie reagierte nicht. Kinkel - sagt sie -
verkauft viel. Mannheim, Hamburg arbeiten ordentlich. Das iib-
rige, sagt sie selbst, hat abgeflaut, weil sie nur per Nachnahme
schicken kann. Sonst kriegt sie entwertetes Geld.
Deine Ansicht ware mir sehr wichtig; wenn's ein glattes Nein
ist, genugt auf dem Telegramm: Biicher nein. - Wenn Du meinst,
dass wir einen Mobelwagen voll hier lassen sollten, so schreib mir
bitte, wie Du Dir so eine Sache denkst. Die Buchhandlung ist in
Wilmersdorf.
Ich habe mich damit abgefunden, hier langere Zeit zu sein. Man
kann ja auch nicht einen Zweig wie Berlin einfach der Zersetzung
preisgeben. Und es ist gut, mit der Jugend zusammen gearbeitet zu
haben. Gerade hier kniipft sich einiges Menschliche an, einfach weil
man langer da ist. Drescher ist ein sehr sinniges liebes Madel. Eine
Altere ware kaum so verniinftig. Aber man muss hin und wieder
helfen, damit sie nicht als quantite negligeable unterdriickt werden.
Wenn Du die Weihnachtspiele einstudierst, so konnte man sie
auch in Dornach in der Adventszeit fiir die Offentlichkeit geben.
Es ist ja die richtige Zeit dafiir, und wir konnen audi nicht mehr
gut ohne laufende Einnahmen bleiben. Zu schade, dass ich die
Generalprobe nicht mitmachen kann, wo Du die Manner anfeuern
wirst. Wenn meine Damen Dich um Toneurythmieformen bitten,
bin ich nur dankbar, wenn Du sie gibst.
Alles alles herzlichste Marie
Miinch: Martin Munch (1883-1960), Bankbeamter, Schriftsteller, Mitglied in Ber-
lin seit 1910. 1923 von Rudolf Steiner zum Leiter des Berliner Zweiges bestellt.
Werbeck: Louis Michael Julius Werbeck (1879-1928), Mitglied seit September
1910, ab 1917 Leiter des Pythagoras-Zweiges Hamburg, 1923 im Vorstand der
deutschen Landesgesellschaft. Setzte sich 1924 durch zwei Bucher mit den Geg-
nern auseinander: «Die christlichen Gegner Rudolf Steiners durch sich selbst
widerlegt» und «Die wissenschaftlichen Gegner Rudolf Steiners durch sich selbst
widerlegt».
Sam: Anna Samweber (1884-1969), aus Miinchen. Von 1902-1914 als Erzieherin
in Russland tatig. 1914/15 Begegnung mit der Anthroposophie in Miinchen. Bald
darauf in Berlin im Sekretariat und im Haushalt von Rudolf und Marie Steiner
tatig.
Gantenbein: Bernhard Gantenbein (1874-1962), Kaufmann und Maler, Mitglied
des Berliner Zweiges seit Oktober 1910. Spater von Rudolf Steiner in dessen
Vorstand gerufen.
Meditation nach Berlin getragen: Es handelt sich um die Meditation «Den
Berliner Freunden», abgedruckt in «Mantrische Spriiche», GA 268, welche Anna
Samweber bei ihrem Dornacher Aufenthalt Oktober/November 1923 auf ihre
Bitte von Rudolf Steiner erhalten hatte.
Rather: Hans Raether (gest. 1962), Mitglied in Berlin seit Oktober 1908.
Rath: Wilhelm Rath (1897-1973), Mitglied seit Juni 1920, ab 1923 im Komitee der
Freien Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland. 1924-27 besorgte er fur
Deutschland die Auslieferung des Philosophisch-Anthroposophischen Verlages,
Dornach.
Mund: Emil Mund, Mitglied in Leipzig.
Frl. Wagner: Die beiden Schwestern Ellida und Martha Wagner aus Quedlinburg
waren 1909, resp. 1910, Mitglieder im Zweig Hannover geworden.
Drescber: Ursula Drescher (gest. 1973), Mitglied seit Juni 1921 in Berlin, spater
Heileurythmistin.
Leisegang: Dr. Hans Leisegang (1890-1951), Philosoph, Gegner der Anthropo-
sophie.
Kiirschners Ausgabe: der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes durch Rudolf
Steiner.
die Religibsen mit ihrem Anhang: Bezieht sich auf die Bewegung fiir religiose
Erneuerung, die «Christengemeinschaft».
Oktober-November-Vortrdge in Dornach: «Der Mensch als Zusammenklang des
schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes», GA 230.
Buttner: Dr. Carl Buttner, Rechtsanwalt in Berlin.
Die Sache mit dem Brodbeck-Haus: Siehe Hinweis zu Nr. 174.
Hansihaus: Haus oder Villa Hansi, seit Ostern 1914 Wohnhaus von Rudolf und
Marie Steiner.
Herr Schmidt: Helmuth Schmidt, Buchhandler.
Biicherbestdnde ... fiir den Verkauf in Deutschland: Die Auslieferung fiir den
Philosophisch-Anthroposophischen Verlag erfolgte ab Fruhjahr 1924 durch die
Buchhandlung Rath, Berlin.
176 Telegramm aus Dornachbrugg an Marie Steiner
Poststempel: Berlin W30 4.12.23 (Dienstag)
Mobelwagen tragt hochstens zehntausend Kilo. Spediteur Basel
meint, wenn Biicher dafiir zu schwer, in Pakete packen, mit Mobel-
wagen nur Bahnhof Berlin fiihren und Eisenbahnwagen packen.
Spediteur Leinkauf Berlin beordert Motzstrafie vorsprechen. Grufi
Steiner
177 An Marie Steiner in Berlin
Donnerstag, 6. Dezember 1923
Dornach, 6. Dezember 1923
Meine liebe Maus!
In Bezug auf Meyer bin ich mit allem einverstanden, was Du getan
hast und in diesem Sinne weiter tust. Auch fiir den Fall, dass er
gleich niederlegt, bin ich der Ansicht, dass man, nach allem, was
geschehen ist, dies hinnehmen muss und ihm weiter sagen, was
notig ist. Also Du kannst vollkommen frei tun, was Du fiir richtig
haltst.
Die Dinge, die Du schreibst, sind ja alle greulich. Und ich be-
daure, dass Du das alles durchmachen musst. Am meisten, dass Du
solange in Berlin festgehalten bist. Nun hat aber Meyer in Berlin
auch einen leichten Stand gehabt. Denn er steht im Grunde, so
grofi auch der Zweig ist, lauter Nullen gegeniiber. Oder, was z. B.
Biittner betrifft, Menschen, die wegen ihrer Unbesonnenheit Nul-
len gleichkommen. Natiirlich muss man dennoch mit diesen Nul-
len einen neuen Vorstand bilden. Man kann gar nicht anders. Dass
aber diese Leute, wie z. B, Munch etwas leisten werden, kann nicht
angenommen werden. Meyer ist ein unbewusster Intrigant, ein
bodenloser Schwatzer und versteht - wie auch sein erster Vortrag
gewesen sein mag - von all den in Betracht kommenden Dingen
doch eigentlich nicht die wahre Grundlage. Er ist auch gar nicht im
wirklichen Sinne wissenschaftlich durchgebildet. Aber er schwatzt
eben mit Oberflachen-Wissenschaft; und er hat sich im Reden
Alluren angewohnt, von denen die «Wissenschaftler» glauben, dass
sie den ihrigen ahnlich sind. Daher hort man ihm zu. Er ist im
Grunde als Vortragender noch schadlicher denn als Vorsitzender.
Das natiirlich sagt nicht, dass er als Vorsitzender weiter brauchbar
ist. Er sollte so schnell als moglich gehen nach der Art, wie er sich
jetzt benommen hat. Aber die andern sind auch nicht brauchbar.
Aber wo konnen wir denn iiberhaupt nur mit brauchbaren Men-
schen arbeiten? - Dass Du iiber Dr. Unger Gutes schreibst, freut
mich gewiss. Er gibt sich jetzt alle Miihe. Und ich will der erste
sein, der dies anerkennt. Zur Leitung aber der anthroposophischen
Gesellschaft in dem Sinne, was diese jetzt durch die anthropo-
sophische Bewegung geworden ist, kann er auch dadurch nicht ge-
eignet werden, dass er, wenn er einmal irgend wohin kommt, die
Dinge sagt, die man erst selbst in unzahligen Sitzungen einbleuen
musste. Das reicht dann fur ein paar Vortrage, weiter nicht. Es
wiirde nur weiter reichen, wenn reales eigenes Nachdenken dahin-
ter steckte. Das ist aber eben doch auch jetzt nicht der Fall. Doch
betrachte ich das alles als mein Amtsgeheimnis.
Real wirken werden nur die Dinge, hinter denen Kraft steckt.
Das ist der Fall da, wo wie in den Sprechkursen, in der Eurythmie
und anderem eben Reales gegeben wird. Deshalb freut es mich
herzlich, dass Du mit dem Sprechkursus so groften Erfolg gehabt
hast und dass Du so schnell eine Eurythmievorstellung zustande
gebracht hast. Gewiss, zu alledem ist die anthroposophische Ge-
sellschaft notwendig. Aber sie wird verfallen, wenn nicht neues
Blut in sie hineinkommt. Das wird nicht hineinkommen, solange
die, die drin sind, abschreckend wirken. Die Leute von aufien kom-
men da nicht. Trotzdem kann man nichts anderes tun, als mit den
Leuten, die nun einmal da sind, arbeiten und, wenn die Leute so
zweifelhaft werden wie Meyer, sie eben abwimmeln.
Zur Angelegenheit des Biicherlagers in Berlin. Ich bin damit
einverstanden; nur bitte ich Dich, zu bedenken, ob die Rath'sche
Buchhandlung nicht die Fortsetzung der des Judge-Theosophen
Rath ist. Ich kann das nicht wissen. Wenn es der Fall ware, so
schiene mir die Sache doch recht bedenklich. Aber ein Bucherlager
sollte schon in Deutschland sein. Und die Frage ware doch zu
erwagen, wenn nicht Rath-Schmidt taugt, ob man das Lager nicht
dem Kommenden Tag-Verlag in Stuttgart nur in Kommission
geben wollte. Doch ware, wenn's ginge, Rath besser.
Die Weihnachtsspielproben werden wir machen. Die Auffiih-
rung in Schaffhausen ist angesetzt. Wenn es geht, noch im Advent
hier zu spielen, so soli es geschehen.
Die Sache mit dem Eurythmieraum fur ein Massenquartier wer-
de ich nun unterlassen nach dem, was Du schreibst. Ich denke auch
daran, dass der Saal, der gerade dann eben brauchbar wird, fur
Eurythmieproben sehr notwendig sein wird. Aber das rechtzeitige
Fertigstellen des Brodbeckhauses - das sehe ich voraus - wird doch
nicht gehen, was auch Aisenpreis verspricht. Ich kann nur mit dem
rechnen, was ich selber sehe. Nun aber habe ich wegen der Biicher
einen Plan gehegt, den ich Dir auch gleichzeitig telegraphisch
vorlege. Wenn es notig sein sollte, ein dauerndes Bucherlager zu
haben, so konnte ich vom Goetheanum aus jetzt gleich einen
Schuppen bauen lassen. Der konnte neben dem Glashaus stehen
gegen hinauf zu auf dem Wege zur Schreinerei. Das konnte bis zu
der Zeit fertig sein, wo die Biicher hier ankommen, wenn das erst
Anfang Januar ist. Du wirst den Plan phantastisch finden. Doch
konnte es sonst in der Tat passieren, dass fur die Biicher schwer
Raum zu finden ware, wenn sie ankommen, so lange wir im Haus
Hansi sein miissen. Ich denke mir, dass in dem Schuppen das dau-
ernde Lager und im Haus Hansi spater die Biiro- und Versand-
raume sein werden. Doch tue ich solches naturlich nur, wenn Du
einverstanden bist, und wenn man das Biicherlager genug versi-
chern kann. Aber, das kannst Du versichert sein, Raum fur die Zeit,
wo etwa die Biicher noch nicht im Haus Hansi sein konnen, werde
ich unter alien Umstanden schaffen. Mir graut nur auch davor,
dass dann wieder alles von der Ablagerungsstatte nach Haus Hansi
geschafft werden muss.
Noch einmal: ich bin betriibt, dass Du so lange in Berlin aufge-
halten bist, dass Du so viele unangenehme Sachen gehabt hast; aber
es freut mich, dass es mit dem Sprechkursus so gut gegangen ist.
Die Sache mit dem Eurythmieraum, die ich, wie gesagt, nun nicht
mache, habe ich Dir nur vorgeschlagen, weil hier wirklich vorlaufig
niemand weiE, wie man die phantastisch grofie Zahl von Teilneh-
mern unterbringen wird. Von Deutschland allein sind 200 Leute ge-
meldet, fur die alle noch kein Quartier da ist, ganz zu geschweigen,
dass wir auch kein Geld haben, um die Quartiere fiir diese Nicht-
Zahlenden zu bestreiten. Und doch hangt jetzt alles davon ab, dass
die Weihnachtsveranstaltung am Jahrtage des Brandes eine wurdige
werde, auch durch die Zahl der Teilnehmer. Wenn das nicht der Fall
sein wiirde, so hielte ich es fiir das beste, uberhaupt nicht mehr zu
bauen. Nach den bitteren Versammlungen in London und Haag
kann es doch hier gut gehen; aber man muss auch alles dafiir tun.
Allerherzlichste Griifie Dein Rudolf Steiner
Judge-Theosoph Rath: Der Anhanger der Leipziger Gesellschaft, den Rudolf
Steiner im Sinn hatte, hiefi Paul Raatz.
Aisenpreis: Ernst Aisenpreis (1884-1949), Mitglied seit 1908, ab Sommer 1914
leitender Architekt an den beiden Goetheanum-Bauten.
Versammlungen in London und Haag: Bei der Griindung der englischen und der
hollandischen Landesgesellschaft im September bzw. November 1923. (GA 259).
178 Johanna Miicke an Rudolf Steiner in Dornach
Donnerstag, 6. Dezember 1923
Berlin, den 6. Dezember 1923
Verehrter Herr Doktor! Frau Doktor, die alle Ihre Sachen sorg-
faltig sichtet, beauftragt mich Ihnen einiges mitzuteilen, was ich
mit besten Griiften an Sie jetzt tun will.
Herr Rath, der Leiter der hiesigen freien anthroposophischen
Bewegung, welcher von Beruf Buchhandler ist, hat den Plan ge-
fasst, in Verbindung mit Herrn Sommerfeld, der die jungen Leute
kraftig unterstiitzt, die Raume des Verlages zu mieten; er selbst hat
keinen Laden, und urn einen Teil der Biicher uns abzunehmen,
damit man hier die anthroposophischen Schriften weiter kaufen
kann.
Zugleich wollen die jungen Anthroposophen die Raume fur ihre
Tagungen bemitzen, da der Beniitzung der Bibliotheksraume oben
sich Schwierigkeiten entgegenstellen, weil die Hausbewohner sich
iiber den Larm beschweren, den die zahlreichen Zusammenkunfte
so vieler jungen Leute verursachen.
Ob es gehen wird, die Verlagsraume fur diesen Zweck zu be-
kommen, miissten die Herren ja erst versuchen, hiibsch ware es ja,
wenn sie anthroposophischen Zwecken erhalten bleiben konnten.
Um so sehr viele Biicher wiirde es sich wohl kaum handeln, da ja
Herr Rath ein junger Anfanger ist. Den Verkauf im Zweige wollte
Fraulein Gertrud Hoffmann iibernehmen, ein sehr treues und intel-
ligentes Mitglied, die uns auch hier einige Zeit geholfen hat. Es ist
die Dame, von der ich Ihnen erzahlte, die so energisch in ihrer
friiheren Stellung dafiir eintrat, dass man in der Zeitschrift dort
nicht die Gegnerschriften so empfahl, ohne iiberhaupt eine Ahnung
von Anthroposophie zu haben. Diese wiirde dann die Zyklen etc.
im Zweige verkaufen.
Wiirden Sie, verehrter Herr Doktor, falls sich die Wiinsche der
Jugend verwirklichen lassen, damit einverstanden sein?
Ware es ferner Ihren Wiinschen entsprechend, wenn man fiir
Deutschland dem Kommenden Tag die Auslieferung iibertragen
sollte fur den Buchhandel, ev. auch fur Versand an Aufienstehende,
oder wiirden sich da Schwierigkeiten ergeben?
Wenn Sie iiber all diese Dinge uns Ihre Wiinsche mitteilen konn-
ten wiirde es eine gro$e Hilfe sein.
Mit den besten Griifien und Wiinschen stets in dankbarer
Verehrung Ihre
Johanna Miicke
Nachschrift von Marie Steiner
Ich glaube, Herr Rath will gar nicht kleine Bestande kaufen, son-
dern das tun, was Frl. Miicke hier fur den Kommenden Tag fragt.
Judge-Theosophische Buchhandlung ist Paul Raatz nicht Rath.
179 Telegramm an Johanna Miicke in Berlin (Vorlage)
Freitag, 7. (oder 8.) Dezember 1923
Nichts mit den jungen Leuten iiber Biicherverkauf verhandeln,
bevor Brief kommt. Steiner
180 An Rudolf Steiner in Dornach
Freitag, 7. oder 8. Dezember 1923, aus Berlin
L. E., vielen Dank fur Dein Telegramm, das ich eben erhalten und
beantwortet habe. Mit Nina Leskoff wird doch die Sache so stehen,
wie mit Zaiser und Buchenbacher. Wenn Dr. Wegman der Mei-
nung ist, dass sie ohne ihrer Gesundheit zu schaden, fur die Eu-
rythmisten Klavier spielen kann, konnte man es ja so riskieren, wie
Du vorschlagst. Wenn sie nur fiir die Eurythmie bleibt, so miisste
sie wissen, dass sie nach einer gewissen Zeit einer andern Platz zu
machen hat, oder eventuell dort zu sein hat, wo sie am meisten
lernen kann. Vielleicht sagt man's ihr in dieser Art und behalt
sie noch.
Rath ist vielleicht verwechselt worden von Dir mit Raatz. Ich
hab nie gehort, class er theosophische Biicher verkauft, will ihn
aber fragen. Die Idee der jungen Leute, in den alten Raumen des
Verlags die Arbeit fortzusetzen, ist mir sehr sympathisch. Gern
hatt ich nur von Dir gehort, wie viel man ihnen lassen soli; (sie
wiirden dann wohl auch die Regale iibernehmen). Und keine
Ahnung habe ich, wie man mit dem Bezahlungsmodus vorgehen
soli. Sollte da einer zu Dir kommen, schnell?
Meyer merkte wohl, dass seine Situation eine unmogliche wur-
de. Unger sprach mit ihm am letzten Abend und Meyer sagte, er
wiirde zu Ostern wieder in seine Schule gehen und dass er zugabe,
er hatte fur Verwaltung kein Talent; er wiirde den Vorsitz nieder-
legen, um mehr als Vortragender wirken zu konnen. Er schien zu
glauben, dass wir an Walther dachten und war erstaunt, dass wir
Munch in Aussicht hatten. Er ging aber gleich darnach zu Munch
und sagte ihm dasselbe. Unger hatte ihm gesagt, auch mir seinen
Entschluss mitzuteilen (- «damit er nicht kneift, sich anders be-
sinnt» -). Er hat's aber noch nicht getan. Rather war bei mir, der
da meinte, er miisse sich auch zuriickziehen, nun aber bleiben will,
da ich sagte, dass es doch viel besser ware, wenn er Munch stiitzte.
Gantenbein will sich zunachst eine Zeit lang zuriickziehen, um mit
sich ins Reine zu kommen. - Rather hat mir aber leider gesagt, dass
Meyer nun doch bis Ostern im Vorstand bleiben will; das ist sicher
verhangnisvoll, und mir scheint, auch anders, als wie er's Unger
sagte. Er soil auch sagen, dass er nur in Dr. Steiners Hande sein
Amt niederlegen will, von dem er es bekommen hat. Seine Clique,
besonders die fur ihn enragierte Frau v. Moltke, denken, dass
Walther und Selling wieder vorgeschoben werden.
Frau v. Moltke will ihre Aufzeichnungen haben. Ich fand vier
Hefte, die soli ich ihr wohl geben?
Dein Telegramm: Im Nachlass nicht vorhanden.
Nina Leskoff (gest. 1980), spater einige Zeit verheiratet mit dem Maler Emil
Schweigler.
181 jetzt Nr. 183a (Neu-Zuordnung)
182 Telegramm aus Dornachbrugg an Marie Steiner
Poststempel: Berlin W30 10.12.23 11V
Biicherverkauf Rath gut. Wieviel kann nur nach bisherigen Absatz-
mengen bestimmt werden. Zahlungsmodus ohne Verhandlung nicht
moglich, mit sonstigem junger Leute einverstanden. Wenn notig
kann Kommender Tag Auslieferung Deutschland haben. Grufi
Steiner
183 An Rudolf Steiner in Dornach
Montag, 10. Dezember 1923, aus Berlin
10. Dec.
L. E., nun muss ich doch wohl Schluss machen mit dem Aufenthalt
in Berlin. Ich nehme mir vor, Freitag den 14. zu fahren. Den Sams-
tag muss ich dann wohl in Stuttgart zubringen und das Haus mir
ansehen. Ich hoffe, dass man dort das Bauen nicht eingestellt hat,
denn wo soil ich dann hin mit den Mobeln! Sonntag hofP ich dann
nach Dornach zu reisen. Ich reise mit Walthers. Ich will alles so
herrichten, dass man ohne mich die endgiiltige Spedition besorgen
kann. Naturlich ist es fatal, dass sowohl Walthers als Sellings dann
in Dornach sein werden. Ich werde Sam und Frl. Drescher bitten,
in den oberen Raumen zu dirigieren, wahrend Muck in den untern
kommandiert.
Morgen will Meyer beim Zweigabend sein Amt niederlegen mit
der Begriindung, dass er in die Schultatigkeit zuruckmiisse, und
sich fur Verwaltungssachen nicht talentiert fiihle; bei mir ist er nicht
gewesen. Wenn nun die Sache mit Komplikationen vor sich geht,
und ich noch endlose Unterredungen mit Leuten haben muss,
konnte es sein, dass ich erst Sonntag abfahre. Dann wiirde ich
Donnerstag telegraphieren. Ist es wahr, dass Du auch noch wegen
der Schule nach Stuttgart kommst? Wie werd ich mich freuen, wenn
es so weit ist.
183aneues Blatt, wahrscheinlich Fortsetzung des vorigen
Frau v. Moltke hat von mir verlangt die Hefte mit ihren Aufzeich-
nungen; sie behauptet, eines fehle noch, aus einer Serie, schwarz-
Wachstuch-Heft, das Du Dir noch hast ansehen wollen, und ein
zusammengelegtes Papier mit der Handschrift ihres Mannes. Diese
zwei Stticke habe ich freilich nicht gefunden. Dafiir eine Anzahl
Hefte mit den Aufzeichnungen der Kundgebungen des Geistes
Emanuel. El. Moltke's Handschrift, und auf dem Titelblatt «Eigen-
tum des Herrn Dr. Steiner». Was soli ich damit tun? Gebe ich sie
ihr ab, so hat die Nachwelt Dokumente, aus denen man beweisen
konnte, dass Dr. Steiner seine Forschungsergebnisse auf medialem
Wege durch einen Geist bekommen hat. Bringe ich sie also mit
oder vernichte ich sie? 1st es was anderes als was in einem gedruck-
ten Buch vorliegt?
Den blauen Schrank habe ich durchgemistet, alle Briefe zusam-
mengelegt, die den Charakter der alten Zeiten aus Wien trugen; alle
Notizbiicher, die es gibt; sogar die meisten Briefe der Berliner Zeit.
Nun ist ein zusammengebundener Haufen alter Magazin-Manu-
skripte; den kann ich wohl vernichten? Und zwischen den Brief en
liegend durcheinander gewirrte Blatter alter Manuskripte; die
mochte ich auch verschwinden lassen, - geht das?
Im blauen Regal, unten in den Schrankfachern, liegen fein zu-
sammengebunden Haufen von Briefen, Quittungen etc. Soli ich die
Haufen, so wie sie sind, in ihren verschniirten Einheiten, in Kisten
packen? Sollen sie dann nach Dornach, oder nach Stuttgart, wo sie
keinen Zoll zu zahlen hatten?
Was mach ich mit den unter einem schwarzen Tuch in einem
Aktenkorbchen liegenden M.E.-Erinnerungen? von denen nie
etwas verschiittet werden durfte? (S..., A..., Merkur?) Soil ich's,
wie es ist, Selling iibergeben oder mitbringen?
Vielen Dank fur den Brief. Gestern hat mich Frl. Krause von 6 V2
bis fast 11 Uhr bombardiert mit ihrer Meyer-Besessenheit. Heute
kommt Munch; weiteres spater.
Herzl. Grufi, auch an Waller und den 3. [Fraulein]. Marie
Konnte sich Kathe [Mitscher] nicht aufschwingen zu einem Brief?
Ich wundere mich.
Kundgebungen des Geistes Emanuel: Siehe hierzu die Antwort Rudolf Steiners im
Brief Nr. 186.
alte Magazin-Manuskripte: Rudolf Steiner gab vom 1.7.1818 - 29.9.1900 das
«Magazin fur Literatur» heraus.
M.E.-Erinnerungen: Siehe Hinweis zu Nr. 42 und die Vorbemerkungen fur 1906.
Frl. Krause: Margarethe Krause, 1914 Mitglied in Gottingen, seit 1920 in Berlin.
den 3.: Helene Lehmann, Helene Dubach, Olga Zibell.
183b An Rudolf Steiner (fiir Tatiana Kisseleff)
wahrscheinlich Beilage zu Nr. 183
Es tut mir sehr leid, dass ich nun die Weihnachtsvorfuhrungen
nicht so werde gestalten konnen, wie ich's getan hatte, wenn ich
den Dezember tiber in Dornach gewesen ware. Doch da so vieles
Material vorliegt, hoffe ich, dass noch was Ordentliches zustande
kommt. Ich rechne auf «01af Asteson» (Kiss. [Kisseleff]) und «Die
Jiingerin», - das meiste von dem neu Erarbeiteten und einige Wie-
derholungen. «Die Sonne schaue» bitte ich diesmal Savitch zu
machen und ihren Solovjoff; - «Epiphanie» von Heredia und das
andere franzosische Sonett (desert) konnte man auch wiederholen;
die Weihnachtsspriiche ... Konnten wir einen neuen Steffen haben?
«Das heilige Nachtmahl», Seite 101. Da miisste wohl Savitch die
Mittelgestalt haben; Kisseleff vielleicht den Engel, die 3 Tiere: De
Jaager, Baravalle, Spiller; den Skorpion - Simons. Das ware sehr
schon, wenn wir noch so einen starken Steffen hatten.
Hat Savitch eine neue Ton-Eurythmie-Nummer bekommen? Sie
bat so sehr darum.
Hoffentlich geht doch noch alles; es konnte auch sein, dass ich
Samstag von hier abreise.
Dieses Blatt bitte ich Frau Kisseleff zu iibergeben mit herzlichem
Grufi, und entsprechenden Vorbereitungen. Hollenbach wird ja
wohl auch einiges Weihnachtliche vorzufiihren haben.
Da wir noch nicht umziehen, konnte man Bogo sagen, dass ich
Frl. Piitz gern ins Haus Brodbeck zu den andern liefie.
Allerherzlichsten Grufi Marie
Olaf Asteson: Das Traumlied vom Olaf Asteson, norwegische Volksdichtung.
Siehe «Wahrspruchworte» GA40, 8. Aufl. 1998, und GA 158.
«Die JUngerin» und «Das heilige Nachtmahl»: Gedichte von Albert Steffen aus
«Wegzehrung».
«Die Sonne schaue»: Wahrspruch von Rudolf Steiner, siehe «Wahrspruchworte»,
GA 40.
Savitch: Marie Savitch (1882-1975), aus St. Petersburg, Eurythmistin, Mitglied seit
April 1913, lernte Rudolf Steiner 1913 beim Zyklus in Helsinki kennen, seit 1920
am Goetheanum tatig, von 1926 bis 1972 Leiterin der Eurythmie-Gruppe am
Goetheanum.
Solovjoff: Wladimir Sergejewitsch Solovjoff (1853-1900), «Immanuel», in der
Ubertragung von Marie Steiner.
Heredia: Jose-Maria de Heredia (1842-1905), franzosischer Dichter.
franzdsisches Sonett (desert): Sonett von Albert Samain: Le Repos en Egypte,
welches am 26. Dezember 1923 in Dornach aufgefiihrt wurde.
Steffen: Albert Steffen (1884-1963), Schweizer Dichter, August 1910 Mitglied in
Miinchen, seit 1920 in Dornach. Mit Begriindung der Wochenschrift «Das Goe-
theanum* (1921) deren Redakteur. Seit Mai 1922 Generalsekretar der Anthropo-
sophischen Gesellschaft in der Schweiz. Weihnachten 1923 zweiter Vorsitzender
der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und Leiter der Sektion fur
Schone Wissenschaften der Freien Hochschule fur Geisteswissenschaft. Von
Weihnachten 1925 an erster Vorsitzender der Gesellschaft.
de Jaager: Isabella de Jaager (1892-1979), Mitglied seit Februar 1914 in Paris, eine
der ersten Dornacher Eurythmistinnen, spater als Heileurythmistin tatig.
Baravalle: Elisabeth (Use) v. Baravalle (gest. 1987), spatere Frau Kimball, August
1920 Mitglied in Wien, Eurythmistin, zunachst in Dornach, spater in USA.
Simons: Friedel Simons, Eurythmistin.
Hollenbach: Johanna Hendrika Hollenbach (1880-1950), Januar 1912 aus der
siidafrikanischen Sektion in den Berliner Zweig iibergetreten, lange Zeit Euryth-
mistin in Dornach.
Bogo: Nina Bogojavlenskaja (gest. 1945), Eurythmistin.
Piitz: Gertrud Piitz, Mitglied seit Mai 1920, Eurythmistin in Berlin, die offen-
sichtlich zur Weihnachtstagung nach Dornach kommen wollte.
184 Telegramm aus Dornachbrugg an Marie Steiner
Poststempel: Berlin W30 11.12.23 11V (Dienstag)
Umzugsmodus einverstanden. Rath Angelegenheit gut, noch Ein-
zelheiten von hier nicht zu iibersehen. Emanuelhefte nicht zuriick-
geben, mitbringen oder verbrennen. Briefe wenn moglich hieher,
andres nach Ermessen. Betreffende Dinge in moglichstem Ver-
schluss an Selling. Proben Weihnachtsspiele gehen vorwarts. Vor-
stellung Sonntag Schaffhausen. GruE Steiner
185 An Rudolf Steiner in Dornach
ca. Dienstag, 11. Dezember 1923, aus Berlin
Wir haben einen groften Berg von Nummern der «2ukunft»; soil
das mit, oder auf den Boden kommen, - oder dem Haufen von
altem Papier zugefiigt werden, den irgend jemand abholt?
185a Riickseite von Nr. 185
Herrn Dr. Steiner
Darf ich noch bitten, Frau Kisseleff mitzuteilen, dass ich auch
«Weh, weh, du hast sie zerstort» in Aussicht nehmen mochte fiir
die Weihnachtsprogramme. Aber es sollte dann der Trauermarsch
eingeiibt werden nicht mehr im 5-Eck, sondern in der Form, die
extra dafur gegeben ist, und die Mitscher fiir Savitch abgezeichnet
hat. Sie ist berechnet fiir eine oder fiir mehrere. - Wenn am 16. die
Spiele in Schaffhausen stattfinden, konnte da nicht am 14. oder 15.
eine Vorstellung in Dornach stattfinden, damit wieder etwas in die
Kasse kommt? Vom 18. an werde ich jeden Abend fiir Proben
brauchen.
M. St.
«Weh, weh, du hast sie zerstort»: Aus Goethe, «Faust» I. Teil. Studierzimmer III,
Geisterchor (unsichtbar).
Trauermarsch: Aus «Lieder ohne Worte» Op. 62, Nr. 3 von Felix Mendelssohn-
Bartholdy.
185b An Rudolf Steiner in Dornach
ca. Mittwoch, 12. Dezember 1923
Da mir Muck erklarte, es ware aus allerlei Griinden jetzt nicht zu
berechnen, was ein deutscher Angestellter monatlich kriegt, habe
ich mir das kiinftige Honorar in Franken zunachst so gedacht.
Sowohl Frl. Miicke als mir ist es nicht drum zu tun, dass Frl. Tolch
kommt; wenn es also weniger schwer wird, dadurch dass eine
weniger kommt, bitte dementsprechend zu verfahren. Heute will
ich Tolch sagen, ihre Wohnung noch zu behalten, und Miicke tut
es auch fur Rath-Schmidt eventuell als Untermieter.
Riickseite:
Herrn Dr. Steiner von M. Steiner mit h. Gru$
186 An Marie Steiner in Berlin
Donnerstag, 13. Dezember 1923
Dornach, 13. Dezember 1923
Meine liebe Maus!
Schonsten Dank fur die Telegramme. Fur Eurythmie ist alles be-
sorgt; morgen Freitag wollen wir also hier die beiden Spiele geben:
Paradeisspiel und Christigeburtsspiel. Samstag ist dann Schaffhau-
sen Probe und Sonntag Auffuhrung. Es macht mir Sorge, dass Du
in Berlin so viel zu tun hast. Nun wirst Du aber doch wieder bald
da sein. Hier wird zu Weihnacht ein schier unermesslicher An-
drang sein. - Der Biicherschuppen ist begonnen; und es soil alles
getan werden, damit er rechtzeitig fertig werde. Ich denke er wird
135 000 Biicher von der Grofte der «Philosophie der Freiheit»
fassen. Das wird zunachst gemigen.
Im «Goetheanum» habe ich begonnen, meine Memoiren zu ver-
dffentlichen. Ich werde das so einrichten, dass die Sache als Buch
hier im Philosophisch-Anthroposophischen Verlag gleich erscheint,
wenn der Vordruck als Ankiindigung gewirkt hat. Nach dem
2. oder 3. Artikel werde ich mit allem Nachdruck stoppen und die
weiteren Mitteilungen im «Goetheanum» nur als Ausziige des spa-
teren Buches machen; aber so, dass man den Drucksatz benutzen
kann. Ich fiihle mich, indem ich diese Lebensbeschreibung schrei-
be, wie von der Erde abgereist. Ich denke aber in die spateren
Kapitel, da, wo die achtziger und neunziger Jahre in Betracht kom-
men, viel Spirituelles bringen zu konnen, das eine Erganzung brin-
gen wird zu dem in den Biichern und Zyklen Stehenden. Bis jetzt
ist 1. Absatz gedruckt (1.-5. Jahr); heute wird der zweite (3.-8.
