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Full text of "Gesang an Palästina"


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in 2010 with funding from 

University of Toronto 



http://www.archive.org/details/gesangpalstinaOOholi 



GESANG AN PALÄSTINA 



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1. 






ARTHUR HOLITSCHER 
GESANG AN PALÄSTINA 



MIT ZWÖLF RADIERUNGEN 
VON 

HERMANN STRUCK 



BERLIN 1922 

HANS HEINRICH TILLGNER VERLAG 



KLEINES LAND, glühend unter der Tropensonne, ich 
habe dich gesehn. Kahl und arm ragt deine Küste aus 
dem blauen Meere auf. Wo einst Kanaan, Saron, die Gär- 
ten, die Haine, die Wälder, wo wogende Wiesen dufteten, 
tritt der Fuss auf Steingeröll, versinkt er in schwerem 
Morast. Mülisam ringt der Siedler, der Fellahknecht, der 
junge starke Erbauer des Landes um jeden Fussbreit Er- 
trag, um Notdurft des Lebens, kärgliche Frucht. Aber 
schon sprenkeln farbige Oasen, goldengriüi die Orangen, 
rötlich das Getreide, silbergrau die Eukalypten und Öl- 
bäume das erwachende Land der Urväter. 



DU KLEINES LAND, aus deinen Tiefen stieg der grosse 
Adler Gottes auf über die Schollen. Über den Bergen 
Judäas, über Jerusalems Feste, über den Krippen, den 
Zelten, den Palasten und den Tempeln plante er, an den 
ungezählten Höhlengrotten rauschte sein Flügel, wo im 
ßerginnern blindgewordene Einsiedler sich vor der Welt 
verborgen hielten - Blindgewordne ftü- die Welt, sehend 
und offenäugig für die Wunder des dunkel verborgenen 
Willens in den Tiefen. 

Mit wilden Fittichen kreist Gottes grosser Adler über den 
zerklüfteten Bergen, den zerstörten Feldern. In breitem, 
schweifenden Flug braust er vom blauen Meer zum bleier- 
nen Toten, vom Sinai zum Libanon entlang, wild weht der 
Fittich des Unendlichen durch die sonnezitternde Luft, 
unter der die Quellen heblich singen. Er verschont die 
verborgen zwischen Geröll weidenden Herden langfelliger 
schwarzer Schafe, die mit wechselnden Arabesken die 
blumige Berglehne überziehen. 

Mein Stock aus Olivenholz stützt die Last meiner schwe- 
ren Schritte, wenn ich auf der Ebene, in den Bergen Halt 
mache, den Blick empor zum ungeheuren Vogel gesandt, 

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um seinem geheimnisvollen Flug von Orient zu Occident 
zu folgen, von Süd nach Norden, seinen Kreisen höher, 
höher, bis die glühende Sonne ihn eingesogen hat in ihren 
Strahlenkreis, mir zu Häupten - Gottes Sonne, Mutter der 
Mythen. 

Wo ]3in ich dir nicht begegnet, Adler des Heiligen Landes, 
wilder Gast der Ewigkeit! Über Zions Burg und Davids 
Turm sah ich dich fliegen, im Sturm um die Höhen des 
mystischen Karmel, von Genezareths Flut aufsteigend 
nahmst du deinen Weg nordwärts gen Galiläa, südwärts 
zur Talsenke des Jordan. 

Wo hast du dein Nest, in Mizraims Pyramidenstadt, in Da- 
maskusTorweg? Gileads und Moabs Bewohner, Schrecken 
der Jäger Samarias, hoher Geist des Al3endpurpurs über 
dem Olberg vor dem Erlöschen in Nacht und Wesenlosig- 
keitl Adler der Menschheitsgeschicke, wo nistet deine 
Brut? Unwandelbarer Flügel über der Folge versinken- 
der Weltäonen, Taten und Träumen, Aufgang und Nieder- 
gang von Königen, Propheten, Aufrichtern und Zertrüm- 
merern der Tempel! 



11 



LIEBLICH SIND DEINE FRAUEN, o Betlehem und 
herrischer Stolz ist über die Brauen der graubärtigen 
Scheichs gelagert, die auf Pilgerwegen der Karawane 
gegen Bershebas Wüstenhügel ziehen. 

Schöner als alle aber bist du, Sohn der ukrainischen Steppe, 
Chaluz, weit Hergekommener. In dein Land Israel bist du 
gezogen, gehorsam dem unauslöslichen Befehl deines alten 
Blutes, das erneut in HolFnung und Zeugungskraft durch 
deine zukunftsträchtigen Adern braust. Schön bist du, 
Mädchen Judas, Tochter der fränkischen Stadt, der alten, 
kleinen, die du verlassen hast um deinem fernen unbe- 
kannten Gefährten in den Zelten Israels Geliebte, Mutter, 
Gefährtin zu sein. 

StarkeFaust führt denPflug; zarteHand pflanzt den Schöss- 
ling; wenn am Abend nach dem Arbeitstag starke Hand 
die zarte leise berührt, wiegt die alte Erde Urväterlandes 
in ihrem fruchtbaren Schoss den neuen Erlöser des ewig 
sehnsüchtigen, ewig hoffenden Volkes. 



12 



KARMEL! O K ÄRMEL! Deine Reben - der Wald um 
deine Hütten ! Wie bartiger Mund stösst dein grottendurch- 
furchter Hang dumpfe Wehklage aus über das schweigen- 
de Bereich der tief zurückweichenden Küste Syriens zum 
Lil^anon. Das Getier der Urzeit verbirgt sich in den Falten 
von Karmels wehendem Kleid. Karmels Steine lehren den 
Betrübten die Weisheit uranfänglich verwirrten Seher- 
sinnes. Weither rollen die Wogen an Karmels Hang heran. 
An Karmels feuchte Hange klammern sich Muscheln - sie 
tragen geheimnisvolle Zeichen, von wenigen erst ergründet. 

Moabs Gletscher aus Sand! Wann trug Moab die trauben- 
förmigen Büschel blauer Moränen? Von weitem nur durfte 
ich die Sandberge Moabs erblicken - Grenzen meines Lan- 
des, Schutzwälle vor dem drohend Unbekannten. Mit sei- 
nen tiefen Furchen wie Runzeln eines erloschenen Gesichts, 
nachdenklich zum Land der Menschengläubigkeit geneigt, 
blickte Moab schon auf die Wanderung der Stämme, die 
sich vor den Ufern des Toten Meeres zerstreuten. 



i4 



DU BERG GILBOA! Presse deine Felsen zusammen. 
Geist Josuas! Schleudre den Fels gegen den schleichen- 
den Widersacher, wenn er auf krummem Pfad in die 
Ebenen kreucht zur nächtlichen Stunde, die stillen Hütten 
der Arbeiter meines Volkes zu überfallen. Presse die Flanke 
des Gebirgs, dass Steingeröll niedersause, den Pfad ver- 
schütte, erschlage den schleichenden Widersacher meines 
Volkes! 

Traubenhügel um Hebron - alle Farben des zauberhaften 
Orients glitzern auf in dem Geschmeide des seligen Orts. 
Im Brunnen perlt der Schaum des tiefen Wassers. Kri- 
stallen rauscht die Quelle aus den Gebeinen der Stamm- 
väter. Saras, Rebekkas, Leas Lieblichkeit strömt in dem 
klaren Brunnen des Hügels der Schönen, el Chalil! Schön- 
heitsmal ist die Stadt unter dem Busen Mamres; treuer 
Wächter auf dem Wege zum Schoss der Menschheit, He- 
bron, bist du, Schönste in Israel! 



i5 



ÖLBERG - O BERG DER BERGE - wie oft schritt ich 
über den Weg, der empor zu deinem Grat sich windet. Aus 
Achat und Onyxgestein sind deine Wege, Olberg - stein- 
gebettete harte Wege; unter den heiligen Gedanken des 
Wanderers wandelt sich niederer Kies zu herrlich glän- 
zendem Edelstein. Zwischen Mauern führen Wege empor 
zum Grat, hinter Mauern verbirgt sich luiverwelkliche Er- 
innerung. 