Jahr) gedruckt.
Nun nur noch, dass ich iiber Zahlungsmodus und Biicher-
Exemplarzahl fur Rath erst urteilen konnte, wenn mir die Biicher
des Verlages vorlagen. Walther schreibt ein Expose iiber Miickes
Behalten der Wohnung und ob ich damit einverstanden sei. Auch
dariiber lasst sich nichts sagen, wenn man nur das bisschen Biiro-
kratische hort, das Walther in gewundenen Satzen schreibt. Ich bin
besorgt, dass Dir auch noch dadurch Miihen erwachsen.
Die Emanuelbiicher diirfen entweder nur mitgenommen oder
verbrannt werden. Was drinnen steht, weiE ich nicht. Denn ich
habe sie nicht einmal aufgemacht, geschweige denn gelesen.
Die M.E. Dinge konnen unter irgendeinem sichern Verschluss
bei Selling untergebracht werden. Mitnehmen sollte man sie nicht.
Es ist mir unheimlich, dass sie zuriickbleiben; aber es muss so sein.
Die Zukunfthefte brauchst Du nicht mitzunehmen, denn ich
werde ja wohl in diesem Leben kein Bediirfnis mehr haben, die
einzelnen wenigen wertvollen Aufsatze in den verschiedenen Jahr-
gangen zu lesen; aber man sollte sie nicht makulieren, sondern
antiquarisch verkaufen. Sie wurden bis vor kurzem sehr teuer
bezahlt. Und nun auf baldiges Wiedersehen.
Herzlichste Griifie Rudolf
meine Memoiren: «Mein Lebensgang», erschienen in wochentHchen Fortsetzun-
gen vom 9. Dezember 1923 an bis zum 5. April 1925 in der Wochenschrift «Das
Goetheanum». Erste Buchausgabe 1925 durch Marie Steiner.
187 Telegramm aus Dornachbrugg an Marie Steiner
Poststempel: Berlin W30 13.12.23 11 V (Donnerstag)
Setze voraus Montag Stuttgart. Fahrt Sonntag Abend Schaffhausen
- Stuttgart. Dienstag konnen wir Dornach sein. Zukunfthefte nicht
makulieren. Antiquar verkaufen. Waren vor kurzem antiquarisch
teuer [be]zahlt. Grufi Steiner
188 Telegramm aus Dornachbrugg an Marie Steiner
Poststempel: Berlin W30 14.12.23 11V (Freitag)
Erbitte umgehend Nachricht, ob erst Dienstag Stuttgart, weil mich
darnach richte. Grufi Steiner
Stuttgart: Marie Steiner reiste in der Nacht von Montag auf Dienstag nach
Stuttgart und traf sich dort mit Rudolf Steiner. Am Donnerstag den 20. reisten sie
zusammen nach Dornach, wo am 24. die Weihnachtstagung begann.
1924
Die Monate Januar bis September sind die letzten der iiber 20jahrigen
anthroposophischen Vortragstatigkeit Rudolf Steiners. Seine physischen
Krafte waren schon durch die Brandkatastrophe der Silvesternacht 1922
und die Sorgen um den sachgerechten Fortgang von Bewegung und
Gesellschaft sehr geschwacht. Nun, am 1. Januar 1924, dem letzten Tag der
Weihnachtstagung, muss er auch noch mit Vergiftungserscheinungen
kampfen. Bei der geselligen Nachmittagszusammenkunft mit Teebewir-
tung war - so Marie Steiner - etwas geschehen, «von dem er selbst sagte:
ich bin vergiftet». Und obwohl er durch seine immensen Willenskrafte
diese Attacke soweit iiberwindet, dass er am Abend programmgemafi
seinen letzten Vortrag des Weihnachtstagungszyklus halten kann, so hatte
Marie Steiner doch das Auge eines «zu Tode Getroffenen» geschaut. Aber
verweilen bei diesem Blick durfte sie nicht, «hinaus, hinweg ging es in
zusammengedrangter Eile». Unausgesetzt setzt er alle Krafte ein fur die
Konsolidierung der Gesellschaft, den Aufbau der neuen esoterischen Schu-
le als «Freie Hochschule fur Geisteswissenschaft» und die Genehmigung
zur Wiedererrichtung des Goetheanum-Baues, fiir den er ein vollig neues
Modell schafft. Um das Gemeinschaftsbewusstsein der Gesellschaft zu
starken, erhalt die Wochenschrift «Das Goetheanum» die Beilage «Was in
der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht. Nachrichten fiir deren
Mitglieder», in dem er wochentlich Brief e «An die Mitglieder!» verbunden
mit anthroposophischen Leitsatzen (GA 26) richtet; in der «Goethe-
anum»-Zeitschrift werden wochentlich die Darstellungen seines Lebens-
ganges fortgesetzt. Am 15. Februar beginnt er mit esoterischen Unterwei-
sungen fiir die erste Klasse der Freien Hochschule (GA 270) und tags
darauf beginnt er damit, in den Mittelpunkt seiner Vortrage fiir die
Mitglieder das Thema «Praktische Karmaiibungen» zu stellen, womit er
schon bei der Begriindung der deutschen Sektion im Oktober 1902 begin-
nen wollte, damals jedoch auf Abwehr stiefi. Wo er nun immer allgemeine
Mitglieder-Vortrage halt - in Dornach, Prag, Stuttgart, Bern, Paris, Bres-
lau, Arnheim (Holland), Torquay und London - werden konkrete Schick-
salsbildungen in wiederholten Erdenleben einer Reihe von Individualitaten
behandelt und auch in karmisch bedingte Gruppenstromungen innerhalb
der Gesellschaft hineingeleuchtet. Ferner gibt es Kurse fiir Arzte, Euryth-
misten, Lehrer, Heilpadagogen und Landwirte. Nach dem 20tagigen Eng-
Iand-Aufenthalt im August mit 32 Vortragen und Besprechungen schlie-
fien sich unmittelbar Besprechungen in Stuttgart an und ohne den klein-
sten Unterbruch geht es im September in Dornach weiter.
In den nun folgenden drei Wochen ringt er dem «im Feuer iibersinn-
lichen Erlebens schon vergluhenden K6rper» noch die aufierste Kraft-
leistung ab (Marie Steiner). Im Mittelpunkt steht der mit ihr gemeinsam
durchgefiihrte Kursus uber Sprachgestaltung und dramatische Kunst, zu
dem der Andrang so grofi wird, dass die urspriingKche Beschrankung «nur
fur Schauspieler» nicht aufrechterhalten werden kann. Parallel dazu finden
zwei Kurse statt, einer fur Arzte und Priester liber Pastoralmedizin
(GA318) und einer fur die Priester der Christengemeinschaft uber die
Apokalypse (GA 346). Zusammen mit den Karma- Vortragen fur die Mit-
gHeder und die Vortrage fur die Arbeiter am Goetheanum-Bau halt er in
diesen drei Wochen 70 Vortrage, bis zu fiinf Vortrage an einem Tag. Nach
Abschluss dieser Kurse brechen seine physischen Krafte zusammen. Der
fur Freitag, den 26. September angekiindigte Vortrag muss abgesagt wer-
den. Zwei Tage spater, zu Michaeli, will er unbedingt noch einmal zu den
Freunden sprechen, muss jedoch nach 20 Minuten abbrechen. Die beab-
sichtigte Fortsetzung war nicht mehr moglich.
Am 1. Oktober wird aus praktischen Griinden sein Krankenlager in
seinem Atelier in der Schreinerei aufgeschlagen. Von nun an sehen ihn und
sieht er, der immer von Menschen umgeben war, nur noch wenige: die
beiden pflegenden Arzte, Dr. Ita Wegman und Dr. Ludwig Noll vom
Klinisch-Therapeutischen Institut Stuttgart; Marie Steiner, sofern sie nicht
aufgrund von Eurythmie-Verpflichtungen von Dornach abwesend ist;
Mieta Waller-Pyle, die langjahrige Freundin und Hausgenossin; Albert
Steffen zur Besprechung der Wochenschrift «Das Goetheanum»; Dr.
Guenther Wachsmuth zur Erledigung der Korrespondenz; Architekt Ernst
Aisenpreis fur Baufragen, und ab und zu einzelne Mitglieder, die fur
besondere Besprechungen bestellt werden.
Marie Steiner, bis Mitte November mit der Eurythmie-Gruppe fur eine
bereits festgelegte Gastspielreise unterwegs in deutschen Stadten, berichtet
Rudolf Steiner telegraphisch und brieflich. Vom 17. November an arbeitet
sie wieder in Dornach. Zum 10. Dezember, Albert Steffens 40. Geburtstag,
gestaltet sie eine Feier, verliest Rudolf Steiners schriftlichen Grufi an
Steffen und rezitiert Steffen-Gedichte. Fur die Weihnachtsveranstaltungen
am Goetheanum gestaltet sie mit Rudolf Steiner das Programm und
verliest seine schriftlichen Griifie.
Fur die insgesamt 104 Eurythmie-Auffuhrungen, die unter ihrer Lei-
tung und Mitwirkung als Rezitatorin wahrend des Jahres 1924 stattfinden,
hat Rudolf Steiner stets durch Teilnahme an Proben und Programmgestal-
tungen sowie durch einfiihrende Worte vor offentlichen Auffiihrungen,
und durch Formenzeichnen sogar bis zuletzt beigetragen.
Briefe wurden zwischen ihnen in der Zeit vor seiner Erkrankung nur
im Mai gewechselt. Damals war Rudolf Steiner fur Vortrage in Paris und
Marie Steiner auf Eurythmiereise. Da sie ihn bei den ubrigen Vortragsrei-
sen wie immer begleitet, beginnt erst bei ihren Eurythmiereisen wahrend
seiner Krankheitszeit wieder ein lebhafter Briefwechsel.
189 Fiir Marie Steiner zum 14. Marz 1924
Id
1924
190 Fur Marie Steiner, 15. Marz 1924
191 Telegramm aus Dornachbrugg an Marie Steiner, Niirnberg, Deutscher Hof
Postvermerk: 20. Mai 1924
Mochte wissen wie [es] geht, sende Formen nachsten Ort. Aller-
herzlichste Griifte Rudolf Steiner
192 An Rudolf Steiner, nach Paris
Mittwoch, 21. Mai 1924
Niirnberg, 21. Mai 1924
L. E. nun haben wir Ulm hinter uns. Wie wir hinkamen, gab es viel
Militarmusik, Aufmarsche, Fahnen, bekranzte Bogen mit «Will-
kommen den Grenadieren». Es wurde mir schon angst und bange,
doch hat sich die Sache leidlich abgespielt. Das Theater war fast
gefiillt, was hochst selten der Fall sein soil. Der Applaus wurde,
wenn er zum zweiten oder dritten Mai einsetzte, von einem Zischer
bekampft. Man dankte dann zwei Mai. Ein drittes Hervorrufen mit
Wiederholung geschah infolgedessen nur beim kleinen Praeludium
von Chopin und der «Nixe Binsefuft»! Das Programm befriedigt
mich nicht vollkommen. Ich versuche jetzt, ihm mehr Leichtigkeit
zu geben dadurch, dass ich zwischen den zwei letzten Allegri, wo
sich Use [v. Baravalle] lange umzieht, das «Straufichen» setzte.
De Jaager ist sogar freundlich darauf eingegangen, nachdem sie ihre
Nixe eingebiilk hat. Fruher machte sie auch beim Straulkhen
Faxen. - Das Grave ist nicht sehr vollkommen durch die Schwere
von Schuurman, die iibrigens geruhte, in der Garderobe zu sagen,
dass sie jetzt wieder anfangen wiirde zu arbeiten: bis jetzt hatte sie
der Eigensinn verhindert. Savitsch benimmt sich ordentlich, - macht
alle Autotouren mit, hoffentlich bekommen sie ihr. Die sind frei-
lich sehr lang, aber sehr schon. Das Sitzen vorne bekommt mir sehr
gut, - der Wind ist sehr warm und scheint die Luftrohre zu reini-
gen. Sonntag hat er mir den kleinen Dornacher Halsschmerz weg-
geweht. Montag bei der Vorstellung in Ulm fror ich mdrderisch
und er meldete sich wieder, - ist mir aber wieder weggeweht wor-
den auf der langen Fahrt gestern. Hatte ich nicht unmittelbar dar-
nach urn 8 V2 abends die lange Generalprobe haben miissen, ware
vielleicht auch das Genick ordentlich geblieben; das ist nun heute
recht garstig. - Aber Stuten hat Fieber und Halsweh, Mitscher
meint sogar, etwas Gelbsucht. Er ist bei Mitgliedern; wenn es
schlechter wird, will er ins Krankenhaus. Sollen wir ihn heimschik-
ken, wenn er reisefahig ist - das ist nun die Frage. Heute wird nun
ein Herr Schenk lesen. - Die Ulmer Kritik hat uns bis jetzt gut
behandelt. - Ich wollte, ich konnte hoffen, dass es Dir nicht schlecht
geht. Vielen Dank fur die in Aussicht gestellten Formen. Herzlich-
sten Grufi und alles beste fur Paris.
Marie
Nixe Binsefujl: Gedicht von Eduard Morike.
Das Strdujlchen: Gedicht von Goethe.
Schuurman: Maria Ina Schuurman, geb. Bayer (1894-1977), Mitglied seit April
1914 in Koblenz, Eurythmistin in Dornach, verheiratet mit Max Schuurman.
Stuten: Jan Adriaan Stuten (1890-1948), aus Holland, Musiker, studierte zusam-
men mit Max Schuurman am Konservatorium in Koln, beide wurden im Februar
1911 im Zweig von Mathilde Scholl Mitglied. Seit 1914 bis zu seinem Tode als
Komponist und Dirigent genialer Mitarbeiter Marie Steiners. Darsteller verschie-
dener Buhnenrollen unter der Regie Rudolf Steiners. Spater auch Buhnenbildner:
1928 fur das 1. und 2. Mysteriendrama, 1937 fur «Faust». Diverse Kompositionen,
vor allem zu «Faust» und die Trauermusik fur Rudolf Steiner. Mitglied der
Rudolf Steiner-Nachlassverwaltung.
193 An Marie Steiner in Eisenach
Donnerstag, 22. Mai 1924
Dornach, 22. Mai 1924
Meine Hebe Maus,
es ist mir herzlich lieb, dass ich Gutes iiber die Auffuhrungen in
Ulm und Niirnberg habe horen konnen. Hoffentlich geht es Dir
gut, auch weiter, und die Strapazen sind nicht allzu grofi. Hier wird
eben vom Amt herauftelephoniert, das [was] Du von Stutens Er-
krankung depeschierst. Das ist mir leid. Hoffentlich stort das nicht
zu sehr; es wird ja immer moglich sein, dass, wenn nicht ein Wal-
dorflehrer oder sonst ein redefahiges Mitglied zu den einleiten-
den Worten berufen werden kann, irgend jemand gefunden werden
kann, der die Bemerkungen von mir, die im «Goetheamim» ge-
druckt sind, vorliest.
Ich habe hier seit Sonntag aufierordentlich viel zu tun gehabt.
Gestern musste ich mit den Bauplanen des neuen Goetheanums
zum Regierungsrat des Bau-Departements nach Solothurn, um die
Plane personlich einzureichen. Der Regierungsrat war wirklich
recht freundlich und entgegenkommend; wir konnen da auf nicht
Schlechtes hoffen, wenn der Heimatschutz, dem die Plane vorgelegt
werden miissen, keinen Einspruch erhebt. Nun, wir wollen eben
abwarten.
Heute geht nun die Reise nach Paris. Hoffentlich geht da alles
gut. Bis auf meinen Magen, der immer der gleiche unleidliche
Patron ist, geht ja alles hier doch so weit in Ordnung.
Ich habe nun die Gedichte alle, auch die Schwester Helene, ge-
staltet. Nur mit zwei Kleinigkeiten, die du mir abgetippt gegeben
hast, konnte ich noch nicht fertig werden. Ich hoffe, dass ich auch
diese noch zustande bringe. Ich habe nun alles an Frl. Bauer zum
Abzeichnen gegeben und diese beauftragt, Dir nach Eisenach Text
und Formen zu senden. Ich hoffe, dass Du sie bald auf der Reise
noch bekommst.
Hier ist mittlerweile Frl. Dr. Roschl zur Leitung der Jugendsek-
tion eingetroffen. Eine Vorstandsitzung, die wir Dienstag V2 11 Uhr
nachts gehalten haben, hat nur die weitere Feststellung der Klas-
senmitglieder zum Inhalt gehabt.
So sende ich Dir die allerbesten Gedanken fur die weitere Reise,
namentlich fiir Deine Gesundheit.
Allerherzlichst Rudolf.
Bemerkungen von mir, die im Goetheanum gedruckt sind: Einleitende Worte zu
einer Eurythmie-Vorstellung, erschienen in «Das Goetheanum» III. Jg., Nr. 7
vom 23. September 1923, (jetzt in GA 36).
Schwester Helene: Sister Helen, englisches Gedicht von Dante Gabriel Rossetti.
Frl Dr. Roschl: Maria Roschl (1890-1969), Mitglied seit Dezember 1920 in Wien.
Ab 1921 Lehrerin an der Freien Waldorfschule in Stuttgart. 1924-1931 Leiterin
der Jugendsektion am Goetheanum. Spater mit Ernst Lehrs verheiratet.
194 An Rudolf Steiner in Paris
Montag, 26. Mai 1924
Erfurt, 26. Mai 1924
Lieber E. In Nurnberg ging es uns recht gut, bis auf Stutens Er-
krankung. Die Mitglieder sind dort recht ruhrig gewesen; der grofie
Saal des Kulturvereins, - wohl der grofke, in dem ich gesprochen
habe (mit Ausnahme Wiens), - war voll. Oben in einer Loge ent-
deckten wir sogar einen akustischen Platz und ich glaube, es klang
gut. Es war ein absoluter Erfolg, - Kritiken hat man uns noch nicht
zugeschickt. Ein junger Mediziner, Schenk, las ganz ordentlich aus
dem «Goetheanum». Eine herrliche lange Fahrt hatten wir am an-
dern Tage iiber Bamberg und Meiningen, konnten den Dom ziem-
lich eingehend besichtigen. Ein grofiartiges Kulturdenkmal, wie
auch das grofte Benediktinerkloster daneben. Historie webt mit
voller Kraft an diesem Ort. Und die feinsten Holzschnitzwerke
sind da angesammelt. Da solltest Du noch hin: die verlangen noch
darnach, von Dir angesehen zu werden. Meiningen schaut reizend
aus; es muss ein feiner Geist da gewaltet haben; und die Landschaft
herum hat etwas Hellenisches. Wir fahren noch immer durch die
freundlichste Bliitenpracht, durch herrlich wogende Saat, und das
junge Griin der Baume hat noch alle Eigennuancen. Entziickende
kleine Stadtchen mit alten Zinnen und Toren. Und dann der duf-
tende Thiiringer Wald. Er zeigte sich in seinem schonsten Glanz.
Eisenach hat ein ganz nettes Theater, - zwanzig schlafende Mit-
glieder, die ganz riihrend sind in ihrer Abgeschiedenheit. Der Herr
Pottschacher sagte, er musste alles alleine machen; und seine Frau
sei Gegnerin seit 20 Jahren. Ich glaube, er hat sich angestrengt, -
doch sagten Eisenacher Menschen, es ware viel zu wenig bekannt
geworden. Die Aufnahme war eine sehr gute, - die Arbeiter sagten,
die Eisenacher seien noch nie so warm geworden, aber das Theater
war nicht halb gefullt, vielleicht sogar [nur] ein drittel. Der Hote-
lier vom Rautenkranz, wo wir alle gut untergebracht waren, war
sehr entziickt, und sagte, er hore von den verschiedensten Seiten
nur Gutes; wir sollten nur ja wiederkommen; es wiirde dann sicher
voll werden. - Heute geht es also in Erfurt los. Da soil der Direk-
tor mit ziemlichem Widerstreben das Theater gegeben haben. Die
Probe beginnt recht spat, alles an einem Tage.
Herzlichen Dank fur Telegramm und Brief, den ich in Eisenach
bekam. Die Formen habe ich noch nicht erhalten, wo hat sie wohl
Frl. Bauer hingeschickt? Hoffentlich zerreifit man Dich nicht zu
stark in Paris; wegen des «Patrons» bin ich so angstlich.
Die Kritik des rechtsstehenden Blattes in Eisenach war durchaus
giinstig. Ein anderes Blatt findet das Ton-Eurythmische sehr schon.
Morgen geht es nun nach Naumburg. Herr Ritter las in Eisenach
und liest hier.
Allerherzlichste Griifie Marie
Stuten ist im stadt. Krankenhaus, Niirnberg. Lerchenfeld will ihn
dann nach Kofering nehmen.
Herr Pottschacher: Karl Pottschacher, Mitglied in Eisenach seit April 1908.
Lerchenfeld: Graf Otto v. Lerchenfeld (1868-1938), bayrischer Reichsrat (d. h.
Mitglied der Ersten Kammer des Parlaments) und Neffe des bayrischen Gesand-
ten in Berlin, Mitglied seit Mai 1907, 1911 Mitbegrunder des Johannes-Bauver-
eins, bis 1925 in dessen Vorstand. Veranlasste 1917 Rudolf Steiner zur Abfassung
der «Memoranden» fur die Dreigliederung des sozialen Organismus und gehorte
mit seinem Gut Kofering bei Regensburg zu den Pionieren fur die biologisch-
dynamische Wirtschaftsweise.
195 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Dienstag, 27. Mai 1924
Briefkopf: Societe Anthroposophique de France
3, avenue de PObservatoire, Paris VI
[handschriftlich:] chez Madame Armand Robert
Paris XVI Boulevard Flandrin 19
27. Mai 1924
Meine liebe Maus!
Herzlichsten Dank fur Deinen Brief aus Niirnberg. Es freut mich,
dass es so weit ganz gut gegangen ist. Hoffentlich halt sich Deine
Gesundheit. An die muss ich viel denken. Wenn sich nur nicht
solch frostige Dinge wie das beschriebene am Montag bei der
Ulmer Vorstellung zu oft wiederholen!
Hier geht es gut. Eine kleine Stoning verursachte nur die Krank-
heit von Dr. Sauerwein, der einen Zweigvortrag deshalb nicht iiber-
setzen konnte, sodass die kleine Claretie einspringen musste. Die
iibersetzte zwar aufierordentlich gut, piepste aber so, dass kein
Mensch das Vorziigliche (ich meine die vorziigliche Ubersetzung)
horte. Fiir das andre konnte Dr. Sauerwein wieder aufkommen
als Ubersetzer.
Der offentliche Vortrag hatte 400 Zuhorer in ganz vorziiglicher
Stimmung. Nur ist hier schrecklich viel zu tun. Fast jeder hat auch
noch bei Frau Dr. Wegman arztliche Anliegen.
Nun aber trifft eben eine ganz abscheuliche Nachricht ein. Stef-
fen (als Redakteur des «Goetheanums») und Dr. Grosheintz (als
zeichnungsberechtiges Mitglied des Goetheanums) haben Straf-
befehl fiir nachsten Sonnabend erhalten, weil von uns durch den
Biichervertrieb Werbecks Buch iiber die Gegner verkauft wurde.
Aufterdem ist dieses Buch bei uns konfisziert worden. Es handelt
sich um die Stellen iiber Kully, die da drinnen sind. Ich werde also
nach der Riickkunft ziemlich missliche Dinge vorfinden. Ich werde
Dir den Verlauf immer berichten. Es ist kein Anlass zu einer gro-
fieren Sorge vorlaufig. Denn wenn ich ins Auge fasse, was vorliegt,
so sehe ich, dass das Gericht kaum wird etwas machen konnen.
Ich sende die herzlichsten Gedanken fur die weitere Euryth-
miereise. Ich hatte nur gerne gewusst, was seit Niirnberg vorgegan-
gen ist.
Allerherzlichste Griifle Rudolf
Claretie: Germaine Claretie (gest. 1982), Paris.
Dr. Grosheintz: Emil Grosheintz (1867-1946), Zahnarzt in Basel, Mitglied seit
September 1906 und Mitbegriinder des Paracelsus-Zweiges in Basel, seit 1908 im
Vorstand der deutschen Sektion. Stellte 1912/13 in Dornach Gelande fur den Bau
des ersten Goetheanums zur Verfiigung. 1913-1915 zweiter, nach dem Tod
Sophie Stindes erster Vorsitzender des Bauvereins, bis 1924. 1920 Griindungsmit-
glied und erster Vorsitzender des Zweiges am Goetheanum, bis 1946.
Kully: Max Kully (1878-1936), katholischer Pfarrer in Arlesheim.
195a An Rudolf Steiner in Dornach
Mittwoch, 28. Mai 1924
Naumburg, 28. Mai
Hotel zum schwarzen Ross
Lieber E., jetzt fangt vielleicht die schwierige Zeit unserer Tournee
an. In Erfurt, wo es ein schones gropes Theater gab, das recht gut
gefullt war, (es soli sonst nie so voll sein) hatten wir als der erste
Applaus (nach der zweiten Programmnummer) einsetzte einen
Zischer. Er tat so nach jeder Nummer, und als das Publikum weiter
klatschte und Wiederholungen forderte, pfiff er sehr laut und kunst-
voll. Dann begann er zu pfeifen, wenn ich eine Nummer ankiindig-
te. Nun hatte das nicht mal so viel geschadet, auch nicht das
Kichern einiger Schauspielerinnen, das sich dazu gesellte, wenn wir
im zweiten Teil alle klug geblieben waren und aufier der Schluss-
nummer, wie ich es wollte, keine Wiederholungen gegeben hatten.
Denn ich nahm an, dass sich der Opponent im zweiten Teile noch
skandalsiichtiger benehmen wiirde. Wir kamen ziemlich glucklich
bis zur «Nixe Binsenfufi», wo er pfiff und das Publikum so viel
klatschte, dass Schuurman dachte, er miisse wiederholen. Es war
ungliicklich, weil das viele Klatschen mehr Demonstration gegen
das Pfeifen war, und die Stimmung doch nicht mehr vorhanden
war. Nach der Wiederholung begann der Mann zu trampeln und
die Schauspielerinnen zu quietschen, und eine Dame rief: «Kann
man diese Bande nicht herauswerfen?». Der Tartini, die Schluss-
nummer, wurde dann besonders ostentativ beklatscht, und wieder-
holt. Aber die Blatter konnen nun doch durch die vorletzte Scene
von einem Skandal sprechen, und das kann uns nun weiter verfol-
gen auf dieser Reise, auch der. Pfeifer, was doch recht grasslich ist
und Gott weifi wie enden kann. Ich habe noch kein Erfurter Blatt
gesehen, aber da soil gerade eine «Mitteldeutsche Zeitung» erschei-
nen, die uns besonders feindlich ist und sich besonders iiber den
Brand des Goetheanum gefreut haben soil. Es ware ein Gliick, dass
dieser Krotenbau vernichtet worden sei. Heute ist mir natiirlich
nicht besonders schon zu Mute in Erwartung der Vorstellung. Am
meisten geht es doch gegen mich. Und jetzt hab ich keinen Stuten,
wenn ich nicht weiter kann. - Ich hoffe, dass in Paris alles gut
gegangen ist, und ohne Verschlechterung Deines Zustandes.
Herzlichsten Gruft Marie
Am 1. u. 2. Juni Hildesheim Hotel Kaiserhof
Schuurman: Max Schuurman (1889-1955), wurde im Februar 1911 zusammen mit
Jan Stuten im Kolner Zweig Mitglied, seit 1915 am Goetheanum tatig als Musiker,
vor allem fur die Eurythmie.
196 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Samstag, 31. Mai 1924
Dornach, 31. Mai 1924
Meine liebe Maus,
recht betriiblich finde ich die Stoning der Erfurter Vorstellung. So
etwas kann natiirlich ein einziger Mensch bewirken, und es kann
die schlimmsten Wirkungen im Publikum auslosen. Wenn ich mir
die Namen der Stadte ansehe, in denen Ihr Vorstellungen gebt, so
sage ich mir: wieviel haben doch die letzten Jahre in diese Stadte
hineingetragen, die zur Zeit meines Lebens in Thuringen wahre
Friedfertigkeit atmeten. Ich freute mich so iiber Deine schone,
begeisternde Schilderung des deutschen Mittellandes, dass ich
dann, als dein Brief mit den schlimmen Nachrichten eintraf, urn so
betriibter war.
Hoffentlich leidet Deine Gesundheit unter den Strapazen und
Aufregungen nicht zu sehr. Recht bedauerlich ist, dass Stuten
zuriickbleiben musste. Ich habe nun weiter nichts iiber ihn gehort.
Er wird doch hoffentlich bald besser sein.
Meine Reise ist sehr gut verlaufen. Es gab nur die eine Stoning,
dass an einem Abend Sauerwein krank war, und so nicht iiber-
setzen konnte. Das tat dann Claretie; ihre Ubersetzung war ganz
vorziiglich; aber das Vorziigliche horte kein Mensch, weil sie wie
das allersanfteste Vogelein piepste.
Der offentliche Vortrag war von mehr als 400 Menschen be-
sucht. Die Stimmung war ganz aufierordentlich. Die Tage waren
ganz voll besetzt. Mein Magen hielt sich dank der Sorgfalt, die fur
ihn entwickelt wurde.
Nun aber iiberraschte Frau Dr. Wegman und mich schon aus-
warts die iibelste Nachricht aus Dornach. Das Werbeck'sche Geg-
nerbuch ist wegen der Stellen iiber Kully bei unserem Biicherver-
kauf konfisziert und auf das Gericht gebracht worden; Steffen als
der Redaktor des «Goetheanums», Dr. Grosheintz als zeichnungs-
berechtigtes Mitglied des Goetheanums sind angeklagt wegen Ehr-
verletzung, denn es ist in dem «Goetheanum» ein Artikel von
Steffen iiber das Werbeck'sche Buch erschienen. So erfuhren wir
auswarts, dass es in Dornach recht wild zugeht. Auf heute, als dem
31. Mai war die erste Verhandlung bei Gericht angesetzt. Als ich
nach Hause kam, sah ich die ganze Bescherung. Der Passus in dem
Werbeck'schen Buche ist so, dass eine Verurteilung ganz unaus-
bleiblich ist. Ich hielt nun schleunig mit dem Vorstand eine Nacht-
sitzung, zu der auch Grosheintz zugezogen war. Es musste ja fest-
gestellt werden, wer eigentlich angeklagt werden kann. Ich habe
nun sowohl Steffen wie Grosheintz Weisungen gegeben - ich selbst
bin noch nicht vorgeladen - die sie heute bei der Verhandlung gut
befolgten. Wir werden nun Zeit haben, die Sache weiter in solche
Bahnen zu bringen, dass ich die Verteidigung selbst fiihren kann.
Denn nur so kann die Sache recht gewendet werden. Werbeck, der
Attentater, ist nicht zu erreichen, weil er in der Schweiz nicht ver-
klagt werden kann, der Stuttgarter Verlag auch nicht. Grosheintz
ware ungiinstig. Es bleibt nur Steffen, oder der ganze Vorstand der
anthroposophischen Gesellschaft. Das letztere ware das beste und
muss erreicht werden, denn dann habe ich die Sache zu fiihren. Es
ist ja auch richtig, dass bei der jetzigen Lage seit der Weihnachts-
tagung der Vorstand fur eine solche Sache die Verantwortung iiber-
nimmt. Und dies wird auch ganz sicher gehen. Der Bucherversand
darf unter keinen Umstanden verantwortlich gemacht werden. Es
wird dann die Sache so gehen, dass wir als Vorstand zu etwa 1000
Franken und Tragung der Gerichtskosten verurteilt werden. Jeder
andre Modus brachte irgendeine schiefe Lage. Als wir in der Vor-
standsitzung den Werbeck'schen Passus lasen, sagte ich sogleich,
selbstverstandlich werden wir nicht freigesprochen. Bisher haben
sich die Dinge eben dadurch gut abgewickelt, dass Grosheintz und
Steffen sich streng an meine Formulierungen in der Vorstandsit-
zung gehalten haben. Es bleibt nun Zeit, dass ich auch mit Dir nach
unserem Zusammentreffen, die Sache ausfiihrlich besprechen kann.
Du begreifst, dass ich von auswarts nicht nach Thuringen schrei-
ben wollte; auch das hatte vielleicht noch geschadet. Unsere Geg-
ner sind am Werk.
Allerherzlichst Rudolf.
197 An Rudolf Steiner in Dornach
Sonntag, 1. Juni 1924
Hannover, 1, Juni 1924
Lieber E. Besten Dank fur Dein Telegramm; so weifi ich, dass Paris
gliicklich iiberstanden ist. Wir sind nun in Hannover, hatten heute
Generalprobe, morgen Vorstellung. Donath ist mal wieder krank,
liegt heute zu Bett, hofft aber morgen zu erscheinen. Ich bin heute
recht miide, komme eben von einem Kaffee mit Haddon und
Miiller, und muss bald zu einem geselligen Zusammensein mit
andern Mitgliedern. Das Theater - die Schauburg - ist sehr schon.
Was uns wohl da bluhen wird! In Hildesheim ging alles glatt, - der
Besuch war gering, aber so, wie er im Hildesheimer Theater zu sein
pflegt: 150 Menschen ungefahr. Eine Anzahl Hannoveraner waren
aber brav herubergekommen, da es in Hildesheim nur das eine
Mitglied Hensel gibt. Der Theaterdirektor war sehr entziickt (heifk
es), und hat sogar statt der Miete die eingenommenen Marks zwi-
schen uns zwei Parteien geteilt. Geklatscht wurde flei&g; bloft ein
Rezensent von einer dort bekannten Zeitung, ein dummer Junge,
sagt Hensel, soil iiber das Tanzen von Gedichten geschimpft haben.
Sonst soil alles begeistert gewesen sein. - In Naumburg war der
Saal ganz voll und die Stimmung eine sehr mitgehende, viel Beifall.