Hart sind deine Pfade, o Olberg, deine Bäume hell. Rote, 
süsse Frucht schwillt auf deinen schweren Kaktusstauden, 
süss und heisses Fleisch der Frucht, und lässt guten Ge- 
schmack auf der Zunge zurück. Trauernd und nachdenk- 
lich sein lehrst du, Olberg, ob der Stadt. Die süssen Trop- 
fen deiner reifen Früchte fallen wie Blut mit der salzigen 
Träne auf den Opalen schimmernden Pfad, nieder auf die 
Edelsteine der geheiligten Spur. Vom Grat des Berges über- 
fliegt der Blick die geneigten Dächer, die ragenden Tür- 
me, Dome, Minarete der weissen Stadt, die aus Felsklüften, 
Strombetten aufsteigende. Hinüber fliegt der irre Blick su- 
chend, trunken zum armen Hügel, dem zerbrochenen, ge- 
ring geachteten und missbrauchten. O Jahrtausende lang 
verachteter und verkannter armer Hügel Gilgall Kaum 

16 



darf der Blick auf dir ruhen, kaum vermag er dich zu fin- 
den, zu erkennen, massig nur hebt sich dein zerrissener 
Hang, deine zerbrochene Flanke über die Mauerscharten 
des Tors, das nach Damaskus sieht. 

Tief starren Löcher im gelblichen Steinbauch des zertrüm- 
merten Hügels, Abergläubige meinen, das seien die Augen- 
höhlen Gilgals, der Schädelstatte. Sie ziehen den Blick an, 
die Starrenen Höhlen. Über Berghang, Kidronschlucht, 
hellen Plan vor der Omarmoschee, über das geneigte Ge- 
wirr all der Dächer, den Wald glocken -behängter Türme 
sendet die sehnsüchtig weit vorgereckte Hand aus zittern- 
den Fingerspitzen Strahlen, zart, doch sicher zu dir, o win- 
ziger Hügel, winzig und zerbrochen, den suchendes Ver- 
langen der Jahrhunderte sichtbar umkreist. Zu dir, Hügel- 
stätte der Toten, deinem zitternden, gelben, schwachen 
Gestein strömt Sehnsucht unaufhörlich. Dein schwacher 
bröckelnder Stein schmilzt unter Regentau und zerrinnt 
wie schwaches, wehes Fleisch des gemarterten Gerechten 
aller Ewigkeiten. 



V 



IN DER STUNDE meines Sterbens werde ich deiner 
gedenken, Jeruschalajim, Heilige Stadt. Wie ich einst, in 
der Stunde meines ohnmächtigen Schmerzes durch deine 
treuen Mauern schritt, deine dunklen, schwermütigen, 
überdachten Gassen. Ich war ein betrübter Gast in deinen 
Gassen, Jeruschalajim, und nie bin ich zum Gebet einge- 
kehrt in deine Stätten des Trostes und der Erhebung. 

Wohl rührte meine Stirn an die Quadern des Tempels, 
den mein Volk erbaut hat. Doch sie waren nur kalt und 
rührten mein Blut nicht zu stürmischer Schwingung auf. 
Mit gefalteten Händen blieb ich oft stehen auf den Spuren 
des Unendlichen an den Schmerzensstrassen inmitten 
düsteren Gemäuers, aber immer blieb noch Welt unter 
meinen Lidern, der Glanz der Andacht diesseitiger Welt. 