Als alles zu Ende war, schwang sich ein Mensch auf die Biihne -
erst sah es aus als ob er danken wollte fur die Geniisse -, dann fing
er an dariiber zu reden, dass damit Anthroposophie zum ersten
Mai in die Offentlichkeit gekommen sei, dass man bedenken solle,
wo man sei - im Rathaus, in der Reichskrone - hier wurde die
Geschichte recht unverstandlich — Er lege Verwahrung ein gegen
den Missbrauch deutscher Dichtung Hier frug ich: Mit wel-
chem Rechte stehen Sie denn uberhaupt da und reden?, - worauf
sich unsere Herren in Bewegung setzten und ihn hinunterbeforder-
ten. Das Publikum stand auf unserer Seite. Aber am andern Tage
horte ich, als Meinung gewisser Mitglieder, man hatte ihn doch zu
hart behandelt und ihn zu Ende reden lassen sollen; er ware ein
«kunstkundiger» Mann. Er soli ein fruherer Kommunist gewesen
sein, ein Maler, dann Dadaist, und jetzt hatte er eine Anstellung in
reaktionaren Kreisen; ware aber emport, dass Stadt-Baurat Hossfeld
(unser Mitglied) den Mund aus Leipzig beschaftige, statt ihn. Die
Geschichte hat auch ein Nachspiel in der Zeitung. - Zwei Erfurter
Zeitungen haben sich sehr lobend iiber die Eurythmie ausgespro-
chen, die dritte, die den Pfeifer angestellt hat, hat geschimpft, was
das Zeug halt. In Erfurt wollte eine Theaterverschliefterin mich
nicht hinunterlassen ins Auto, denn sie sagte, es stiinden da ver-
dachtige Gestalten und man konne heutzutage nicht wissen, was
passiere; sie kenne uns von Miinchen her. Es sollten erst andere mit
dem Auto abfahren und mich spater abholen. So geschah es; das
Merkwiirdige war, dass, als ich abfuhr, an 3 Ecken sich Polizisten
in Gruppen aufgestellt hatten.
Da ich unterwegs mehrere Briefe und Telegramme aus Gorlitz
und Breslau gehabt hatte, habe ich zugesagt, die Vorstellung dort
zu geben; nur konnte ich nicht mehr eine extra Vorstellung fur
Pfingsten vorbereiten. Das wurde noch vor Erfurt beschlossen. Jetzt
habe ich freilich nicht die Meinung, dass es gut ist, die Reise zu
verlangern. Die Passe reichen bis zum 20.; und ich hatte noch Stutt-
gart, Konstanz - oder Heidelberg, Konstanz anfiigen konnen.
Der Theaterdirektor in Erfurt hat sich aber durchaus begeistert
ausgesprochen und hat zu Schuurman gesagt, dies konne nur eine
personliche Sache sein (die Opposition!).
2. Juni
Es wurde mir eine Einladung aus Heidelberg ubermittelt, iiber
die Du noch etwas schreiben wolltest.
Stuttgart ware ja gefahrlos, aber sie kennen zum Teil das Pro-
gramm. Und da ich durch die zwei Vorstellungen dem Rezitations-
kursus doch nicht ganz gerecht werden konnte, wollte ich mir die
Moglichkeit offen lassen, eventuell zwei Stunden hinterdrein anzu-
schlielSen. Waller wollte ja hinkommen und konnte dann mit mir zu-
riickreisen. - Ist sie denn j etzt zuriick von ihrer phantastischen Fahrt ?
In Halle brauchst Du mich wirklich nicht abzuholen. Es ist ja
nicht der grade Weg fur Dich; und ich kann mit der ganzen Gruppe
weiterreisen, nachdem ich Herrn Halt dort entlassen habe. Es konn-
te auch grade die Stadt sein, wo wieder was passiert, und es ist
wohl besser, Du kommst iiberhaupt nicht hin. Einige Naumburger
werden hiniiberkommen.
Eben habe ich ein Programm aus Koberwitz erhalten, aus dem
ich ersehe, dass wir erst am 17. werden abreisen konnen. Somit ist
es klar, dass die Tournee damit abgeschlossen ist. Dem Dr. Rittel-
meyer habe ich fur seine Tagung Anfang August zugesagt.
Kisseleff hat einen schonen Pfingstspruch von Dir. Vor der
Abreise gab ich Dir so viel Englisches, class ich damit Dir nicht
kommen wollte. Wenn Du jetzt vielleicht eine Form dafur wiirdest
machen wollen, so frage nach dem Spruch bei ihr; sie wird selig
sein und wir auch.
Hier wird heute abend ein Herr von der Decken, ein Priester,
die einleitenden Worte sprechen; er hat recht geschickte Artikel
iiber Eurythmie verfasst, und scheint ein sehr intelligenter, riihriger
Mensch zu sein.
Morgen haben wir einen freien Tag und wollen auf den Brok-
ken, womoglich da ubernachten, und iibermorgen nach Halle,
Hotel Stadt Hamburg.
Allerherzlichste Griifie und Wunsche Marie
Haddon: Miss Janet Haddon (1857-1943), Mitglied in Hannover seit Oktober
1907, mit ihrer Freundin Martha MiiJler fiihrte sie spater eine eigene Arbeitsgrup-
pe in Hannover.
Hossfeld: Friedrich Hossfeld (1879-1972), Architekt und Regierungsbaumeister,
Mitglied seit April 1921. Ab ca. 1909 Stadtbaumeister in Naumburg.
Kisseleff hat einen schonen Pfingstspruch von Dir: «Wo Sinneswissen endet...»,
siehe «Wahrspruchworte», GA 40 und Tatiana Kisseleff «Aus der Eurythmie-
Arbeit», Basel 1965.
Herr von der Decken: Claus von der Decken (1888-1977), Kunstmaler, Juni 1908
Mitglied in Diisseldorf, aber 1911 wieder gestrichen. 1922 Mitbegriinder der
Christengemeinschaft, Priester zunachst in Hannover, dann Ltibeck, schliefilich
Kassel.
198 Postkarte: Herrn Dr. Rudolf Steiner, Landhausstr. 70, Stuttgart
Poststempel: Schierke (Harz) 4.6.24 11V
Heute friih verlieften wir Hannover. Es war eine sehr glanzende
Vorstellung, ausgezeichnet vorbereitet und ausgezeichnet auf-
genommen. Sie verlief ohne Storung. Die lange Reise nach Halle
haben wir durch Nachtruhe in Schierke unterbrochen. Eben hat
uns Herr Halt auf die Brockenkuppe gebracht. Von Halle muss er
wohl zuriick nach Stuttgart, nicht wahr?
Herzliche GriilSe Marie
Werden wohl Keyserlingks geniigend Autos haben fur die vielen
Vortrage?
fiir die vielen Vortrage: Neben dem landwirtschaftlichen Kurs auf Schloss Kober-
witz fand in Breslau auch noch ein Vortragszyklus statt, sodass taglich von
Koberwitz nach Breslau und zuriick gefahren werden musste.
Die folgenden Briefe wurden gewechselt, da Marie Steiner trotz der
Krankheit Rudolf Steiners vom 1. Oktober bis Mitte November bereits
festgelegte Gastspiele der Eurythmie einhalten musste: Stuttgart, Hanno-
ver, Barmen, Hamburg, Bremen, Kiel, Liibeck, Hamburg, Berlin, Kassel,
Stuttgart. Ab 17. November war sie wieder in Dornach.
199 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Donnerstag, 2. Oktober 1924
Goetheanum, 2. Oktober 1924
Meine Hebe Maus, von M. Waller Pyle hore ich, dass Du heute
nach Eisenach reisest; ich hoffe, dass die Reise gut geht und
Hannover nicht allzu anstrengend ist. Das ist es ja, dass diese
Theologen auf der einen Seite wirklich so tief befriedigen durch
ihr so ernstes Arbeiten; auf der andern Seite ist das Wirken fur
sie so anstrengend, weil sie vieles bediirfen und so schwer an
ihre Ideale herankommen. Es war wirklich so, dass mit Beendi-
gung des Apokalypse-Kursus ein Maximum von meinen Kraften
nach einer gewissen Richtung erschopft war - ich hatte wirklich
zu der spirituellen Hohe viel Kraft notig - und ich hatte nun
nicht noch den ganzen Sturm von Einzelbesuchen dieser bediirf-
tigen Theologen haben sollen. Vortrage iiber Sprachgestaltung,
die ich noch gehalten habe, machen es nicht aus. Die Vortrage
kann ich, wenn sie noch so viele sind, nach den Kraften be-
rechnen.
Nun haben wir miissen die Einrichtung treffen, dass ich ganz
heroben im Goetheanum bleibe; das ist notwendig, weil wirklich
jetzt ganz sorgfaltig gepflegt werden muss; bei dem Hinunter- und
Herauffahren gehen immer die Erf olge der Pflege wieder fort. So bin
ich denn hier und bleibe so lange es notwendig ist. Frau Dr. Weg-
man tut alles, was sie nur vermag. Es ware mir natiirlich lieber gewe-
sen im Haus Hansi die Sache einzurichten. Wir haben, als wir sahen,
dass Hin- und Herfahren unmoglich ist, dariiber beraten. Aber man
kann in Haus Hansi nicht die jetzt ganz notwendige Bade-Einrich-
tung machen, die wir hier haben. Ich habe nun alle Vortrage zu-
nachst durch Anschlag auf dem schwarzen Brette abgesagt. Ich bin
nun einmal seit lange etwas aufier die Verbindung mit meinem phy-
sischen Korper gekommen. Das ergibt ein labiles Gleichgewicht in
den physischen Kraften, die nur parieren, wenn sie ganz in ordent-
liche Initiative genommen werden. Und das Unverbundensein mit
dem physischen Korper ist nicht in den Tagen der Kurse, auch
nicht, wenn ich selbst noch dazwischen in die Klinik fuhr - denn das
alles steht in der gesunden Berechnung von Dr. Wegman und mir
selbst -: sondern, wenn die Leute ansturmten, und man gegen alle
Berechnung der eigenen Krafte zur Verfiigung stehen muss. Und
dennoch wieder: wie leid hat es mir getan, dass die landwirtschaft-
liche Besprechung nicht zustande gekommen ist. Die ware gut
gewesen. Unglucklicherweise war sie zu einer Zeit angesetzt, in der
meine Krafte schon erschopft waren. Es ist mir wahrlich sauer
geworden, am Freitag zum ersten Male einen Vortrag absagen zu
miissen; und Wegman hat um diese Absage genug kampfen miissen;
zuletzt entschied, dass die Umstande die Moglichkeit vor Augen
stellten: ich miisse vielleicht vorzeitig unterbrechen. - Nun liege ich
hier und gehe aus der Warme gar nicht einen Schritt heraus. -
Nun es wird schon alles gehen - man kann andern so gut ge-
sundheitlich helfen - selbst muss man an andrer Hilfe appellieren,
besonders wenn solch scheuEliche H.oiden einem alle Beweglich-
keit nehmen.
Nun beste Gedanken fiir die weitere Reise und
alles Herzliche von Rudolf
Dr. Rudolf Steiner: Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
Haus Hansi
200 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Samstag, 4. Oktober 1924
Goetheanum, 4. Oktober 1924
Meine Hebe Maus, schonsten Dank fiir das liebe Briefchen aus Stutt-
gart. Ja, wenn Dir die Herbstluft nur nicht schlechter bekommt als
die Fruhlingsluft: das besorge ich auch. Ich werde Dich in Gedan-
ken mitverfolgen. Es ist aber eine anstrengende Reise. Aber ich
muss schon sagen: hier so angenagelt zu sein, ist fiir mich nicht sehr
befriedigend; und doch muss ich diesmal der Forderung der Pflege
nachgeben; sonst wird die Sache, ihrer Natur nach, immer schlech-
ter. Man wird ja noch alles zum Besten bringen; aber ich darf eben
keine Spriinge machen. Seit gestern ist nun auch Dr. Noll hier; und
dadurch hat Frau Wegman die Hilfe, die sie braucht, da ich ja jetzt
durch das H.oiden-Zeug und was damit zusammenhangt, ein recht
anspruchsvoller Patient geworden bin. Du schreibst, ob es mir
wirklich besser geht? Ja siehe, es ist so, dass von einem plotzlichen
Ganz-Gesund-sein ja nicht die Rede sein kann; sondern von
allmahlichem^ Besserwerden. Aber da man sieht: es greifen die
Mafinahmen ein; sie haben den gewiinschten Erfolg - so muss man
von der mdglichen Besserung sprechen.
Ich werde aber ganz sachgemafi Dir berichten; Dich im iibrigen
mit den besten herzlichsten Gedanken begleiten -
Mit den allerherzlichsten Gedanken Rudolf
Dr. Rudolf Steiner: Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
Haus Hansi
201 An Rudolf Steiner in Dornach
Sonntag, 5. Oktober 1924
Hannover, 5. Okt.
Lieber E.
wie lieb von Dir, dass Du mir Briefe schreibst. Strengt Dich das
nicht zu sehr an? Aber wahrscheinlich arbeitest Du den ganzen Tag
im Bette. Ich freue mich ja sehr, dass Du oben liegst und nicht die
Miihe hast des Hin- und Herfahrens. In Deinem Zimmer Villa
Hansi kann man sich ja auch nicht drehen, das ist schon lange kein
Wohnzimmer mehr. Bange ist mir um Berlin. Willst Du Dir wirk-
lich das zumuten? oder gehort das nicht zu den Forderungen der
Pflege, wo man nachgeben muss? nicht hinzugehn?
Herr Rather ist heute heriibergekommen. Sie haben fur Deine
Vortrage den oberen Philharmoniesaal genommen; da er aber nicht
standig zu haben war, auch noch einen andern. Sie rechnen auf viel
Besuch. Die Theatermiete ist erst vorgestern abgeschlossen; es war
furchtbar schwer, [ein] Theater zu erhalten. Schlieftlich haben sie
das Lessingtheater bekommen fur zwei Matinee's. Sachs und Wolff
hat die Sache iibernommen. Wir laufen also dies Mai Gefahr,
tiichtig «angekerrt» zu werden.
Wegen des Programms von morgen habe ich grofie Schmerzen.
Durch den Ausfall von Donath ist es tief unbefriedigend. Das heu-
tige ging ja, weil wir es noch ordnen konnten fur die letzte Vorstel-
lung in Dornach, an der Du nicht dabei wars t. Aber das zweite
Programm, das «6ffentliche», ist durchaus mangelhaft. Was wir
versucht haben bei der sogenannten Generalprobe am Montag vor
der Abreise halt nicht stand. Man kann auf der grofien Biihne nicht
riskieren «Erlk6nigs Tochter» mit Resi zu geben. Dadurch fallt
unsere piece de resistance fort.
Auch im ersten Teil waren die Ersatznummern nicht so, dass sie
wie innere Notwendigkeiten wirkten, sondern geflickt.
Da es nun unser Reiseprogramm werden muss, werde ich versu-
chen, es dadurch aufzubessern, dass ich den «Herbst» von Steffen
hineinnehme. Ob es eine so giinstige Stelle kriegen kann, wie im
Michaeli-Programm, weifi ich noch nicht.
Die heutige Vorstellung scheint grofie Begeisterung hervorgeru-
fen zu haben. Zu den religiosen Veranstaltungen bin ich dies Mai
nicht hingegangen, um die Krafte beieinander zu halten.
Die Herbstluft hat mir bis jetzt nicht geschadet. Im Gegenteil,
sie hat mir den Hustenreiz, der sich beim ersten Heizungstage in
der Schreinerei eingestellt, und in der greulichen Heizung Stutt-
garts verstarkt hatte, wieder gelost. Das Auto ist fur weite Reisen
riesig bequem; durch die Art, wie man es offnen kann, indem die
Glasscheiben drin bleiben, ist man sehr geschiitzt, hat eigentlich
eine angenehm bewegte Luft um sich, das Genick liegt fest ge-
stiitzt, ohne tanzende Kissen, auf der hohen Lehne, und hat sich
wieder erholt. Das offene Autoreisen ist eigentlich eine richtige
Kur fur mich. - Aber Meyer hat sich erkaltet. Er hat grofte Lei-
stungen hinter sich und hat sich ausgezeichnet bewahrt auf den
langen Strecken, und sogar nicht ordentlich essen wollen vor der
Ankunft, um nicht schlafrig zu werden. Aber er hat wohl noch
nicht die Erfahrung wie man sich anziehen muss auf so langen
Fahrten. Er hat seine wollene Wasche liegen lassen in Villa Hansi,
und es fehlt ihm auch eine warme Weste unterm Ledermantel. Frl.
Clason wird ihm morgen solche Sachen besorgen. Er war heme
bei der Vorstellung und sagte uns nachher, dass er starke Hals-
schmerzen habe. Nun haben wir ihn ins Bett geschickt und mit
W.S.-Oxyd gurgeln lassen. Er hat Fieber und wenn er morgen
noch Fieber hat, werden wir einen jungen anthroposophischen
Arzt kommen lassen. Jetzt bringt ihm Clason Lindenbliitentee. Er
hofft morgen wieder gut zu sein. Wir werden ihn aber im Bett
lassen.
Rather hofft - da es durch Sachs und Wolff gehen konnte -, die
offiziellen Sale fur Deine Vortrage noch los zu werden, wenn Du
nicht kommst, aber er miisste es jetzt erfahren. Er war sehr besorgt,
wie es die Leute erfahren sollen, die hinkommen wollen. Ich mein-
te, man miisse es in die nachsten «Mitteilungen» hineinbringen und
dann noch einmal.
Der Philharmonie-Saal ware doch sicher noch zu anstrengend
fur Dich?
Wenn Du nicht anders kannst als auch im Bett arbeiten, waren
da einige Formen fur Gedichte nicht eine angenehme Abwechs-
lung? Das Kiinstlerische ist ja eines Deiner Lebenselemente. Aber
ich will gar nicht, wenn es eine Anstrengung ist, die irgendwie an
den Kraften zehrt. Nur, wenn es Dir leicht fallt. In dem Fall hatte
ich gern einige Gedichte angegeben. In der neuen Auflage «Weg-
zehrung» z. B. folgendes zur Auswahl: Seite 27 — 32 — 19 — 113 —
112 - 108 - 91 - 89 - 88. Mackenzie konnte ein Exemplar der neuen
Auflage Dir gleich hinschicken. - Sehr gern hatte ich einige der
starken Gedichte von Morgenstern, - vielleicht kann ich in Barmen
bei Frau Wittenstein nachschlagen. Und dann wiirde ich aus
meinem Biichlein einige Weihnachtspriiche von Rudolf Steiner ab-
schreiben, und schicken, - wenn wirklich Berlin ausfallt und diese
Arbeit keine zu anstrengende ist.
Montag friih
Clason geht zur Post und ich schliefte mit den herzlichsten Wiin-
schen und Griifien, und Dank fur die Briefe. Meyer ist bereits aus
dem Bett ausgekniffen. Clason hat ihn nicht finden konnen.
Viel Liebes und Hoffendes Marie
Samyslowa ist sicher sehr begabt. Da wir aber keinen einzigen frei-
en Tag in Stuttgart uben konnten, kann ich kaum etwas mit ihr
riskieren. Savitch mochte sehr gern den Oberon machen. Da sie ihn
sicher am besten machen wiirde, braucht der lange Wuchs wohl
nicht ein Hindernis zu sein? Sie ist ja so biegsam. Dann konnte ich
wohl auf Donath verzichten.
Hier ein Spruch:
Isis Sophia
Des Gottes Weisheit,
Sie hat Lucifer getotet
Und auf der Weltenkrafte Schwingen
In Raumesweiten fortgetragen.
Christus-Wollen
In Menschen wirkend,
Es wird Lucifer entreiften
Und auf des Geisteswissens Booten
In Menschenseelen auferwecken
Isis Sophia
Des Gottes Weisheit.
Weihnacht 1920
tiichtig «angekerrt» zu werden: Bezieht sich auf den bissigen Berliner Theater-
kritiker Alfred Kerr (eigentlich Kempner, 1867-1948).
«Erlkbnigs Tochter»: Gedicht von Herder, aus dem Danischen.
religiose Veranstaltungen: Tagung der Christengemeinschaft in Hannover, in
deren Rahmen eine Eurythmieauffiihrung stattfand.
Resi: Therese Vorbeck, Mitglied seit 1920, Eurythmistin.
Meyer: Hugo Meyer (1905-1987), 1922-1923 Laborant in der Internationalen
Laboratorien AG Arlesheira, dann Chauffeur des Klinisch-Therapeutischen Insti-
tuts von Dr. Ita Wegman, schlielSlich Chauffeur des Vorstandes der Gesellschaft.
Frl Clason: Louise Clason (1873-1954), Malerin, Mitglied im Berliner Zweig seit
1908. Mitwirkende bei den Miinchner Festspielen 1909-1913. In Dornach war sie
an der Ausmalung der kleinen Kuppel des ersten Goetheanums beteiligt. Spater
verwaltete sie die Eurythmie-Garderobe. Reisebegleiterin Marie Steiners.
«Mitteilungen»: Auch Nachrichten genannt: «Was in der Anthroposophischen
Gesellschaft vorgeht. Nachrichten fur deren Mitglieder», seit Januar 1924 Beilage
zur Wochenschrift «Das Goetheanum».
«Wegzehrung»: Gedichtsammlung von Albert Steffen.
Mackenzie: Miss Isie Mackenzie (gest. 1946), horte Rudolf Steiner erstmals in
Leipzig, wo sie Gesang studierte, 1909 Mitglied im Berliner Zweig. Spater
langjahrige Leiterin des Biicherverkaufs am Goetheanum.
Samyslowa: Olga Samyslowa (1895-1989), Eurythmistin, Griinderin und Leiterin
der ersten Eurythmieschule in Hamburg.
Oberon: In Shakespeares «Sommernachtstraum».
Hier ein Spruch «Isis Sophia»: Urn eine Eurythmie-Form dafiir zu zeichnen, (Text
in GA 40, Form in GA K23/I).
202 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Montag, 6. Oktober 1924
Goetheanum, 6. Oktober 1924
Meine liebe Maus,
herzlichen Dank fur das Telegramm aus Hannover. Da es so lauten
konnte, wie es lautet, darf ich doch wohl annehmen, dass es Dir
nicht allzuschlecht geht. Meine Gedanken verfolgen Deine Reise.
Ich selbst musste heute in den sauren Apfel beifien und den
Berlinern das Telegramm schicken: «Meine physische Korperver-
fassung macht Reisen in den nachsten Monaten ganz unmoglich.
Sie konnen daher zu meinem groften Bedauern mit meiner An-
wesenheit nicht rechnen.»
Du glaubst gar nicht, wie sauer mir so etwas wird. Aber ich
kann voraussehen, dass fiir die nachsten Wochen nur Pflege bei
absoluter Ruhe etwas niitzen kann. Besorge Dich deshalb nicht. Es
gibt da keine drohenden Symptome, aber hartnackige, nicht rasch
zu behebende. Nun ist auch Noll da und tut alles Mogliche. Sei
also ganz ruhig; es geschieht alles.
Gescheiter ware ja allerdings im rein personlichen Sinne gewe-
sen, wenn ich auf Ita Wegman friiher mehr gehort hatte; sie wollte
viel friiher die Ruhe fiir mich haben. Allein, Du weifit, es ist ein
Pflichtgefiihl gegeniiber hohern Machten gewesen, dass ich diese
September-Kurse hindurch ausgehalten habe. Aber, wie schon ge-
sagt: es sind eben doch nicht die Kurse; es sind die Anforderungen,
welche die Menschen daneben stellen.
Dass Du nicht beunruhigt zu sein brauchst, magst Du dem
Umstand entnehmen, dass ich die beiden Aufsatze fiir «Goethe-
anum» und «Mitteilungsblatt» auch dieses Mai geschrieben habe.
Olga [Zibell] macht sich brav; sie besorgt alles so schon hieher
und besorgt auch das Saubermachen hier.
Mieta Waller-Pyle kommt nachfragen, ob es Besorgungen gibt.
Ich muss sagen, ich habe nur Sorge, dass sich Wegman und Olga
iiberarbeiten.
Das H.oiden-Leiden erscheint als das harmloseste, ist aber sub-
jektiv das schlimmste; denn dieses macht, dass ich fast unbeweglich
nun doch schon alle die Tage hier liege, seit Du fort bist. Man muss
gerade da acht geben. Nun ich hoffe, dass ich bald doch etwas
Beweglichkeit gewinne.
In herzlichsten Gedanken, die stets auf der Reise mitfolgen
werden Rudolf
Dr. Rudolf Steiner, Dornach bei Basel
Haus Hansi
Canton Solothurn, Schweiz
203 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Mittwoch, 8. Oktober 1924
Goetheanum, 8. Oktober 1924
Meine liebe Maus,
gegeniiber all den Schwierigkeiten, die Du hast, bin ich doch wahr-
haft froh, dass Du die Auto-Reise als gut empfindest. Moge wenig-
stens das so weiter gehen und der gute Meyer nicht auch noch
Schwierigkeiten machen; er ist ja, wie ich Dir gesagt habe, in man-
chen Dingen recht schwierig. Aber wenn man ihn recht nimmt,
kann man alles mogliche von ihm haben.
Der Unfall von Donath macht Dir natiirlich schwere Sorge. Aber
was soil man nun machen? Ich kann ja jetzt mit Frau Wegman
feststellen, ob sie nachreisen kann. Aber meine Reise muss doch
aufgegeben werden. Das ist nun ganz definitiv. Und allein kann
doch Donath nicht reisen. Oder soli man ihr jemand mitschicken?
Ich werde jedenfalls feststellen, wie es ihr nun wirklich geht, und
Dir dann sogleich schreiben. Ich war bisher wirklich selbst so
kaputt, dass mir das genauere Bekiimmern um die Arme, der es ja
doch im allgemeinen besser geht, nicht moghch gewesen ist.
Dass ich alles in Berlin absagen musste, ist mir wirklich sauer
geworden; allein wenn ich sehe, in welchen Salen ich hatte sprechen
sollen, dann sage ich mir: das ware nun unter alien Umstanden
ganz unmoglich gewesen. Ich hatte ein paar Tage an aller-intimste
Veranstaltungen gedacht; allein auch das geht ganz gewiss nicht, da
eben alles Reisen unmoglich ist.
Auch hier miissen ja noch alle Vortrage bis auf weiteres abgesagt
bleiben.
Den Weihnachtspruch [Isis Sophia] schicke ich mit; ich werde
nun Steffen vornehmen und sehen, ob ich aus dem einen oder dem
andern von Dir Angegebenen etwas machen kann. -
Ich liege nun da und soli mich wegen der H.oiden sogar mog-
lichst wenig riihren - also still-horizontal liegen: man wird dabei
immer ungeschickter. Aber es geht doch alles besser und wir schei-
nen vorwarts zu kommen.
Deine Reise verfolge ich mit besten herzlichsten Gedanken und
sende Dir auch solche von ganzem Herzen Rudolf
Dr. Rudolf Steiner, Dornach bei Basel
Goetheanum, Canton Solothurn, Schweiz
204 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Donnerstag, 9. Oktober 1924
Goetheanum, 9. Oktober 1924
Meine liebe Maus,
es ist mir von den vorgeschlagenen Steffen-Nummern bisher nur
gelungen 2 in Formen umzusetzen; ich werde mich aber weiter
bemiihen - bei den andern treten Schwierigkeiten auf: macht man
sie Solo oder mit wenig Personen, dann braucht man viel Formen-
Erfindung; und macht man von vornherein viel Personen, so ist Dir
bei einem Reise-Programm wohl wenig gedient.
Ich schicke mit dieser Sendung auch noch mit, was ich gestern
fur den Weihnachtsspruch vergessen habe: Bekleidung und Be-
leuchtung.
Ich kann aber jetzt wahrlich nicht viel Poetisches noch zu alle
dem hinzufiigen, denn eben habe ich wieder eine Ladung Ricinus-
01 zu mir nehmen miissen; das allerscheufilichste, schon zum
Riechen und ganz gewiss das aller-unpoetischeste.
Aber alle Formen sind vor dem Ol entstanden.
Die eine noch gestern am Abend; die andere heute morgen friih.
Ich habe nun einmal eine etwas bessere Nacht gehabt und das
macht, dass ich mich heute wesentlich besser fiihle. Doch ist die
Zeit nach der sehr schmerzhaften H.oiden-Behandlung (abends
gegen 7 unter Mitwirkung von Dr. Noll) eben keine besonders
gute. Uberhaupt musst Du Dir vorstellen, dass die notwendig ge-
wordene Behandlung viel mehr Schmerzen macht als die urspriing-
lichen Ubel, die ja allerdings ziemlich wiist im Unterleib ihr Wesen
treiben. Doch - glaube es, meine liebe Maus, es geht schon ein
wenig vorwarts - besonders seit dieser Nacht.
Herzlichste Gedanken und Wunsche immerdar Rudolf
Wegman lasst herzlich griiften; sie sagt: Du werdest gar nicht glau-
ben konnen, dass ich noch wirklich krank sei, wenn ich so weiter
Formen mache. Doch freut sie sich natiirlich, dass ich sie mache,
und tut alles, dass ich sie machen kann. -
Dr. Rudolf Steiner, Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
205 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Donnerstag, 9. Oktober 1924, andere Fassung
Goetheanum, 9. Oktober 1924
Meine liebe Maus, von den vorgeschlagenen Steffen-Nummern sind
mir bisher die zwei gelungen, die ich hier mitsende. Ich habe mir
alle vorgeschlagenen zurechtgelegt; doch sind da einige Schwierig-
keiten. Man braucht viel Formen-Erfindung, wenn man diese neu-
en Steffen-Gedichte mit wenig Personen oder gar Solo machen will;
und mit viel Personen ist Dir wohl fur das Reiseprogramm nicht
gedient.
Gestern habe ich Bekleidung und Beleuchtung bei dem Weih-
nachtsspruch vergessen; ich schicke dies hiemit nach.
Ich werde mich also fur weitere Formen bemuhen.
Doch jetzt, m. 1. M. geht es nicht ganz gut weiter, Poesie zu
entfalten: ich musste soeben eine Ladling Ricinus-Ol zu mir neh-
men - das ist wohl das scheufilichste - schon der Geruch - und
jedenfalls das unpoetischeste.
Nach einer guten Nacht, besser als jede vorangehende der letz-
ten Zeit, geht heute ein guter Tag an.
Die Formen habe ich aber alle vor der Ricinus-Ladung gemacht.
Frau Wegman lasst herzlichst griiften; sie freut sich, wenn die
Moglichkeit ist, dass ich im Bett z. B. die Formen arbeiten kann.
Wirklich schwer sind die nun einmal notwendigen Behandlun-
gen; und wenn abends die H.oiden von Wegman und Noll behan-
delt worden sind, bin ich dann wirklich recht erschopft. Das ist
eine Behandlung, die sich gar nicht durchfuhren lasst, ohne die
heftigsten Schmerzen zu verursachen.
In allerherzlichsten Gedanken und mit den besten Wunschen
Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
206 An Rudolf Steiner in Dornach
Donnerstag, 9. Oktober 1924
Barmen, 9. Okt.
Lieber E. nun hat sich's also entschieden mit Berlin! Hoffentlich ist
es nur ein Zeichen fur eine feste Absicht, die Erkrankung so zu
iiberwinden, nicht fur ein zu langsames Genesen. Wie sauer Dir so
ein Entschluss wird, weifi ich schon. Deswegen ist er ja nicht bei
Zeiten gefasst worden. Aber jetzt muss es ja um so griindlicher
durchgefiihrt werden, das Ausruhen und Krafte-sammeln.
Hannover lief glucklich ab. Es wurde so viel geklatscht, dass
eine Ecke davon irritiert wurde. Man weift dann nicht recht, ob es
Andachtige oder Gegner sind. Bei der internen Auffiihrung war es
die Tochter des friiheren Reichskanzlers Michaelis, die aus An-
dacht das Klatschen nicht wollte. Bei der offentlichen Auffiihrung
sagte freilich von der Decken, dass 6 «Kaffeehaus-Astheten» unter
sich besprochen hatten, die Sache «zum Kippen» zu bringen. Er
hatte sich dann mit mehreren Freunden hinter ihre Stiihle gesetzt;
zum Schluss waren sie zahm geworden. Das ist, was den Euryth-
mie-Reisen in Deutschland die etwas enervierende Spannung gibt.
Man muss jedes Mai damit rechnen, dass der Versuch gemacht
werden wird, die Sache zum Kippen zu bringen. Irgendwelche
Symptome fur Gegnerwuhlereien gibt es immer.
Hier haben wir nun einen Saal, der ja modern elegant ist, aber
natiirlich nicht so angenehm und wirksam wie ein Theater. Witten-
steins haben sich alle Miihe gegeben, alles entsprechend herzurich-
ten. Ich lebe hier bei ihnen mit mehreren andern.
Das Programm ist ja nun doch ein recht effektvolles; aber die
Ton-Eurythmie iiberwiegt. Ich habe es nicht anders schaffen kon-
nen; damit das Interesse bis zum Schlusse gesteigert wird und keine
Kleiderpausen entstehen, musste es so gestaltet werden: Larghetto
(Handel), Seele fremd. - Fahrt bei Nacht. - Davidsbiindler. - Ver-
nichtung oder Verjiingung - Pugnani. Etude Chopin. Herbst, Stef-
fen. Allegro, Tartini. Dann: Romanze, Brahms. Gartner, Morike.
Schon Rotraut. - Intermezzo, Brahms. Gavotte, Bach. Allegretto,
Beethoven. «Das Huhn». Fasching, Schumann und humoristisches
Rondo. Das fiihren wir nun bis Berlin auf Reisen herum, und auch
nachher. In Berlin kommt dann fur die zweite Auffiihrung:
«Johannisnachtstraum». Ich rechne nun nicht mehr mit Donath;
ich kann nicht mehr gut die andern absetzen und sie wiirde nichts
Befriedigendes mehr finden. - Ich werde aber Stuten mit seiner
Musik nach Berlin bitten, - wenn man uns bis dahin noch heil
gelassen hat. Savitch ist ein interessanter Oberon. Jedenfalls der
interessanteste unter unsern Kraften. Findest Du ihre Lange sto-
rend? Sie legt sich sehr zusammen, wenn sie will.
Jetzt, wo wir die neu hinzugekommenen Szenen iiben, hat man
das Bediirfnis wieder weiter zu gehn, und die Streitszene zwischen
Oberon und Titania auch eurythmisch zu gestalten. Mit einem
andern Oberon hatte ich nicht mal gewagt dran zu denken, weil sie
farblos geblieben ware. Mit Savitch kann man schon dran denken.
Was haltst Du davon?
Am glucklichsten sind unsere Damen, wenn sie die «Grund-
steinlegung» machen diirfen. Und die Religiosen waren selig dar-
iiber. Sie kamen grade von ihrer Weihehandlung mit Kommunion
und empfanden es als die richtige Fortsetzung. In Berlin soil es
zwei Mal kommen.
Die Hass-Berkow-Leute laufen, ringen und springen schon auf
einem Platz, den sie dafur gekriegt haben. Unsern Berlinern, die
darum nachgesucht hatten, hatte ich's zunachst ausgeredet, weil ich
dachte, dass Du die ersten Angaben dazu machen wiirdest, und ich
wollte auch dabei sein. Aber vielleicht diirfen sie auch aus eigenen
Kraften das anfangen, wenn ihnen Wachsmuth einen Platz dazu
zeigt?
Siehst Du eigentlich Menschen aufier denjenigen, die Dich pfle-
gen. Wir sind jetzt zehn Tage fort; die Zeit fangt mir schon an recht
lang zu werden. - Herzlichsten Dank fur die Briefe und alles Liebe
und Gute von Marie
Das Programm: Larghetto von Handel aus der 4. Violinsonate / Die Seele fremd
... - Fahrt bei Nacht (Weihnacht): Gedichte von Albert Steffen / Davidsbiindler
Tanze von Robert Schumann / Vernichtung oder Verjungung: Gedicht von
Robert Hamerling / Pugnani-Kreisler, Praludium / Etude von Chopin in E-Dur/
Herbst: Gedicht von Albert Steffen / Allegro von Tartini / Romanze, F-Dur von
Johannes Brahms / Der Gartner und Schon-Rohtraut: Gedichte von Eduard
Morike / Intermezzo von Johannes Brahms / Gavotte aus der Orchester-Suite in
D-Dur von Joh. Seb. Bach / Allegretto aus der Klavier-Sonate in cis-moll von
Beethoven / Das Huhn: Humoreske von Christian Morgenstern / Fasching: aus
Faschingsschwank aus Wien, von Robert Schumann / Humoristisches Rondo: von
Max Schuurman.
«Grundsteinlegung»: Meditationsspruch Rudolf Steiners, siehe «Mantrische Sp ru-
che*, GA 268.
Hass-Berkow: Gottfried Haafi-Berkow (1888-1957), Schauspieler und Regisseur,
Mitglied seit Januar 1913. Nahm mit seiner Schauspielgruppe im September 1924
am Dramatischen Kurs teil, deren Mitglieder sich danach grofitenteils dem
Goetheanum-Buhnenensemble eingliederten. Spater Intendant der Wurttember-
gischen Landesbiihne.
207 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Samstag, 11. Oktober 1924
Goetheanum, 11. Oktober 1924
Meine liebe Maus, zwei Stiicke aus Steffen konnte ich noch zustan-
de bringen; ich hoffe, dass sie Dir gefallen werden, denn ich habe
mir viel Miihe damit gegeben. Eines ist als Gruppe, das andre als
Solo gedacht. Zu andern habe ich Formenzugange gesucht; aber
bisher noch nicht finden konnen.
Herzlichen Dank fur Deinen lieben Brief, durch den ich ein Bild
Deines Schaffens hier in mein Angeschmiedetsein hereinbekomme.
Oh, das ist eine Rolle, in die ich wahrlich gar nicht passe.
Die taglichen H.oiden-Operationen sind dazu noch gar nicht
behaglich, tuen scheufilich weh; sie haben aber ja wirklich die Sache
schon ganz betrachtlich besser gemacht. Aber es kann eben alles
nicht schnell gehen.
Dazu kommt, dass die Anthroposophen so viel Unsinn zu reden
scheinen iiber meine Krankheit; wieder werden Versionen auf-
gebracht, die nur geeignet sind, boses Blut zu machen. Sogar der
arme P. Trinchero wird mit der Sache in Zusammenhang gebracht.
Nun ich werde gezwungen sein, zunachst hier am schwarzen
Brette einige Worte zu sagen, wie die Sache doch ist:
Zunachst berechnet man, was man imstande ist zu leisten bei
den Kursen; das ist dann ein Maximum; nun waren eben letzter
Zeit viele Kurse. Das ergab einen Uberschuss an Krafteaufwand
durch Forderungen von aufien, die nicht berechnet waren. Und das
gab eben den Zusammenbruch des physischen Korpers bei einer
ungemein regen und leichten Handhabung aller iibrigen Glieder
meiner Menschenwesenheit. Es ist alles so klar; doch die Klarheit
muss leider in Dingen erlebt werden, die mir gar nicht recht sind.
Meine liebe Maus, Du fragst, wen ich sehe, aufier den Personen,
die mich pflegen. Aber sieh, gerade darin muss ich acht geben. Es
strengt mich gerade aller Verkehr mit Personen furchtbar an.
So ist nichts anderes moglich als dieses: Frau Dr. Wegman und
Dr. Noll pflegen mich; Olga kommt die Sachen bringen und hier
aufraumen; sie erweist sich als aufierordentlich brav. Mieta Pyle
guckt taglich ein- bis zweimal herein, zu fragen, ob dies oder jenes
zu besorgen ist. Dann sehe ich nur noch, wenn notig, Steffen, damit
die Zeitschrift «Goetheanum» ihren ordentlichen Fortgang nimmt;
dann Aisenpreis, und, wenn notig Binder. Selbst Dr. Wachsmuth
habe ich bisher nicht hereingelassen; er muss die Dinge bringen
und durch Dr. Wegman werden sie dann ihm wieder gegeben.
Ja, sieh, es muss schon mit meiner Krankheit im Fortgang der
Sachen gerechnet werden. Daher muss man schon auch warten, bis
ich in der Lage sein werde, den Artisten Platze fur Ringen und
Springen anzuweisen.
Meine liebe Maus, mache Dir aber meinetwegen keine Sorgen; es
geschieht alles, was nur geschehen kann; und besser gepflegt, als ich
es werde, kann man gar nicht werden. Nur ist die Pflege eben
unbehaglich, und die Behandlung schmerzvoll. Es ist keine ange-
nehme Stunde, wenn am Abend die beiden Arzte an die H.oiden-
Behandlung herantreten miissen. Aber dies alles eingerechnet, geht
es doch gut vorwarts.
Nun die Versicherung, dass die herzlichsten Gedanken Deinen
Wegen folgen; hoffentiich hore ich weiter von Dir. Ich sehe aus
Deinem lieben Brief, wie viele Schwierigkeiten Du hast. Moge es
doch gut weiter gehen; in
lieben herzlichen Gedanken Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
P. Trinchero: Padre Giuseppe Trinchero (1874-1936), katholischer Ordensgeist-
licher aus Genua. Ubersetzte Rudolf Steiners Schrift «Friedrich Nietzsche, ein
Kampfer gegen seine Zeit» ins Italienische.
Binder: Theodor Binder (gest. 1947), Mitglied seit Juli 1906, 1919-1927 in der
Administration des Goetheanum-Baues tatig.
208 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Sonntag, 12. Oktober 1924
Goetheanum, 12. Okt. 1924
M. 1. M. Nun habe ich noch ein Steffen-Gedicht gefunden, das halb
Solo, halb Gruppe geworden ist; ich denke, so konnte es jedenfalls
auf der Buhne ganz eigenartig wirken.
Es kommt eben die Nachricht, dass dem altern Sohn des Grafen
Keyserlingk auf der Jagd das Ungluck geschehn ist, ein Schrotkorn
in das Auge zu bekommen. Das ist wohl eine recht schlimme
Geschichte.
Ich bin ungeduldig iiber die lange Dauer meiner Pflege, muss
aber leider einsehen, dass das jetzt alles nicht anders gehen kann.
Aber Du kannst ruhig sein: es geht immerhin so, dass man nicht
unzufrieden zu sein braucht.
Ich verfolge Deinen Weg mit Gedanken - und sende Dir die
allerherzlichsten Gedanken und Grufie Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
209 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Montag, 13. Oktober 1924
Goetheanum, 13. Oktober 1924
M. 1. M.
Nun weifi ich nicht, ob Dich einigermafien befriedigen kann, was
ich da iiber Oberon-Titania gemacht habe; ich habe mir alle Miihe
gegeben; doch ist es schwer, so etwas aus der Mitte heraus zu
erganzen, wenn das «vorher» und «nachher» doch nicht so ganz
lebendig vor der Seele steht. Aber vielleicht ist doch etwas Schones
heraus gekommen; stilgemafi scheint es mir ja gewiss zu sein. Ich
habe also doch auch die Szene S. 31 mit dem Zettel gemacht.
. UjJluiihiAj (Mm u>i<y^ tU, (^^j %\>ult. U)ujfyl\ oi^- wJu> ^Lw^^
Beilage zu Nr. 209: Eurythmieform fur Oberon, Titania, Droll und Elfe.
Die Dinge aus Steffen, die ich gemacht habe, habe ich auch
wirklich gern gemacht. Ich glaube auch nicht, dass irgendeines
anders ausgefallen ware, wenn ich vorausgesetzt hatte, Du machst
alle erst hier; von den meisten habe ich das ja auch angenommen.
Denn wo sollte auf der Reise die Zeit und Kraft herkommen, die
Dinge zu iiben. Ich habe nur gedacht, Du brauchtest das eine oder
das andere zur Korrektur des Programms. Es gibt ja im Grunde fur
ein Gedicht nur eine richtige Form.
Nun aber sind die Telegramme iiber die schonen Erfolge ge-
kommen - besonders Hamburg scheint ja auEerordentlich gewesen
zu sein. Ich bin so froh, dass die Kraft, Miihe und Gesundheit,
die da hinaus gesetzt wird, doch wenigstens in Menschenherzen
Wurzeln fasst.
Frau Wegman lasst herzlich griiEen; sie hat sich iiber die Erfolge
so herzlich gefreut. Sie wiirde ja selbst einige Zeilen iiber meine
Krankheit schreiben; allein sie sieht ja, dass ich selber schreibe.
Ich habe diesmal eine bessere Nacht gehabt und das ist schon
sehr gut. Ich bin ja ungeduldig; aber ich muss auch mit dem lang-
samen Vorwartskommen zufrieden sein. Die Behandlung ist nur
eine solche, die mich recht ermiidet.
Nun auch heute die herzlichst-besten Gedanken fur die weitere
Reise und iiberhaupt alles Herzliche Rudolf
Griifie an alle.
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum
Dornach bei Basel, Schweiz, Canton Solothurn.
was ich da iiber Oberon-Titania gemacht habe: Form fur die Streitszene
«Schlimm treffen wir bei Mondenlicht ... » in Shakespeares «Sommernachts-
traum», 2. Akt, Faksimile S. 423. Naheres siehe in: «Eurythmieformen», Band
VII, GA K23/7.
210 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Mittwoch, 15. Oktober 1924
Goetheanum, 15. Oktober 1924
M. 1. M. Wenn das Programm, das vor mir liegt, alles ganz recht
gibt, so triffst Du heute in Kiel ein. Du wirst iiberall meine Briefe
vorfinden. Und ich liege hier noch immer fest im Bette, weil die
Behandlung anderes nicht zulasst und kann nur mit den herzlich-
sten Gedanken Deine Reise verfolgen.
Ich habe nun nur Sorge, dass Dich die Leute in Berlin bestiirmen
werden mit meinem Nicht- Antworten auf die offiziellen Briefe des
in Frage kommenden padagogischen Vereins. Nun muss ich sagen,
dass so viel ich nur iiber diese Sache nachdenke - und ich kann
jetzt, hier liegend, viel nachdenken - ich nur glaube, ich ware gegen
die Einlader ganz «artig» gewesen; und es ware da doch irgendeine
Mausefalle, in der sich gerade diese Briefe gefangen hatten. Nun, so
wie die Sachen jetzt sich mit meiner physischen Korperverfassung
gestaltet haben, ware ja auch aus dieser Sache in Berlin doch nichts
geworden; aber wenn es geht, den Leuten zu sagen, dass ich glaube,
irgendein boses Ding sei da im Spiele, und ich bate die Leute um
Entschuldigung, wenn es aussahe, als ware ich ganz unartig gewe-
sen: das ware, wenn gefragt wurde, doch gut. Wenn nicht gefragt
wird, kann man die Sache laufen lassen.
Rudolf Meyer aus Berlin hat nur in 2 l li Zeilen kurz die Anzeige
geschickt, dass er sich mit einem Frl. - ich glaube - Kamzsch
[Kamisch] in Stuttgart vermahlt habe.
Wegman und Noll haben mit meiner «Behandlung» doch recht
viel zu tun; und ich habe durch die Schmerzen der Behandlung viel
zu ertragen und fiihle jetzt, wie ich so gar nicht eingerichtet bin, so
die Stunden der eigenen Pflege zu widmen.
M. 1. M., ich sagte Dir ja schon vor langerer Zeit, wie seit Januar
1923 die Verbindung der hoheren Glieder meiner Wesenheit mit
meinem physischen Korper nicht mehr voll war; ich verlor gewis-
sermafien im Leben im Geistigen den unmittelbaren Zusammen-
hang mit meiner physischen Organisation. Nicht mit der phy-
sischen Welt. Im Gegenteil: die gesunde Beurteilungsmoglichkeit
dieser wurde immer starker und auch umfassender. Aber gerade
weil im Geistigen auch fur die physische "Welt so alles ohne die
geringste Beirrung abging, versuchen es die Gegenmachte mit dem
physischen Leib. Hoffentlich kann ich bald dem fur den Tag doch
nicht bequemen Bett Adieu sagen. Ich ware sehr froh. Aber ich
habe vor, zunachst nun wirklich keine Exzesse zu machen.
Die Bearbeitung der Oberon-Titania Szene habe ich nach
Liibeck gesandt. Hoffentlich findest Du sie dort vor. Ich denke:
ich kann auch diesen Brief noch nach Liibeck adressieren, da ja
das Verzeichnis ausweist, Du seiest bis zum 19. dort.
Uber den Hamburger Erfolg, iiber den Hemsoths Telegramm
berichtet, habe ich mich ungeheuer gefreut. Von Bremen habe ich
noch nichts gehort.
Nun nimmt Olga diesen Brief doch erst heute (16.) mit; ich
schicke ihn deshalb nicht mehr nach Liibeck, sondern nach Berlin.
- Hoffentlich haben Oberon-Titania Dich erreicht.
Die allerherzlichsten Gedanken fur alle Reisestationen
Rudolf
Griifte an Alle!
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
Hemsoth: Martha Hemsoth (1887-1936), Sangerin und Schauspielerin. Lebte teils
in Hamburg, Freiburg i.Br. und spater in Arlesheim. Zusammenarbeit mit Dr. Ita
Wegman fur eine therapeutische Sprachgestaltung.
211 An Rudolf Steiner in Dornach
Sonntag, 12. Oktober 1924
Hamburg, 12. Okt. 1924
Lieber E.,
dies wird wohl die glanzendste Vorstellung gewesen sein auf dieser
Reise. Das Haus war ausverkauft, es ist sehr grofi und hat sich seit
dem Kriege wieder viel schone.r herausgeputzt. Der Teppich z. B.
war so schon, dass alle unsere Farben und Beleuchtungen doppelt
so schon drauf aussahen wie sonst. Alles ging glatt, auch die Mit-
glieder machten keine Dummheiten. Werbeck hat sich sehr ange-
strengt und uns dies ordentlich zum Bewusstsein gebracht; aber es
hat auch alles tadellos funktioniert. Gegner haben sich nicht geregt.
Frau Hemsoth ist sehr liebenswiirdig und sehr glticklich, dass
alles klappt. So ware momentan alles gut, wenn es nicht die Sorge
um Dich ware, und der Gedanke, dass Du so viel Schmerzen aus-
halten musst, weil Du Dich fur die Menschen zerrissen hast. Munch
und Rather haben mir beide geschrieben. Sie sind sehr erschiittert,
aber wollen um so fester arbeiten. Sie glauben nicht, dass sie den
Philharmonie-Saal noch los werden konnen und wollen versuchen
andere Veranstaltungen zu organisieren. Sie bitten auch von mir
den Sprachkursus neben den Eurythmie-Vorstellungen. Ich weiE
nun wirklich nicht, ob ich das tun soil, denn neben den zwei 6f-
fentlichen soil zweimal die interne Vorstellung stattfinden, und
diese stellt starke Anforderungen an die Stimmkrafte. Die zweite
offentliche Vorstellung mit den Oberonszenen und einem neuen
Morike im ersten Teil muss ich so gut wie neu einstudieren, und
den etwas holprigen deutschen Shakespeare-Text doch selbst bei
den Proben sprechen, damit er glatt geht. Solche Massenkurse aber
mit den vielen grasslichen Stimmen nehmen die Kraft weg.
Neulich als ich Dir die Reclam-Blatter fur die Titania-Szene
schickte, blieb das letzte liegen. Ich fiige es nun diesem Briefe bei.
Es ist der Schluss drin jener Szene, die fur jetzt wohl kaum in
Betracht kommt: Titania, die Elfen und Zettel.
Wir werden in Hamburg auch die interne Vorstellung geben, am
21. Oktober, auf der Riickreise von Liibeck, im Kammerspiel-Thea-
ter, um 5 Uhr, mit zwei Proben, am 20. und 21. um 8 Uhr morgens.
Das ist das weniger schone Theater, wo wir das erste Mai waren.
Bremen, 15. Okt., 9 Uhr morgens
Nun haben wir gestern hier die Auffuhrung gehabt. Es war ein
grofier Saal ohne Beleuchtungsmoglichkeiten, aber es herrschte
grofte Begeisterung, und es war viel Jugend da. Immerhin iiber
1000 Menschen. Frl. Munch lebt jetzt in Bremen als Eurythmie-
Lehrerin. Also es hat sich schon gelohnt die Sache zu machen, aber
wir waren nur auf eine Beleuchtung eingestellt. Nun geht es ins
Auto und nach Kiel.
Hamburg
Wir sind hier bei Hemsoths eingekehrt, um zu essen und uns von
dem hiesigen Chauffeur den Weg aus der Stadt hinaus nach Nor-
den weisen zu lassen. Das ist naturlich fur Meyer das schwerste, so
eine Stadt wie Hamburg. Aber er ist vorsichtig und bewahrt sich
ganz gut. Nach dem Essen geht es gleich weiter. Heute ist es neblig,
nachdem eine Zeitlang das herrlichste Sonnenwetter herrschte. Die
Luft tut sehr gut und hilft auch iiber die Migrane weg, die ich heute
morgen beim Aufstehen hatte.
Viel denke ich an Dich und an alles, was Du der Welt gibst; es
ist so unsagbar, dass man mit den Gedanken dariiber gar nicht zu
Ende kommt.
Alles Liebe von Marie
Frl. Miinch: Charlotte Miinch (gest. 1975), Eurythmistin, Schwester von Martin
Miinch, Mitglied seit Oktober 1912.
212 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Samstag, 18. Oktober 1924
Goetheanum, 18. Okt. 1924
M. 1. M. Es freut mich, nun zu horen, dass es auch in Bremen trotz
der mangelnden Beleuchtung gut gegangen ist, und dass sich Frau
Hemsoth um Deine Versorgung die gute Miihe gibt. Heute bist Du
nach dem Programm in Lubeck. So ist also noch am 21. Oktober
eine Vorstellung in Hamburg. Das Interesse scheint in so erfreu-
licher Art grofi zu sein.
Ich will weiter Deine Arbeit verfolgen mit den besten Gedan-
ken, die ich Dir nur schicken kann.
Von mir kann ich nur sagen, dass es langsam geht; man muss
schon dariiber zufrieden sein, dass eben in Ubereinstimmung Weg-
man und Noll freudig zu dem Ausspruche gekommen sind: heute
sehe ich viel besser aus. Also das ist doch der Fall. Dabei aber
dauert die tagliche Behandlung fort. Es ist die Sache so, dass wah-
rend bestimmt war, dass ich in Berlin im Philharmoniesaal stehen
sollte, ich werde hier noch behandelt werden miissen.
Aber mache Dir keine weiteren Sorgen. Das muss ich Dir immer
wieder schreiben. Die Sache ist ja recht wenig in dem Stile, in dem
ich eigentlich leben und arbeiten mochte; aber zur Pflege geschieht
so alles, wie es nur geschehen kann. Frau Wegman gibt ja ihre
ganze Zeit und Arbeitskraft; und Dr. Noll tut alles Mogliche, damit
wir vorwarts kommen.
So schicke ich Dir die allerherzlichsten Gedanken - danke schon-
stens fur die Nachrichten aus Hamburg und Bremen und
bin allerherzlichst Rudolf
Griifie an Alle!
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
213 An Rudolf Steiner in Dornach
Samstag, 18. Oktober 1924
Liibeck, 18. Okt. 1924
Lieber E.,
leider hat Clason im Trubel ihrer Geschafte die zwei letzten Tele-
gramme vergessen. Aber von Bremen wirst Du jetzt den Brief wohl
erhalten haben. In Kiel war eine miihsam errungene Beleuchtungs-
moglichkeit zu Stande gekommen. Der Saal war immerhin besser
als in Bremen, groft und kahl, - die Biihne ordentlich. Der Saal
fasst 1300 Menschen und es waren zirka 800 Menschen da, bei
einer sehr geringen Mitgliederzahl. Es war eine gute Aufnahme, -
bei den heitern Sachen schien es (im zweiten Teil), als ob einige
Damen unwohlwollend kicherten, aber das verlor sich im Applaus.
Ich hatte, als ich die versunkene Grofte dieser Stadt sah, die aber
noch eine grolle Universitat in sich hat, einige Befiirchtungen ge-
habt. Vielleicht war es auch ganz gut, dass wir nicht das grofie
Theater hatten. Hier in Liibeck haben wir ein herrliches Theater.
Man ist blojft angstlich wegen des Besuchs der Matinee, denn auch
die Theater- Abende seien schlecht besucht, auch die Strauft-Pfitz-
ner-Veranstaltungen.
Wir haben noch immer schone Autofahrten, die von den andern
Strapazen sehr erholen. Es ist immer erstaunlich, wie mannigfaltig
Deutschland ist. Holstein so ganz anders als die Gegend um Ham-
burg. - In Liibeck gabe es ja sehr viel zu sehn, wenn man Zeit und
Kraft hatte. Ich habe mich heute morgen zu einigem verfuhren
lassen; furchte aber etwaige Folgen der Ubermiidung, und muss
mich deshalb auch im Schreiben kiirzer fassen, als ich gern mochte.
Ich bin so dankbar und fast beschamt, dass ich iiberall einen
Brief von Dir vorfinde.
Mit den Formen arbeite ich schon viel, kopierend, verteilend
und einlebend. - Bei Oberon und Titania wird uns die Streitszene
sehr helfen. In Kiel konnte ich die Buhne des Gewerkschaftshau-
ses am Freitagmorgen zu einer Probe bekommen, und da haben
wir das zweite Berliner offentliche Programm entwerfen konnen.
- Ob wir mit der Szene von Titania, Zettel und den Elfen zurecht
kommen, kann ich noch nicht wissen. Wir miissten dann auch
Stuten als Zettel haben, und es scheint mir doch gewagt, ohne
Deine Begutachtung so etwas zu riskieren. Aber probieren werde
ich. So dumm, dass das eine Blatt aus dem Buche fehlte, das ich
Dir letzthin schickte. Bei der Einteilung des Textes in die Form
hinein, deckte sich die Form grade mit dem zugeschickten Text.
Aber das letzte Stiickchen scheint mir schon was neues zu ver-
langen.
Es ist fatal, Dir solch ein Flickwerk zuzumuten, - und wirklich
nur durch die Not gekommen. So gern hatte ich alle Formen ab-
gezeichnet und Dir geschickt. Aber wo die Zeit hernehmen?
Noch ein Stiickchen scheint mir geboten, damit sich die Ge-
schichte der Verzauberung recht einpragt. Wir haben nun die Streit-
szene, den an Droll gegebenen Auftrag, die Blume zu pflucken.
Droll zieht ab (Seite 20, Akt 2, Sz. I) und Oberon miisste noch
tanzen konnen:
«Hab ich nur
den Saft erst, so belausch' ich, wenn sie schlaft,
Titanien, und traufl' ihr ihn ins Auge.
Was sie zunachst erblickt, wann sie erwacht,
Sei's Lowe, sei es Bar, Wolf oder Stier,
Ein naseweiser Aff! ein Pavianchen:
Sie soli's verfolgen mit der Liebe Sinn.
Und eh ich sie von diesem Zauber lose,
Wie ich's vermag mit einem andern Kraut,
Muss sie mir ihren Edelknaben lassen.»
Das scheint mir ziemlich notwendig. Nicht wahr?
Montag, 20. Okt.
Nun ist auch die Vorstellung in Liibeck gegliickt. Das sehr schone
Theater war nicht voll, aber immerhin ordentlich besetzt. Jedenfalls
haben wir das bestbesetzte Haus gehabt seit langer Zeit hier. Die
Straufi- und Pfitzner-Festspiele sind ein Reinfall fur die Direktoren
gewesen, sie hatten schlecht besuchte Hauser und grofie Verluste.
Die Aufnahme war eine sehr freundliche, ohne Gegenstimmung;
sogar die Schauspieler hinter den Kulissen waren sehr freundlich.
Wir machten am Nachmittag einen Ausflug zu einem Hiinen-
grab, das eigentlich wuchtiger und imposanter war, als die
Cromlech's, die wir in England gesehen. Herr Meyer wird sich
wohl beim nachsten Arbeitervortrag erkundigen, wie denn die
Menschen damals solche Steine heben konnten.
Jetzt geht's gleich nach Hamburg, wo wir morgen 5 Uhr im
Kammerspiel-Theater das Michaeli-Programm haben. Heute mor-
gen konnten wir noch eine Probe hier im Theatersaal arrangieren.
Um 8 Uhr morgens bis 10 - morgen friih - haben wir die Gene-
ralprobe in Hamburg. Dann gehen wir nach Berlin, die einen am
Mittwoch, die andern am Donnerstag und iiben am Johannisnachts-
traum. Wie sich wohl Stutens Musik in alles einreihen wird! Ich
lass ihn nun nach Berlin kommen. -
Allerherzlichsten Grufi, konnte ich doch hoffen, dass Du jetzt
weniger Schmerzen hast. Marie
Am Freitag haben wir schon Probe im Lessing-Theater fur das
erste offentliche Programm.
214 An Marie Steiner auf Eurythmiereise
Dienstag, 21. Oktober 1924
Goetheanum, 21. Oktober 1924
M. 1. M. Nun wirst Du bald in Berlin sein; es wird mir sauer, Dich
dort nicht zu treffen; allein, man muss jetzt die Dinge eben neh-
men, wie sie sich geben - im ganzen kann ich sagen, dass es mir
besser geht. Das ist aber nur infolge einer guten unausgesetzten
Behandlung, nicht blofi Pflege.
Nun ist da in Berlin doch eine Jugendtagung. Man sagt mir, Dr.
Roschl sei sich unklar dariiber, ob sie dahin soil, besonders auch
deswegen, weil sie auch vor kurzem krank war und sich noch nicht
ganz gesund fuhlt. Auch Lehrs ist im Zweifel dariiber, ob er nach
Berlin soli oder nicht. Es ist mir nun wirklich unmoglich, mich mit
der Sache zu befassen; ich darf jetzt nicht mit den Menschen ver-
handeln. Gerade dies wirkt, wenn es nur ein klein wenig zu viel ist,
gleich auf mein gastrisches System, und ich werde dadurch wieder
zuriickgeworfen. Ich kann also schon nicht anders, als alle Dinge,
die nicht ganz unmittelbar gemacht werden mussen, von mir feme
zu halten. Glaube mir, m. 1. M., ich empfinde das schmerzlich ge-
nug; allein ich kann nicht weiter kommen im Gesundwerden, wenn
ich jetzt nicht so handle. So also konnte ich gar nichts andres tun
als den jungen Leuten sagen lassen: sie miissten tun, was ihnen ihr
Herz sagt; ich konne erst wieder eingreifen, wenn ich die Krafte
dazu haben werde.
Nun aber wird doch eben die Jugendtagung sein. Ich sehe nun
ja auch auf das Ausreichen und eventuelle Uberspannen Deiner
Krafte und frage mich, was soli aus diesen Kraften werden? Nun
aber ware es ja doch gut, wenn sich die Jugendlichen in Berlin ganz
an Dich halten wiirden; sowohl als Personlichkeit wie als Mitglied
des Vorstandes am Goetheanum. Denn wenn diese Jugendlichen
auch ihre besondere Gesellschaft haben, sachlich sollten sie sich
doch nicht abschniiren. Es sind so viele gute Keime und geistige
Empfanglichkeiten in dieser unserer Jugend, dass ein Abschniiren
ganz verhangnisvoll ware. Und ein Abschniiren kann nur verhin-
dert werden, wenn die Jungen den Anschluss an die wenigen Alte-
ren finden, zu denen sie noch Vertrauen haben. Und das ist ja zu
hoffen, dass sie in Berlin eng mit Dir zusammen ihr Tagewerk
betreiben.
Dr. Roschl habe ich sehr gern; aliein sie ist keine Personlichkeit,
die genug Wirklichkeitssinn hat, um innerhalb der Jugendbewe-
gung iiberall das Rechte zu treffen; sie spintisiert sich iiber die
Dinge, die aus dem Realen heraus geordnet werden sollen, viel
zusammen. Dr. Lehrs ist eigentlich die beste Kraft in der Jugend-
bewegung. Und findet er sich in Berlin ein, so wird er in jeder
Sache, wo er dazu die Moglichkeit hat, auf Dich horen.
Es wird aber wegen dieser Jugendtagung doch das Richtige sein,
wenn Dr. Wachsmuth oder Vreede darauf gestoften wiirden, dass
jetzt ihr Platz in Berlin ware, trotzdem ich nicht da sein kann. Es
ist nur sonderbar, dass Wachsmuth und Vreede das nicht selbst
einfallt. Nun man muss sie darauf stolen. Es ist wirklich nicht gut,
wenn der Goetheanum- Vorstand nur da erscheint, wo ich bin. Ich
weifi, dass diese «Vorstande», wenn sie in Berlin sind, Dir auch
eine Last sein konnen; allein man kann sie ja von sich abhalten,
wenn die Sache zu viel wird. Aber die Hauptsache in alien Ent-
scheidungen beziiglich der Jugendtagung musste doch bei Dir lie-
gen. Ich hoffe nur, dass, wenn Wachsmuth und Vreede nach Berlin
fahren, damit nicht etwas gemacht wird, was sehr gegen das ist, was
Du willst. Allein ich iiberlege hier in meinem Bett die Sache hin
und her und finde, dass es doch so sein sollte, dass die beiden zur
Jugendtagung fahren. Was sonst noch beabsichtigt ist, wei£ ich ja
gar nicht.
Die Gegner des Goetheanum-Baues haben sich wieder in den Zei-
tungen hier bemerklich gemacht. Jetzt, nachdem die Solothurner
Regierung den Bau im Prinzip bewilligt hat, verlegen sich die Gegner
auf das Martyrertum. Sie veroffentlichen eine Resolution, in der sie
sagen, dass nach dem Missgriff der Solothurner Regierung ihnen, den
Freunden schweizerischen Heimatschutzes, nichts iibrig bliebe als
das wirkungslose Wort zu erheben gegen die Verunstaltung eines der
historisch wertvollsten Platze in der Schweiz. -
Sehr gefreut habe ich mich iiber das Anhalten des Erfolges auch
durch die weiteren Stadte hindurch. Ich hoffe, es werde so weiter
gehen. Ich kann nur immer sagen: meine Gedanken sind auf den
Wegen, auf denen Du Deine Wirksamkeit entfaltest. Ich bin so
froh dariiber, dass Du dazu doch die Kraft hast.
Nun nur noch fur heute die allerherzlichsten Gedanken; denn
ich habe schon die erste ziemlich ermiidende Behandlung hinter
mir.
Allerherzlichst Rudolf
Griifie an Alle.
Ich habe in den letzten Tagen unter denen, die ich zu mir herein-
lasse, auch Dr. Wachsmuth haben miissen; es geht nicht anders.
Aber er muss sich eben auch gewohnen zu gehen, wenn ich ihm
bemerklich mache, dass ich nicht weiter kann.
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
Lehrs: Dr. Ernst Lehrs (1894-1979), Naturwissenschaftler, Mitglied seit 1921,
Lehrer an der Freien Waldorf schule in Stuttgart und ab 1923 Mitglied des von
Rudolf Steiner nach der Weihnachstagung bestatigten Komitees der Freien An-
throposophischen Gesellschaft und dadurch Funktionar der Allgemeinen Anthro-
posophischen Gesellschaft.
215 An Marie Steiner in Berlin
ca. Mittwoch, 22. Oktober 1924
M. 1. M. Ja, ich habe von der Jugendtagung geschrieben - und nicht
von dem andern, was sich in Berlin fur die Gesellschaft abspielt.
Aber da nehme ich an, dass Du ja ganz in den Sachen drinnen
stehst - und dass daher Deine Leitung sich fortsetzt, wie sie sich
gemacht hat, als Du das letzte Mai in Berlin warst. Es ist ja selbst-
verstandlich, dass mich alles, was Dir da gelingt, herzlich freuen
wird - ich schicke Dir nur auch dazu die herzlichsten Gedanken
und alien Freunden die besten Griifte.
Allerherzlichst Rudolf
216 An Marie Steiner in Berlin
Donnerstag, 23. Oktober 1924
Goetheanum, 23. Okt. 1924
M. 1. M. Ich habe nun noch alles in die Oberon-Titania-Szenen
eingefugt, wofiir es mir gelungen ist, Formen zu finden. Es scheint
sich also bis zu Titania: «... zur Laube finden» alles zusammenzu-
schlieften. - Nur «Bohnenbliite, Senfsamen» geht nicht, muss man
auslassen. Was aber da nachfolgt auf S. 46: beim besten Willen ich
kann keine Form finden; ich glaube, das konnte die Wirkung auch
nur verderben.
So glaube ich, dass Du jetzt alles hast, was Du haben kannst. Ich
denke, Du erhaltst die Sache schneller, wenn ich diesen Brief Dr.
Wachsmuth mitgebe, der heute abends nach Berlin reist.
Von mir ist gar nichts Neues zu berichten.
Ein reformierter Pfarrer Edmund Ernst aus der Ostschweiz hat
ein ausgezeichnetes Buch geschrieben: Reformation oder Anthro-
posophie? Es werden sich in der nachsten «Goetheanum»-Num-
mer von mir Aphorismen dariiber finden.
Ich hoffe, dass man Dir das «Goetheanum» immer schickt; der
Auftrag ist natiirlich gegeben; aber ich weift nicht, ob man alle
Auftrage ausfiihrt. Jedenfalls werde ich Wachsmuth noch beson-
ders beauftragen, die letztwochentlichen Nummern, seit Deiner
Abreise fur Dich mitzunehmen.
In herzlichen Gedanken verfolge ich Deine Tatigkeit; groEe
Freude hatte ich iiber Brief aus Liibeck und auch iiber Nachricht,
dass es in Hamburg das zweite Mai gut gegangen ist.
Allerherzlichstes Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn.
Edmund Ernst (1893-1953), reformierter Pfarrer in Salez/Ostschweiz, 1919-1921
aktiv fur die Ideen der sozialen Dreigliederung tatig, spater Priester der Christen-
gemeinschaft in Zurich.
in der ndchsten «Goetheanum»-Nummer: Nr. 64 vom 26. Oktober: «Anspruchs-
lose aphoristische Bemerkungen iiber das Buch Reformation oder Anthroposo-
phie?>, Bern 1924» (in GA 36).
217 An Marie Steiner
Donnerstag, 23. Oktober 1924, andere Fassung
Goetheanum, 23. Okt. 1924
M. 1. M. Ich denke, ich habe nun alles Gewunschte so gut gemacht,
als es nur irgend geht. Es wird sich in den neuen Blattern, die ich
mitschicke, alles finden, was Du brauchst.