Ein Eslein sah ich stehn an einen Ring gebunden, an kur- 
zem Strick. Nahe bei der Mauer eines verfallenen Hauses 
stand es, silbergrau mid mit zarten Füssen, gestossen im 
Gewühl. Schwerbeladen mit schweren Säcken wartete es 
auf seinen Herrn. Schläge imd Stösse der Vorüberhasten- 
den brachten es für Augenblicke aus dem Gleichgewicht, 
doch es wankte nur, rührte sich aber nicht von der Stelle. 

18 



So lieblich war sein Haupt, silbern und durchsichtig zart 
sein junger Hals, so mild sein Auge, das auf den schmutzi- 
gen, grünlich vermoderten Stein niederblickte. Ergeben 
und hold neigte sich sein silbernes Haupt nieder zur Pflicht, 
zum Schicksal, zum Verhängnis alles Lebenden auf dieser 
verdüsterten Erde. Meine Lippen berührten das zarte 
Haupt des Tieres, des Lieblings der beladenen Seelen, se- 
ligen Gefährten des gemarterten Menschen. Mit einem 
Kuss besiegelte ein Beladener, Beschwerter den göttlichen 
Bund aller leidenden Kreaturen auf Erden in vielerlei 
Gestalt. 

Tauben fliegen über den lichten Plan um die Omarmoschee. 
Die blauen Mauern streifen sie mit ihren Federn, ihre Flü- 
gel sind eins mit dem Himmelslicht ob Morias Felsendom. 
Sie waren Zeugen, die hellen Tiere, - auch Ihr, sanfte gelb- 
liche Kamele, melodisch Schreitende, - der alten Sagen, 
der unsterblichen Legende der Schrift. Der Tiere Leben 
währt ewig, weil sie sich nicht erinnern können. Sie sind 
von Anbeginn, weil niemand, weil nichts ihre Geburt, 
ihren Tod vermeldet. Tausend Geschlechter rollen ab um 
die unzerrüttbare Mauer des Tempels. Tausende wilder 
Menschen wellen, - verzweifelter Menschenangesichte. 

19 



Brandung zerschellt an der unverrückbaren Unendlich- 
keit des Gesetzes der Schrift, Legende der Zerstörung, 
Chronik derWidergeburt. Sie aber, die Tiere des Orients, 
sanfte, bedrückte, stumme, leben ihren Tag und über- 
dauern den wandelbaren Menschen. 

Gegrüsst, du rote Wolke in der Zauberstunde vor dem 
Dunkelwerden über der Heiligen Stadt. Auch du, Himmel, 
blicktest mit kaum gewandelter Gnade auf die erkorene 
Stadt; die Himmelsstadt meines alten, ewig lebenden Stam- 
mes. Kommen und gehen sah ich die Röte ob Zions Feste. 
Mein Herz pochte wild und in schrankenlosem Jubel der 
blutgetränkten Dämmerung entgegen. Ahnend die Nacht, 
erquickte sich mein Auge an dem Horizont um die be- 
gnadete Himmelsstadt. 

Blinde Jeruschalajims! Lebt Ihr im Dunkel? Onein. Wir 
leben im Licht. Hell wallt der überirdische Glanz der Erz- 
engel, - unserer Brüder ohne Sinne in unsere körperlose 
Finsternis, herüber. - Mit tastendem Stab, eine Sure des 
Korans auf unseren Lippen, so schreiten wir den glitsch- 
rigen Weg durch die Bazare zum Plan um die Omar- 
moschee hinunter. Im Niederknien auf dem Stein reiben 



20 



wir unsere Schläfen mit unseren empfindlichen Finger- 
spitzen, bis sie in allen Poren vernehmen das leise Flüstern 
der nahenden Gnade. Dann erst werfen wir uns nieder 
zum Gebet. Alle Sprüche des blau genannten Felsendoms 
tragen wir in unser Herz eingezeiclinet, wir sind die Hüter 
vor dem Tor der geweihten Glaubensstätte. Herrlich ver- 
ziert ist der Plan unseres inneren Tempelplatzes mit all 
den unvergesslichen Reimen der heiligen Bücher unseres 
Propheten. Nicht Klage tönt der Bettlerruf des Blinden, 
der Schrei des in der Nische verborgen kauernden Aus- 
sätzigen durch die überwölbte Gasse der Heiligen Stadt, 
Wie Gebet des geweihten Imam, des gesalbten Priesters 
ist der Ruf nach Brot des Blinden, des Aussätzigen, des 
heilig wallenden Armen durch die Gassen der Pilgerstadt. 