Ich denke, Du erhaltst die Sache schneller, wenn ich sie Dr.
Wachsmuth mitgebe, der heute abend nach Berlin reist.
Von mir ist nichts Neues zu berichten. Es geht die Sache eben
so fort.
Ein reformierter Pfarrer aus der Ostschweiz, Edmund Ernst hat
ein ausgezeichnetes Buch geschrieben: «Reformation oder Anthro-
posophie». Ich habe fur das nachste «Goetheanum»: «Anspruchlo-
se Aphorismen» iiber dieses fur die Bewegung sehr wertvolle Buch
geschrieben.
Ich hoffe, dass Du die «Goetheanum»-Nummern ganz regel-
mafiig zugestellt erhaltst. Auftrag ist jedenfalls gegeben; hoffentlich
werden nur alle Auftrage ausgefiihrt. Ich werde nochmals dem Dr.
Wachsmuth Auftrag geben, dass er Dir alle Nummern mitnimmt,
die seit Deiner Abreise erschienen sind.
Sehr erfreut bin ich iiber den heute morgen angekommenen Brief
aus Liibeck und tief befriedigt iiber die Nachricht, dass es auch das
zweite Mai in Hamburg gut gegangen ist.
In herzlichen Gedanken verfolge ich Deine Tatigkeit und
schicke Dir diese allerherzlichsten Gedanken Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn. -
218 An Marie Steiner in Berlin
Sonntag, 26. Oktober 1924
Goetheanum, 26. Oktober 1924
M. 1. M. Jetzt hat also Euere Berliner Arbeit begonnen. Es ist mir
wirklich sauer, nicht dabei sein zu konnen. Allein, wenn es bei mir
auch taglich etwas vorwarts geht, so doch eben langsam. Und
wahrend ich die Reise nach Berlin machen und dort in grofien
Salen hatte vortragen sollen: bewege ich mich hier zwischen Bett,
«bequemen Stuhl» und Baderaum. Das sind alle meine jetzigen
Reisen; und ich muss alles «2erst6rende» abhalten. Und ich sehe,
wie leicht ich gerade in bezug auf die Ubel des gastrischen Systems
zuriickgeworfen werde, wenn irgend etwas Storendes herankommt.
Doch Du siehst, es geht immerhin leidlich, wenn auch nicht gerade
so, wie man es den Erfordernissen des Arbeitens gegeniiber haben
mochte. Also zu irgendeiner Besorgnis hast Du, meine liebe Maus,
auch weiter keinen Grund.
Ich bin ja nun einmal, wie Du weifit, seit Januar 1923 meinem
physischen Leib sehr entfremdet. Daher ist ja notwendig geworden
die immer mehr eintretende Pflege. Jetzt, wo diese Pflege und
Behandlung ganz systematisch getrieben wird, wird sie ja wohl
helfen.
Ich hoffe, dass in Berlin alles gut gehen moge. Nach allem, was
die herzlich zum Guten strebenden Anthroposophen dort erlebt
haben, ist es natiirlich zu viel, dass jetzt zu allem auch noch mein
Nicht-Erscheinen tritt. Wenn ich diesen Zusammenhang bedenke
und daneben sehe die lieben, Opferbereitheit kiindenden Augen
unseres guten Munch, und den angstlichen, aber fur alles Anthro-
posophische so tatenwilligen Blick Rathers, so wird es mir recht
schmerzlich zu Mute, indem ich hier im Schlafrock auf dem «be-
quemen Stuhle» sitzen muss und nur Gedanken hinwenden kann
zu den Tatenstatten der anthroposophischen Arbeit. Aber mit de-
fer Befriedigung weifi ich Dich in voller Tatigkeit und bin so froh,
so herzlich froh dariiber. Was allerdings die «Jugend» in Berlin
zustande bringen will, dariiber konnen ja ganz bestimmte Vorstel-
lungen nicht gemacht werden. Was da unklar spielt, werde ich ja
doch erst sehen, wenn Du mir wirst davon sprechen konnen.
Die allerherzlichsten Gedanken immerdar Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn.
219 An Marie Steiner in Berlin
Freitag, 31. Oktober 1924
Goetheanum, 31. Oktober 1924
M. 1. M. Du stehst wohl jetzt mitten in der schweren Arbeit dar-
innen. Ich gedenke dieser Tatigkeit, denn sonst kann ich jetzt nichts
tun, da ich doch, wie ich Dir schrieb, nur zwischen Bett, «beque-
men» Stuhl und Badezimmer «reise». Aber wesentlich gebessert ist
doch mein Zustand, wenn auch alles langsam geht. Man muss da
wirklich viel Geduld haben.
Es war so schon, als das Berliner Telegramm kam und den guten
Verlauf der Vorstellung berichtete. Seither habe ich allerdings nichts
A1Q
von der Nachwirkung dieser Vorstellung gehort. So z. B. gar nichts
daruber, ob diejenigen, die alles, auch wovon sie gar keine Ahnung
haben, in gedrucktem Urteil «dem Tage» servieren, sich haben
vernehmen lassen, oder nicht.
Dass sich die «Jugend» allerlei geleistet hat, davon sind dunkle
Nachrichten hieher gekommen. Doch ich will warten, bis ich von
Dir daruber hore.
Steffen ist sehr befriedigt, dass ich nun einen Aufsatz iiber sein
«Viergetier» im «Goetheanum» geschrieben habe. Das Drama ist
tatsachlich aufterordentlich bedeutend. Ich hoffe, dass Du das
«Goetheanum» ordentlich zugesandt erhaltst.
Alle Welt hat in den letzten Tagen verlangt, iiber die Neuformung
des Goetheanums einiges zu wissen; sogar Bilder zu bekommen. Ich
habe fur diese Sache so viel gemacht, als - bei meiner reduzierten
Arbeitskraft - moglich ist. Alles, was ich so tue, dass es ganz von mir
ausgeht, z. B. dies oder jenes schreiben, geht; aber nicht leicht geht,
Anforderungen nachzukommen, die von aufien gestellt werden.
Da muss ich noch recht vorsichtig sein. Aber ich bin es auch.
Ich hoffe, dass mit dem Meyer alles gut gegangen ist, und dass
er sich meldet, wenn er Geld etwa fur Benzin etc. braucht.
Sonst die allerherzlichsten Gedanken und Griifte Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn
220 An Rudolf Steiner in Dornach
Freitag, 24. Oktober 1924, aus Berlin
Freitag abend, 24. Okt. 1924
Lieber E., danke vielmals fiir Deinen langen Brief, der Dich hof-
fentlich nicht zu sehr angestrengt hat, und fiir alle Zusendungen.
Jetzt haben wir alles, was wir brauchen fiir den Johannisnachts-
traum, sogar mehr, denn fiir die Szenen mit Zettel wird die Zeit
doch nicht reichen. Das werden wir uns denn aufsparen fur das
Zusammenwirken mit den Schauspielern. Es fehlt jetzt iibrigens gar
nicht viel, um die Geisterszenen vollstandig zu haben. Und ich
dachte schon, dass es Dir vielleicht recht ware, da Du ja jetzt im
Bilde bist dessen, was Du selbst dabei willst, ob ich Dir nicht gleich
alle die Szenen schicke, in denen noch etwas fehlt, Ich fuge sie hier
bei. Ich habe die Seiten angegeben, und die Stellen angestrichen, an
denen noch etwas zu machen ist. Was iibrig geblieben ist, bezieht
sich meistens auf die Abenteuer der Athener. Das habe ich auch
innerhalb der Reden, die wir jetzt zur Darstellung bringen, gestri-
chen. Das wiirde aber notig sein, wenn wir mit den Schauspielern
zusammenwirken. So lege ich sie Dir denn auf alle Falle zur Begut-
achtung bei.
Nun haben wir unsere erste Matinee hinter uns. Sie verlief ausge-
zeichnet, und es hat sich gar keine Gegenstimmung gezeigt, - nur
Beifall. Was die Presse bringen wird, konnte ja anders sein. Es heifit,
es ware am Freitag ein Schmahartikel im Berliner Tageblatt erschie-
nen. Jedenfalls hat er bei der Matinee keine Wirkung ausgeiibt; das
Lessingtheater war ausverkauft, und das Publikum ging restlos mit.
Im allgemeinen hat uns die Presse dies Mai gut behandelt.
Manchmal wider Willen, wie in den Hamburger Nachrichten, aber
grade dadurch, heifk es, Eindruck machend. Nur auf mich haben
sie hin und wieder geschimpft, oder haben Gedichte unmitz gefun-
den. Die Stimme hat mir auf dieser Reise ganz gut gehorcht. Nur
in der Mitglieder- Auffiihrung von Stuttgart war ich etwas geniert,
und bei der zweiten Auffiihrung von Hamburg fiihlte ich etwas die
Erkaltung von Liibeck nach. (In Liibeck selbst noch nicht.) Das
Kammerspiel-Theater von Hamburg ist auch akustisch ungiinstig;
das Thalia-Theater sehr gut. Auch das Lessing-Theater hier ist
akustisch giinstig.
Hier habe ich aber nun eine etwas beangstigende Aufgabe an
den Johannisnacht-Szenen; denn ich habe doch einige ungeschickte
Leute fur den Chor und wenig Zeit. Ich habe jeden Tag neben der
Auffiihrung Probe, die Elfenszenen geprobt und das war eine
grofie Anstrengung. (Wir durften uns im Lessing Theater ziemlich
ausgiebig aufhalten.) Nun bin ich doch heute morgen vor der
Matinee mit starker Migrane und Schaumspeien aufgewacht. Da
das aber schon um 5 Uhr vor sich ging, konnte ich mich bis V2 12
richten, und es hat niemand etwas bemerkt. Nur ist auch fur mich
das Reden mit den Menschen das, was mich durcheinanderbringt,
dafur reicht die Kraft kaum mehr. So konnte ich leider Deinen
Wunsch nicht erfiillen, mich an der Tagung stark zu beteiligen.
Gestern hatte ich mit den zwei Proben zu viel zu tun, und heute
muss ich mich mit ziemlicher Miihe aufrecht erhalten. Morgen muss
ich sehr viel proben: das Michaeli-Programm fur Dienstag und
Mittwoch, und das neue.
3. Nov.
Lieber E., es ist schrecklich: einen langen ausfiihrlichen Brief wollte
ich Dir schreiben und nicht nur bitten um Formen, schickte also
dieses und die schon in ein Couvert hineingelegten Texte nicht ab.
Jedesmal wurde ich abberufen, wenn ich mich zum Schreiben setz-
te, und bin so in den Wirbel hineingezogen worden, dass ich nicht
mehr iiber mich verfiigen konnte. Vortrage habe ich nicht mitma-
chen konnen. Aber Menschliches-Allzumenschliches und Gesell-
schaftliches-Allzugesellschaftliches gar viel. So muss ich von Dank
und Gliick sprechen, dass die Auffiihrung gestern gelungen ist. Sie
wurde mit Begeisterung aufgenommen. Ich glaube fest, dass Deine
Gedanken uns geholfen haben. Es war ein gewagtes Unternehmen.
- Ich wollte auch Kritiken fur Dich sammeln und konnte es nicht
fertig bringen. Morgen friih geht's auf die Weiterreise und heute ist
noch so viel zu absolvieren. Ich muss also schliefSen, damit dieser
Brief abgeht. Einen andern konnte ich doch nicht schreiben. Nur
um so intensiver und liebevoller will ich an Dich denken. Es gab
mir Mut, als ich gestern vor der Auffiihrung wieder einen Brief von
Dir erhielt, und ich will vertrauen, dass es Dir besser geht. Den 9.
und 11. November haben wir Vorstellung in Stuttgart. - Das erste
«Goetheanum», das mit der Post gekommen ist, habe ich gestern
erhalten.
Allerherzlichstes Marie
Johannisnachtstraum ... Szenen mit Zettel ... werden wir uns aufsparen fur das
Zusammenwirken mit den Schauspielern: Wurde spater am Goetheanum auf-
gefiihrt, jedoch nicht unter Marie Steiners Regie.
221 Telegramm aus Dornachbrugg an Marie Steiner in Kassel
Postvermerk: aufgenommen den 5/11 1924
Gute Gedanken fiir weitere Tatigkeit, hier umstandegemaft be-
friedigend, herzlichst Rudolf Steiner
222 An Rudolf Steiner in Dornach
Samstag, 8. November 1924
8. Nov. 1924, Stuttgart
Lieber E., nun sind wir bei unserer letzten Etappe angelangt, hier
in Stuttgart. Schuurmans sind schon nach Dornach gefahren wegen
ihres Umzugs, und Stuten besorgt hier die Arbeit mit den Musi-
kern. In Kassel hatten wir einen uberfullten Saal (er fasst 1000
Menschen). Unsere Herren zahlten 50 Menschen, die zuriickgewie-
sen wurden. Das hat meinen Zahnarzt z. B. sehr erstaunt, der da
sagte, die grofiten Kiinstler hatten jetzt leere Sale. Ich glaube auch,
dass wenn wir jetzt immer weiter gereist waren, wir die gegenwar-
tige Sensation oder Attraktion geworden waren. Bis zur nachsten
Reise sind wir vielleicht wieder vergessen.
Die Reise von Kassel hierher war wieder herrlich. Man ahnt ja
gar nicht, was es fiir interessante Statten in Deutschland gibt, wenn
man nicht im Auto fahrt. Dabei machen wir nur eine Mittagsrast,
gewohnlich an einem Ort, wo es einen schonen Dom gibt. Neulich
war es Magdeburg. Diesmal Fulda. Es ist ja ein Brennpunkt des
hochsten Interesses, - kulturhistorisch. Ich versteh nicht, dass
Menschen von da kommen konnen und nie etwas dariiber sagen.
Es ist, als ob alle Wege der deutschen Entwickelung dahin zuriick-
fiihren. Und geographisch fiihlt sich's auch wie ein Herz an. - Jetzt
aber zieht der Katholizismus da am starksten sein Netz zusammen.
Es hat mich interessiert abzuschreiben am Grabe des heiligen
Bonifazius den Text der Ablassangebote, der dort ausgehangt ist.
Dies war die langste Fahrt, die Meyer gemacht. Er hat auf dieser
Reise ebenso viel gelernt, wie es die Eurythmisten auf Reisen tun.
Er ist sehr sicher und geschickt geworden. Heute habe ich ihn nicht
gesehen. Wie ist es nun jetzt mit ihm und dem Auto? Kann ich es
von Dir erfahren, in welcher Weise wir nun alle den Heimweg
antreten sollen?
Ich wollte bis zum 14. oder 15. hier bleiben, um noch verschie-
denes in der Eurythmie-Schule zu regeln. Ich habe fast Angst nach
Dornach zuriickzukommen und Dich vielleicht zu ermiiden. Ich
hab Dir ja wohl durch meine Arbeit draufien am besten jetzt
gedient.
Nun muss ich zur Probe, - wir stellen die Oberon-Szenen mit
einigen Choristinnen von hier.
Alles Herzlichste. Hoffentlich bist Du schon mehr im Lehnstuhl
als im Bett. Frieda Noll war reizend sorgsam und lieb fur uns.
Auf Wiedersehen Marie
Frieda Noll (gest. 1963), beteiligt an der Neugriindung des Zweiges Kassel im
Januar 1907, Schwester von Dr. Ludwig Noll.
223 An Marie Steiner in Stuttgart
Sonntag, 9. November 1924
Goetheanum, 9. November 1924
M. 1. M. Herzlich gefreut hat mich das Telegramm von Eisenberg,
das besagt, dass auch in Kassel ein guter Erfolg war. Und dankbar
bin ich fur Deine Briefe, die mir ein Bild davon geben, wie Du die
schwere Arbeit durchgemacht hast.
Ich mochte Dir diese paar Zeilen nach Stuttgart noch senden
als Gedankengrufi. Du hast ja wohl dort heute Deine erste Vor-
stellung.
Du kannst Dir denken, dass ich mit dem ganz langsamen Vor-
schreiten meiner Gesundung gar nicht zufrieden bin. Die Sache hat
sich eben so lange vorbereitet, und will in ebenso langer Zeit erst
wieder abfluten. Ich dachte, ich wiirde weiter sein, wenn Du zu-
riickkommst.
Unter den Biichern, die ich jetzt angeschaut - aber in diesem
Falle wirklich nur angeschaut - habe, ist auch «Das ekstatische
Theater» von Emmel mit dem Briefe der Dumont. Die Sache ist
interessant. Aber das ganze Buch ist ja nur ein Schrei, oder hoch-
stens zwei Schreie. Ein Schrei iiber die Verderbtheit der gegenwar-
tigen Biihne und ein andrer, dass es anders werden miisse. Aber
damit, dass man das Elend in die Welt hinaus schreit, und an eine
instinktive Ekstase appelliert, wird nichts anders. Da muss die
Briicke himiber geschaffen werden zum Verstehen des Gottlich-
Kosmischen in Sprache, Geberde und Biihnengestaltung, wie es in
meinem dramatischen Kursus erstrebt ist. Ja, es ware viel zu tun
und notig, dazu gesund zu sein.
Die Arzte haben sich sehr gefreut iiber Deine GrtiEe und lassen
herzlich griifien.
Die allerherzlichsten Gedanken Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel
Schweiz, Canton Solothurn.
Eisenberg: Dr. med. Otto Eisenberg (1886-1943), praktischer Arzt in Kassel,
Homeopath, Mitglied seit November 1906, Schwager von Dr. Ludwig Noll, mit
dem zusammen er einige Heilmittel nach Angaben Rudolf Steiners herstellte.
224 An Marie Steiner in Dornach, Haus Hansi
etwa Mitte November 1924
M. I M.
Bitte, Du kannst jederzeit, wenn Du das Auto brauchst, an die
Klinik telephonieren lassen; es ist dort alles so geordnet, dass sofort
fur Dich der Wagen bereit gemacht wird, wenn Du ihn brauchst.
Du kannst auch entweder, wenn Du heroben angekommen bist,
dem Chauffeur sagen, wann er Dich wieder abholen soli, oder Du
kannst auch von der Schreinerei aus an die Klinik telephonieren
lassen, um sogleich den Wagen zum Zurtickfahren zu haben. -
Auf Wiedersehen etwa 5 Uhr - Ich hab Dich lieb Rdf. -
225 An Marie Steiner in Dornach, Haus Hansi
23. oder 24. Dezember 1924
L. M.
Dr. Wachsmuth sagt mir, nachdem ich ihn habe rufen lassen, dass
die Versendung des Mitteilungsblattes noch gestern abends auf seine
Veranlassung gestoppt worden ist, selbst bei den Postamtern. Sie
findet erst morgen statt. Es kann also unmoglich der Text der
Vorlesung in vielen Handen sein.
Herzlichst Rudolf
Versendung des Mitteilungsblattes ... gestoppt worden ... Text der Vorlesung: Mit
ziemlicher Sicherheit ist anzunehmen, dass Rudolf Steiner sich hier auf die
Weihnachtsnummer des Nachrichtenblattes (vom 28. Dezember 1924) bezieht.
Seine darin enthaltene Weihnachtsbetrachtung «Das Logos-Mysterium» wurde
von Marie Steiner bei der Weihnachtsfeier am Goetheanum am 24. Dezember
1924 verlesen, weshalb wohl der Text nicht schon vor der Vorlesung bekannt sein
sollte und daher die Versendung der Nummer verzogert wurde. Der Aufsatz
Rudolf Steiners ist wieder abgedruckt in «Anthroposophische Leitsatze», GA 26.
226 Fur Marie Steiner, Weihnacht 1924. Faksimile nachste Seite.
Diese Meditationsworte iibergab Marie Steiner Mitte der vierziger Jahre
dem Goetheanum-Sprechchor fur besondere Feiern.
^^^^
Rudolf Steiner schreibt wie bisher die wochentlichen Beitrage fiir die
Wochenschrift «Das Goetheanum» und fiir das Nachrichtenblatt. Fiir die
16.-20. Auflage seiner «Geheimwissenschaft im Umriss» schreibt er die
mit 10. Januar datierte Vorrede. Anfang Marz entwirft er die Einband-
skizze fiir die Neuauflage des «Anthroposophischen Seelenkalenders». Das
Manuskript des mit Dr. Ita Wegman zusammen verfafiten medizinischen
Buches wird fertiggestellt (GA 27).
Die Verantwortung fiir die Verwaltung der Gesellschaft liegt noch
immer in seiner Hand, wenn er dafiir auch nur «das Notdiirftigste» tun
kann. An der am 8. Februar stattfindenden aufierordentlichen Generalver-
sammlung des Vereins des Goetheanum, in der die handelsregisterliche
Namensanderung dieses Vereins in Allgemeine Anthroposophische Ge-
sellschaft beschlossen wird, kann er nicht personlich teilnehmen, unter-
schreibt aber noch die Anmeldung fur das Handelsregister. Am 19. Marz
beruft er als 1. Vorsitzender die Administratoren des Goetheanum-Baues.
In diesen Tagen gibt er auch Auftrag, ein Holzmodell herzustellen und
das an sein Atelier angrenzende Hochatelier herzurichten, damit er an die
Gestaltung eines neuen Modells fiir den Bau gehen konne, um den Forde-
rungen der Behorden nach einer Reduzierung der Dachhohe nachzukom-
men. «Dies und Rudolf Steiners starker feuriger Wille zur Arbeit hat uns
in Hoffnungen gewiegt, hat Schleier vor unsere Augen gelegt. Wir glaub-
ten an das Wunder der moglichen Genesung, da soviel Arbeitsenergie
vorhanden war. Und hatten doch sehen miissen, dass dieser in nie unter-
brochener Uberanstrengung lebende Korper ausgebrannt war schon seit
der Weihnachtstagung.» (Marie Steiner)
Schweren Herzens, jedoch dem Willen Rudolf Steiners folgend, der
Wert darauf legte, dass sie an seiner Stelle die anthroposophische Sache in
der Aufienwelt reprasentiere, begibt sich Marie Steiner am 23. Februar mit
der Eurythmiegruppe wieder auf Reisen. Zunachst nimmt sie als seine
Vertreterin in Berlin am 24. Februar an der feierlichen Einsetzung Fried-
rich Rittelmeyers zum Erzoberlenker der Christengemeinschaft teil. Bei
der anschliefSenden offentlichen Tagung findet zu Rudolf Steiners Ge-
burtstag am 27. Februar eine erste und am 1. Marz eine zweite Eurythmie-
auffuhrung statt. Dann geht es weiter nach Danzig, wieder Berlin, Fiirth,
Stuttgart, Heidenheim, Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart. Wahrend
dieser Reise werden die folgenden Briefe gewechselt, die zu den letzten
werden sollten.
227 An Marie Steiner in Dornach, Haus Hansi
Dienstag, 17. Februar 1925
L. M.
Es ist die alte Frau Laval, die Mutter der Frau Dr. Nelly Grosheintz
in der Klinik gestorben.
Ich habe sogleich nach dem Ableben ein paar Worte gesandt,
konnte nur, da Du noch nicht heroben warst, von Dir nichts
mit-sagen.
Vielleicht schreibst Du eine Zeile an Nelly.
Allerherzlichst Rdlf
Frau Laval: Adele Laval, geb. Ramseyer.
Frau Dr. Nelly Grosheintz, geb. Laval (1875-1955), Frau von Emil Grosheintz,
Mitglied in Basel seit Marz 1907.
228 An Rudolf Steiner in Dornach
Mittwoch, 25. Februar 1925
Berlin, 25. II. 1925, abends
Lieber E., eben habe ich mich aufrappeln konnen von einem im
Bett zugebrachten Tag. Es war gestern doch etwas zu viel, dass ich
mich nach dem sehr weihevoll und eindrucksvoll verlaufenen Akt
am Morgen noch bereden liefi, zur Eroffnung um 5 Uhr in die
Singakademie zu fahren. Die Priester waren so zuvorkommend, am
Bahnhof abgeholt, im Auto nach Haus gebracht, dann wieder ab-
geholt; das wollten sie sogar taglich besorgen, aber dazu reichen
meine Krafte nicht. Es war ein furchtbarer Tumult in der Sing-
akademie, bis man drin war, grower Andrang und Gestofie und
Geschrei der Diener, die Ordnung hielten. Aber die Eroffnung war
feierlich - mit dem Anziinden des siebenarmigen Leuchters bei
lautloser Stille, dem wiirdigen Aufmarsch der weiftgekleideten Prie-
ster und einer sehr starken Ansprache Rittelmeyers. Abends war
ich zu Hause, lieft mich aber verleiten, von der «Bestimmung der
Roheit» zu lesen, was mich eigentlich sehr elend machte. Ich habe
mich mit Miihe da durchgewunden, und war erstaunt, welch herr-
lich Schdnes Du da herausgeholt hast. Aber das ist das Schonste an
dem Buche, der Honig, den Du herausgeschopft hast. Ich verstand
ja, dass jemand, der den Typus der «Jungerin» so stark herausge-
stellt hat, fur ein Motiv wie das in «Gyges und sein Ring» ange-
schlagene nichts iibrig hat, und sogar die kiinstlerische Vollendung
des Werkes dariiber vergisst, - auch konnt' ich's dieser Jiingerin
zugute halten, dass ihr Schopfer aufier ihr nur die Gattin und
Dime sieht. Aber beim Lesen dieses Buches wollte ich ihm doch
gern eine andere Dreiteilung entgegenhalten: Jungfrau, Mutter,
Konigin. Ich versuche mir klarzumachen, warum ein Mann wie
Steffen die Jungfrau nicht kennt, die doch auch eine Notwendigkeit
ist innerhalb des Ganzen und aus sich heraus, - und werde damit
nicht fertig. Jedenfalls finde ich sie nicht bei ihm, und sehe auch
darin den Grund seiner Abneigung gegen Rhodope, die ja trotz
ihres Gemahls doch Jungfrau ist.
Etwas iibel war mir seelisch zu Mute von dem Sezieren der
Seelenerlebnisse jener Damen, - aber ich wusste wenigstens, aus
welchen Tiefen heraus er die Krafte geschopft hat, die in der
Umwandlung zu seinen Gedichten geworden sind. Solche Preise
muss man wohl zahlen.
Liebes Herz, ein Tel egramm Dir am Freitag zu schicken, scheint
mir zu banal. Hoffentlich kommt dieser Brief zeitig an und bringt
Dir meine ganze Liebe und Ehrfurcht und Dankbarkeit fiir mich
und die Menschheit.
Herzlichst Marie
Bestimmung der Roheit: Roman von Albert Steffen, von Rudolf Steiner bespro-
chen in Nr. 9 des 4. Jg. der Zeitschrift «Das Goetheanum» vom I. Marz 1925.
Marie Steiner hatte den Artikel Rudolf Steiners jedoch schon vor Erscheinen und
vor ihrer Abreise nach Berlin am 23. Februar 1925 gelesen, worauf Rudolf Steiner
in seinem Brief an sie vom 27. Februar 1925 (Nr. 229) Bezug nimmt. - Die
Besprechungen Rudolf Steiners von Werken Albert Steffens finden sich in dem
Band «Der Goetheanumgedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart»,
GA36.
Typus der «JUngerin»: Bezieht sich auf das Gedicht Albert Steffens «Die Jiinge-
rin» aus der Sammlung «Wegzehrung».
andere Dreiteilung entgegenhalten: Jungfrau, Mutter, Konigin: Goethes «Faust»,
II. Teil, 5. Akt: Himmelfahrt.
Rhodope: weibliche Hauptgestalt in Hebbels «Gyges und sein Ring».
ein Telegramm ... zu schicken: Zu Rudolf Steiners Geburtstag am 27. Februar.
229 An Marie Steiner in Berlin
Freitag, 27. Februar 1925
Goetheanum, 27. Februar 1925
M. 1. M.
Ungefahr urn die Zeit, da Du sonst an meiner Seite sitzest, schreibe
ich diese Zeilen. Ich kann nur mit tiefster innerer Bewegung den-
ken, wie schon es ist, wenn ich der Darstellung Deiner Tatigkeit
zuhoren kann, und wir das eine oder andere besprechen konnen
iiber diese Deine Tatigkeit. Und wenn Du [ich von Dir] dann ab
und zu in meinem «Lebensgang» die Beschreibung unserer gemein-
samen Tatigkeit gelesen weiE, dann fuhle ich tief, wie verbunden
wir sind. Dass Karma auch andere Personen in meine Nahe bringt,
ist eben Karma. Und die Krankheit hat ja jetzt gezeigt, wie dieses
Karma einschneidend ist. Aber Du hast Dich zum Verstandnis
durchgerungen; das ist ein Segen fur mich. Im Urteil zusammen-
fuhlen und -denken kann ich ja doch nur mit Dir. Und schon war
es mir eine Entbehrung, dass ich Dir die letzten Seiten des Steffen-
Aufsatzes nicht voriegen konnte, bevor sie (gestern) in Druck
gingen. Denn innere Kompetenz gestehe ich fur mich doch nur
Deinem Urteil zu. Aber sei sicher, so unendlich lieb es mir ist,
wenn ich Dich hier habe: ich konnte es gar nicht ertragen, wenn
Du auch nur eine Stunde Deine Tatigkeit abkiirzest.
Vor einer Stunde brachte man mir Deinen lieben Brief. Es ist
mir so leid, dass Du doch wieder so angegriffen warst. Die Leute
meinen es gut, wenn sie einen bei ihren Sachen dabei haben wollen.
Aber man wird eben schwach davon.
Dass Dich die «Bestimmung der Roheit» so durcheinanderge-
bracht hat, verstehe ich. Und Du hast natiirlich vollkommen recht,
wenn Du von dem Nichtverstehen des Weibes so sprichst, wie
Du es tust. Ich musste, uber Steffen schreibend, seine spirituelle
Behandlung der dichterischen Probleme im Auge haben.
Verstehen muss man Steffen, indem man zuriickblickt auf ihn als
Giotto. Die ganze Wendung vom Cimabue zum G. ist doch die
vom lichten Spiritualismus, von der Geistigkeit in Farbe, Auffas-
sung und Form zum Naturalismus; und nur in Raphael und den
Groften bleibt noch etwas von dem, was untergegangen ist und nur
in Cimabue etwas aufbewahrt ist. Das alles driickt sich in der Psy-
che von Steffen aus. Er arbeitet mit den Kraften, die aus der dama-
ligen Wendung ihm aufstoften, geht auf die Wirklichkeit los, wie
das im zwanzigsten Jahrhundert fast allein moglich ist. G. hatte die
Schonheit vor sich, aus der er herausgewachsen ist. Das idealisiert
seinen Naturalismus. Steffen hatte uberall Unkunst um sich; das
materialisiert den Spiritualismus, der in ihm von Anfang an schlum-
merte.
Und dass Steffen bei uns ist: auch darin sehe ich ein bedeutsames
Karma.
Dass er Gyges nicht versteht, ist schon deshalb nicht verwun-
derlich, weil er sich iiberhaupt in fremde Kunst schwer hineinver-
setzen kann. Und Rhodope ist so ganz anders, als was Steffen im
Wesen des Weibes sehen kann.
Bleibe mir gesund und empfange die allerherzlichsten GriiEe;
ich bin in Gedanken mit Dir. Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Dornach bei Basel, Schweiz, Canton Solothurn
Goetheanum.
230 Telegramm aus Dornachbrugg an Marie Steiner in Berlin
Postvermerk: aufgenommen den 5/3 1925
Dank fur Telegramm. Froh iiber Erfolg. Gute Gedanken fur
weiteres. Rudolf Steiner
231 An Marie Steiner in Berlin
Donnerstag, 5. Marz 1925
Goetheanum, 5. Marz 1925
M. 1. M.
Ach wie froh bin ich, dass es in Berlin wieder gut gegangen ist. Ich
bin mit meinen Gedanken bei Deinen Anstrengungen, die so uner-
messlich sind. Aber Deine Tatigkeit ist auch eine segensreiche.
Mein Zustand geht nur langsam vorwarts. Und ich muss bald
arbeitsfahig sein, denn was es nach allem, das sich abgespielt hat,
ware, wenn durch meine Krankheit der Bau unterbrochen werden
miisste, ist gar nicht zu ermessen.
So hast Du doch auch die Danziger Sache absolviert. Ich hoffe,
dass da alles gut gegangen und Du keine grofien Unannehmlich-
keiten gehabt hast. Und hoffentlich geht es mit den folgenden Vor-
stellungen wieder gut.
Im dieswochentlichen «Goetheanum» erscheint nun als vor-
laufiger Abschluss der Steffen-Artikel der dritte.
Das kleine Biichelchen Seelenkalender wird vielleicht recht nett
werden; ich habe eine entsprechende Titelzeichnung gemacht. Sie
war schwer; weil die Sache so klein ist; aber ich glaube, es ist mir
zuletzt gelungen. Ich werde froh sein, wenn Dir die Sache einige
Freude macht.
Das Auto wird am 11. in Stuttgart sein.
In aller Herzlichkeit Rudolf
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach, Schweiz, Cant. Solothurn.
232 An Rudolf Steiner in Dornach
Sonntag, 8. Marz 1925
8. III. 1925, Berlin
Lieber E., nun haben wir auch die zweite Auffiihrung im Lessing-
Theater hinter uns. Man kann schon von einem starken Erfolg
sprechen. Viel Beifall und ein voiles Haus. Auch die erste Auffiih-
rung, die ja wegen der Landestrauer am Sonntag auf den Montag
4 Uhr nachmittags verlegt werden musste, - also ungiinstiger Tag
und ungiinstige Stunde, war ausverkauft. Am Montag waren keine
Kritiker, heute viele. Morgen werden sie also schimpfen, oder
schweigen. Beim «Trunknen Lied», das brausenden Beifall hervor-
rief, hat einer machtig gezischt, wurde aber kaum gehdrt.
In Danzig gab es auch ein ausverkauftes Haus, 1500 Menschen.
Also Frau v. Brederlow hat gut vorgearbeitet, sah auch ganz mager
aus, - oder aber wir sind machtig beriichtigt. Das Publikum war ja
anfangs wohl etwas verdutzt, ging aber mit. Die «Steffen» schlugen
auch ein; wie ein Versuch zum Applaus gemacht wurde, wurde aus
Andacht gezischt; beim Allegro von Mozart und weiterhin kam
dann Beifall. Wir haben ja dort nur 35 Mitglieder. Unsere Damen
und Herren waren bei Nicht-Mitgliedern untergebracht, lauter
Leuten aus guten Kreisen, und es gab ein gegenseitiges Entzuckt-
sein. Auch von der Eurythmie waren diese Leute und deren Freun-
de begeistert. Aber die Zeitungen! Die haben geschimpft, was das
Zeug halt, so ungefahr wie in Kristiania. Alles und jedes ware
schlecht und grasslich. Es tut mir nur leid, wegen der Frau
v. Brederlow, die bei naherer Bekanntschaft doch sehr gewinnt,
denn sie ist riihrend aufopferungsfreudig. Die paar Tapsereien, die
sie macht, geschehen nur aus Ubereifer, und man braucht einen
machtigen Eifer, um gegen die Welt von Widerstanden, da allein, so
weit weg, zu kampfen. Es sind, wegen Vergehen einiger iibler
Mitglieder, grofie Feindschaften gegen die Bewegung entstanden.
Groh hat auch nicht durchgehalten, ist wieder in Kristiania. Aber
die gute Frau v. Brederlow lasst den Mut nicht sinken; ihr Mann
ist auch ein netter Mensch. Clason und mich hatte sie im Hotel
Kurhaus am Meer untergebracht; wir waren fast alle in Zoppot.
Die paar Stunden Seeluft haben mir sehr gut getan.
Das Landestheater ist uns wieder genommen; das Kultusmini-
sterium hatte es nicht erlaubt. So brauche ich das Auto erst spater.
Wenn wir in der Landhausstrafie spielen, erst am 16. Sonst telepho-
niere ich aus Stuttgart, falls ich es friiher brauche.
Allerherzlichsten Dank fiir Deine lieben, lieben Briefe und herz-
lichste Gedanken. Marie
Landestrauer am Sonntag: 1. Marz 1925 fiir den am 28. Februar 1925 verstorbe-
nen deutschen Reichsprasidenten Friedrich Ebert.
«Trunkne Lied»: Aus «Also sprach 2arathustra» von Friedrich Nietzsche.
Fran v. Brederlow: Margarete v. Brederlow (1889-1980), Musikerin und Musik-
lehrerin in Danzig, Mitglied seit 1920, griindete den Danziger Zweig.
Zeitungen ... ungef'dhr wie in Kristiania: Anlasslich offentlicher Eurythmie-
auffiihrungen in Kristiania (Oslo) am 27. November und 3. Dezember 1921.
Groh: Annemarie Groh (1891-1976), Mitglied seit Januar 1913, Eurythmistin.
233 An Marie Steiner in Stuttgart
Freitag, 13. Marz 1925
Goetheanum, 13. Marz 1925
M. 1. M.
Herzlichste Geburtstagsgedanken sende ich Dir. Ich werde an die-
sem Tage viel denken an all das Schone, das in unserer gemeinsa-
men Arbeit war und ist und das mir ja jetzt stets so schon vor das
Seelenauge tritt, wenn ich es schildere. Ich kann Dir die Versiche-
rung geben, ich schildere dies mit Liebe.
Du telegraphiertest, dass Du das Auto erst am 16. brauchst. Es
wird dann da sein. Aber telephoniere, wenn es vorher notwendig
ist.
Und habe Dank fiir Deine Telegramme und Briefe. Ich bin froh,
dass alles so gut gegangen ist. Das Schimpfen der Blatter ist ja
gewiss unausstehlich. Aber die Hauptsache ware, dass sich unsere
veranstaltenden Leute nicht durch dieses Geschimpfe einschuch-
tern liefien, wie es ja leider in Christiania geschehen ist. Dein Wir-
ken ist jetzt ein so segensreiches. Hoffentlich greift es Dich nicht
allzustark an.
In Stuttgart scheint sich wieder gegen Unger etwas abzuwickeln.
Es wird an Dich herantreten. Doch Du wirst schon die rechte Stel-
lung finden. - Es ist ja selbstverstandlich, dass jetzt wahrend mei-
ner Krankheit solche Kreise wie z. B. die Waldorfschule selbstan-
dige Arbeit probieren miissen. Es geschieht ja schon in der Veran-
staltung der Tagung. Nun aber sollte durch Unger wahrend der
Tagung ein Vortrag gehalten werden. Den verunmoglicht der
Verwaltungsrat der Waldorfschule. Unger soil nicht wahrend der
Tagung der Waldorfschule einen Vortrag - fur die anthroposophi-
sche Gesellschaft, nicht fur die Tagung - halten. In diesem Stadium
schreibt nun der Stuttgarter Vorstand an den Dornacher Vorstand,
was getan werden soil. Wir hier von Dornach aus konnen aber
ganz unmoglich in einem so vorgeriickten Stadium in eine Sache
eingreifen, die eben zu dem Verhangnisvollen von Stuttgart gehort.
Ich kann daher dem Stuttgarter Vorstand nur schreiben lassen, dass
wir nicht eingreifen konnen. Das hindert naturlich nicht, dass Du
in Stuttgart dasjenige tust, was Du fur richtig haltst, wenn man mit
der Sache an Dich herantreten sollte.
Meine Liebe, ich mochte Dir nicht mit Kleinigkeiten kommen,
habe es auch bis jetzt vermieden. Doch nur, um Dich zu informie-
ren, falls von andrer Seite die Sache an Dich herantritt, schreibe ich
dies. Damit nur ja kein Missverstandnis entsteht. Es war nur zu
begreiflich, dass mein Appetit durch die oft erhohten Tempera-
turen usw. nicht in Ordnung ist und ich eine Zeitlang kaum essen
konnte. Nun sann in ihrer Giite, in der sie alles Mogliche fur mich
tun will, Dr. Wegman auf einen Ausweg. Und sie kam ungluckse-
liger Weise auf den: Frau Breitenstein von Wien kommen zu lassen.
Als mir Dr. Wegman das andeutete, sagte ich, das sei «Wahnsinn»
und sie diirfe das nicht tun. Frau Walther kocht ja, wie Du weiftt,
fur mich, und es ist kein Grund, eine Anderung eintreten zu lassen.
Nun - nach einiger Zeit wurde mir gesagt, dass Frau Breitenstein
doch komme. Ich verbot, dass sie kochte. Ich will gar nicht von ihr
gekocht haben, und alles bleibt beim Alten. Es ist ja auch wahnsin-
nig, zu glauben, dass es mir etwas niitzen soil, wenn in «wieneri-
scher Art fur mich gekocht wird». Ich will die Affaire nicht weiter
hier schreiben; aber ich wollte sie nur beruhren, damit Du nicht
vor etwas Unbegreiflichem stehst, wenn man Dir etwa in Stuttgart
sagt: Frau Breitenstein sei zum Kochen fur mich gekommen. Es ist
eben Unsinn, und man wird sich von Frau Breitenstein einige
Rezepte zum Scheine geben lassen. Kochen aber wird sie nicht.
Nochmals die allerherzlichsten Gedanken
von dem Dich liebenden Rudolf
Abs: Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel,
Canton Solothurn, Schweiz.
Dr. I. Wegman sendet herzlichste Geburtstagsgriifie. Sie freut sich
innig iiber Deine grofien Erfolge und mochte das besonders zum
Ausdrucke bringen. -
wenn ich es schildere: In den Goetheanum- Aufsatzen zu «Mein Lebensgang».
Frau Breitenstein: Amalie Breitenstein (1860-1942), Frau von Julius Breitenstein,
Mitglied in Wien seit Mai 1910.
234 An Rudolf Steiner in Dornach
Mittwoch, 18. Marz 1925
Heidenheim, 18. Marz 1925
Lieber E., so unglaublich lang her ist es, dass ich Dir geschrieben
habe. Stuttgart erwies sich, was es immer ist: man fliegt von einem
ins andre, oder von einem zum andern, und so kam es, dass ich Dir
immer in Gedanken schrieb, aber einen Bogen nicht ausfullen konn-
te. Von Furth aus bat ich, dass Dir ein Telegramm geschickt wiirde.
Furth war eine grofie Uberraschung fur uns. Es ist nach dem Lan-
destheater von Stuttgart vielleicht das schonste Theater, in dem wir
iiberhaupt gewesen sind, auch akustisch ausgezeichnet und von
bester Ordnung und Sauberkeit in den Regionen hinter den Kulis-
sen. Prachtvolle Beleuchtungsmoglichkeiten, -fasst 1200 Menschen,
und es war wieder ganz voll. Die Mitglieder sagten uns am andern
Tage, sie hatten nur begeisterte Aufierungen gehort.
In Stuttgart hat man uns also aus dem Landestheater wieder
herausgesetzt. Wir haben die zwei Faustvorstellungen in der Wal-
dorfschule abgehalten; einige meinten, man sehe dort besser, weil
die Biihne hoher sei; vielleicht kommen dort auch mehr fremde
Menschen hin, als in die Landhausstrafte. Es ist natiirlich dort alles
gut und glatt abgelaufen; wir hatten aufierdem auch noch eine
Vorstellung fur Mitglieder in der Landhausstrafte.
Ich habe mich nun verleiten lassen, auf Anregung einiger Lehrer,
eine Faustvorstellung fur die Schulkinder zuzusagen. Es war ver-
lockend zu denken, dass 800 Kinder einen Eindruck fur ihr Leben
davontragen konnten, der sie verhinderte, sogleich Geschmack an
Schunddarstellungen zu entwickeln. Man weifi ja, wie stark solche
Kindereindriicke sind. Freilich miissen wir deshalb aus Mannheim
nach Stuttgart wieder zuriickkehren. Aber ich fiihlte mich gezwun-
gen, auch aus einem andern Grunde es zu tun: der Eurythmie-
Schulauffuhrung wegen. Die findet am Vorabend der Tagung statt,
bietet manches sehr Erfreuliche, so dass es schade ware, sie ausfal-
len zu lassen. Aber die Rezitation ist unmoglich. So schien mir der
einzige Ausweg, die Rezitation von Frobose machen zu lassen. Aber
ich miisste die Sache uberwachen, da es sich um Gedichte handelt,
die er gar nicht kennt, - und ich miisste sehr vieles aus der Uber-
fiilie des Programms streichen, und das beste zusammenstellen,
wozu noch keine Zeit gewesen ist. - Als ganzes machte die Schule
aber wieder einen sehr erfreulichen Eindruck. - So wird es wohl
meine Pflicht sein, diese Vorstellung zu einer moglichst guten zu
machen. - Dann mochte mir Wagner einen Herrn bringen, mit dem
ich sprechen konnte iiber die Einreise-Erlaubnis meines Bruders[?].
- Fur die padagogische Tagungswoche haben sie aufter zwei
Eurythmie-Auffiihrungen noch einen Rezitationsabend von mir
erbeten. So drangt sich alles sehr zusammen, und es ist moglich,
dass ich nur au£ zwei Tage nach Dornach hiniiber konnte, urn we-
nigstens Dich kurz zu sehen.
Habe herzlichsten Dank fur Deinen lieben Brief und die trost-
reichen Worte, die Du mir sagst. Hoffentlich finde ich Dich jetzt
ein ganzes Snick vorgeschritten auf der Bahn der Gesundung.
Ich mochte Dir noch vieles schreiben, nicht blofi aufiere Tat-
sachen, aber das Auto stent wieder vor der Tiire und die Probe
muss beginnen. So hoffe ich diesen Brief bald fortzusetzen, und
sende Dir alle Liebe, von der mein Herz erfiillt ist. Marie
Frobose: Edwin Frobose (1900-1997), Schauspieler, Mitglied seit 1921. 1924-1949
Mitarbeiter und Sekretar der Sektion fur redende und musikalische Kiinste, seit
1945 Mitglied der Rudolf Stemer-Nachlassverwaltung.
235 An Marie Steiner in Stuttgart
Freitag, 20. Marz 1925
Goetheanum, 20. Marz 1925
M. 1. M.
Habe herzlichen Dank fur Deinen lieben Brief. Er hat mir innige
Befriedigung bereitet. Du musst alles das erledigen, ohne auf ande-
res Riicksicht zu nehmen als auf Deine Kraft und Deine Gesund-
heit. Ich schaue mit Bewunderung allem zu, was Du in solcher
Hingabe vollbringst. Ich bin in Gedanken bei Dir.
Was da durch die Auffuhrung fur die Kinder geschehen soil, ist
etwas tief Befriedigendes und Frohmachendes. Wie bin ich Dir
dankbar.
Meine Gesundung geht eben langsam. Hoffentlich komme ich
nur zur rechten Zeit zur Arbeit am Baumodell, dass da keine
Stockung eintritt.
In Stuttgart mischt sich doch in das sehr Schone, das sich da
entwickelt, immer wieder Schwieriges. Piper schreibt nach und nach
doch so blofi schimpfend, dass die Sache bedenklich wird. Sein
Artikel iiber den Professor in Frankfurt ist nur ein Schimpfartikel.
Und es geht aus keiner Zeile hervor, warum er schimpft. Denn es
fehlt jede Angabe, was der Professor gesagt hat. Mir ist diese Piper-
Sache sehr fatal. Denn Piper ist eine kiinstlerisch-poetische Natur;
und wir haben solche wahrlich nicht viele. Ich mochte ihm nicht
alle Lust an der Mitarbeit nehmen. Aber so, wie er jetzt sich ver-
halt, kann die Sache doch kaum weitergehen.
Ebenso ist mir die Affaire mit Unger sehr fatal. Man muss solche
Dinge im Zusammenhange betrachten.
Ich habe bei der Auflosung des Kommenden Tages fur del
Monte gesorgt, der, wenn ich nicht eingegriffen hatte, einfach auf
die Strafie gesetzt worden ware.
Fur Unger konnte ich nichts tun. Und so hat er, da seine Fabrik
verkauft worden ist, eine Summe bekommen, die fur ihn zum
Leben doch nur kurze Zeit reichen wird. Er miisste innerhalb der
anthroposophischen Gesellschaft in der Zukunft gestiitzt werden.
Aber was soil geschehen, wenn immer wieder diese Tendenz auf-
tritt, ihn eigentlich in der Gesellschaft unmoglich zu machen?!
Hoffentlich gehen Deine Veranstaltungen weiter gut; ich sende
Dir die besten Gedanken in aller Herzlichkeit Rudolf Steiner
Dr. Rudolf Steiner
Dornach bei Basel, Schweiz.
Piper: Dr. med. Kurt Piper (1875-1952), Arzt und Dichter. Lernte Rudolf Steiner
bei der medizinischen Woche Oktober 1922 in Stuttgart kennen und wurde von
da an standiger Mitarbeiter in Stuttgart. Redaktionstatigkeit fur verschiedene
anthroposophische Zeitschriften.
236 An Rudolf Steiner in Dornach
Montag, 23. Marz 1925
23. Marz 1925, Stuttgart
Lieber E., tausend Dank fur Deinen lieben Brief. Wir freuen
uns alle sehr auf den heutigen Abend. Hoffentlich wird das Getose
der Kinder nicht das Getose des Sonnenaufgangs ubertonen. Die
Lehrerschaft hat hernach die Eurythmie zu einer Unterhaltung
mit Tee eingeladen. - Wir haben eine Reihe sehr erfolgreicher
Abende hinter uns. - Heidenheim (voiles Haus), das uns als Kriti-
ken drei Hymnen eingebracht hat, - Karlsruhe, wo die Stimmung
eine sehr warme, mitgehende war (- Kritiken sind uns noch nicht
geschickt -), bis auf sehr wenige freie Stiihle in der letzten Reihe
der teuren Platze, war es dicht besetzt (1200 Menschen) - Mann-
heim verlief auch sehr gut; trotzdem Konfirmationsmorgen in der
Stadt war, gab es nur ganz hinten im langen Saal einige leere Rei-
hen. Bernhard Klein wurde u. a. konfirmiert, er besuchte mich (mit
Rosen) und bat Dich sehr zu griifien; auch in der Verwandtschaft
Leinhas, wo Flossy wohnte, war Konfirmationsfeier. Alles was wir
an Berichten bekommen iiber Ausspriiche fremder Zuschauer,
klingt sehr begeistert; es wird sogar behauptet, dass geweint wurde
bei der Faustszene in Mannheim. Fast ist es schade, dass zwischen
der padagogischen Tagung und heute nicht noch eine Vorstellung
hat stattfinden konnen: es waren vor allem Schuurmans, die wegen
ihres Hauses nach Dornach mussten. Mit ihnen entlieft ich dann
Savitch und de Jaager, da sie wegen der hiesigen Schulauffuhrung
entbehrt werden konnten. Es ist doch auffallend, wie gut die Dinge
zum Schluss gehen, und wie viel durch die Wiederholungen alle
gelernt haben. Die Urtraume, die wir zur padagogischen Tagung
geben sollen, sind natiirlich etwas vergessen worden. Die Frau
Lewerenz, die uns hat verlassen miissen, gehort dazu; am Samstag-
abend oder Sonntag muss es in Dornach gemacht werden, und dann
geht's gleich wieder nach Stuttgart. Morgen muss ich viel Proben
abhalten; erst mit den Stuttgartern, die in dem zweiten Teil unseres
Programms die grofien Gruppensachen auffiillen miissen. Dann die
Schiilerauffuhrung, - fur die so viel Material vorliegt, dass ich si-
cher nicht durchkommen kann. Fur einen Rezitationsabend habe
ich mich von Schwebsch auch noch breitschlagen lassen, nachdem
ich zuerst abgesagt hatte: ich will mich an die Pandora wagen. Aber
zu meinem Schrecken sehe ich, dass die Zeit wieder fur alles zu
knapp wird. Fast schon frage ich mich, ob ich nicht werde hier
bleiben miissen. Mittwoch hatte ich fahren wollen, Sonntag friih
miisste ich Dornach wieder verlassen. - Wenn's 3 Stunden Fahrt
waren, hatte ich nicht einen Augenblick gezaudert; aber wenn's
iiber den Schneewegen in den Bergen 8 Stunden werden sollen in
einem geschlossenen Auto, ist es mir wegen der Krafte etwas bang.
Die Entscheidung werde ich wohl morgen treffen, nachdem ich
gesehen haben werde, ob ich hier mit den Vorbereitungen fertig
werden kann. - Der Piper-Abend, der Samstag Abend stattfinden
sollte, wie wir's in der Vorstand-Sitzung hier beschlossen hatten,
ist verschoben worden, weil die Waldorfschule ein Konzert an die-
sem Abend hat; nun muss ich sehen, wie ich das richte, denn Piper
freute sich schon, und es ist vielleicht doch die beste Art ihn wieder
sanft zu machen. Schwebsch, der mich zur Pandora beredete, und
von dem ich einleitende Musik erbat, hat auch noch nicht die Zeit
und den Kopf dazu gehabt, um etwas vorzuschlagen. Wahrschein-
lich wird es doch eher Bruckner sein miissen, als Bach. Die Sache
soil in der Schule vor sich gehen, so dass wir nicht das Orgel-
Harmonium haben werden. Fur den Piper-Abend muss ich dage-
gen mit Arenson etwas abmachen, auf dem Harmonium, was auch
noch geprobt werden muss. So sehe ich mit Schrecken - wie immer
in Stuttgart, hunderterlei, was noch gemacht werden muss.
Die Frau Kolisko hat sich so innig an mich geschlossen. Ich
wusste ja gar nicht, dass sie seit lange diese Sehnsucht hatte. Nun
will sie mich zur Mutter haben, und so einer prominenten Tochter
muss ich ja wohl die gewiinschte Zeit geben.
Und all die Sprecher und Schauspieler! Hat man aber wieder
diesen schrecklichen, immer tiefer abwarts stiirzenden Verfall er-
lebt, wie jetzt wieder auf der Reise, so fuhlt man gar nicht das
Recht, sich der Moglichkeit einer Rettung jener Leute zu entzie-
hen. - Die Priester dagegen machen alle merkwiirdige Fortschritte
im Sprechen; das muss von dem Inhalt ihrer Kulthandlung her-
riihren.
Mit Unger find ich es so bedauerlich; es ist so viel Massen-
suggestion dabei im Spiel. Was von gewissen Prominenten, die sich
selbst so viel haben vormachen lassen, ausgesprochen worden ist,
kursiert nun in der Jugend herum wie ein Diktum. Rath z. B.
scheint neu Eintretenden zu erklaren, Unger sei ein Schadling der
Gesellschaft. Stein beruft sich immer auf Dich, wenn er Unger zur
Passivitat verurteilen will. Vielleicht miisste ich einmal mit den
Leuten reden. Oder nicht? Was denkst Du?
Ich muss schliefSen. Allerherzlichstes Marie
Sollte so ein Piper- Abend hier als ausgehend von der Sektion der
Redenden Kiinste oder vom Vorstand hier angekiindigt werden?
Was meinst Du?
Nachschrift auf Blatt 1:
Die Kinder in der Schule waren selig, fanden bloft die Vorstellung
zu kurz.
Bernhard Klein (1910-1988), jungster Sohn von Pfarrer Paul Klein, Mannheim.
Urtraume: «Chor der Urtraume», Dichtung von Fercher von Steinwand.
Frau Lewerenz: Rie Lewerenz (1899-1982), Dornacher Eurythmistin.
Schwebsch: Dr. Erich Schwebsch (1889-1953), Kunstpadagoge und Musik-Schrift-
steller. Von Rudolf Steiner 1921 an die Freie Waldorf schule Stuttgart berufen.
1945 aktiv bei der Wiedereroffnung der Stuttgarter Schule, dann Griinder und
Vorsitzender des «Bundes der Freien Waldorfschulen».
Pandora: Fragment von Goethe.
Frau Kolisko: Lilly Kolisko (1889-1976). Ab 1921 im biologischen Forschungsin-
stitut Stuttgart; fiihrte Versuchsreihen aufgrund von Anregungen Rudolf Steiners
aus: «Milzfunktion und Plattchenfrage», Stuttgart 1922 und «Physikalischer
Nachweis der Wirksamkeit kleinster Entitaten», Stuttgart 1923.
Stein: Dr. Walter Johannes Stein (1891-1957), seit Sommer 1913 Mitglied der
Anthroposophischen Gesellschaft, 1919 von Rudolf Steiner an die Freie Waldorf-
schule Stuttgart berufen. 1923-1928/29 im Vorstand der deutschen Landesgesell-
schaft. 1932 Ubersiedlung nach England.
237 An Marie Steiner in Stuttgart
Montag, 23. Marz 1925
Goetheanum, 23. Marz 1925
M. 1. M. Ich kann Dir wirklich nicht ausdriicken, wie ich Deine
hingebungsvolle Tatigkeit bewundere, und wie dankbar ich Dir fur
alles bin, was Du so segensreich vollbringst. Dass Du Dich auch
der Schule annimmst, ist besonders bedeutsam. Denn die Kinder
brauchen jetzt, da sie mich nicht sehen, Impulse. Und vor allem
bringst Du Kiinstlerisches in die Schule hinein, ein Element, das sie
so sehr braucht.
Beziiglich Deiner Frage wegen des Piper- Abends ware es ja wohl
gut, wenn er von der Sektion der redenden Kiinste ausginge. Ord-
ne, wenn es auch Dir richtig erscheint, die Sache einfach so an,
setze Deine Unterschrift mit dem Zusatz «Sektion der redenden
Kiinste» unter das Programm und fiige nur meinen Namen noch
hinzu.
Wenn Du allerdings auch noch die Zeit fandest, mit den Unger-
Gegnern zu reden, so konnte das gut sein. Wie die Sache steht,
habe ich Dir ja geschrieben.
Bei mir geht alles furchtbar langsam; ich bin eigentlich recht
verzweifelt liber diese Langsamkeit.
Ich mochte nicht, dass Du beschlielk, auf den Schneewegen hie-
herzufahren. Aber, um dieses zu besprechen, dazu kommt wohl
der Brief zu spat nach Stuttgart. Ich hoffe nur, ich hore bald, dass
Du diese iibermenschliche Anstrengung nicht unternimmst.
Leider bekomme ich von Horn recht schlimme Nachrichten.
Polzer, der ja ganz unvergleichlich hingebungsvoll in dieser Sache
wirkt, war draufien. Meine Schwester ist schon fast ganz erblindet.
Nun muss en Einrichtungen getroffen werden, die da notwendig
sind. Doch es ist alles in bestem Gang. Ich hoffe, dass unser medi-
zinischer Freund Dr. Glas, der einen Augenbefund in Horn macht,
in diesen Tagen einen genauen medizinischen Bericht schickt. Wie
gesagt, Polzer hat die Sache ganz energisch in die Hand genommen.
Hier — ich weifi nicht, ob ich die Sache schreiben soil, allein es
ist doch besser, wenn Du nicht ganz unwissend dariiber bleibst, bis
Du hierher kommst. Bei P. geht es wild zu. Er und sie werden nun
auf den Rat Dr. W.[egmans] einige Tage getrennt leben. Es scheint
einen ganz wilden Sturm gegeben zu haben. Er scheint um sich
geschlagen zu haben, wobei er sich so verletzt hat, dass er in der
Kl[inik] verbunden werden musste. Dabei scheint es ganz sicher zu
sein, dass auch Nachkommenschaft bevorsteht.
Ich habe Dich so lieb und sende Dir die allerbesten Gedanken
und herzlichsten Gefiihle Dein Rudolf Steiner
Dr. Rudolf Steiner
Goetheanum, Dornach bei Basel, Schweiz.
Polzer: Graf Ludwig Polzer-Hoditz (1869-1945), Mitglied seit April 1911. 1917
verwendete er sich fur Rudolf Steiners Dreigliederungsbestrebung bei der oster-
reichischen Regierung. 1919 bis 1921 fiir die Dreigliederungsbewegung in Oster-
reich tatig. Mit Griindung der osterreichischen Landesgesellschaft (Oktober 1923)
in deren Vorstand.
Dr. Glas: Dr. med. Norbert Glas (1897-1986), seit 1920 mit der Anthroposophie
verbunden. Aktiv in der anthroposophischen Jugendbewegung tatig. Emigrierte
1939 nach England.
238 An Rudolf Steiner in Dornach
Mittwoch, 25. Marz 1925, aus Stuttgart
25. Marz 1925
Lieber E., nun hab ich mich doch entschlossen hier zu bleiben, wie
schwer es mir auch geworden ist. Ich schaff's mit den Kraften nicht,
und die Angelegenheiten mit meiner Schule sind dann doch nur
wieder halb erledigt. Drei Tage hatt' ich bleiben konnen, aber au-
fierhalb des Schonen mit Dir, ware ich zerrissen worden. So will
ich denn lieber hier noch Krafte fiir die Tagung behalten. Meyer
fahrt nun zuriick mit Clason und Clara [Zibell], die sich in Dorn-
ach erholen soli. Er braucht mich dann auch nicht mehr abzuholen.
Die eine Fahrt zuriick werde ich schon im Zuge machen. Ich zahle
jetzt die Tage, die mich von der Riickkehr trennen, aber die Tagung
muss halt noch iiberstanden werden.
Die Kinder der Schule sollen entziickt gewesen sein von der
Vorstellung. Man erzahlt allerhand Hiibsches. -
Allerherzlichstes und Liebes von Marie.
meine Schule: Gemeint ist die Eurythmieschule in Stuttgart.
Am Sonntag, den 29. Marz tritt im Befinden Rudolf Steiners eine unerwar-
tete Verschlimmerung ein. Marie Steiner in Stuttgart wird am Abend, nach
22 Uhr, benachrichtigt mit der Versicherung, dass es nicht notig sei, sofort
zu kommen, man werde sie am nachsten Morgen wieder benachrichtigen.
Dies geschieht kurz vor 6 Uhr friih. Sie reist sofort ab, trifft aber Rudolf
Steiner nicht mehr lebend an. Um die Mittagsstunde - Montag, 30. Marz
1925 - geht die Nachricht der Schweizerischen Depeschenagentur in alle
Welt: «Der Leiter der anthroposophischen Bewegung Dr. Rudolf Steiner
ist heute um 10 Uhr vormittags im Alter von 64 Jahren gestorben.» Und
obwohl fiir Marie Steiner die Welt tot ist, seitdem er gegangen ist, wie sie
in dem folgenden Brief an die Schwester Rudolf Steiners schreibt, arbeitet
sie bis zu ihrem eigenen Tod unermiidlich weiter fiir sein Werk.
239 Marie Steiner an Leopoldine Steiner in Horn/Osterreich
Sonntag, 3. Mai 1925
3. Mai 1925, Dornach
Meine liebe Schwagerin,
verzeih mir, dass ich nicht friiher geschrieben habe. Ich war so
zerrissen und zermalmt von all dem, was geschehen ist, dass ich die
Kraft dazu nicht aufbrachte.
Jetzt sagen wir uns ja alle, dass wir zu hoffnungsvoll gewesen
sind, aber bei der ungeheuren Lebensenergie, die Rudolf immer
hatte, auch wahrend seiner Krankhek, hat er uns noch immer in
Hoffnungen gewiegt. Es schien ja gar nicht moglich, dass er gehen
konne, und keiner von uns hat es glauben wollen.
Seitdem er nicht mehr reisen konnte, habe ich ja mehr in der
Aufienwelt in seinem Sinne wirken miissen; wie schmerzlich das
auch war, so war es andrerseits, was ihn beruhigte: dass die Tatig-
keit nicht unterbrochen wurde. - Meine kranken Fiifie machten
mir auch die Pflege nicht moglich, die von Frau Dr. Wegman und
Herrn Dr. Noll in hingebungsvoller Weise durchgefuhrt wurde.
Aber tief, tief schmerzlich ist es fur mich gewesen, jetzt so viel weg
sein zu miissen.
Ich glaube, er hat sich einen zu starken Ruck geben wollen, um
gesund zu werden. Er schrieb mir, jetzt musse er gesund werden,
um wieder am Modell des neuen Baus zu arbeiten. Der Organis-
mus war schon zu erschopft, um diesen Ruck zu ertragen. Uberan-
strengung - durch die nie unterbrochene ubermenschliche Arbeit,
- und Unterernahrung, weil er ja nichts mehr vertrug, das hat wohl
die Gesundung unmoglich gemacht.
Aber die Welt ist tot, seitdem er gegangen ist.
Wie hat er sich noch gesorgt um Deine Augen, liebe Schwagerin;
er schrieb mir noch in einem seiner letzten Briefe dariiber, und
freute sich, dass die notige Vorsorge getroffen ware, um euch zu
helfen. - Er wiinschte, dass fur euch weiter gesorgt wiirde in dem
Sinne, wie er es bis dahin getan hatte. Und so hat sich denn Graf
Polzer bereit erklart, immer nach dem Rechten zu schauen, und
von mir hier das Geld in Empfang zu nehmen, das er euch dann
zuweisen wird. Er wird euch ja nun auch alles erzahlt haben, von
dem was sich hier zugetragen hat und was an Formalitaten noch zu
erledigen ist im Sinne der Schweizer Behorden, um das Testament,
das in Berlin liegt, in Kraft zu bringen. Es gibt unendlich viel zu
erledigen, was sich so angesammelt hat wahrend seiner Krankheit.
Ich schicke euch die besten Griifie und Wiinsche fur Deine
Besserung.
Allerherzlichst Marie Steiner
i
i
Anhang
Zu dieser Ausgabe
Personenregister
Reiseverzeichnis
Verzeichnis der Briefe und Dokumente
Ubersicht iiber die Reihe
Das lebendige Wesen der Anthroposophie
und seine Pflege
Ubersicht iiber die Reihe
Veroffentlichungen zur Geschichte und aus
den Inhalten der Esoterischen Lehrtatigkeit
Ubersicht iiber die Rudolf Steiner Gesamtausgabe
I
ZU DIESER AUSGABE
Eingliederung des Briefwechsels in der Gesamtausgabe:
Vom Gesichtspunkt der Gesamtausgabe wurden die Briefe Rudolf Steiners an
Marie Steiner-v. Sivers und an die verschiedensten Mitglieder der Anthroposophi-
schen Gesellschaft so wie seine Briefe aus der Zeit vor dem Beginn der anthropo-
sophischen Lehrtatigkeit in die Abteilung «Schriften - Veroffentlichungen aus
dem Nachlass» gehoren. Da sie jedoch fur die Geschichte der anthroposophischen
Bewegung und Gesellschaft von so wesentlicher Bedeutung sind, wurden sie in
die Abteilung «Schriften und Vortrage zur Geschichte der anthroposophischen
Bewegung und Gesellschaft - Das lebendige Wesen der Anthroposophie und
seine Pflege» eingegliedert (siehe die Ubersicht Seite 509f.).
Erweiterungen gegeniiber der Erstausgabe:
Die Erstausgabe erfolgte zum 100. Geburtstag Marie Steiners (14. Marz 1867). Die
Herausgabe besorgten Dr. med. H.W. Zbinden (gest. 1977) und Hella Wiesberger.
Damals wurden aus Riicksicht auf noch lebende Personen die Namen der meisten
in den Briefen genannten Personen und auch gewisse Passagen weggelassen. Dies
ist nunmehr hinfallig geworden. Fur die vorliegende Neuausgabe sind die Briefe
alle in ihrem vollen Wortlaut wiedergegeben. (Marie Steiner beginnt ihre Briefe
ofters ohne Anrede.) Aufierdem ist sie um folgende Dokumente erweitert worden:
1. Um einen Text Edouard Schures als Anhang zu den Aufzeichnungen Rudolf
Steiners, die als Einfiihrung dem Briefwechsel vorangestellt sind. Es handelt sich
dabei um einen Auszug aus der Einleitung Schures zu dessen franzosischer
Ubersetzung von Rudolf Steiners Schrift «Das Christentum als mystische Tat-
sache», durch die der Autor dem franzosischen Lesepublikum vorgestellt werden
sollte. Schure hatte sich dafiir entsprechende Angaben erbeten, als er von Rudolf
Steiner und Marie v. Sivers im September 1907 in Barr im Elsass besucht wurde.
Rudolf Steiner schrieb fur ihn damals als Arbeitsunterlage die drei Aufzeichnun-
gen nieder, documents de Barr genannt. Da in die Einleitung Schures jedoch
manches eingeflossen ist, was er damals noch miindlich von Rudolf Steiner gehort
hat, sind die in Betracht kommenden Passagen den Barr-Dokumenten angefugt
worden.
2, Der Briefwechsel selbst ist erweitert worden um einen Brief Marie Steiners an
Rudolf Steiner (28. Mai 1924), der erst im Jahre 1994 dem Rudolf Steiner- Archiv
zugekommen ist; ferner um zwei Briefe Rudolf Steiners an Edouard Schure, sowie
einige Briefe von Marie v. Sivers an verschiedene Freunde. Diese Briefe sind, um
die Nummerierung der Erstausgabe beibehalten zu konnen, chronologisch als
^-Nummern eingegliedert worden.
Zur Datierung der Briefe:
Eine Reihe von Briefen tragen kein Datum. In den meisten Fallen jedoch sind die
Briefe durch ihren Inhalt auf den Tag genau datierbar, zumeist durch Erwahnung
von Vortragen, deren Datum bekannt ist. Weniger genaue Datierungen durch die
Herausgeber sind gekennzeichnet. Neu aufgefundene Unterlagen und neuerliche
Priifung des Zusammenhanges der Briefe untereinander, besonders fur den Herbst
1923, fiihrten zu einigen Neudatierungen gegemiber der ersten Herausgabe.