21 



RUFE ERHEBEN SICH über Jemschalajlm, Klang, 
zitternd singender Ton, Verzückungsschrei und Schmerz- 
gestöhn. Der Muezzin auf dünnem Minaret, der Glöckner 
auf hohem Belfried, das Spiel der ineinander schwingen- 
den, durcheinander schwirrenden schweren und zarten 
Glockenklänge breiten über die Stadt ein Gewebe aus, 
unter dem die weissen, nach Osten geneigten Dächer ver- 
sinken, hl Harmonien engelreiner Art entsühnen sie die 
tierischen Dünste des Menschengewimmels, trennen es ab 
von der seligen Wolke klaren Blaus in der durchsichtigen 
Mittagsstunde. Wie ein zarter Schleierhauch aus Millionen 
zitternder Tönefasern ist die magnetische Welle steter An- 
dacht über Jerusalem gebreitet. Sie schwebt, linde ge- 
fächelt von der Strömung, die sie nie verlässt und ist doch 
tief und sicher gebunden an das Erdreich, durch dämo- 
nischen Zauber an die spärlichen, von weinenden Stirnen 
blank gescheuerten Quadern der alten Mauer ewiger Kla- 
ge gekettet, tief in die Erde, den Felsengrund Jeruschala- 
jims hinunterreichend, die Mauer des letzten Tempels, den 
Salomo erbaute und der unvergänglich und stumm in den 
Herzen des vertreuten Volkes verweilt ist durch die Jahr- 
tausende in Ewigkeit. 



22 



ICH SAH DIE ZELTE und die Häuser des Friedens in 
den Ebenen und den Bergen. Bauen, Pflügen, Säen und 
Frucht vom jungen Baume sah ich pflücken überall in Is- 
raels neu erobertem Land. Frieden senkte sich mit jedem 
Saatkorn in die Erde hinunter, Frieden war die Hand, die 
die Sichel führte über das neu bestellte Feld. Der Fluch 
des verlorenen Paradieses lastete nicht auf der Arbeit im 
glühenden Schweiss der geneigten Stirn, hell stieg Segen 
wie willkommener Rauch des Opfers aus Ackerkrume, 
sumpfentsprungenem Boden, befreiter, heiterer Seele im 
neu gewonnenen Land. Friede strahlte um jede Stunde 
des Tags, den Arbeit, jede Stunde der Nacht, die Lust und 
Schlaf füllten, um die Zelte und Wohnstätten der jungen 
Erbauer des Landes. Eingefriedet in dem Glück erfüllter 
Sehnsucht, hegt das unruhvolle Herz die Sorge immer 
treueren Dienstes für das Land der Väter, der Kindeskin- 
der Land. Wie Liebesgruss schallt der Friedensruf der Be- 
grüssung von Mund zu Mund, wenn auf weiter Einöde, auf 
zerklüftetem Bergpfad Sohn und Sohn sich begegnet des 
alten Stammes. O strahlte doch Frieden wie Vogelflug, 
wie Glockenruf, wie Zittern der dampfenden gebärenden 
Scholle über diesem kleinen, armen, unendlichen Reich- 
tum bergenden Land Palästina! 

23 



DOCH ICH SAH auch Annageddon ausgebreitet, dasTal 
der Schlacht . . . Armageddon in Jesreels Wüstenei, Feld 
zwischen Meer und Gilboagebirg, eine weite Strecke, un- 
krautüberwuchert, von Sümpfen durchrieselt, spärlich 
nur bevölkert. Unaufhörlich braust durch die Lüfte ob 
Armageddon der Sturm der Geschichte. Alle Kämpfer- 
scharen um das Reich Gottes fahren unablässig durch 
den von keinem Widerstand abgelenkten Windhauch 
über das Tal Armageddons dahin, in dem ich stehe, lau- 
schend zwischen Meer und Jordan, Sunem und Sile,Sichem 
und Nazareth. Denkend meines Stammes, meines Ge- 
schlechts, der Menschheit unendlichen, ununterbrochenen 
Dahinbrausens über die Erde gedenkend wird es mir offen- 
bar - nie, nie wird der Sturm aufhören, verstummen ob 
Armageddon. Ewig fragend wird das Aug aufblicken 
zum Dom. Vergeblich das Aug Gottes suchen in der Höhe. 
Ewiges Armageddon! Ross und gepanzerte Schar, hinter 
wilder Feldmusik stürmende junge Leiber im Anprall, 
brünstig Tod suchend wie Begattung. Ewiges Armaged- 
don! 

Volk sinkt um Volk in die Erde nieder, in das Erdreich 
des Tals, das sich höher und höher türmt. Des raschen, 

24 




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kurzen Friedensjahres Pflug stösst untief und tief, immer 
tiefer wieder auf Gebein, vermodertes Erdreich, frucht- 
baren Hmnus aus Mensch, Tier, Erz und darunter aber- 
tausendmal Mensch um Mensch. 



25 



KLAGET IHR MÄDCHEN auf den Ebenen des Acker- 
landes Israel - Blut und immer aufs Neue wird Blut die 
blauen Disteln der Felder färben, die ihr jätet, die ihr 
liebend bestellt im alten Land eures Kindheitstraumes, 
dass es Nahrung gebe für alle, die seines Friedens bedürfen 
in unruhigen Pulsen. Klaget, denn in eurem Schoss nährt 
vielleicht schon Armageddon seine Saat, die Brutstätte 
kommender Geschicke. 

Jubelt ihr Töchter Israels, eure Wimpern noch feucht von 
sybillischem Tau - jubelt trunken im gliederlösenden Rei- 
gen des Sabbathabends. 

Aufjauchzend mit Cymbelschlag über den Donner aus 
starken Männerstimmen im Chor, Arbeit, Freude an der 
Feierstunde, so he])t die Eigene, heut noch des Friedens, zu 
Häupten den Wolkenflug der Geschichte Armageddons, 
nicht in Israel allein, auf dem weiten Erdenrund! In die 
wilde Wolkenschlacht der prophetischen Atmosphäre 
braust, ewig wie der tragende Boden selber, der Tanzrhyth- 
mus des arbeitenden, hoffensgewaltigen Volkes Israel. Der 
Horizont ist zerrissen von rotem Blut aus zärtlichen Adern, 
die fruchtbarer Welttaumel durchpulst und wiegt. Rot ist 

26 



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der Horizont allüberall - über Judäas steinigen Bergen, 
Galiläas noch kahlen, hier und dort mit Oasen gespren- 
kelten Ebenen, über den uralte Zinnen tragenden Städten 
des Urväterlandes. 



27 



WANN REITEST DU, Reiter auf weissem Ross, golden 
gegürtet, von hohem Adler in den Lüften umkreist, durch 
das versiegelte lör in die erlöste Welt ein? Wild und herr- 
lich, ein junger, siegreicher Paladin des Ewigen! 



28 










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Dieses Werk erschien als VII. Tillgner-Druck im 
Sommer 1922 in einer einmaligen Auflage von 
320 Exemplaren / Davon Nummer 1-20 auf Kai- 
serlich Japan in Kalbspergament, Nummer 21-120 
auf handgeschöpftem Bütten in Leder, Nummer 
121-320 auf deutschem Bütten in Halbleder hand- 
gebunden / Druck des Textes Offizin W Drugulin 
in Leipzig, der Radierungen A. Rogall in Berlin. 

Dieses ist Exemplar Nummer 



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