Zur Textwiedergabe:
Alle Wortlaute einschliefilich der Interpunktion entsprechen genau den Origina-
len. Unterstreichungen sind kursiv wiedergegeben. Die Rechtschreibung wurde
nur behutsam an die heute ubliche angeglichen. Da Rudolf und Marie Steiners
Schreibweise viel mehr der neuen offizielien Rechtschreibung von 1998 als der
alten von 1901 entspricht, wurde hauptsachlich die neue verwendet.
Zu den Ubersetzungen aus dem Franzdsischen:
Die gesamte Einleitung von Schure zu seiner franzosischen Ubertragung von
Rudolf Steiners «Das Christentum als mystische Tatsache» findet sich in «Bei-
trage zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr. 42, Sommer 1973, ins Deutsche
iibersetzt von Robert Friedenthal. Diese Ubersetzung fiir den Text auf S. 28 ist
von Julius Zoll neu iiberpriift worden; ebenso die Friedenthal'sche Ubersetzung
aller Briefe von Marie v. Sivers an Schure. (Ihre Korrespondenz mit Schure wurde
ausnahmslos franzosisch gefuhrt.) Ihr Brief vom 7. August 1907 aus Rom wurde
von J. Zoll iibersetzt.
Zur Wiederga.be der Zeichungen in den Briefen:
Soweit es aus technischen Griinden moglich war, sind sie faksimiliert wiederge-
geben, ansonsten durch Nachzeichnungen.
Zu den Jahresiiberblicken:
Den Briefen jeweils eines Jahres wurde ein kurzer Jahresiiberblick vorangestellt,
um so einen wenn auch nur schwachen Eindruck von der immensen Fiille der
Aktivitaten und gesellschaftlichen Ereignisse des betreffenden Jahres zu vermit-
teln, von der die Briefe naturgemafi nur Partielles berichten.
Hinweise zu den einzelnen Briefen:
Wahrend in der ersten Ausgabe die Hinweise an den Schluss des Bandes gestellt
wurden, finden sie sich nun bei den Briefen selbst. Dadurch kann sich der Leser
iiber heute nicht mehr bekannte Vorgange und iiber die genannten Personen
sofort orientieren. Nachgewiesen ist alles, was eruierbar gewesen ist. Allgemein
bekannte Vorgange oder Personen, und auch solche, iiber die Naheres nicht
ermittelt werden konnte, sind normalerweise in den Hinweisen nicht erwahnt.
Nahere Angaben zu den einzelnen Personen finden sich meistens bei der erstma-
ligen Erwahnung in den Briefen; im Namenregister ist die betreffende Seitenzahl
kursiv hervorgehoben.
PERSONENREGISTER
Die Zahlen verweisen auf die Seite, auf der sich der betreffende Name findet.
Kursiv gesetzte Zahlen verweisen auf nahere Angaben zu der betreffenden Person.
Weiteres zu einem Teil der angefiihrten Personen kann man sich erschliefien
durch die Verweise im Personenregister im «Register zur Rudolf Steiner Gesamt-
ausgabe», erstellt von Emil Motteli, Dornach 1998.
Affolter, Regierungsrat 340
Ahner, Hermann 163, 195, 268
Aisenpreis, Ernst 375, 376, 389, 421
Aldinger, Maria 171, 172
Altmann, Max, Verleger 150, 164, 166, 172, 229, 244f, 273, 277
Annenkoff, Olga von 212, 214
Arenson, Adolf 63, 65, 67, 80, 94, 96, 123, 145, 172, 197, 210, 212, 461
Arenson, Clarita 67
Arenson, Deborah 67, 80
Bach, Herr, Stuttgart 94
Bach, Joh. Sebastian 41 8f, 461
Bachem, Max 272, 274
Bacon, Francis, Lord Verulam 40
Baravalle, Use von 382, 383, 393
Bart, Josef 171, 172
Batowska, Grafin 168
Bauer, Ferdinand 110
Bauer, Michael 197, 212, 214, 268
Bauer, Sophie 338, 340, 395, 397
Becker, Carl, Miinchen 58
Bedrnicek-Chlumsky, Jan 194
Beethoven, Ludwig van 41 8f
Benkendoerffer, Eugen 315ff, 318
Berendt, Elisabeth 162, 163
Berg, Bruno 39, 89
Besant, Annie 25f, 38ff, 41, 42, 45, 60, 64f, 70, 74ff, 95f, 104, 109, 115, 144,
148, 163, 166, 169, 174, 176-179, 190, 192, 207, 226, 248, 253, 257-260,
262-267, 269ff, 274, 278f
Binder, Theodor 421
Bischofswerder, Leopold, Notar 304, 307
Bismarck, Fiirst Otto von 106
Blavatsky, Helena Petrowna (HPB) 24f, 27, 37, 42, 44, 58, 68, 70, 80, 109-
114, 166, 168, 172, 266, 278, 288
Blech, Charles und Aimee, Paris 183, 187
Blytt, Eva, Oslo 24 8f
Boese, Louise 179, 180, 194
Boggiani, Gretchen 260
Bogojavlenskaja, Nina 383
Bohme, Edwin 38, 69, 70, 82, 94, 96
Boltz, Oscar 63, 96, 171, 172
Boos, Roman 319
Bovermann, Helene 228
Boyer, Otto 89
Brahms, Johannes 418f
Brandt, Margarete von 173
Braun, Clara 149, 150
Brederlow, Anton von 453
Brederlow, Margarete von 453, 454
Bredow, Eugenie von 151, 161, 163, 200, 205
Breitenstein, Amalie 455, 456
Breitenstein, Julius 255, 456
Bresch, Richard 39, 43ff, 46, 55, 58f, 65, 93
Breyer, Hans 171, 172
Bright, Esther, London 76, 180, 206, 207
Brockdorff, Graf Cay Lorentz von 35, 37f, 46, 68
Brockdorff, Grafin Sophie von 35, 37, 63, 68
Brodbeck, Heinrich 363
Bruckner, Anton 461
Biichenbacher, Hans 349, 350, 358, 378
Bunge, Hans, Student 79
Burke, Mrs. 99, 101
Buro, Paul 68
Biische, Ella 162, 163
Biktner, Carl 369, 373f
Calvari, Decio 68
Cardanus, Hieronymus 72, 73
Chopin, Frederic 418f
Christian Rosenkreutz 23f
Christlieb, Max 148, 149
Cimabue 451
Claretie, Germaine, Paris 398, 399, 401
Clason, Louise 41 Of, 412, 429, 453, 464
Collins, Mabel 76, 83, 163, 273
Collison, Harry 337
Cordes, John 258, 266
Cumberland, Herzogin Thyra von 341, 342
Dalberg, Wolfgang H. von 103
Danielson, Daniel, Norrkoping 264
Danielson, Frida 264
Decken, Claus von der 405, 418
Deinhard, Ludwig 39, 41, 45, 54, 55-59, 63, 65, 69f, 78, 90, 95, 262
Donath, Annemarie 333, 334, 402, 409, 411, 414, 418
Donner, Uno 337
Doser, Otto 230
Drago, Fiirstin Elica del 204
Drescher, Ursula 366, 371, 372, 380
Drews, Arthur 99
Dubach, Helene 329, 344, 382
Dumont, Louise 444
Dunkhase, Adelgunde 266
Dziubaniuk, Ella 346
Eckhardtstein, Imma von 222, 223, 226
Eckinger, F., Kantonsrat Solothurn 340
Eggers, Wilhelm 250
Ehmek, Emmy 297, 298
Eisenberg, Otto 443, 444
Emmel, Felix 444
Engel, Julius 39, 131, 132
Eriksen, Richard, Oslo 247, 248
Ernst, Edmund 435, 436
Fanta, Berta, Prag 273, 274
Fechner, Gustav Theodor 106, 108
Felber, Emil, Verleger 278
Feldner, Jakob und Antonie 77f, 79
Fels, Alice 329, 330
Fichte, Johann Gottlieb 15, 29
Fiedler, Ernst, Verleger 1 96f
Fischer, Herr, Waldorf-Astoria 313
France, Raoul Heinrich 78, 80
Friese, Heinrich 78, 80
Frobe, Irma und Robert 278
Frobose, Edwin 457, 458
Fuchs, Hugo, Gottingen 314
Fugger von Glott, Grafin Amelie 197
Gantenbein, Bernhard 364f, 367f, 372, 379
Geering-Christ, Elisabeth 174
Geering-Christ, Rudolf 68, 117, 118, 119, 144
Gervinus, Georg Gottfried 17
Giotto di Bondone 451
Gisevius, Dr. med., Berlin 235f
Glas, Norbert 463, 464
Gliickselig, Herr, Stuttgart 94
Gnadinger, Franz 353, 355
Goethe, Johann Wolfgang 17f, 21, 35, 89, 98f, 106, 217, 282, 324, 357, 384,
394, 450
Goldacker, Dagmar von 354, 355
Graser, Gusto (Gras) 119, 120, 142
Grashoff (Max Heindel) 229
Gravell, Paul 162, 163, 173
Grazie, Marie Eugenie delle 18
Grimm, Herman 19
Grimm, Jacob und Wilhelm 17, 30
Groh, Annemarie 453, 454
Grosheintz, Emil 68, 254, 398, 399, 401 f, 448
Grosheintz-Laval, Nelly 448
Grunelius, Andreas von 324, 328, 342
Grunwald, Sozialdemokrat, Berlin 73
Gumppenberg, Emmy von 78, 99, 101
Gumppenberg, Marika von 99, 101
Gunnarsson, Anna Wager 263, 264
Guyau, Jean Marie 24
Gysi, Alfred 67, 68, 119, 142
HaaG-Berkow, Gottfried 419
Haddon, Janet 403, 405
Haeckel, Ernst 18, 20, 49, 52, 103, 106, 117f
Haefliger, Anna 206, 207
Hallo, Hermann S. 82
Halt, Herr, Chauffeur 329, 333f, 404
Hamerling, Robert 281, 419
Handel, Georg Friedrich 41 8f
Harder, Hugo 82
Hartmann, Eduard von 99
Hartmann, Franz 38, 67, 68, 69, 72, 82, 132, 278
Hauler, Konradin 316, 318
Hayns Erben, Druckerei Potsdam 73, 93
Hebbel, Christian Friedrich 450
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 15, 29, 288
Heindel, Max 228
Hemsoth, Martha 426, 427f
Henning, Horst von 49, 51, 52, 149, 208
Henning, Wilfried von 208
Hensel, in Hildesheim 403
Herder, Johann Gottfried 412
Heredia, Jose Maria de 383
Hermann, Max 219
Herzberg, Erich von 172, 174
Hilverkus, Emilie 228
Hintze, Oscar 164, 165
Hirter, Johann 319
Hirter- Weber, Marie 68
Hoffmann, Eveline und Oscar von 1 61 f, 163
Hoffmann, Gertrud, Berlin 371, 377
Hofstetten, Rosa von 90, 91
Hohlenberg, Johannes 337
Holderlin, Friedrich 288
Hollenbach, Johanna H. 383
Holten, Henriette von 39
Hooper, Ivy, London 43, 45
Hossfeld, Friedrich 403, 405
Hiibbe-Schleiden, Wilhelm 39, 41, 43, 45, 46, 54f, 60, 94, 143, 149, 159f, 163,
173, 250, 258, 262, 269f, 273f
Hubo, Bernhard 39, 43f, 46, 75f, 95, 119, 121f, 159ff
Huschke, Otto 78, 79, 145
Husemann, Friedrich 331, 332
Iff land, August Wilhelm 103
Ingera, Karl 337
Ith, Arnold 313
Jaager, Isabella de 382, 383, 393, 460
Jaatinen, Frl. Lotti 215
Jacob, Sophie 224, 225, 228
Jacoby, Frau Stadtrat, Berlin 347
Jenny, Paul 12
Jinarajadasa, C. 174
Johannes der Evangelist 192
Judge, William Q. 70, 71
Justman, Jacob, Holland 228
Kalckreuth, Grafin Pauline von 63f, 70, 72, 78-81, 85, 91, 99, 118, 147, 149,
155, 158, 196, 205, 217f, 234, 246, 254, 262, 276, 282, 359, 363
Kamensky, Anna lOOf, 102
Kamisch, Frl. 425
Kant, Immanuel 15, 29
Keightley, Bertram 37f, 41, 42, 45, 74, 76, 86
Kellenberg-Gerber, Lina 272, 274
Keller, Elisabeth 81, 82, 284, 286, 296, 306, 310
Kerr, Alfred 412
Keyserlingk, Graf Carl Wilhelm von 316, 318, 364, 366, 406, 422
Keyserlingk, Grafin Johanna von 338, 406
Kiem, Friedrich 84, 97, 104, 140, 149, 152
Kinkel, Alice 173, 174, 275, 371
Kisseleff, Tatiana 323, 324, 382, 384, 405
Kleeberg, Ludwig 76, 79, 102
Klein, Bernhard 460, 462
Klein, Paul 260, 276
Klenk, Georg 212, 213, 214
Knauer, Sigfried 340, 341
Knispel, Anna 215, 216, 286, 296, 306, 346
Knoch, Ida, geb. Wagner 259, 260
Knos, Arvid, Stockholm 248
Kogutzki, Felix 16
Kolbe, Adolf 39, 159, 161
Kolisko, Eugen 324, 333, 334
Kolisko, Lilly 331f, 461, 462
Krause, Margarethe 381, 382
Kreisler, Fritz 419
Kretschmar, Paul Arthur 330
Krishnamurti, Jiddu 257, 271, 279
Krojanker, Paul 163
Kuhn, Carl 246f, 248, 277
Kuhne, Walter 303
Kully, Max 398, 399, 401
Kiinstler, Eugen 222f
Kiinstier, Maud 150, 205f, 222f
Kiirschner, Joseph 17, 367, 372
Kux, Ralph und Willi 350
Laistner, Ludwig 19
Lang, Franz, Wien 22 If
Langen, Martha 208
Lassalle, Ferdinand 106, 108
Last, Ludwig, Wien 194
Lauweriks, J. L. M. 89, 178, 268
Laval-Ramsey er, Adele 448
Leadbeater, Charles W. 41, 76, 178, 207, 257, 278
Lehmann, Bertha (s. auch B. Reebstein) 212, 213, 272, 284, 286, 296, 306,
310, 353
Lehmann, Helene 296, 306, 310, 338, 344, 352, 353, 382
Lehrs, Ernst 432f, 434
Leinhas, Emil 304, 315, 317, 460
Leinhas, Olga 362, 363
Leinkauf AG, Joseph J. 352, 373
Leisegang, Hans 367, 372
Lerchenfeld, Graf Otto von 217, 302, 397
Leskoff, Nina 378, 379
Lewerenz, Rie 460, 462
Liebknecht, Wilhelm 73
Linde, Hermann 217
Lindemann, Ludwig und Erdwine 81, 82, 162
Liszt, Franz 187
Locella, Marie von 224, 225
Liibke, Helene 49, 51, 54, 59, 61, 87, 123, 149, 164
Lupschewitz, Martin 285, 286
Mackenzie, Isie 411, 412
Maier, Alfred 316, 318
Manes 24
Mangold, Paul 230
Manz, Alfred 100, 102, 110
Martha (unbekannt) 123
Marx, Karl 106
Marx, Max, Waldorf-Astoria 313f
Mayne, Carola 55f, 58
Mead, George R. S. 38, 177, 178
Meebold, Alfred 63
Megerle, Wilhelm von 68, 71, 79, 80
Meister Eckhart 23
Mendelssohn-Bartholdy, Felix 384
Meyer, Hugo, Chauffeur 410f, 412, 414, 428, 431, 439, 443, 464
Meyer, Rudolf, Berlin 356f, 359, 361, 363-370, 373ff, 379ff, 425
Michaelis, Georg 418
Michels, Clara 197
Milek, Paula 218, 219, 255f, 270
Minsloff, Anna 122, 124, 216
Mitscher, Kathe 350, 351, 353, 382, 384, 394
Molnar, Ilona von 342, 344
Molt, Emil 303, 313f, 315, 316-319, 325
Moltke, Eliza von 195, 331, 332, 379, 381
Moltke, Grafin Ella von 159, 161
Moltke, Helmuth von 161, 194, 195, 332
Monges, Henry 337
Monte, Jose del 90, 91, 171, 313, 315-318, 354, 459
Morck, Dietrich 68, 69, 81
Morgenstern, Christian 282, 283, 346, 411, 419
Morike, Eduard 338, 394, 41 8f, 427
Mozart, Wolfgang Amadeus 453
Miicke, Johanna (Muck) 37, 140, 155, 198, 212, 214, 245ff, 265, 283, 296, 298,
303, 305f, 310, 317, 334, 344ff, 360, 366, 368f, 371, 380, 385f
Miiller, Curt Richard 163, 260
Miiller, Emil 250, 251
Miiller, Josef 78, 80
Miiller, Martha 281, 282, 403, 405
Miillner, Laurenz 18
Munch, Charlotte 428
Munch, Martin 364-370, 372, 374, 379, 381, 427f, 438
Mund, Emil 366, 372, 403
Munz, Mme, Belgien 337
Nab, Franz 117, 118, 148, 165
Newton, Isaac 357
Nietzsche, Friedrich 19f, 24, 35, 454
Noll, Frieda 443
Noll, Ludwig 39, 149, 150, 333, 389, 408, 413, 416f, 420, 425, 429, 443f, 466
Noss, Gertrud 351
Oberholzer, Emmy 119, 120
Oehler, Paul 205f, 235
Oeser, Chr. 17
Olcott, Henry Steel 24, 38, 43, 44, 45, 55, 58f, 70, 76, 169, 173f, 176f
Oppel, Adolf M. 39, 81, 95, 171f
Ortengren, Helmer 264
Ostermann, Alfred 117, 122, 124, 143, 173f, 206
Pantenius, Frau, Pfalzburg 68
Pascal, Th., Paris 183, 187
Paulus, der Apostel 98, 145
Paulus, Doris und Franz 80, 81, 85, 172
Peelen, Johanna und Jan Hendrik 300
Peipers, Cecile 162
Peipers, Felix 92, 104f, 162, 217, 261
Penzig, Otto, Genua 227, 262
Perrin, Verleger, Paris 200ff
Petersen, Frau, Hannover 366f
Pfeiffer, Ehrenfried 342, 344
Pfundt, Friedrich 90, 91
Philo von Alexandrien 192
Piper, Kurt 458, 459, 46lff
Pissarew, Helene 101, 102
Polman-Mooy, J. 261
Polzer-Hoditz, Graf Arthur von 302
Polzer-Hoditz, Graf Ludwig von 302, 463, 464, 466
Pottschacher, Karl 396, 397
Prozor, Graf Maurice 61, 62, 143
Pugnani, Gaetano 419
Piitz, Gertrud 383
Pyle, William Scott 214, 467
A 01
Raatz, Paul 376, 379
Raether, Hans 365f, 368, 370, 372, 379, 409f, 427, 438
Raffael 451
Rainer, Julius von 213, 220, 221, 255f, 276
Rath, Wilhelm 365, 369, 371, 372, 375, 377-380, 384ff, 461
Rathey, Hedwig 284, 286
Reden, Thekla von 250
Reebstein, Bertha (s. auch B. Lehmann) 12, 313, 317, 353
Reebstein, Otto 213, 313
Reif-Busse, Martha 220, 221, 255
Reitan, Livy 209
Reuss, Theodor 131, 132
Richard von St. Victor 23
Rietmann, Otto 119, 120, 142, 342
Rihouet-Coroze, Simonne, Paris 352, 353
Rifimann, Frau Minna 77, 79
Rittelmeyer, Friedrich 321, 324, 331, 404, 447, 449
Ritter, Herr, Eisenach 397
Ritter, Marie 219
Robert, Mme Armand, Paris 398
Rochling, Helene 275, 276, 285, 297, 317, 328, 333
Rohan, Prinzessin Maria de 69
Roschl, Maria 395, 396, 432f
Rossetti, Dante Gabriel 396
Riidiger, Gustav 39
Sachs & Wolff siehe: Wolff & Sachs
Samain, Albert 383
Samweber, Anna (Sam) 12, 283, 364, 368f, 372, 380
Samyslowa, Olga 411, 412
Sauerwein, Alice 337
Sauerwein, Jules 183, 187, 398, 401
Savitch, Marie 382, 383, 384, 393, 411, 418f, 460
Schallert, Katherine 246, 247
Scharlau, Gustav 159, 161
Schelling, Friedrich W. J. 15, 29
Schenk, Herr, Niirnberg 394, 396
Schewitsch, Helene von 78, 79, 85
Schieb, Marie 68
Schiller, Friedrich von 17, 93, 97, 99, 101, 103-106
Schlegel, Emil 132, 235, 236
Schmeling, Dorothee von 228
Schmid-Curtius, Carl 354, 355, 362
Schmidt, Frau, Berlin 147
Schmidt, Helmuth 371, 373, 375, 385
Schneider, Carl 234f
Scholl, Mathilde 64, 74, 76, 84, 88f, 123, 150, 161f, 178, 205, 222f, 228, 255f,
258, 261, 263, 270, 394
Schorsch (unbekannt) 140
Schroder, J. G. W. 276, 277
Schroer, Karl Julius 17, 30
Schumann, Robert 418, 419
Schure, Edouard 14, 28, 36, 38, 42, 44, 74, 84, 96, 114, 121, 133f, 155, 161,
165f, 169, 180, 188, 200-204, 207, 217, 226, 245, 252, 257, 277, 288f, 302
Schuster, Hugo 117, 118, 119, 144, 174
Schuurman, Maria Ina 393, 394, 442, 460
Schuurman, Max 394, 399, 400, 404, 419, 442, 460
Schwab, Friedrich 81, 82, 97
Schwebsch, Erich 460f, 462
Schwebsch, Felicia 246
Schweitzer, Albert 147
Schwend, Friedrich 82, 171, 172
Schwetschke, Verleger 277
Scott, Julia, Florenz 68f
Seefeld, Wilhelm 283, 286
Selander, Eduard 231ff, 238, 246, 248
Sellin, Albrecht W. 121, 122, 246f, 262
Selling, Clara (Wiesel) (s. auch Cl. Walther) 151, 165, 166, 178, 199, 209, 215,
286
Selling, Karin 380
Selling, Wilhelm 152, 155, 165f, 178f, 358, 366, 379f, 384, 386
Shakespeare, William 412, 424, 427
Simons, Friedel 382, 383
Sinnett, Alfred P., London 25, 27, 90, 91, 177
Sintenis, Elsbeth von 246
Sivers, Caroline von (Mutter) 74, 185, 247f
Sivers, Olga von (Olia, Schwester) 74, 80, 155, 185, 247f, 281f, 305f, 310
Sladeczek, Antonie 284f, 286, 296, 306, 310
Smits, Clara 89, 228, 290, 318
Smits, Lory 89, 253, 290, 316f, 318
Solowjow, Wladimir S. 102, 383
Sommerfeld, Lothar 356, 358f, 377
Sonklar, Alice von 173, 174, 266
Sonklar, Flossy von 174, 362, 363, 460
Specht, Pauline 194, 195
Speiser, Herr 90
Spiller, Agnes 354, 355, 382
Spink, Kate, London 150
Sprengel, Alice 181, 234
St. Victor siehe Richard von St. Victor
Stammer, Hans Heinrich C. 354, 355
Stavenhagen, Bernhard 182, 186, 187
Steffen, Albert 336, 382, 383, 389, 398, 401f, 409, 412, 415f, 419-424, 439,
449-453
Steidelmiiller, Felix 251
Stein, Walter Johannes 462
Steiner, Anna (Gemahlin) 42, 44, 148, 188, 224, 244, 249
Steiner, Eltern und Geschwister 141, 175, 188, 219, 224, 244, 265, 294, 298f,
309f
Steiner, Franziska (Mutter) 76, 299, 305f
Steiner, Gustav (Bruder) 76, 244, 305f
Steiner, Johann (Vater) 76, 219
Steiner, Leopoldine (Schwester) 76, 305f, 463, 465
Steinsvik, Marta 209
Stinde, Sophie 63f, 70, 72, 78ff, 85, 147, 149, 155, 158, 196, 212, 215, 217,
246, 254, 262, 276, 282, 359, 363, 399
Stollberg, I. G., Miinchen 21 8f
Stofiinger, Juliane 212, 214
Strauch-Spettini, Maria von 46
Stryczek, Paula 159, 160
Stuten, Jan 394, 396f, 400f, 418, 430, 432, 442
Suphan, Bernhard 19
Suter, Eduard 254
Svardstrom, Schwestern 363
Tachauer, Edle von Clarheim, Hedwig und Clara 193, 194
Tartini, Giuseppe 400, 418f
Tauler, Johannes 23
Thomas von Aquin 191
Tiberg, Johann Friedrich, Hammerfest 228
Tingley, Katherine, USA 94, 96
Tode, Frau, Hamburg 121
Tolch, Marie 346, 347, 385
Tolstoi, Lew N. 106
Treitschke, Heinrich von 19
Trinchero, Giuseppe 420, 421
Trine, Ralph Waldo 148
Tschirschky, Gertrud von 173, 174, 208
Tschudi, Jaques 68
Uehli, Ernst 304, 314, 324
Uhland, Ludwig 17, 46
Unbekannte aus dem Oberland 23
Unger, Carl 197, 210f, 268, 286, 304, 306, 310, 345, 364ff, 369, 374, 379, 455,
459, 46lff
Vacano, Hariet von lOOf, 102, 181, 267
Vegelahn, Walter 212, 214
Vietinghoff, Mischka von 350, 351
Voigt, Andreas 164, 165
Vollrath, Clara 256, 257, 259f
Vollrath, Hugo 162, 163, 196f, 229, 257, 259, 278
Vorbeck, Therese (Resi) 409, 412
Vreede, Frau Elisabeth Jacoba 270, 272
Vreede, Frl. Elisabeth 269, 270, 345, 353, 433
Wachsmuth, Guenther 345, 346, 355, 357, 358ff, 362f, 389, 421, 433-436, 445
Wachtmeister, Graf Axel 79f
Wachtmeister, Grafin Constance 80
Wagner, Frl., Quedlinburg 366, 372
Wagner, Gxinther 39, 45, 67f, 141, 143, 144, 161ff, 259f
Wagner, Otto 313, 457
Wagner, Richard 186f
Waldherr, Julia 365, 370
Walleen, Baron Alphons 247, 248
Waller, Oda 262, 276
Waller-Pyle, Mieta 204, 212, 214, 217, 226, 230ff, 256, 267, 275f, 278, 280,
282, 289f, 298, 305f, 308, 310, 317, 333f, 342, 344f, 349-354, 358, 360,
362, 381, 389, 404, 406, 413, 421
Walliser, Kantonsrat Solothurn 340
Walther, Clara (Waus) (s. auch CI. Selling) 286, 306, 308, 310, 344f, 359, 455
Walther, Kurt 166, 286, 308, 344, 357, 359, 364, 366, 379f, 386
Wandrey, Camilla 210, 211, 224f
Wangenheim, Gertrud A. von 63, 69, 70
Ward, Edith, London 206f
Weber, Frl. M., Godesberg 162, 163
Wegman, Ita 119, 120, 378, 389, 398, 401, 407f, 412ff, 416f, 420f, 424f, 429,
447, 455f, 466
Weiler, Otto 178, 179
Weifibrod, Anna 110
Weifihaar, Hans 96
Wendel, Karl 346, 347
Werbeck, Louis 363f, 367ff, 372, 398, 401f, 427
Werner, Frl., Berlin 366
Winkler, Elisabeth 285, 286, 369
Wittenstein, Geni, Barmen 411, 418
Wobcken, Gustav 150
Wolff & Sachs, Agentur 321f, 328, 409f
Wolfram, Elise 161f, 163, 196, 256, 260
Wollisch, Vittoria 199, 200
Wundt, Wilhelm 106, 108
Yarker, John 132
Zaiser, Gerlinde 349, 350, 358, 378
Zavrel, Franz 132
Zawadzki, Casimir 196, 197, 207
Zeiflig, Alfred 194
Zeylmans van Emmichhoven, Willem 337
Zibell, Clara 331, 332, 382, 464
Zibell, Olga 313, 315, 332, 344, 352, 413, 420, 426
Zitkowsky, Wilhelm von 341, 342
REISEVERZEICHNIS
Ubersicht iiber die Reisen Rudolf Steiners und die Gastspielreisen Marie Steiners
mit der Eurythmiegruppe, bei denen die vorliegenden Briefe geschrieben wurden.
Brief Nr.
2, 3 Reise Rudolf Steiners im Juli 1902:
Berlin- Hannover -London (Theosophischer Kongress) -Briissel-
Paris - Diisseldorf - Koln - Kassel - Hannover - Berlin
5-9 Reise Rudolf Steiners vom 15.-22. April 1903:
Berlin- Weimar- Leipzig (Besuch bei Bresch) - Berlin
10 Reise Rudolf Steiners vom 20.-22./23. November 1903:
Berlin - Weimar - Koln - Berlin
11-13 Reise Rudolf Steiners vom 7.-28. April 1904:
Berlin - Stuttgart - Miinchen - Zurich (Zusammentreffen mit
M. v. Sivers) - Lugano - Stuttgart - Miinchen - Niirnberg - Berlin
14, 15 Rudolf Steiner hielt sich vom 16.-23. August 1904 bei M. v. Sivers,
deren Mutter und Schwester im Ostseebad Graal auf.
16, 17 Reise Rudolf Steiners vom 18.-30. November 1904:
Berlin - Niirnberg - Regensburg - Miinchen - Stuttgart - Karlsruhe -
Heidelberg - Koln - Diisseldorf - Berlin
20, 21 Reise Rudolf Steiners vom 3.-13. Januar 1905:
Berlin - Stuttgart - Miinchen - Stuttgart - Niirnberg - Jena - Weimar -
Berlin
22 Reise Rudolf Steiners vom 16.-20. Januar 1905:
Berlin - Koln - Godesberg - Bonn - Diisseldorf - Berlin
23 Reise Rudolf Steiners vom 10.-15. Marz 1905:
Berlin - Niirnberg - Regensburg - Miinchen - Berlin
24 Reise Rudolf Steiners vom 17.-22. Marz 1905:
Berlin - Bonn - Koln - Diisseldorf - Elberfeld - Berlin
25-29 Reise Rudolf Steiners vom 3.-19. April 1905:
Berlin - Stuttgart - Hannover - Hamburg - Miinchen - Karlsruhe -
Mannheim — Heidelberg - Kassel — Weimar — Berlin
30-32 Reise Rudolf Steiners vom 25. April bis 1. Mai 1905:
Berlin - Koln - Diisseldorf - Kassel - Berlin
33 Reise Rudolf Steiners vom 6.-1 O.Mai 1905:
Berlin - Freiburg i. Br. - Munchen - Berlin
34-36 Reise Rudolf Steiners vom 10.-15. November 1905:
Berlin - Munchen - St. Gallen - Zurich - Basel - Frankfurt - Berlin
37-40 Reise Rudolf Steiners vom 18.-22. November 1905:
Berlin - Hamburg - Colmar - Strafiburg - Colmar - Freiburg i. Br. -
Berlin
41, 42 Reise Rudolf Steiners vom 25. November bis 4. Dezember 1905:
Berlin - Niirnberg - Stuttgart - Tubingen (Besuch bei Emil Schlegel) -
Heidelberg - Karlsruhe - Koln - Elberfeld - Diisseldorf - Berlin
43-47 Reise Rudolf Steiners vom 3. Januar bis 6. Februar 1906:
Berlin -Budapest - Horn/Osterreich iiber Munchen und Lindau nach
St. Gallen, wo die erste Vortragsreise von 1906 begann:
St. Gallen - Zurich - Lugano - Basel - Colmar - Strafiburg -
Stuttgart - Munchen - Frankfurt - Marburg - Frankfurt - Kassel -
Weimar - Dresden - Berlin - Leipzig - Berlin - Hannover -
Hamburg - Bremen - Berlin
48 Reise Rudolf Steiners vom 9.-14. Februar 1906:
Berlin - Diisseldorf - Elberfeld - Diisseldorf - Koln - Bonn - Koln -
Berlin
49 Dieser Brief vom 14. August 1906 bezieht sich auf einen Aufenthalt
M. v. Sivers in Donndorf in der Nahe von Bayreuth, wo auch Rudolf
Steiner einige Tage weilte. Sie besuchten zusammen in Bayreuth eine
Parsifalauffuhrung. Rudolf Steiner reiste zwischendurch nach Berlin
und holte M. v. Sivers dann am 21. August ab zur gemeinsamen Weiter-
reise nach Stuttgart, wo am 22. August 1906 der Vortragszyklus «Vor
dem Tore der Theosophie» begann.
50 Reise Rudolf Steiners vom 15.-20. November 1906:
Berlin - Hannover - Hamburg - Bremen - Berlin
51, 52 Reise Rudolf Steiners vom 27. November bis 12. Dezember 1906:
Berlin - Diisseldorf - Elberfeld - Koln - Bonn - Frankfurt -
Heidelberg - Stuttgart - Munchen - Berlin
53 Reise Rudolf Steiners vom 11.-23. Januar 1907:
Berlin - Leipzig - Kassel - Stuttgart - Karlsruhe - Erlangen -
Niirnberg - Dresden - Berlin
54 Reise Rudolf Steiners vom 1.-13. Februar 1907:
Berlin - Hannover - Heidelberg - Karlsruhe - Basel - Bern -
Strafiburg - Hamburg - Weimar - Berlin
56 Reise Rudolf Steiners vom ca. 20.-26. Februar 1907:
Berlin - Wien - Prag - Budapest - Berlin
57 Reise Rudolf Steiners vom 6.-12. Marz 1907:
Berlin - Koln - Bonn - Diisseldorf - Koln - Elberfeld - Berlin
60, 61 Reise Rudolf Steiners vom 1./2.-12. November 1907:
Berlin - Prag - Wien - Graz - Klagenfurt - Berlin
62 Reise Rudolf Steiners vom l.-ll. Dezember 1907:
Berlin - Niirnberg - Munchen - Stuttgart - Berlin
63 Reise Rudolf Steiners vom 10.-23. Januar 1908:
Berlin - Leipzig - St. Gallen - Munchen - Budapest - Berlin
64 Reise Rudolf Steiners vom 16.-26. Februar 1908:
Berlin - Leipzig - Weimar - Kassel - Bielefeld - Hannover - Berlin
65 Reise Rudolf Steiners vom 30. Januar bis 10. Februar 1909:
Berlin - Strafiburg - Freiburg i.Br. - Miilhausen i.E. - Basel - Bern -
Stuttgart - Berlin
66 Reise Rudolf Steiners vom 18.-28. Februar 1909:
Berlin - Leipzig - Erfurt - Weimar - Eisenach - Kassel - Koln -
Elberfeld - Berlin
67 Reise Rudolf Steiners vom 12.-22. November 1909:
Berlin - Stuttgart - Bern - Zurich - St. Gallen - Berlin
68, 69 Reise Rudolf Steiners vom 22.1Tb. Januar bis 2. Februar 1910:
Berlin - Strafiburg - Freiburg i.Br. - Karlsruhe - Heidelberg -
Mannheim - Heidelberg - Pforzheim - Horn/Osterreich - Berlin
70 Reise Rudolf Steiners vom 11.-16. Februar 1910:
Berlin - Dresden - Weimar - Frankfurt - Wiesbaden - Frankfurt -
Berlin
71, 72 Reise Rudolf Steiners vom 19.-28. Februar 1910:
Berlin - Diisseldorf - Bonn - Koblenz - Koln - Elberfeld - Koln -
Essen - Berlin
74 Reise Rudolf Steiners vom 18.-22. November 1910:
Berlin - Dresden - Leipzig - Berlin
75, 76 Reise Rudolf Steiners vom 21.-24. Januar 1911:
Berlin - Karlsruhe - Heidelberg - Berlin
77-84 Reise Rudolf Steiners vom 28. Januar bis 7. Februar 1911:
Berlin - Diisseldorf - Koln - Bonn - Koblenz - Elberfeld -
Diisseldorf - Berlin
85 Reise Rudolf Steiners vom 11.— 15. Februar 1911:
Berlin - Munchen - Berlin
86-90 Reise Rudolf Steiners vom 18.-27./28. Februar 1911:
Berlin - Strafiburg - Freiburg i.Br. - Miilhausen i.Elsass - Basel -
Zurich - St. Gallen - Berlin
91 Reise Rudolf Steiners vom 4.-7. Marz 1911:
Berlin - Hannover - Bielefeld - Berlin
94-97 Marie v. Sivers musste aus gesundheitlichen Griinden drei Monate
(April/Mai/Juni 1911) an der Adria (Portorose bei Triest) verbringen.
Auch Rudolf Steiner hielt sich mit kleinen Unterbrechungen dort auf.
Die Briefe Nr. 95-98 stammen von der Reise Rudolf Steiners vom 31.
Mai bis 11. Juni 1911:
Portorose - Linz - Miinchen - Berlin - Kopenhagen - Berlin -
Portorose
100 Reise Rudolf Steiners vom 4.-6./7. November 1911:
Berlin - Leipzig - Berlin
101, 102 Reise Rudolf Steiners vom 10.-12./13. November 1911:
Berlin - Hamburg - Bremen - Berlin
103 Reise Rudolf Steiners vom 8.-17. Januar 1912:
Berlin - Miinchen - St. Gallen - Winterthur - Zurich - Berlin
104 Reise Rudolf Steiners vom 3.-14. Februar 1912:
Berlin - Breslau - Wien - Klagenfurt - Graz - Berlin
105 Rudolf Steiner und Marie v. Sivers waren vom 19.-27. Februar 1912
zusammen in Stuttgart und Miinchen, von wo Rudolf Steiner allein
nach Berlin zuriickreiste, um dann zwei Wochen spater, nach der
nachsten Vortragsreise (siehe Nr. 106), mit M. v. Sivers wieder gemein-
sam nach Berlin zuriickzukehren.
106 Reise Rudolf Steiners vom 7.-13. Marz 1912:
Berlin - Mannheim - Frankfurt - Miinchen - Berlin
108, 109 Reise Rudolf Steiners vom 22.-28. November 1912:
Berlin - Miinchen - Berlin
110, 111 Nach diesen Briefen Marie v. Sivers war Rudolf Steiner zwischen dem
13.-15. Dezember 1912 in Osterreich, und dann vom 15.-19. Dezember
1912 zu Vortragen in der Schweiz:
Bern - Zurich - Neuchatel - St. Gallen - Berlin
112, 113 Reise Rudolf Steiners vom 18.-29. Januar 1913:
Berlin - Wien - Graz - Klagenfurt - Linz - Prag - Berlin
114,115 Marie v. Sivers verbrachte im April 1913 drei Wochen in Meran und
traf am 27. April 1913 mit Rudolf Steiner in Diisseldorf zusammen, von
wo aus sie gemeinsam weiterreisten, zunachst nach London und Paris.
Der Ausgangspunkt der folgenden Reisen ist nunmehr Dornach bei Basel, wo
Rudolf Steiner und Marie v. Sivers infolge der Errichtung des Goetheanum-Baues
seit September 1913 einen zweiten Wohnsitz hatten.
119-125 Reise Rudolf Steiners vom 24.-28. August 1914:
Dornach iiber Stuttgart - Mannheim - Niederlahnstein - Berlin
126-132 Riickreise vom 8.-14. September 1914:
Berlin - Horn/Osterreich - Wien - Miinchen - Zurich - Dornach
133-136 Reise Rudolf Steiners vom 26. September bis 1. Oktober 1914:
Dornach - Mannheim - Niederlahnstein - Stuttgart - Mannheim -
Dornach
137 Rudolf Steiner war am 12. Oktober 1914 noch und am 18. Oktober
1914 wieder in Dornach. Dazwischen war er laut diesem Telegramm in
Stuttgart; ob auch noch anderswo ist nicht bekannt.
138-142 Reise Rudolf Steiners vom ca. 28. Oktober bis 8. November 1914:
Dornach - Berlin - Hamburg - Berlin - Frankfurt - Stuttgart -
Dornach
143, 144 Reise Rudolf Steiners vom ca. 25. November bis 9. Dezember 1914:
Dornach - Berlin - Miinchen - Berlin - Miinchen - Dornach
147 Vom 19. Februar bis 3. Marz 1921 waren Rudolf und Marie Steiner zu
anthroposophischen Veranstaltungen (Vortrage und Eurythmieauffuh-
rungen) gemeinsam in Holland. Rudolf Steiner reiste iiber Stuttgart
(5.-7. Marz) nach Dornach zuriick, wahrend sich Marie Steiner mit der
Eurythmiegruppe fur eine am 6. Marz 1921 stattfindende Auffuhrung
nach Koln begab. Vom 16.-23. Marz 1921 hielten sich beide wieder in
Stuttgart auf zu einem Kursus im Rahmen der Freien anthroposophi-
schen Hochschulkurse «Mathematik, wissenschaftliches Experiment,
Beobachtung und Erkenntnisergebnis vom Gesichtspunkt der Anthro-
posophie», GA 324.
148 Rudolf Steiner hielt sich - wohl von Berlin kommend - vom 21.-22.
September 1921 in Stuttgart auf, wahrend Marie Steiner durch Euryth-
mieauffuhrungen noch in Berlin und Dresden festgehalten war und erst
am Samstag, den 1. Oktober 1921 iiber Stuttgart nach Dornach zuriick-
kehrte.
149 Marie Steiner war mit der Eurythmiegruppe in Stuttgart, wo zur
Einweihung der neuen Biihne zwei Auffiihrungen (24. und 25. Februar
1922) stattfanden, wahrend Rudolf Steiner in Dornach geblieben war.
Am 1. Marz 1922 trafen sie sich wieder zu gemeinsamen Veranstaltun-
gen in Leipzig, Halle und Berlin.
153, 154 Rudolf und Marie Steiner waren vom 9.-10. Mai 1922 gemeinsam in
Stuttgart. Vom 12.-22. fand die von der Konzertagentur Wolff und
Sachs veranstaltete offentliche Vortragsreise statt:
Berlin - Breslau - Miinchen - Mannheim - Elberfeld - Koln -
Bremen - Hamburg - Leipzig
155-158 Rudolf und Marie Steiner waren zu anthroposophischen Veranstaltun-
gen vom 3.-15. Oktober 1922 gemeinsam in Stuttgart, wo Marie Steiner
zu Eurythmie-Auffuhrungen am 18., 22. und 25. Oktober verblieb,
wahrend Rudolf Steiner vom 20.-24. Oktober 1922 in Dornach war
und am 26.-28. Oktober wieder nach Stuttgart kam. Marie Steiner
musste fur eine am 29. Oktober stattfindende Eurythmieauffuhrung
nach Koln. Dann ging es zu gemeinsamen anthroposophischen Veran-
staltungen (Vortrage und Eurythmieauffiihrungen) nach Holland und
England (31. Oktober-20. November 1922). Rudolf Steiner kehrte von
London iiber Stuttgart (24.-25. November 1922) nach Dornach zuriick;
Marie Steiner hingegen fuhr zu Eurythmieauffiihrungen am 3., 5. und 6.
Dezember 1922 nach Berlin, wo Rudolf Steiner - wieder iiber Stuttgart
fahrend - am 6. Dezember 1922 die einleitenden Worte zur Eurythmie-
auffuhrung sprach und am 7. Dezember einen Zweigvortrag hielt. Am
8. Dezember reiste er nachts zuriick nach Stuttgart, von dort am 11.
Dezember nach Dornach, wahrend Marie Steiner noch fur eine Euryth-
mieauffuhrung am 9. Dezember 1922 in Hamburg verpflichtet war.
160-162 Rudolf und Marie Steiner waren zu anthroposophischen Veranstaltun-
gen vom 6.-8. Marz 1923 gemeinsam in Stuttgart. Rudolf Steiner reiste
zuriick nach Dornach, Marie Steiner mit der Eurythmiegruppe bis 21.
Marz 1923 nach Berlin, um dann mit Rudolf Steiner wieder in Stuttgart
zu gemeinsamen Veranstaltungen vom 25.-30. Marz 1923 zusammen-
zutreffen.
163 Rudolf und Marie Steiner waren zur Herbstveranstaltung der anthropo-
sophischen Bewegung in Osterreich vom 26. September bis 1. Oktober
1923 in Wien. Rudolf Steiner reiste am 4./5. Oktober zuriick nach
Dornach und Marie Steiner mit der Eurythmiegruppe weiter nach
Gmunden-Wien-Salzburg-St. Gallen. Es fanden die folgenden Auffuh-
rungen statt:
Wien 30. September 1923
Gmunden 5. Oktober 1923
Wien 7. Oktober 1923
Salzburg 11. Oktober 1923
St. Gallen 22. Oktober 1923
164-188 Rudolf und Marie Steiner waren zur Herbstveranstaltung der anthropo-
sophischen Bewegung in Holland vom 13.-18. November 1923 in Den
Haag. Rudolf Steiner reiste zuriick nach Dornach, um dort die Weih-
nachtstagung zur Neubegriindung der Anthroposophischen Gesell-
schaft vorzubereiten, wahrend Marie Steiner nach Berlin ging, urn die
Ubersiedlung des Philosophisch-Anthroposophischen Verlages nach
Dornach durchzufuhren und die Berliner Wohnung aufzulosen. In der
Nacht vom 17. auf den 18. Dezember 1923 reiste sie nach Stuttgart,
urn mit Rudolf Steiner, der sie dort erwartete, nach Dornach zuriick-
zukehren.
191-198 Marie Steiner war vom 19. Mai bis 5. Juni 1924 mit der Eurythmiegrup-
pe auf Gastspielreise. Rudolf Steiner war zu Vortragen vom 23.-28. Mai
1924 in Paris, vom 1.-3. Juni in Stuttgart, am 4. Juni in Dornach und
reiste am 5. oder 6. Juni 1924 wieder nach Stuttgart. Dort traf er Marie
Steiner, und sie reisten gemeinsam zu den Veranstaltungen in Kober-
witz und Breslau vom 7.-17. Juni 1924. Die Gastspielreise hatte die
folgenden Auffuhrungen:
Ulma.D. 19. Mai 1924
Niirnberg 21. Mai 1924
Eisenach 23. Mai 1924
Erfurt 26. Mai 1924
Naumburg 28. Mai 1924
Hildesheim 30. Mai 1924
Hannover 2. Juni 1924
Halle 5. Juni 1924
199-223 Diese Brief e wurden gewechselt im Oktober/November 1924, da Marie
Steiner auf der nachfolgenden Eurythmie-Gastspielreise war:
Stuttgart
1. Oktober 1924
Hannover
5., 6. Oktober 1924
Barmen
9. Oktober 1924
Hamburg
12. Oktober 1924
Bremen
14. Oktober 1924
Kiel
16. Oktober 1924
Liibeck
19. Oktober 1924
Hamburg
21. Oktober 1924
Berlin
26. Okt. - 2. Nov. 1924
Kassel
6. November 1924
Stuttgart
9., 11. November 1924
Riickkehr nach
Dornach
17. November 1924
225-227 Diese Billets sandte Rudolf Steiner von seinem Krankenlager in der
Schreinerei an Marie Steiner in ihre Wohnung Haus Hansi, Dornach.
228-238 Gesellschaftliche und kunstlerische Veranstaltungen in Deutschland
notigten Marie Steiner, ab 23. Februar 1925 wieder auf Reisen zu gehen.
Es fanden folgende Gastspiele statt:
Berlin
z/. .reoruar 17z.d
1 Mar7 1995
i. iviarz, i7ij
^ A/Tor? 1Q95
Dcriin
o. iviarz i/zj
.Turin
iu. iviarz i/Zj
Ql-nM-fT'ifl-
JLULLud.1 L
1^ 1 R 1A Man 1995
U.j 1 J.) ID. iVldlZ, 17iJ
Heidenneim
18. Marz 1925
Karlsruhe
20. Marz 1925
Mannheim
22. Marz 1925
Stuttgart
23. Marz 1925
VERZEICHNIS DER BRIEFE UND DOKUMENTE
An Marie v. Sivers
1 Friedenau-Berlin, 13. April 1901 40
An Rudolf Steiner
2 London, 18. Juni 1902 40
An Marie v. Sivers
3 Friedenau-Berlin, 20. August 1902 42
4 Widmung fur Marie v. Sivers in «Einleitung zu <Uhlands Werke>»,
Berlin, 29. September 1902, Faksimile 46
An Marie v. Sivers
5 Weimar, 16. April 1903 49
6 Weimar, 16. April 1903 (andere Fassung) 51
7 Weimar, 18. April 1903 53
An Rudolf Steiner
8 Schlachtensee, 18. April 1903 55
An Marie v. Sivers
9 Weimar, 19. April 1903 59
10 Weimar, 21. November 1903 61
11 Stuttgart, 8. April 1904 64
An Rudolf Steiner
12 Berlin, 8. April 1904 67
An Marie v. Sivers
13 Miinchen, 11. April 1904 69
14 Berlin, 25. August 1904 72
15 Berlin, 27. August 1904 74
16 Miinchen - Stuttgart, 24. November 1904 77
17 Frankfurt - Koln, 27. November 1904 80
18 Widmung in Marie v. Sivers' Exemplar von Mabel Collins
«Licht auf den Weg», Faksimile 83
19 Eintragung in einem Notizbuch aus dem Jahre 1904
(Testament), Faksimile 83
An Marie v. Sivers
20 Munchen, 9. Januar 1905 85
21 Niirnberg, 12. Januar 1905 87
22 Diisseldorf, 19. Januar 1905 88
23 Munchen, 14. Marz 1905 90
24 Koln, 19. Marz 1905 92
25 Cannstadt, 7. April 1905 93
26 Auf der Fahrt nach Munchen, 11. April 1905 94
An Rudolf Steiner
27 Berlin, 13. oder 14. April 1905 97
An Marie v. Sivers
28 Mannheim, 16. April 1905 98
29 Mannheim, 17. April 1905 102
An Rudolf Steiner
30 Berlin, 26. oder 27. April 1905 104
An Marie v. Sivers
31 Rath bei Diisseldorf, 28. April 1905 104
32 Rath bei Diisseldorf, 29. April 1905 108
33 Auf der Fahrt Freiburg - Karlsruhe, 7. Mai 1905 109
33a Beilage: «In dem Namen H. P. Blavatsky vereinigen sich ...» 110
Marie v. Sivers an Edouard Schure
33b Berlin, 7. Oktober 1905 114
An Rudolf Steiner
34 Berlin, 11. November 1905 117
An Marie v. Sivers
35 Munchen, 12. November 1905 118
36 Basel, 14. November 1905 119
37 Hamburg, 18. November 1905 120
38 Hamburg, 19. November 1905 121
An Rudolf Steiner
39 Berlin, ca. 19. November 1905 122
An Marie v. Sivers
40 Colmar i. E., 20. November 1905 122
41 Niirnberg, 25. November 1905 124
41a Beilage: «Die Namen der Wochentage ...» 125
42 Karlsruhe, 30. November 1905 131
43 Budapest - Miinchen, ca. 5. Januar 1906:
«Die Entwickelung der Erde» 134
44 Miinchen - St. Gallen, 7. Januar 1906 138
45 Zurich - Lugano, 9. Januar 1906 141
46 Colmar, 13. Januar 1906 143
47 Dresden, 25. Januar 1906 148
48 Koln, 13. Februar 1906 . 150
49 Berlin, 14. August 1906 152
Marie v. Sivers an Edouard Schure
49a Berlin, 10. November 1905 155
An Marie v. Sivers
50 Bremen, 19. November 1906 159
51 Bonn, 4. Dezember 1906 161
52 Stuttgart, 8. Dezember 1906 164
Rudolf Steiner an Edouard Schure
52a Miinchen, 20. Dezember 1906 166
An Marie v. Sivers
53 Erlangen, 21. Januar 1907 170
54 Straflburg, 9. Februar 1907 172
55 Erstes Testament Rudolf Steiners, Faksimile
Berlin, 19. Februar 1907 175
An Marie v. Sivers
56 Budapest, 25. Februar 1907 176
57 Koln, 10. Marz 1907 177
58 Berlin, ca. 28. April 1907 179
Marie v. Sivers an Edouard Schure
58a Miinchen, 26. Mai 1907 180
59 Zweites Testament Rudolf Steiners,
Berlin, 5. August 1907 188
Marie v. Sivers an Edouard Schure
59a Rom, 18. August 1907 188
An Marie v. Sivers
60 Wien, 6. November 1907 193
61 Graz, 10. November 1907 195
62 Miinchen, 6. Dezember 1907 196
63 Miinchen, 17. Januar 1908 199
64 Bielefeld, 23. Februar 1908 200
Rudolf Steiner an Edouard Schure
64a Berlin, 26. Marz 1908 201
An Marie v. Sivers
65 Stuttgart, 7. Februar 1909 205
66 Eisenach, 24. Februar 1909 207
67 Bern, 18. November 1909 210
Marie v. Sivers an Sophie Stinde
67a Berlin, Anfang Dezember 1909 212
67b Berlin, 27. Dezember 1909 215
An Marie v. Sivers
68 Karlsruhe, 26. Januar 1910 218
69 Pforzheim, 30. Januar 1910 219
70 Frankfurt, 13. Februar 1910 220
71 Bonn, 22. Februar 1910 222
72 Koln, 25. Februar 1910 222
73 Drittes Testament Rudolf Steiners,
Berlin, 4. Juli 1910 223
An Marie v. Sivers
74 Leipzig, 21. November 1910 224
75 Karlsruhe, 21. Januar 1911 227
76 Karlsruhe, 22. Januar 1911 227
77 Diisseldorf, 28. Januar 1911 228
78 Koln, 29. Januar 1911 229
79 Koln, 31. Januar 1911 229
80 Bonn, 1. Februar 1911 230
81 Bonn - Koblenz, 2. Februar 1911 230
82 Koblenz, 3. Februar 1911 231
Marie v. Sivers an Eduard Selander
82a Berlin, 3. Februar 1911 231
An Marie v. Sivers
83 Koblenz - Elberfeld, 4. Februar 1911 233
84 Elberfeld, 5. Februar 1911 233
85 Munchen, 12. Februar 1911 233
86 Strafiburg, 18. Februar 1911 234
87 Freiburg i. Br., 19. Februar 1911 235
88 Basel, 22. Februar 1911 236
89 Basel, 23. Februar 1911 237
90 Zurich, 24. Februar 1911 237
Rudolf Steiner an Eduard Selander
90a Berlin, Anfang Marz 1911 238
An Marie v. Sivers
91 Hannover, 5. Marz 1911 242
92 Fur Marie v. Sivers zum 15. Marz 1911,
«Die Welt im Ich erbauen ...», Faksimile 242
93 Testaments-Bestimmung Rudolf Steiners
Portorose bei Pirano, Istrien, 20. April 1911 244
An Marie v. Sivers
94 Berlin, vermutlich Juni 1911 244
95 Berlin, 3. Juni 1911 245
An Rudolf Steiner
96 Portorose, ca. 3. Juni 1911 246
An Marie v. Sivers
97 Kopenhagen, 5. Juni 1911 247
99 Rudolf Steiner: «Erganzung zu meinem Testament*,
Berlin, 7. September 1911 249
An Marie v. Sivers
100 Leipzig, 5. November 1911 249
An Rudolf Steiner
101 Berlin, 10. November 1911 250
An Marie v. Sivers
102 Hamburg, 12. November 1911 251
103 Munchen, 10. Januar 1912 253
104 Klagenfurt, 11. Februar 1912 255
104a Berlin, 28. oder 29. Februar 1912 256
An Rudolf Steiner
105 Munchen, ca. 4. Marz 1912 256
An Marie v. Sivers
106 Berlin, 7. Marz 1912 258
107 Entwurf fur ein Testament von Marie v. Sivers,
Munchen, 10. Juli 1912 261
An Rudolf Steiner
108 Berlin, 26. November 1912 261
An Marie v. Sivers
109 Munchen, 28. November 1912 262
Marie v. Sivers an Anna Wager Gunnarsson
109a Berlin, 9. Dezember 1912 263
An Rudolf Steiner
110 Berlin, 14. oder 15. Dezember 1912 265
111 Berlin, 16. Dezember 1912 266
112 Berlin, 19. Januar 1913 269
An Marie v. Sivers
113 Linz, 26. Januar 1913 272
Marie v. Sivers an Mieta Waller
113a Berlin, 24. Februar 1913 275
An Rudolf Steiner
114 Meran-Obermais, 9. April 1913 276
115 Meran-Obermais, 20. April 1913 277
Marie v. Sivers an Mieta Waller
115a Dornach, 2. Februar 1914 280
Marie v. Sivers an Johanna Miicke
115b Dornach, 3. August 1914 283
116 Viertes Testament Rudolf Steiners
Dornach, 22. August 1914 293
117 Testamentarische Verfugung Rudolf Steiners
Dornach, 22. August 1914 (mit Faksimile) 294
118 Vorlage fur ein Testament von Marie v. Sivers
Dornach, 22. August 1914 294
Telegramme an Marie v. Sivers
119 Stuttgart, 24. August 1914 296
120 Mannheim, 25. August 1914 297
121 Niederlahnstein, 26. August 1914 297
122 Berlin, 28. August 1914 297
123 Berlin, 29. August 1914 297
124 Berlin, 31. August 1914 297
125 Berlin, 2. September 1914 297
An Marie v. Sivers
126 Berlin, 3. September 1914 298
Telegramme an Marie v. Sivers
127 Berlin, 4. September 1914 299
128 Berlin, 6. September 1914 299
129 Berlin, 8. September 1914 299
130 Horn, 9. September 1914 299
131 Wien, 11. September 1914 299
132 Miinchen, 14. September 1914 299
133 Mannheim, 26. September 1914 299
134 Niederlahnstein, 28. September 1914 300
135 Mannheim, 30. September 1914 300
136 Stuttgart, 30. September 1914 300
137 Stuttgart, 17. Oktober 1914 300
138 Berlin, 29. Oktober 1914 300
139 Berlin, 1. November 1914 300
140 Berlin, 5. November 1914 300
141 Berlin, 6. November 1914 301
142 Frankfurt, 7. November 1914 301
143 Miinchen, 3. Dezember 1914 301
144 Miinchen, 9. Dezember 1914 301
145 Fiinftes und letztes, gegenseitiges Testament vom 18. Marz 1915,
hinterlegt auf dem Amtsgericht Berlin-Charlottenburg 304
145a Notizen Rudolf Steiners fur die Besprechung beim Notar
zur Erstellung obigen Testamentes 308
146 Fur Marie Steiner zum 15. Marz 1916:
«Ein Atemzug aus der Geisterwelt ...», Faksimile 311
An Marie Steiner
147 Stuttgart, 7. Marz 1921 313
148 Dornach, 24. September 1921 315
An Rudolf Steiner
149 Stuttgart, 25. Februar 1922 323
150 Stuttgart, 26. Februar 1922, Faksimile 325
151 Bei den Briefen befindliches Blatt mit der Handschrift
Marie Steiners: «Wahrheit erbluht nur ...», Faksimile 326
152 Fur Marie Steiner zum 15. Marz 1922,
«Sprechend lebt der Mensch ...», Faksimile 327
An Marie Steiner
153 Bremen, 19. Mai 1922 328
An Rudolf Steiner
154 Dornach, 22. Mai 1922 328
155 Stuttgart, 19. Oktober 1922 329
An Marie Steiner
156 Stuttgart, 25. November 1922 331
157 Stuttgart, ca. 4. Dezember 1922 (Telegramm) 333
158 Stuttgart, 11. Dezember 1922 333
159 Fur Marie Steiner, 25. Dezember 1922
«Sterne sprachen einst zu Menschen ...», Faksimile 335
An Rudolf Steiner
160 Berlin, 12. Marz 1923 338
An Marie Steiner
161 Dornach, 14. Marz 1923 (Telegramm) 339
162 Dornach, 15. Marz 1923
mit «In gegenwartiger Erdenzeit ...», Faksimile 339
An Rudolf Steiner
163 Wien, 7. Oktober 1923 341
164 Berlin, 21. November 1923 344
165 Berlin, 23. November 1923 345
166 Berlin, 24. November 1923 346
An Marie Steiner
168 Dornach, 23. November 1923 347
169 Dornach, 24. November 1923 351
170 Dornach, 25. November 1923 353
An Rudolf Steiner
171 Berlin, 26. November 1923 355
An Marie Steiner
174 Dornach, 1. Dezember 1923 359
An Rudolf Steiner
175 Berlin, 3. Dezember 1923 363
An Marie Steiner
176 Dornach, 4. Dezember 1923 (Telegramm) 373
177 Dornach, 6. Dezember 1923 373
Johanna Mucke an Rudolf Steiner
178 Berlin, 6. Dezember 1923 377
Rudolf Steiner an Johanna Mucke
179 Dornach, 7. oder 8. Dezember 1923 (Telegramm) 378
An Rudolf Steiner
180 Berlin, 7. oder 8. Dezember 1923 378
An Marie Steiner
182 Dornach, 10. Dezember 1923 (Telegramm) 380
An Rudolf Steiner
183 Berlin, 10. Dezember 1923 380
183a wahrscheinlich Fortsetzung des vorigen 381
183b fur Tatiana Kisseleff, wahrscheinlich Beilage zur Nr. 183 382
An Marie Steiner
184 Dornach, 11. Dezember 1923 (Telegramm) 384
An Rudolf Steiner
185 Berlin, ca. 11. Dezember 1923 384
185a Riickseite von Nr. 185 384
185b Berlin, ca. 12. Dezember 1923 385
An Marie Steiner
186 Dornach, 13. Dezember 1923 385
187 Dornach, 13. Dezember 1923 (Telegramm) 387
188 Dornach, 14. Dezember 1923 (Telegramm) 387
189 Fur Marie Steiner zum 14. Marz 1924,
«Wer im rechten Sinne zahlen kann ...», Faksimile 390
190 Fur Marie Steiner, 15. Marz 1924,
«Weltenlicht, es wandelt taglich sich ...», Faksimile 392
An Marie Steiner
191 Dornach, 20. Mai 1924 (Telegramm) 393
An Rudolf Steiner
192 Niirnberg, 21. Mai 1924 393
An Marie Steiner
193 Dornach, 22. Mai 1924 394
An Rudolf Steiner
194 Erfurt, 26. Mai 1924 396
An Marie Steiner
195 Paris, 27. Mai 1924 398
An Rudolf Steiner
195a Naumburg, 28. Mai 1924 399
An Marie Steiner
196 Dornach, 31. Mai 1924 400
An Rudolf Steiner
197 Hannover, 1. Juni 1924 402
198 Schierke/Harz, 4. Juni 1924 405
An Marie Steiner
199 Goetheanum, 2. Oktober 1924 406
200 Goetheanurn, 4. Oktober 1924 408
An Rudolf Steiner
201 Hannover, 5. Oktober 1924 409
An Marie Steiner
202 Goetheanum, 6. Oktober 1924 413
203 Goetheanum, 8. Oktober 1924 414
204 Goetheanum, 9. Oktober 1924 415
205 Goetheanum, 9. Oktober 1924 (andere Fassung) 416
An Rudolf Steiner
206 Barmen, 9. Oktober 1924 417
An Marie Steiner
207 Goetheanum, 11. Oktober 1924 420
208 Goetheanum, 12. Oktober 1924 422
209 Goetheanum, 13. Oktober 1924 422
210 Goetheanum, 15. Oktober 1924 425
An Rudolf Steiner
211 Hamburg, 12. Oktober 1924 426
An Marie Steiner
212 Goetheanum, 18. Oktober 1924 428
An Rudolf Steiner
213 Liibeck, 18. Oktober 1924 429
An Marie Steiner
214 Goetheanum, 21. Oktober 1924 432
215 Goetheanum, ca. 22. Oktober 1924 435
216 Goetheanum, 23. Oktober 1924 435
217 Goetheanum, 23. Oktober 1924 (andere Fassung) 436
218 Goetheanum, 26. Oktober 1924 437
219 Goetheanum, 31. Oktober 1924 438
An Rudolf Steiner
220 Berlin, 24. Oktober 1924 439
An Marie Steiner
221 Dornach, 5. November 1924 (Telegramm) 442
An Rudolf Steiner
222 Stuttgart, 8. November 1924 442
An Marie Steiner
223 Goetheanum, 9. November 1924 443
224 Goetheanum, etwa Mitte November 1924 444
225 Goetheanum, 23. oder 24. Dezember 1924 445
226 Fur Marie Steiner, Weihnacht 1924,
«In Sternenweiten ...», Faksimile 445
An Marie Steiner
227 Goetheanum, 17. Februar 1925 448
An Rudolf Steiner
228 Berlin, 25. Februar 1925 448
An Marie Steiner
229 Goetheanum, 27. Februar 1925 450
230 Dornach, 5. Marz 1925 (Telegramm) 452
231 Goetheanum, 5. Marz 1925 452
An Rudolf Steiner
232 Berlin, 8. Marz 1925 453
An Marie Steiner
233 Goetheanum, 13. Marz 1925 454
An Rudolf Steiner
234 Heidenheim, 18, Marz 1925 456
An Marie Steiner
235 Goetheanum, 20. Marz 1925 458
An Rudolf Steiner
236 Stuttgart, 23. Marz 1925 459
An Marie Steiner
237 Goetheanum, 23. Marz 1925 463
An Rudolf Steiner
238 Stuttgart, 25. Marz 1925 464
Marie Steiner an Leopoldine Steiner
239 Dornach, 3. Mai 1925 465
RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE
DAS LEBENDIGE WESEN DER ANTHROPOSOPHIE
UND SEINE PFLEGE
Schriften und Vortrage zur Geschichte
der anthroposophischen Bewegung und der Anthroposophischen Gesellschaft
Bisher erschienene Bande
Probleme des Zusammenlebens in der Anthroposophischen Gesellschaft.
Zur Dornacher Krise vom Sommer 1915. 7 Vortrage, Dornach, 10. bis
16. September, 2 Ansprachen, Dornach, 21. und 22. August 1915, und eine
Dokumentation (GA 253)
Die okkulte Bewegung im 19. Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur.
13 Vortrage, Dornach, 10. Oktober bis 7. November 1915 (GA 254)
Die Anthroposophie und ihre Gegner 1919-1921.
Vortrage und Voten in verschiedenen Stadten 1919-1921 (GA 255b)
Anthroposophische Gemeinschaftsbildung.
10 Vortrage, Stuttgart und Dornach, Januar bis Marz 1923 (GA 257)
Die Geschichte und die Bedingungen der anthroposophischen Bewegung im Ver-
hdltnis zur Antroposophischen Gesellschaft. Eine Anregung zur Selbsthesinnung.
8 Vortrage, Dornach, 10. bis 17. Juni 1923 (GA 258)
Das Schicksalsjahr 1923 in der Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft.
Ansprachen, Versammlungen und Dokumente, Januar bis Dez. 1923 (GA 259)
Die Weihnachtstagung zur Begriindung der Allgemeinen Anthroposophischen
Gesellschaft 1923/24. Grundsteinlegung, Vortrage und Ansprachen, Statuten-
beratung, Jahresausklang und Jahreswende 1923/24 (GA 260)
Die Konstitution der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und der
Freien Hochschule fur Geisteswissenschaft - Der Wiederaufbau des Goetheanum.
Gesammelte Aufsatze, Aufzeichnungen und Ansprachen, Dokumente, Januar
1924 bis Marz 1925 (GA 260a)
Unsere Toten. Ansprachen, Gedenkworte und Meditationsspriiche 1906 bis 1924
(GA 261)
Rudolf Steiner I Marie Steiner-von Sivers: Briefwechsel und Dokumente 1901 bis
1925 (GA 262)
Rudolf Steiner/Edith Maryon: Briefe - Spriiche - Skizzen 1912 bis 1924 (GA 263/1)
RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE
VEROFFENTLICHUNGEN ZUR GESCHICHTE UND AUS
DEN INHALTEN DER ESOTERISCHEN LEHRTATIGKEIT
Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der Esoterischen
Schule 1904 bis 1914. Briefe, Rundbriefe, Dokumente und Vortrage (GA 264)
Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abteilung der
Esoterischen Schule 1904 bis 1914. Briefe, Dokumente und Vortrage (GA 265)
Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Gedachtnisaufzeichnungen von
Teilnehmern. Band I: 1904-1909 (GA 226/1), Band II: 1910-1912 (GA 226/2),
Band III: 1913-1924 (GA 266/3)
Seelenkbungen I: Ubungen mit Wort- und Sinnbild-Meditationen
zur methodischen Entwicklung hbherer Erkenntniskrafte 1904-1924 (GA 267)
Mantrische Spriiche - Seelenubungen II 1903-1925 (GA 268)
Ritualtexte fiir die Feiern des freien christlichen Religionsunterrichtes
und das Spruchgut fiir Lehrer und Schiller der Waldorfscbule (GA 269)
Esoterische Unterweisungen fiir die erste Klasse der Freien Hochschule fiir
Geisteswissenschaft am Goetheanum 1924 (GA 270)
Erganzende Veroffentlichungen
Die Tempellegende und die Goldene Legende als symbolischer Ausdruck
vergangener und zukunftiger Entwickelungsgeheimnisse des Menschen.
Aus den Inhalten der Esoterischen Schule. 20 Vortrage, gehalten in Berlin
zwischen dem 23. Mai 1904 und dem 2. Januar 1906 (GA 93)
Grundelemente der Esoterik. Notizen von einem esoterischen Lehrgang
in Form von 31 Vortragen, gehalten in Berlin vom 26. September bis
5. November 1905 (GA 93a)